[E-rundbrief] Info 926 - Alternativen verknuepfen IV

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Mi Jun 16 09:39:43 CEST 2010


E-Rundbrief - Info 926 -  "Enlazando Alternativas IV" ("Alternativen
verknüpfen IV"): Abschlusserklärung des Gipfels der Völker,
Madrid, 16. Mai 2010.

Bad Ischl, 16.6.2010

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Abschlusserklärung des Gipfels der Völker

"Enlazando Alternativas IV"

("Alternativen verknüpfen IV")

Madrid, 16. Mai 2010

Wir, die Netzwerke, Plattformen und Organisationen aus Europa und
Lateinamerika und der Karibik, die wir uns in Madrid vom 14. bis 18. Mai
(2010) zu dem Gipfel der Völker versammelt haben, nehmen für uns das
Recht in Anspruch, Alternativen zum neoliberalen Modell und zu den
Freihandelsverträgen zu entwerfen. Wir glauben, dass wir dazu fähig sind,
den politischen und sozialen Dialog zwischen den Völkern herzustellen.

Wir befinden uns in einer Krise der Zivilisation, die den gesamten Planeten
erschüttert, und in der die verletzlichsten der sozialen Gruppen und die
Völker des Südens die größte Last tragen. Während Millionen von
Arbeiterinnen und Arbeitern ihre Arbeit verloren haben und in Armut und
Prekarität versinken, macht das Finanzsystem, unterstützt von den Staaten
des Nordens, Milliardengewinne.

Die Weltwirtschaftskrise ist von einer Lösung weit entfernt, und die
Rettungspläne zielen bisher nur darauf hin, die Interessen des
Großkapitals zu wahren, so wie es vor kurzem die
Strukturanpassungsmaßnahmen gezeigt haben, die die EU von Griechenland
gefordert hat. In gleiche Richtung zielen Ankündigungen, die Spanien und
Portugal betreffen. Die Geschichte Lateinamerikas und der Karibik zeigt die
verheerenden Auswirkungen dieser Politik, mit ihren Kürzungen der
öffentlichen Ausgaben, Privatisierungen und Deregulierung der Wirtschaft.

Gerade jetzt, am Ende von zwei Jahrhunderten Kampf für die Unabhängigkeit
in einigen Ländern Lateinamerikas und der Karibik, schlägt die EU eine
strategische Allianz vor und damit die Rückkehr in die Vergangenheit. Die
Einrichtung eines, eine sogenannte « Europäisch-Lateinamerikanische Zone
umfassenden globalen interregionalen Assoziierungsabkommens », gestützt
auf die Verabschiedung einer Serie von Freihandelsverträgen zum Schutz der
Interessen der transnationalen europäischen Konzerne in Lateinamerika und
der Karibik, wird die Möglichkeiten zur regionalen und biregionalen
Integration auf einer neuen Basis verhindern.

In Lateinamerika und der Karibik sind verschiedene progressive und linke
Regierungen entstanden, die empfänglich sind für die Forderungen der
Volksbewegungen, die alternative Entwicklungspfade suchen, welche den
lokalen Realitäten besser entsprechen, und die die nationale
Souveränität verteidigen. Während sie gleichzeitig versucht diese
Regierungen zu diffamieren und zu destabilisieren, predigt die politische
Rechte weltweit weiterhin die Politik der neoliberalen Kürzungen, wie sie
von transnationalen europäischen Konzernen – besonders den spanischen,
die in Lateinamerika und der Karibik aktiv sind - unterstützt werden und
auch die Unterstützung der EU finden. Strategien wie „Ein
wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt" und "EUROPA 2020: Eine
Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum"
werden weithin hohe soziale Kosten erzeugen und die Ungleichheit zwischen
den Staaten und innerhalb der einzelnen Länder verschärfen.

Mit dem Vertrag von Lissabon hat sich in Europa ein antidemokratisches und
kapitalistisches Integrationsmodell verstärkt. Die Privatisierung der
öffentlichen Dienstleistungen zusammen mit der Verletzung der sozialen und
der Arbeitsrechte baut die Festung Europa aus und beschädigt das soziale
Europa.

Angesichts dieser Realitäten sind Organisation, Widerstand, Würde,
Solidarität und soziale Mobilisierung unerlässlich, um die in
Lateinamerika und der Karibik erreichten Errungenschaften zu erhalten, eine
Rückkehr in die Vergangenheit zu verhindern und neue Fortschritte sowohl
in Lateinamerika und der Karibik als auch in Europa zu erreichen. Unsere
Strategie eines gemeinsamen Kampfes und Widerstandes stützt sich auf die
Solidarität zwischen unseren Völkern, um gemeinsam eine Gesellschaft zu
schaffen, in der die wirtschaftlichen, politischen, kulturellen sowie
Arbeits-, Gewerkschafts- und Umweltrechte Vorrang haben vor allem anderen
und die Daseinsberechtigung der Politik der Regierungen sind.

In diesem Sinne :

1. Lehnen wir energisch die Freihandelsverträge, die Assoziierungsabkommen
und die bilateralen Investitionsabkommen (BIT's) – oder Abkommen über
die gegenseitige Förderung und den Schutz von Investitionen – ab.
Solche Abkommen sind zwischen einigen lateinamerikanischen und
europäischen Regierungen vereinbart worden, wobei die Verhandlungen hinter
dem Rücken der und gegen die Interessen unserer Völker erfolgten. Im
besonderen lehnen wir ab: das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen
der EU und den CARFORUM-Staaten, die Unterzeichnung der Verträge mit
Kolumbien, Peru und Zentralamerika und die Wiederaufnahme der Verhandlungen
mit dem MERCOSUR.

2. Lehnen wir es ab, dass die Entwicklungszusammenarbeit Teil dieser
Abkommen ist und damit privaten ökonomischen Interessen dient. Wir wollen
eine Zusammenarbeit, die das Vermögen der sozialen Akteure und der Staaten
beim Entwurf und der Durchführung einer Politik stärkt, die damit beginnt
die soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen.

3. Lehnen wir die Durchführung von Plänen zur Strukturanpassung und
Interventionen des IWF in den Ländern Europas und Lateinamerikas und der
Karibik, womit der Wirtschaftskrise die Stirn geboten werden soll, ab. Wir
fordern die sofortige Stundung der Schulden der Öffentlichen Hand und die
Durchführung von Überprüfungen um unrechtmäßige Schulden zu streichen.

4. Werden wir fortfahren wirkliche Lösungen für die Umwelt- und
Klimakrise zu suchen. Solche Lösungen können nur basieren auf
Klimagerechtigkeit und auf der Notwendigkeit das System zu ändern, das den
Planeten zerstört. Um den Klimawandel zu bremsen muss die EU ihre
eigenen Emissionen an Treibhausgase wesentlich verringern. Wir fordern die
europäischen Regierungen auf, ihre ökologischen Schulden zu bezahlen, die
sie bei den Völkern des Südens, einschließlich Lateinamerikas und der
Karibik, angehäuft haben, damit finanzielle Mittel zur Verfügung stehen,
die Folgen des Klimawandels zu lindern und Überleben zu sichern.
Angesichts des Scheiterns des Klimagipfels in Kopenhagen verpflichten wir
uns, die auf der „Weltkonferenz der Völker über den Klimawechsel und
die Rechte der Mutter Erde" im April 2010 in Cochabamba beschlossenen
Anträge umzusetzen. Die betrifft zum Beispiel die Schaffung eines
internationalen Tribunals für Klimagerechtigkeit.

5. Unterstützen wir alle Kämpfe der Bauernbewegungen in Lateinamerika und
der Karibik und in Europa für die Ernährungssouveränität der Völker,
Agrarreformen, gegen genveränderte Organismen und zur Verteidigung ihres
Landes. Die bäuerliche Landwirtschaft, im Familien- oder Kleinbetrieb
ernährt die Völker und wirkt der Erderwärmung entgegen.

6. Halten wir fest an unserem Kampf für die partizipative, direkte und
vielfältige Demokratie und widersetzen uns den Versuchen, sie
einzuschränken. Wir unterstützen die Kämpfe gegen die Straflosigkeit und
für Gerechtigkeit für die Opfer von Völkermorden. Wir weisen die
Kriminalisierung sozialer Proteste zurück.

7. Fordern wir den Abbruch der diplomatischen und finanziellen Beziehungen
mit der Regierung Porfirio Lobo in Honduras, die von verschiedenen
Regierungen abgelehnt wird. Besagte Regierung hat ihre Wurzeln in einem
Staatsstreich, wurde unter antidemokratischen Bedingungen gewählt und kann
sich nur durch Repression gegenüber den sozialen Bewegungen und die
Verletzung der Menschenrechte an der Macht halten. Wir unterstützen die
honduranische Widerstandsbewegung bei ihrem Kampf um eine
Verfassungsgebende Versammlung.

8. Weisen wir die Militarisierung Haitis als Vorwand für humanitäre Hilfe
zurück. Dieses gilt gleichermaßen für die Sichtweise, dem Volk von Haiti
die Fähigkeit abzusprechen, sein eigenes Schicksal zu bestimmen. Wir
fordern die Achtung der Souveränität des haitianischen Volkes, den Erlass
der Auslandsschulden des Landes und die Bezahlung von Reparationen.

9. Fordern wir von der EU die Aufhebung des „Gemeinsamen Standpunktes"
gegenüber Kuba.

10. Klagen wir die EU, ihre Institutionen und ihre Einzelregierungen der
flagranten Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen an. Zum Beispiel ist sie
mitschuldig in Kolumbien, Honduras, Peru, Guatemala und Mexiko, wo täglich
Führungspersönlichkeiten sozialer Bewegungen ermordet und soziale
Proteste unterdrückt werden.

11. Lehnen wir die Migrationspolitik der EU ab, denn sie ist eine
ernsthafte Bedrohung für die Demokratie und den Frieden zwischen unseren
Völkern, weil sie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus schürt. Wir
unterstützen und beteiligen uns an den Kämpfe der Bewegungen und
Netzwerke von Migranten. Unsere besondere Unterstützung gilt den Kämpfen
gegen die Festung Europa mit ihren Internierungslagern und ihrer
„Rückführungsbestimmung", die zu Recht „Bestimmung der Schande"
genannt wird. Diese Migrationspolitik zeigt das andere Gesicht Europas, das
des Kapitals.

12. Klagen wir die Militarisierung unserer Kontinente an, insbesondere den
kriegstreibenden Charakter der Regierung Kolumbiens. Die Einrichtung von 7
Militärbasen der Vereinigten Staaten in diesem Land bedeutet eine
Bedrohung für Frieden und Stabilität in der Region. Wir wiederholen
unsere Verurteilung der kriegstreiberischen Politik der EU im Schutz der
NATO in Afghanistan. Genauso verurteilen wir die Benutzung von Mitteln in
Millionenhöhe zur Aufrechterhaltung einer Kriegsmaschinerie. Diese Mittel
könnten für andere Dringlichkeiten im Sozialbereich genutzt werden.

13. Unterstützen wir den Kampf des griechischen Volkes um die Verteidigung
ihrer Rechte, die die Rechte aller Völker Europas verkörpern.

14. Verpflichten wir uns daran zu arbeiten, einen politischen Raum der
Solidarität auszubauen, einer Solidarität, an der eine breitestmögliche
Vielfalt von sozialen und politischen Bewegungen teilnehmen soll, die sich
für eine Integration auf sozialer, wirtschaftlicher, Geschlechter-,
politischer, Umwelt- und kultureller Ebene einsetzen. Dieses Ziel versteht
sich als Alternative zu dem, was die Europäische Union (EU) und einige der
Regierungen Lateinamerikas und der Karibik vorschlagen.

15. Verpflichten wir uns, unsere Kämpfe gegen die Macht der Konzerne zu
stärken und zu festigen und in der Arbeit des Netzwerkes „Alternativen
verknüpfen" eine neue Etappe beim Aufbau eines Instrumentes zu eröffnen,
mit dem auf internationaler Ebene Wirtschaftsverbrechen verurteilt werden
können. Die Sitzung des „Ständigen Tribunals der Völker", mit dem
Titel „Die Europäische Union und die transnationalen Konzerne in
Lateinamerika. Politik, Instrumente und Akteure", hat zu diesem Ziel
beigetragen.

16. Unterstützen wir und nehmen teil an den Kämpfen der
afroamerikanischen Gemeinschaften, der Frauen, Jugendlichen und der
Ausgeschlossenen Lateinamerikas und Europas, die die Auswirkungen der Krise
am härtesten trifft.

17. Sind die Kämpfe und Forderungen der indigenen Völker die unseren. Wir
unterstützen ihre Forderungen nach dem guten Leben, der Schaffung
plurinationaler Staaten und der Verteidigung der Rechte der Mutter Erde,
Rechte, die notwendigerweise dazu beitragen, Methoden des Konsums und der
Produktion zu entwickeln, die nachhaltig, verantwortungsbewusst und gerecht
sind.

18. Begrüßen wir die Verpflichtungen der Regierungen Lateinamerikas und
der Karibik, mit Jahrhunderten der ökonomischen Abhängigkeit, der
Plünderung der natürlichen Ressourcen und dem Raubbau an der Natur zu
brechen.

19. Rufen wir die Völker Europas dazu auf, sich zu erheben und ein anderes
Europa aufzubauen. Wir danken den Angehörigen von der spanischen Gruppen
für ihren Einsatz und ihre Hilfe bei der Realisierung unseres Gipfels der
Völker, „Alternativen verknüpfen IV". Gleichzeitig heißen wir die
Freundinnen und Freunde willkommen, die schon von jetzt ab bereit sind, die
Vorbereitungen für den Fünften Gipfel der Völker „Alternativen
verknüpfen" zu beginnen, der 2012 stattfinden wird.

Wir widmen diesen Gipfel der Völker dem Andenken der indigenen Aktivistin
Betty Cariño, die am 27. April in Oaxaca wegen ihrer Arbeit im Kampf gegen
die transnationalen Bergbauunternehmen ermordet wurde. Diese Ehrung ergeht
stellvertretend für alle Personen, die wegen ihres sozialen und
politischen Kampfes ermordet wurden. Ebenso steht sie stellvertretend für
alle Opfer des neoliberalen Modells, wie es ungerecht und ausschließend in
Lateinamerika, der Karibik und Europa herrscht.

Madrid, 16. Mai 2010

Gipfel der Völker „Enlazando Alternativas IV"

-- 
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Oficina Ecumenica por la Paz y la Justicia
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Alemania
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-- 

Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
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