[E-rundbrief] Info 894 - Howard Zinn - Nachruf in Deutsch

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Di Feb 16 16:47:27 CET 2010


E-Rundbrief - Info 894 - Amy Goodman (Democracy Now!/ USA): Howard Zinn:
Ein Interview mit Chomsky, Klein, Arnove und Walker zum Gedenken an den
legendären Historiker und Aktivisten. Übersetzung - englisches
Original siehe E-Rundbrief Info 893.

Bad Ischl, 16.2.2010

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Howard Zinn: Ein Interview mit Chomsky, Klein, Arnove und Walker zum
Gedenken an den legendären Historiker und Aktivisten

von Amy Goodman

29.01.2010 — Democracy Now! / ZNet

Unsere Interview-Gäste sind:

Noam Chomsky, emeritierter Professor des MIT (an dem er mehr als ein
halbes Jahrhundert lang lehrte) und Autor zahlreicher Bücher.

Naomi Klein: Journalistin, Autorin (u.a. 'Die Schock-Doktrin').

Alice Walker: Pulitzer-Preisträgerin, Autorin ('Die Farbe Lila'), Poetin
und Aktivistin.

Howard Zinn war - Anfang der 60ger Jahre - einer ihrer Dozenten am
Spelman-College/Atlanta, wo Walker als Studentin eingeschrieben war.

Anthony Arnove verfasste gemeinsam mit Zinn das Buch 'Voices of A
People's History of the United States'; zudem arbeitete er gemeinsam mit
ihm an Zinns letzter Dokumentation 'Let the People Speak' (2009)

Amy Goodman:

Wir senden heute vom Sundance Film Festival in Park City/Utah. Es ist
das größte Festival des Unabhängigen (Freien) Films, hier, in den USA.

Den zweiten Teil der Stunde widmen wir dem Gedenken an Howard Zinn. Der
Historiker, Autor und Aktivist starb am Mittwoch überraschend an einem
Herzanfall. Er wurde 87 Jahre alt.

Im Zweiten Weltkrieg war Howard Zinn Bomberpilot. Nach dem Krieg war er,
Zeit seines Lebens, Friedensaktivist und Dissident. Er engagierte sich
in der Bürgerrechtsbewegung und beteiligte sich in den vergangenen 50
Jahren an vielen der anderen Kämpfe für soziale Gerechtigkeit.

Zinn dozierte mehrere Jahre am Spelman-College in Atlanta - einem
historischen College für schwarze Frauen. Er wurde wegen Insubordination
gefeuert, weil er sich für seine Studentinnen einsetzte. Während seiner
Lehrtätigkeit am Spelman-College gehörte er dem Exekutivkomitee des SNCC
(Student Nonviolent Coordination Committee) an. Nach seiner Entlassung
wurde er Professor an der University of Boston.

1967 veröffentlichte er das Buch 'Vietnam: The Logic of Withdrawal'. Es
war das erste Buch über den Vietnamkrieg, das zu einem sofortigen,
bedingungslosen Rückzug aus Vietnam aufrief. Ein Jahr später reiste er
mit Pater Daniel Berrigan nach Vietnam, um die ersten drei
amerikanischen Kriegsgefangenen heimzuholen, die von den Nordvietnamesen
freigelassen wurden.

Daniel Ellsberg, der Enthüller der geheimen 'Pentagon Papers', zog
Howard Zinn zu Rate, als er nach einem Versteck für seine
Geheimunterlagen suchte, bis er sie an die Presse durchsickern lassen
würde. Howard Zinn und seine Frau Rozlyn versteckten sie.

1980 veröffentlichte Howard Zinn ein Werk, das zum Klassiker werden
sollte: 'A People's History of the United States' ('Eine Geschichte des
amerikanischen Volkes'*). Es wurde mehr als eine Million mal verkauft.
Es veränderte die Sicht der Amerikaner auf ihre Geschichte. Zinn/Arnove
drehten darüber die Dokumentation 'Let The People Speak' (2009)**.

In Kürze werden wir mit Noam Chomsky, Alice Walker, Naomi Klein und
Anthony Arnove verbunden sein. Zunächst möchte ich einen Ausschnitt aus
einem Interview einblenden, das ich mit Howard Zinn im Jahre 2005
führte. Darin sprach er über seine Zeit als Bomberpilot im Zweiten
Weltkrieg:

(Eingeblendet)

Howard Zinn:

     Nun, wir dachten, mit den Bombeneinsätzen wäre es vorbei. Der Krieg
näherte sich ja seinem Ende. Es war im April 1945. Erinnern wir uns: Der
Krieg war Anfang Mai 1945 zu Ende. Einige Wochen, bevor der Krieg aus
war - und alle wussten, dass er bald aus sein würde (unsere Armeen waren
über Frankreich nach Deutschland vorgedrungen) -, lag in Royan noch ein
kleines Kontingent deutscher Soldaten. Sie hingen dort herum - in dieser
kleinen französischen Stadt an der Atlantikküste. Die Air Force
beschloss, sie zu bombardieren. 1200 schwere Bomber - ich mitten unter
ihnen - flogen über die kleine Stadt Royan und warfen Napalm ab. Es war
der erste Napalm-Einsatz in Europa.

     Wir wissen nicht, wieviele Menschen getötet oder schrecklich
verbrannt wurden - durch das, was wir taten. Ich handelte, wie die
meisten Soldaten, mechanisch, ohne nachzudenken. Ich dachte, wir stehen
auf der richtigen Seite und sie auf der falschen. Deshalb können wir
machen, was wir wollen, es ist okay. Erst danach, erst nach dem Krieg,
als ich las, was John Hersey über Hiroshima schrieb oder die Geschichten
der Überlebenden von Hiroshima, (als ich las), was sie durchlitten
hatten, erst an diesem Punkt begann ich, über die humanitären Folgen der
Bombardements nachzudenken. Erst da begann ich, darüber nachzudenken,
was es für die Menschen am Boden bedeutet, wenn Bomben auf sie
abgeworfen werden - denn ein Bomber fliegt in 30 000 Fuß Höhe, 4,5km
hoch. Wir konnten die Schreie nicht hören, das Blut nicht sehen. Das ist
moderne Kriegsführung.

     Moderne Kriegsführung bedeutet: Soldaten feuern, oder sie werfen
Bomben ab, ohne eine Vorstellung - eine tatsächliche Vorstellung - davon
zu haben, was mit den Menschen passiert, auf die gefeuert wird. Alles
geschieht auf Distanz. Auf diese Weise werden furchtbare Greuel
ermöglicht. Als ich an diesen Bombeneinsatz zurückdachte oder an
Hiroshima und an all die übrigen Angriffe auf zivile Städte, an das
massenhafte Töten so vieler Zivilisten in deutschen und japanischen
Städten (in Tokio wurden in nur einer Nacht 100 000 Menschen durch
Brandbomben getötet), brachte mich das zu der Erkenntnis, dass selbst so
genannte 'gute Kriege', wie der Krieg gegen den Faschismus im Zweiten
Weltkrieg, fundamentale Probkeme nicht lösen können. Sie vergiften alle
- auf beiden Seiten. Sie vergiften Seele und Geist aller Beteiligter auf
beiden Seiten. Wir sehen das heute im Irak, wo der Geist unserer
Soldaten vergiftet wird, weil sie eine Besatzungsarmee sind - in einem
Land, das sie nicht haben will. Das Resultat ist schrecklich.

Amy Goodman:

Als er aus dem Krieg heimkehrte, bekam Zinn ein Soldaten-Stipendium
(gemäß dem GI-Gesetz (GI-Bill)). Er studierte zunächst an der New York
University und schloss mit einem Mastergrad ab. Danach machte er an der
Columbia University seinen Doktor in Geschichte.

Ende der 50ger Jahre zog Zinn nach Atlanta, um am Spelman-College zu
unterrichten. Es war ein College, das ausschließlich schwarze Frauen
aufnahm. Dort wurde Zinn tief in die Bürgerrechtsbewegung hineingezogen.
Wir sprechen nun mit einer ehemaligen Studentin Zinns - der Autorin und
Poetin Alice Walker. Sie ist uns aus Mexiko zugeschaltent, wo sie heute
lebt.

Alice, willkommen bei Democracy Now! Es ist so traurig, mit Ihnen zu
sprechen - einen Tag nach Howard Zinns Tod.

Alice Walker:

Vielen Dank, dass Sie mich zu diesem Gespräch eingeladen haben.
Unterhalten wir uns über Ihren ehemaligen Dozenten.

Alice Walker:

Nun, mein ehemaliger Dozent war einer der lustigsten Menschen, die ich
je gekannt habe. Er war einer, bei dem du damit rechnen konntest, dass
er im unglaublichsten Augenblick die außergewöhnlichsten Dinge sagt.

Ich nenne ein Beispiel. Einmal gingen wir in Atlanta zu einem dieser
sehr noblen Colleges, die damals nur für Weiße waren... all diese
äußerst noblen, weißen Mädchen aus der Oberschicht und ihre Lehrer.
Howie stand auf - ich weiß nicht, wie es ihm gelungen war, eine
Einladung zu bekommen, aber jedenfalls waren wir da. Das war noch, bevor
sich in Atlanta irgendetwas änderte. Damals kämpften wir noch darum, in
ein Restaurant zu kommen. Howie stand also auf und stellte sich im Saal
vornehin - es war ein großer Raum voller Menschen -, und er sagte: "Nun,
ich stehe links von Mao-tse-Tung." Es war ein so -  ein so unglaublicher
Moment, weil die Leute sich nicht vorstellen konnten, wie jemand in
Atlanta so etwas sagen konnte. Damals bedeuteten die Chinesen und die
Chinesische Revolution noch, dass es irgendwo auf diesem Planeten
Menschen gab, die vorwärts schritten... eine Volksrevolution. Und er
(Zinn) sagte, er stünde links davon. Es war wirklich unglaublich.

Ich glaube, ich dachte, er würde ewig leben. Ich bin sehr glücklich,
dass ich ihn kennenlernen durfte. Er hatte einen so positiven Einfluss
auf mein Leben und auf das der anderen Studentinnen am Spelman, auf
Millionen Menschen. Wir hatten einfach unglaubliches Glück, ihn all die
Jahre zu haben. 87 ist eine lange Zeit - wenngleich nicht lange genug.
Aber ich bin einfach nur dankbar.

Alice, das Spelman-College feuerte Howard Zinn - stimmt's?

  Er war dort Professor und wurde wegen Insubordination gefeuert
(ungeachtet dessen, dass das Spelman ihm vor kurzem einen
Ehrendoktorttitel verlieh und er vor der Abschlussklasse reden durfte).
Warum haben sie ihn damals gefeuert?

Er wurde gefeuert, weil er uns sehr, sehr gern hatte. Er zeigte seine
Liebe, indem er schlicht bei uns war. Er hatte seine Studentinnen sehr
gern. Er sah nicht ein, warum wir Bürgerinnen Zweiter Klasse sein
sollten. Er sah nicht ein, warum wir nicht dort essen sollten, wo wir
essen wollten oder schlafen, wo wir schlafen wollten oder mit Menschen
zusammen sein, mit denen wir zusammen sein wollten. Also blieb er bei
uns. Wissen Sie, er zog sich nicht einfach in seinen schulischen
(Elfenbein-)Turm zurück. In der damaligen Situation war er ein Subversiver.

Natürlich konnte die Schulleitung auch Studentinnen wegen 'Aktionismus'
rausschmeißen. Ich verließ das Spelman, weil mir irgendwie mein
Stipendium abhandenkam (aber zumindest war ich dort gewesen). Das war so
eine Art, wie sie uns kontrollierten. Sie haben auch versucht, ihn zu
kontrollieren - aber man konnte Howie nicht kontrollieren. Sie warteten
sogar mit der Kündigung, bis er über die Sommerferien verreist war -
vorher feuerten sie ihn nicht. Sie feuerten ihn nicht von Angesicht zu
Angesicht. Aber, yeah, soweit es sie betraf, war er ein Radikaler, ein
Subversiver auf dem Campus. Unsere Freiheit war der Schulleitung nicht
sehr viel wert. Ihnen war wichtig, dass wir nicht zuviel Wirbel machten.

Ich wende mich nun an Noam Chomsky. Er ist uns aus Boston schon eine
Weile per Telefon zugeschaltet. Noam, ich möchte Sie gerne zu Howard
Zinns Rolle in der Antikriegs-Bewegung der 60ger Jahre befragen. 1968
reiste Zinn mit Pater Daniel Berrigan nach Nordvietnam, um drei
amerikanische Kriegsgefangene heimzuholen. Zinn und Berrigan waren die
ersten Amerikaner, die Nordvietnam seit Kriegsbeginn besuchten. Hier
eine Einblendung dessen, was Howard Zinn 1968 sagte, als er in die
Staaten zurückkehrte:

(Einblendung)

Howard Zinn:

     Pater Berrigan und ich befinden uns auf der Rückreise. Es mag
überheblich klingen, aber auf der Rückreise, als wir Paris gerade hinter
uns hatten, schickten wir ein Telegramm an das Weiße Haus - ich glaube,
mit unseren letzten 15 Kröten -, in dem so in etwa Folgendes stand: "Wir
möchten gern mit Präsident Johnson reden. Würden Sie sich bitte mit uns
treffen? Wir kommen gerade aus Hanoi. Wir haben soeben mit Premier Pham
Van Dong gesprochen. Aber in der Zeitung lesen wir, dass Sie sagen, die
Nordvietnamesen wären nicht zu Verhandlungen bereit. Was wir von Pham
Van Dong erfahren haben, scheint dies zu widerlegen. Wir möchten uns
gerne mit Ihnen darüber unterhalten und auch über die Freilassung von
Gefangenen. Letzteres wurde, wie es uns scheint, falsch angepackt". Bis
jetzt haben wir noch keine Antwort von LBJ (Anmerkung d. Übersetzerin:
US-Präsident Lyndon B. Johnson) erhalten. (Ende Einblendung)

Das war Howard Zinn. Noam Chomsky, sprechen Sie mit uns bitte über diese
Zeit, über die Zeit, als Howard Zinn mit Pater Dan Berrigan nach
Nordvietnam reiste. Was bedeutete das damals?

Noam Chomsky:

Nun, es war ein Durchbruch - die Erkenntnis, dass der offizielle Feind
menschlich war. Natürlich war das Volk von Südvietnam der Hauptfeind. Es
wurde praktisch vernichtet. Zu dieser Zeit war Südvietnam schon
verwüstet. Das spielte eine wesentliche Rolle.

Zumindest meiner Ansicht nach war Howard Zinns Buch, das Sie vorhin
erwähnt haben, das Wesentlichere, das Wichtigste: 'The Logic of
Withdrawal'*. Zu dieser Zeit existierte bereits eine substantielle
Antikriegsbewegung - daher glaube ich, es war so um 1967. Aber diese
(Bewegung) war noch palliativ, im Sinne von: Hört mit den schlimmen
Dingen auf, haltet euch etwas zurück etc. Howard - er brachte wirklich
den Durchbruch. Er war der Erste, der - laut, öffentlich und sehr
überzeugend - sagte: Das muss schlicht und einfach aufhören, wir sollten
abziehen, Punkt, bedingungslos, wir haben nicht das Recht, dort zu sein,
es ist ein Akt der Aggression. Zieht ab.

Damals war es sehr seltsam (später wurde es normaler), dass er niemanden
fand, der sein Buch rezensieren wollte. Er fragte mich, ob ich eine
Rezension darüber schreiben wolle und in 'Ramparts' veröffentlichen.
'Ramparts' war damals ein linkes Magazin, das ich herausgab...  nur,
damit einige Leute darauf aufmerksam werden sollten. Also tat ich es.

Aber es ('The Logic of Withdrawal') wurde dann ziemlich schnell bekannt
und veränderte die Sicht der Leute auf den Krieg. Im Grunde war es einer
seiner phantastischen Erfolge. Er schaffte es einfach, die Perspektive
der Leute zu ändern - durch seine Argumentation und seinen Mut, durch
seine Integrität und seine Einfachheit und seine Bereitschaft, stets an
vorderster Front zu stehen und - wie Alice Walker schon gesagt hat -,
durch seinen Humor. Der Krieg war die eine Sache, 'Eine Geschichte des
amerikanischen Volkes' die andere. Ich meine, es ('Eine Geschichte...')
  hat das Bewusstsein einer ganzen Generation verändert.

Bereits zuvor gab es einige Studien - wissen Sie, über Aktionen von
unten und so -, aber er (Zinn) hob das Thema auf eine ganz neue Ebene.
Eine Formulierung von ihm, die mir immer im Kopf rumgeht, lautet: "die
zahllosen kleinen Aktionen unbekannter Menschen". Ihnen widmete er seine
detaillierte Studie ("Eine Geschichte..."), ihnen galt sein Respekt.
Diese Aktionen führten ja zu den großen Momenten, die in die
eingetragene Geschichte eingingen. Doch diese eingetragene Geschichte
kann man nicht einmal im Ansatz begreifen, wenn man die zahllosen
kleinen Aktionen nicht sieht.

Er schrieb nicht nur eloquent über diese Aktionen, er beteiligte sich
auch daran und inspirierte andere, sich daran zu beteiligen. Die
Antikriegsbewegung war die eine Sache - davor kam die
Bürgerrechtsbewegung - dann gab es die Kriege in Zentralamerika (in den
80ger Jahren). Im Grunde war er immer mit dabei. Wissen Sie, ob es nun
ein Streik von Büroangestellten war oder etwas anderes, bei jeder
wichtigen Aktion für Frieden und Gerechtigkeit war er dabei, bei allem
Möglichen. Die Leute sahen in ihm einen Anführer. In Wirklichkeit war er
ein Beteiligter. Sein bemerkenswerter Charakter machte ihn zu einer
Führungspersönlichkeit, selbst wenn er nur dort saß - wissen Sie - und
auf die Polizei wartete, die ihn, zusammen mit den anderen, wegschleifen
würde.
Noam, vielleicht erinnern Sie sich noch an 1971, vielleicht waren Sie
sogar mit dabei, als Howard Zinn und Daniel Ellsberg von der Bostoner
Polizei bei einer Protestveranstaltung gegen den Vietnamkrieg
zusammengeschlagen wurden? Am Tag zuvor hatte Zinn auf einer
Großkundgebung auf dem 'Boston Common' gesprochen.  Hier ein Auszug aus
der Dokumentation 'You Can't Be Neutral on a Moving Train'**:

(Einblendung)

Howard Zinn:

"Viele Menschen haben ein Problem mit zivilem Ungehorsam. Sobald du
sagst, du praktizierst zivilen Ungehorsam, sind sie leicht peinlich
berührt. Aber genau das ist das Ziel von zivilem Ungehorsam: Die
Menschen sollen peinlich berührt, beunruhigt, verstört sein. Wir, die
wir zivilen Ungehorsam praktizieren, sind nämlich auch ein wenig
verstört, und aus diesem Grund wollen wir jene verstören, die für diesen
Krieg die Verantwortung tragen."

Daniel Ellsberg:

Am Schluss seiner Rede sagte er - ich erinnere mich -, er sagte: "Lassen
Sie mich nun zu den Geheimpolizisten in der Menge sprechen".

Howard Zinn:

"Ihr Agenten des FBI, die ihr in der Menge kreist, hey, seht ihr nicht,
dass ihr durch euer Tun gegen den Geist der Demokratie verstoßt? Seht
ihr nicht, dass ihr euch aufführt wie die Geheimpolizei eines
totalitären Staates?"

Daniel Ellsberg:

Nun, das musste er ziemlich teuer bezahlen - ich denke, am folgenden
Tag, als wir, in vorderster Front, vor dem Federal Buildung (in Boston)
saßen. Es ist so ein Gefühl - (denn) wieder verhaftete die Polizei am
Ende fast keine Person. Sie wollten keine Verhaftungen. Sie wollten
keinen Prozess. Sie wollten keine öffentliche Aufmerksamkeit für diese
Sache. Also verhafteten sie nur ein paar der Ringführer - einer davon
war Howard.

Howard Zinn:

"Und so möge der Geist des Ungehorsams sich über die Kriegsfabriken und
das Schlachtfeld ausbreiten, über die Hallen des Kongresses und über
alle kleinen und großen Städte - bis das Töten aufhört und wir wieder
erhobenen Hauptes vor die Welt treten können. Unsere Kinder haben eine
Welt ohne Krieg verdient, und wir sollten versuchen, sie ihnen zu geben."

Daniel Ellsberg:

An diesem Punkt hoben (die Polizisten) ihre Knüppel und begannen, uns
massiv zu verprügeln. Wie gesagt, sie zogen Howard hoch. Sein Hemd
wurden zerrissen. Er wurde weggebracht. Als er wegging, sah ich, wie
Blut aus seiner Brust lief.

(Ende Einblendung)

Das war ein Auszug aus dem Dokumentarfilm 'You Can't Be Neutral on a
Moving Train'**, nach dem gleichnamigen Titel von Howard Zinns
Autobiografie*.
Noam, wir haben in diesem Teil der Sendung nur noch eine Minute Zeit,
aber sprechen Sie doch bitte weiter über Aktivismus.

Noam Chomsky:

Nun, die Sache (in Boston) erinnert ziemlich an Howards Schilderung des
Bombenangriffes. Die Polizei zeigte im Grunde Sympathie - der einzelne
Polizist. Sie kamen herüber zu den Demonstranten, wissen Sie und
brachten ihre Unterstützung verbal zum Ausdruck. Als sie schließlich den
Befehl zum Vorrücken erhielten, sagten sie zu den Leuten - zu Howard und
zu anderen: "Schaut - bewegt euch doch (weg), wir wollen das nicht tun".
Aber als der Befehl kam, taten sie es doch. Ich weiß nicht, wer es war.
Aber das erinnert mich sehr an das, was er (Zinn) sagte: Wenn du eine
Uniform und Waffen trägst und ein Roboter bist, der Befehlen gehorcht,
tust du es.

Dan (Ellsberg) hat darauf hingewiesen, dass sie direkt gegen Howard
vorgegangen sind. Wahrscheinlich war es die Reaktion auf Howard Zinns
Kommentare am Vortag. Er wurde weggeschleppt und verprügelt.

Aber er blieb dem zivilen Ungehorsam immer treu. Ich war oft dabei,
ebenso Dan Ellsberg und andere. Zinn war... er kannte keine Angst. Er
war einfach. Er war gerade heraus. Er sagte das Richtige, und er sagte
es eloquent und inspirierte andere, vorwärts zu gehen - und zwar in
einer Weise, wie sie es sonst nicht getan hätten. Er veränderte ihr
Denken. Indem sie handelten und indem sie ihm zuhörten, änderte sich
ihre Meinung. Er war wirklich - sowohl was sein Werk als auch sein Leben
angeht -, eine bemerkenswerte Persönlichkeit und einfach unersetzlich.

Noam, Sie waren sein persönlicher Freund. Sie und Ihre verstorbene Frau
Carol und Howard und seine verstorbene Frau Roz verbrachten gemeinsame
Sommer - nebeneinander - auf Cape.

Noam Chomsky:

Ja, wir waren persönlich befreundet - enge Freunde - seit vielen Jahren,
seit über 40 Jahren. Daher ist es, natürlich, ein persönlicher Verlust.
Aber ganz abgesehen von seinen Freunden und seiner Familie haben
Millionen Menschen einen tragischen Verlust erlitten. Wer weiß, wie
unendlich groß die Zahl derer ist, die er bewegt hat, deren Leben er
verändert hat, denen er geholfen hat, sehr viel bessere Menschen zu werden?

Das einzig Gute daran ist, dass er - vor allem in seinen letzten
bemerkenswerten, spannenden Lebensjahren - ganz sicher erkannt und
begriffen hat, wie sehr seine unschätzbaren Beiträge begrüßt und
bewundert wurden, wie sehr er geliebt und bewundert wurde. Er konnte auf
ein sehr befriedigendes Leben zurückblicken und auf wirklich
außergewöhnliche Erfolge.

Nun, Noam, ich möchte Ihnen sehr danken, dass Sie bei uns waren. Noam -
weltbekannter Dissident und Linguist. Noam war ein enger Freund von
Zinn. Alice Walker - auch Ihnen vielen Dank, dass Sie uns aus Mexiko
zugeschaltet waren. Alice Walker ist eine ehemalige Studentin von Howard
Zinn und war mit ihm befreundet.

Hier ist Democracy Now! Im nächsten Teil werden wir mit Anthony Arnove
sprechen - Ko-Autor und Kollege des Verstorbenen. Und wir werden Zinn
selbst (in Einblendungen) wieder zu Wort kommen lassen. Bleiben Sie bei uns.

(Pause)

Wir sind nun mit Anthony Arnove verbunden. Naomi Klein ist hier bei uns.
Es ist ein trauriger Tag. Es ist der Tag nach Howard Zinns Tod. Ich
möchte eines der letzten Interviews, das wir mit ihm geführt haben,
einblenden. Es entstand im Mai 2005. Er kam gerade aus New York, um für
sein neues Buch zu werben.

(Einblendung)

Howard Zinn, Sie schreiben in der Einleitung für (Ihr neues Buch) 'A
Young People's History of the United States'*: "Über die Jahre hinweg
haben mich Einige gefragt: "Glauben Sie, dass sich Ihr Geschichtswerk -
das sich radikal von normalen Geschichtsbüchern über die USA
unterscheidet -, für junge Menschen eignet? Wird es nicht zu einer
Desillusionierung hinsichtlich unseres Landes führen? Ist es richtig,
Regierungspolitik derart zu kritisieren? Ist es richtig, die
traditionellen Helden der Nation zu demontieren - wie Christopher
Columbus, Andrew Jackson oder Theodore Roosevelt?""

Howard Zinn:

Ja, stimmt. Immer wieder haben mich Leute gefragt: Sollen wir den Kids
wirklich erzählen, dass Columbus (von dem ihnen ja gesagt worden war, er
sei ein großer Held), Indianer verstümmelt, entführt und getötet hat -
auf der Suche nach Gold? Sollen wir den Leuten sagen, dass Theodore
Roosevelt, einer unserer großen Präsidenten, in Wirklichkeit ein
Kriegstreiber war, der militärische Abenteuer liebte und einem
amerikanischen General gratulierte, der auf den Philippinen ein Massaker
veranstaltet hatte? Sollen wir den jungen Leuten das erzählen?

Ich denke, die Antwort lautet: Wir sollten ehrlich zu den Jungen sein;
wir sollten sie nicht täuschen. Wir sollten ehrlich sein, was die
Geschichte unseres Landes angeht. Wir sollten traditionelle Helden - wie
Andrew Jackson oder Theodore Roosevelt - nicht nur stürzen, sondern
durch alternative Helden für die Jugend ersetzen.

Erzählt ihnen nicht von Theodore Roosevelt, erzählt ihnen stattdessen
von Mark Twain. Mark Twain - nun, alle haben gelernt, dass Mark Twain
der Autor von 'Tom Sawyer und Huckleberry Finn' war. Aber in der Schule
haben wir nichts über Mark Twain den Vizepräsidenten der
'Anti-Imperialist League' gelernt. Wir haben nicht gelernt, dass Mark
Twain Theodore Roosevelt für dessen Beifall für das Massaker auf den
Philippinen verurteilt hat. Nein.

Wir sollten den jungen Leuten Vorbilder geben wie (die Taubblinde) Helen
Keller. Ich erinnere mich an das, was ich über Helen Keller gelernt
habe. Jeder von uns hat gelernt, dass sie eine behinderte Frau war, die
ihre Behinderung überwunden hat und schließlich berühmt wurde. Aber die
Leute  - die jungen Leute - lernen in der Schule nicht, dass Helen
Keller auch eine Sozialistin und Gewerkschaftsorganisatorin war. Einmal
weigerte sie sich, eine Linie von Streikposten zu durchbrechen, die ein
Theater bestreikten, in dem gerade ein Stück über sie aufgeführt wurde.
DAS wollen wir mit Büchern wie 'A Young People's History of the United
States' erreichen.

Es gibt sie also, die alternativen Heldengestalten der amerikanischen
Geschichte: Fanni Lou Hamer oder Bob Moses sind Helden der
Bürgerrechtsbewegung. Viele Menschen steh'n im Dunkeln. Man sieht sie
nicht. In 'A Young People's History...' schreiben wir beispielsweise
über eine junge Frau, die in Montgomery in einem Bus saß und sich
weigerte, nach hinten zu gehen. Das war noch vor Rosa Parks. Ich meine,
Rosa Parks ist zu Recht berühmt, weil sie sich weigerte, ihren Sitzplatz
(einem Weißen) zu überlassen. Mit ihrer Verhaftung nahm der
Montgomery-Bus-Boykott seinen Anfang. Das war tatsächlich der Beginn der
großen Bewegung im Süden. Doch, das oben genannte 15jährige Mädchen war
die Erste, die es tat. Und wir haben viele.... wir versuchen, etliche
dieser Menschen, die im Dunkeln steh'n, wieder in den Mittelpunkt
unserer Aufmerksamkeit zu rücken, und wir wollen junge Leute
inspirieren, zu sagen: "So sollte ich mein Leben führen". (Ende Einblendung)

Ja, das war Howard Zinn. Wir sind nun mit Anthony Arnove in New York
verbunden. Naomi Klein ist hier bei uns in Sundance. Im vergangenen Jahr
war Howard Zinn mit Anthony Arnove hier - mit ihrer gemeinsamen
Dokumentation 'Let The People Speak'**, die damals Premiere hatte.
Anthony Arnove ist Ko-Autor des Buches: 'Voices of a People's History of
the United States'.

Anthony, wir haben nur noch ein paar Minuten, aber sagen Sie uns bitte -
was fühlen Sie, wenn Sie an Ihre letzte gemeinsame Arbeit mit Howard
Zinn denken? Ich weiß, Sie haben einen sehr, sehr großen persönlichen
Verlust erlitten - wir alle.

Anthony Arnove:

Wissen Sie, Howard war rastlos. Er hatte eine solche Energie. In den
letzten Jahren hat er immer weiter geschrieben, weiter Vorträge
gehalten. Er hat diesem Geschichtsbuch, von dem in dem
(Interview-)Auszug, den Sie eben gesendet haben, die Rede war, Leben
gegeben. Auf diese Weise wollte er eine neue Generation in Kontakt
bringen mit den Stimmen des Widerstandes und des Protestes, mit den
Stimmen derer, die sie in ihren Schullesebüchern nicht finden und die
wir in den Medien des Establishments vergebens suchen. Und er wollte sie
(die Jugend) auf die Stärke ihrer eigenen Stimme aufmerksam machen, auf
die Macht des Widerspruchs, auf die Macht des Protests. Er wollte ein
Vermächtnis hinterlassen, in dem sich all diese Stimmen kristallisieren,
in dem sie eine Synthese bilden.

Er wirkte aktiv an der bemerkenswerten Dokumentation 'Let The People
Speak'** (2009) mit. Er übernahm die Sprecherrolle. Er arbeitete
rastlos, um sie zu verwirklichen. Und - wissen Sie - ich fühle mich
insgesamt privilegiert, weil ich die Chance hatte, mit ihm
zusammenzuarbeiten - ganz zu schweigen von diesem Projekt... zu sehen,
wie es tatsächlich realisiert wurde.

Wissen Sie, Alice Walker hat seinen Humor, seine Lebensfreude,
angesprochen. Das war etwas Ansteckendes. Er hat wirklich allen, mit
denen er in Kontakt kam, vermittelt, dass es nichts Wichtigeres gibt,
als zu kämpfen, dass es keine wichtigere oder sinnvollere Lebensaufgabe
gibt, als den Kampf für Gerechtigkeit. So viele Menschen - auch ich -
Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, unzählige Menschen, haben
ihr Leben verändert, weil ihnen Howard Zinn über den Weg gelaufen ist.
Howard hat ihr Leben verändert, weil sie 'Eine Geschichte des
amerikanischen Volkes'  gelesen haben oder einen seiner Vorträge hörten,
weil sie ihn trafen oder ihn im Radio hörten oder einen seiner Artikel
lasen. Er hat die Menschen wirklich inspiriert, jene Bewegungen ins
Leben zu rufen, die etwas bewirkt haben - was unsere Rechte, Freiheiten
und Bürgerrechte angeht und alles, was in diesem Land erreicht wurde.
Das ist sein wahres Vermächtnis. Wir alle sind seine Erben, die es
verbreiten und lebendig und spannend weiterführen sollten.

Anthony, ich will Naomi Klein wieder in die Diskussion miteinbeziehen.
Es ist sehr anrührend. Wir befinden uns hier auf dem Sundance-Festival,
wo Sie im vergangenen Jahr mit Howard Zinn die Premiere von 'Let The
People Speak' erlebt haben. Gestern Abend - nach Howards Tod - lasen wir
den Nachruf von Associated Press (AP) in der New York Times. Die New
York Times hat ein Archiv mit circa 1200 Nachrufen über bestimmte
Personen. Über Howard Zinn hatte sie nichts parat. Der Nachruf von
Associated Press wandte sich sehr schnell einem Zitat des Historikers
Arthur Schlesinger zu, der einmal gesagt hat: "Ich weiß, er (Howard
Zinn) hält mich für einen gefährlichen Reaktionär. (Und) ich nehme ihn
nicht sehr ernst. Er ist ein Polemiker, kein Historiker". Naomi Klein -
was sagen Sie zu dieser Reaktion?

Naomi Klein:

Ich glaube nicht, dass das Howard Zinn irgendwie gekratzt hätte. Es hat
ihn nie überrascht, wenn die Macht sich selbst in Schutz nahm. Er war
wirklich ein Historiker des Volkes; daher erwartete er auch keine
Wertschätzung vonseiten der Eliten.

Ich bin sehr, sehr froh, dass Anthony und das unglaubliche Team von 'Let
The People Speak' Howard an seinem Lebensabend dieses unschätzbare
Geschenk gemacht haben. Ich war bei der Premiere der Dokumentation im'
Lincoln Center' mit dabei , und als der Name Howard Zinn auch nur
erwähnt wurde, sprangen Tausende auf und schenkten ihm die stehende
Ovation, die er verdient hatte. Daher glaube ich nicht, dass er die New
York Times braucht. Ich glaube auch nicht, dass er die offiziellen
Historiker braucht. Er war in gewisser Weise der Lieblingslehrer aller.
Er war der Lehrer, der unser Leben verändert hat. Allerdings hatte er
diese Funktion für Millionen von Menschen. Sehen Sie - genau das ist
passiert: Wir haben unseren Lieblingslehrer verloren.

Das Interessante an Howard ist, dass es ihm, bei der Geschichte, die er
lehrte, nicht nur darum ging, uns unsere offiziellen Illusionen über
heroische Figuren oder über den Nationalismus zu nehmen. Er wollte die
Menschen lehren, an sich selbst zu glauben und an ihre Macht, die Welt
zu verändern. Wie bei jedem tollen Lehrer werden seine Lektionen haften
bleiben. Ich denke, wir alle sollten an diesem Tag versuchen, ein wenig
wie Howard zu sein.

Beenden wir (die Sendung zu Howard Zinn) mit seinen eigenen Worten. Sie
stammen aus einem seiner letzten Vorträge, den er im November 2009, an
der Boston University, gehalten hat:

(Einblendung)

Howard Zinn:

     Ganz gleich, was uns gesagt wird, ganz gleich, welche Tyrannen
existieren, welche Grenzen überschritten wurden und werden, welche
Aggression stattfand und stattfindet - wir werden nicht passiv sein im
Angesicht von Tyrannei und Aggression, nein, wir werden andere Wege
finden als den Krieg, um mit unseren Problemen fertig zu werden, was
immer diese Probleme auch sein mögen. Denn 'Krieg' bedeutet
unausweichlich - unausweichlich - dass Massen von Menschen ohne
Unterschied getötet werden, viele davon Kinder. Jeder Krieg ist ein
Krieg gegen Kinder.

     Wenn wir es recht bedenken, geht es nicht so sehr darum, (Leute wie)
Saddam Hussein loszuwerden. Nun, wir sind ihn losgeworden. Im Verlauf
dieses Prozesses haben wir Massen von Menschen getötet, die einst seine
Opfer waren. Wenn man gegen einen Tyrannen Krieg führt, wen tötet man?
Man tötet die Opfer dieses Tyrannen. Wie dem auch sei - dies ist
geschehen, damit wir uns wieder Gedanken über den Krieg machen, damit
wir uns klarmachen, dass wir uns in diesem Moment im Krieg befinden -
stimmt's? Im Irak, in Afghanistan, in gewissem Sinne auch in Pakistan
(weil wir Raketen nach Pakistan abschießen und in Pakistan Unschuldige
umbringen). Also - wir sollten es nicht akzeptieren.

     Schauen wir uns nach einer Friedensbewegung um, der wir uns
anschließen können. Im Ernst - sehen Sie sich nach einer
Friedensorganisation um und treten Sie ihr bei. Am Anfang wird sie noch
klein, hilflos und Mitleid erregend wirken. Aber so beginnen Bewegungen
nun einmal. So begann auch die Bewegung gegen den Vietnamkrieg. Sie
begann mit ein paar Grüppchen von Menschen, die sich hilflos und
machtlos fühlten. Denken Sie daran, die Macht derer da oben hängt vom
Gehorsam derer da unten ab. Wenn die Leute nicht mehr gehorchen, haben
jene keine Macht. Wenn die Arbeiter streiken, verlieren die großen
Konzerne ihre Macht. Wenn Konsumenten einen Boykott starten, müssen
große Unternehmen klein beigeben. Wenn Soldaten sich weigern, zu kämpfen
- wie es viele getan haben in Vietnam (es gab etliche Deserteure, viele
Verweigerungen, viele Akte des tatkräftigen Widerstandes von
Wehrpflichtigen gegen ihre Offiziere in Vietnam; B52-Piloten weigerten
sich, weitere Bombeneinsätze zu fliegen) - , kann ein Krieg nicht
weitergehen. Ja, die Macht liegt bei den Menschen. Wenn sie anfangen,
sich zu organisieren, wenn sie protestieren und eine starke Bewegung
bilden, können die Dinge sich verändern. Das ist alles, was ich sagen
möchte. Danke. (Ende Einblendung)

Ja, das war Howard Zinn. Wir kommen zum Ende. Naomi Klein - Ihr Schlusswort?

Naomi Klein:

Nun, wir befinden uns derzeit mitten in einem Howard-Zinn-Revival. Ich
meine, es wäre so oder so gekommen. Es war so außergewöhnlich, dass
Filme über einen Mann gedreht wurden, dessen Leben sich dem Ende
zuneigte, dass diese Filme im Fernsehen gesendet wurden und dass die
Bücher dieses Mannes erneut auf den Bestseller-Listen erschienen. Es
liegt an der besonderen Botschaft, auf die sich Howard ein Leben lang
verlassen hat und der er sein ganzes Leben widmete. Gerade heute, in
diesem Moment, ist sie so wichtig. Einen Tag nach der 'State of the
Union address' (Rede des Präsidenten zur Lage der Nation) lautet Howards
Botschaft: Glaubt nicht an große Männer, glaubt an euch selbst. Die
Geschichte entwickelt sich von unten nach oben.

Und noch etwas: Wir haben in diesem Land vergessen, wie Wandel bewirkt
wird. Wir glauben, wir bräuchten nur wählen zu gehen, und der Wandel
kommt. Doch Howard hat uns unermüdlich ermahnt: Nein, ihr müsst den
Wandel, den ihr haben wollt, selber bewerkstelligen. In diesem Moment
war diese Botschaft von so großer Relevanz. Ich bin Anthony so dankbar -
und, um es noch einmal zu sagen, dem ganzen Team, das dieses
Zinn-Revival ermöglicht hat -, denn wir brauchen Howards Stimme heute
mehr denn je.

Natürlich. Dieses letzte Werk - 'Let The People Speak'** - wurde in den
vergangenen Wochen auf dem History Channel gesendet, gerade in den
letzten Wochen. Es war wirklich ein krönender Abschluss von Howard Zinns
Werk.

Anmerkung d. Übersetzerin

*'Eine Geschichte des Amerikanischen Volkes' ('A People's History of the
United States') von Howard Zinn ist als 9-bändiges Geschichtswerk oder
als Gesamtausgabe erhältlich.

Weitere auf Deutsch erschienene Bücher von Howard Zinn:

'Künstler in Zeiten des Krieges'

'Schweigen heißt lügen' (bei Edition Nautilus)

'Amerika, der Terror und der Krieg' (Herder)

Eine ausführliche Biografie und eine Bibliografie seiner meist
englischsprachigen Werke finden Sie auf

http://de.wikipedia.org/wiki/Howard_Zinn

www.HowardZinn.org

** Die Dokumentationen 'You Can't Be Neutral on a Moving Train' und 'Let
The People Speak' sind auch als DVDs erhältlich.

Amy Goodman

Amy Goodman ist Moderatorin des TV- und Radioprogramms 'Democracy Now!',
das aus rund 500 Stationen in Nordamerika täglich/stündlich
internationale Nachrichten sendet.

Orginalartikel: Howard Zinn (1922-2010)
Übersetzt von: Andrea Noll

http://www.zmag.de/front-page/artikel/chomsky-klein-arnove-walker-goodman-
ueber-howard-zinn/view

Original bei "Democracy Now!":
http://www.democracynow.org/2010/1/28/howard_zinn_1922_2010_a_tribute

-- 

Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) Sparkasse Bad Ischl,
Geschäftsstelle Pfandl
IBAN: AT922031400600970305 BIC: SKBIAT21XXX




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