[E-rundbrief] Info 889 - Klimagerechtigkeitsbewegung

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Do Jan 28 23:04:46 CET 2010


E-Rundbrief - Info 889 - Alexis Passadakis, Tadzio Müller: Die Saat für
eine Klimagerechtigkeitsbewegung. Über unerfüllte Erwartungen, neue
Hoffnungen und die Frage nach Erfolgen (nach den Kopenhagener
Klimakonferenzen).

Bad Ischl, 28.1.2010

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Die Saat für eine Klimagerechtigkeitsbewegung

Über unerfüllte Erwartungen, neue Hoffnungen und die Frage nach Erfolgen

Alexis Passadakis, Tadzio Müller

Zumindest was ihre praktische Umsetzung anging scheiterten fast alle
größeren Aktionen in Kopenhagen im Dezember. Dennoch rekonstituierten
die Proteste beim Klimagipfel das Terrain Klimakrise als ein Feld
international vernetzter sozialer Auseinandersetzungen. Sie waren
durchaus ein Schritt für eine neue Bewegung für Klimagerechtigkeit -
wenn auch auf wackligen Füßen.

Weltweit wurden Millionen am 18. Dezember vergangenen Jahres
AugenzeugInnen eines fulminanten Sieges einer Bewegung für ökologische
Gerechtigkeit. In dem an diesem Tag in tausenden Kinos gestarteten
Hollywood-Werbeclip - Pardon, Kinofilm - "Avatar" gelingt es den
blauhäutigen Aliens den profitgetriebenen fossilistischen Überfall der
Menschenrasse auf ihren Mond auf ganzer Linie abzuwehren. Mit Pfeil und
Bogen statt Kalaschnikow werden die Invasoren zur Strecke gebracht und
die extraterristrischen gesellschaftlichen Naturverhältnisse des
Regenwald-Mondes Pandora wieder ins Lot gebracht. Am selben Tag startete
eine virale Marketing- und Merchandising-Kampagne, in freundlicher
Kooperation mit dem Burgerbrater McDonalds - eine "visionäre
Partnerschaft", wie der Produzent des milliardenschweren Streifens, Jon
Landau, betonte.

Von Avatar zu Avaaz - wer gewinnt am Ende?

Eine andere Kampagne lief trotz ebenfalls visionärer Partnerschaft an
eben jenem 18. Dezember in ein vorläufiges totes Ende. Die miteinander
verflochtenen "open-source" Kampagnen tcktcktck, 350.org und die
Aktivitäten von Avaaz hatten zwar nach einigen Angaben weltweit ca. 15
Mio. Unterschriften gesammelt, unzählige großformatige Anzeigen
gestaltet und hunderte Aktionen durchgeführt, das Ziel aber wurde
verfehlt: nämlich ein "faires, ambitioniertes, rechtsverbindliches
Klima-Abkommen". Im Vorfeld des Gipfels gelang es, eben diese Formel -
als hoffnungsgeladener Appell an die Staatschefs gerichtet - in der
veröffentlichten Meinung als Forderungshorizont "der Zivilgesellschaft"
zu verankern.

Originell an diesen Kampagnen ist die Koalition, die sich z.B. unter dem
Label tcktcktck zusammenfindet: von WWF, Oxfam und Greenpeace bis zu der
Bank HSBC, Volvo, MTV und der Prince of Wales' Corporate Leaders Group,
die ihrerseits Unternehmen wie Shell, Allianz, Phillips vereint. Betreut
wird das Ganze von der transnationalen PR-Agentur Euro RSCG Worldwide,
die ihre Fähigkeiten sonst Kunden wie eben McDonalds zur Verfügung
stellt. (1) Dieser transnationale NGO/PR-industrielle Komplex trug dazu
bei, die Erwartungshaltung an die Fähigkeit der versammelten Staatschefs
zu schüren, die Klimakrise mit einem diplomatischen Willensakt
bewältigen zu können. Politische Interessenslagen und Konflikte wurden
dabei völlig ausblendet.

Vor diesem Hintergrund war es das Ziel des internationalen sozialen
Bewegungs- und insbesondere Süd-NGO-Netzwerks Climate Justice Now!, des
nord- und westeuropäischen AktivistInnen-Zusammenhangs Climate Justice
Action, aber auch der Koalition um den Gegengipfel "Klimaforum", dem
eine alternative Agenda entgegenzusetzen. (2) Der gipfel-typische Fokus
höchstmöglicher globaler öffentlicher Aufmerksamkeit sollte das
Sprungbrett für eine neue Klimagerechtigkeitsbewegung sein. Und es wurde
gesprungen - etwas zu kurz, unsachte gelandet, mit einem Fuß im Knast,
aber immerhin auf beiden Beinen. Denn zum einen wurde der
Klimagerechtigkeitsdiskurs dort auf eine breitere soziale Basis gestellt
und zum anderen neue Netzwerke zwischen aktivistischen Netzwerken,
sozialen Bewegungen und NGOs vor allem aus dem Süden geknüpft.

Zunächst aber ein Blick zurück in die Vorgeschichte: Eine Demonstration
mit 1.000 TeilnehmerInnen aller politischer Couleur war der Höhepunkt
der Aktionen in den Straßen der polnischen Stadt Poznan während der
Klimaverhandlungen (COP14) im Dezember 2008. Genau ein Jahr zuvor fanden
auf Bali (COP13) zwar vor dem Tagungsgebäude zahlreiche Medien-Aktionen
diverser Nichtregierungsorganisationen statt, von einer größeren
Mobilisierung und ungehorsamen/militanten Aktionen war jedoch nichts zu
sehen. Wer noch ein paar weitere Jahre zurück gehen möchte: Während der
COP6.5 im Sommer 2001 in Bonn war die einzige sichtbare Aktion eine
Demonstration von Friends of the Earth/BUND mit ca. 2.500 Personen mit
der Hauptstoßrichtung, die USA unter George Bush für die
Nichtunterzeichnung des Kyoto-Protokolls anzuklagen.

Eine Love Parade für den Umweltschutz

Aus der Perspektive derjenigen, die seit 15 Jahren oder mehr das Thema
Klimakrise und andere Verheerungen des fossilistischen Energiesystems
beackern, ist in der dänischen Hauptstadt eine neue Stufe erklommen
wurden. Klar ist aber auch, dass das zentrale Ziel nicht erreicht wurde:
die Inhalte der UN-Klimaverhandlungen zu politisieren und einen
antagonistischen und öffentlich weithin wahrnehmbaren
kapitalismuskritischen/antikapitalistischen Pol gegenüber der liberalen
und daher marktorientierten Klimapolitik des UN-Prozesses zu etablieren.

Als zentrales Bild der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung nach
Kopenhagen bleibt die Großdemonstration am Samstag, genau in der Mitte
der zweiwöchigen Verhandlungsperiode. 40.000 TeilnehmerInnen wurden
erwartet, 100.000 kamen. Wenn die taz für diesen Tag das Label "Love
Parade der Umweltschützer" findet, dann trifft sie damit allerdings
einen wahren Punkt: denn die Demo war mehr Bekenntnis als Politik. Unter
dem Motto "Planet first - people first" wurde von den "world leaders"
ein "faires, ambitioniertes, rechtsverbindliches Abkommen" gefordert.
Einen politischen Gegner gab es für die meisten der
Klima-MarschiererInnen nicht. Hoffnung und der Appell an die Staatschefs
von Obama über Merkel bis Berlusconi nun "mutig" die Umwelt zu schützen,
reichte der Mehrheit als Ausdruck und Botschaft aus.

Diejenigen, wie insbesondere Climate Justice Now! und Climate Justice
Action, die mit einer Agenda der Klimagerechtigkeit und einer
wachstums-, markt- und UN-kritischen Orientierung angetreten waren,
hatten keine Form gefunden, diese Position sichtbar zu machen. Pläne
autonomer und anarchistischer Gruppen mittels einer
Schwarzer-Block-Taktik Riots anzuzetteln, endeten mangels Vorbereitung
in dem Debakel von 900 Ingewahrsamnahmen. Diese Großdemo zeigte
einerseits, dass im von der Klimakrise bisher vergleichsweise kaum
betroffenen Norden von vielen eine eigene Betroffenheit wahrgenommen
wird und auch mobilisiert werden kann. Anderseits fehlte der politische
Kitt, der die globalisierungskritischen Demos der vergangenen zehn Jahre
ermöglichte: nämlich eine demonstrative Einigung unterschiedlichster
sozialer Bewegungen auf einen minimalen und pluralistischen, aber
wirkungsvollen politischen, konkret antineoliberalen, Grundkonsens.
Verbunden war diese breite altermondialistische Position damals mit der
Identifizierung von Gegnern wie der WTO, dem Internationalen
Währungsfonds und den transnationalen Konzernen. Von einer Klimabewegung
kann heute deshalb kaum gesprochen werden: Die Spaltung zwischen den
BefürworterInnen einer marktbasierten Klimapolitik à la Kyoto-Protokoll,
inklusive Emissionshandel, und den VertreterInnen des Konzeptes von
Klimagerechtigkeit ist deutlicher als je zuvor.

Während der folgenden Aktionstage waren nicht mehr als 3.000
AktivistInnen unterwegs - inklusive dem 16. Dezember, als bei der
"Reclaim-Power! - Pushing for Climate Justice"-Aktion versucht werden
sollte, auf das Gelände der UN-Konferenz zu kommen. Eine strategische
Tiefe hatte die Mobilisierung also nicht, obwohl in den europäischen
Ländern mit den größten "aktivistischen Szenen" (also der BRD, Italien,
Großbritannien aber auch Dänemark) seit mindestens einem Jahr
mobilisiert wurde. Abwesend waren vor allem die vielen DänInnen, von
denen auf internationalen Treffen immer wieder berichtet wurde, dass sie
mit Sicherheit auftauchen würden. Es ist aber auch klar, dass die
präventive Polizeitaktik viele potenzielle Aktive von den Aktionen
abschreckte. Dies belegen mehrere Umfragen in Dänemark im Vorfeld des
Klimagipfels. Vor allem für aktionsorientierte soziale Bewegungen liegt
hierin sicherlich einer der wichtigsten Effekte von Kopenhagen: Wenn der
Staat es schafft, potenziell Aktive davon zu überzeugen, dass sie
verhaftet werden, wenn sie auf eine Aktion gehen, dann verlieren wir
eine zentrale Existenzbedingung, die nämlich in der kollektiven
Selbstermächtigung durch massenhafte Regelübertritte besteht. In diesem
Kontext wurde das Defizit nicht ausreichender politischer
Kommunikationsstrukturen deutlich, um auf diese Repression jenseits von
Pressearbeit zu reagieren.

Der Ausbruch aus der Konferenz

Trotzdem: Für viele NGOs, die seit über einem Jahrzehnt im UN-Prozess
mitarbeiten und für die es im Bezug auf die UNFCCC nur zwei Optionen
gab, nämlich auf kritische Lobbyarbeit oder symbolische Aktionen zu
setzen, hatte die Aktion das Verdienst, einen dritten Weg aufzuzeigen:
Und zwar ungehorsame Aktionen zu setzen. Die Aktion bestand aus zwei
Bewegungen: Einerseits sollte sich von außen, also von der Straße, eine
große Menge durch die Polizeiketten drängen; andererseits sollten sich
hunderte Menschen von innen, also aus dem Gipfel heraus kommend, draußen
mit den radikalen AktivistInnen treffen und eine gemeinsame
"Gegen-Versammlung" direkt vor dem Konferenzzentrum abhalten. Zwar wurde
es nicht geschafft, massenhaft auf das Gipfelgelände zu gelangen - aber
der bloße Versuch eines Ausbruchs aus der Konferenz, der dann wiederum
brutal von der dänischen Polizei zurückgeschlagen wurde, signalisierte
eine neue Taktik. Die Taktik einer neuen Art der Zusammenarbeit von
innen und außen in transnationalen Politikprozessen. So schuf dieser
Ausbruchsversuch Bündnisse, die so vor Kopenhagen nicht existierten.

Anders als die Aktionen war der Gegengipfel "Klimaforum" mit nach
eigenen Angaben 50.000 BesucherInnen ein überraschender Erfolg.
Politisch kulminierte er in der Verabschiedung einer Erklärung, die
inzwischen von 500 Organisationen unterzeichnet wurde und den
augenblicklichen Stand einer alternativen Klimapolitik skizziert.
Formuliert wird eine Abkehr von marktbasierten Lösungen. An deren Stelle
steht eine demokratische Kontrolle der Ressourcen und der Wirtschaft,
Ernährungssouveränität und eine Ablehnung des (grünen) Wachstumswahns.
Natürlich ist Papier geduldig. Dennoch zeigt sich hier ein neuer
sozialer Resonanzboden für eine Umweltgerechtigkeitspolitik, die mit dem
liberalen Nachhaltigkeitsdiskurs bricht, der seit Anfang der 90er Jahre
dominiert.
Der de-facto Kollaps der UN-Verhandlungen hat den positiven Effekt, dass
die Skepsis gegenüber diesem Prozess weitere Kreise zieht. Zudem geraten
Auseinandersetzungen um die Bearbeitung der Klimakrise auf anderen
Ebenen als den "Global Governance"-Strukturen verstärkt in den Fokus.
Dies ist bitter nötig, da absehbar ist, dass die Klimakrise in den
kommenden Jahrzehnten die Rahmenbedingungen für alle anderen sozialen
Kämpfe um soziale Rechte massiv verschlechtern wird. Lokale
Auseinandersetzungen - national und transnational vernetzt - sind zur
Zeit der einzige Weg, dem derzeitigen fossilistischen und zusätzlich
grün-finanzialisierten Kapitalismus effektive Schläge zu versetzen.

Schlussendlich hat "Kopenhagen" auf keiner Seite die hohen Erwartungen,
die an den Gipfel und die Proteste darum und dagegen gesetzt wurden,
erfüllt: Wo sich einerseits der UN-Klimaprozess durch sein Scheitern
weitgehend selbst delegitimiert hat, konnten die globalen Bewegungen
andererseits nicht ausreichend an den oft zitierten Erfolg von Seattle
anknüpfen. Scheinbar aus dem Stand eine neue Bewegung auf die globale
öffentliche Tagesordnung zusetzen, konnte ebenso wenig gelingen, wie
einen neuen zentralen globalen Antagonismus zu konstruieren.
Gleichzeitig sollten auch die durchaus signifikanten Erfolge nicht
kleingeredet werden: Die Saat einer neuen transnationalen Bewegung für
Klimagerechtigkeit ist gesät worden. Fortsetzung folgt.

Anmerkungen:
1) Vgl. www.eurorscg.com
2) Vgl. www.climate-justice-now.org, www.climate-justice-action.org
sowie www.klimaforum09.org


aus: ak – analyse & kritik | zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 
546 /
22.1.2010


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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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