[E-rundbrief] Info 885 - Langer A: Oekologisch-soziale Wende

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Di Jan 5 13:09:29 CET 2010


E-Rundbrief - Info 885 - Alexander Langer (I, + 1995): Die Ökologische 
Wende wird sich nur durchsetzen, wenn sie auch sozial
wünschbar erscheint. Höchste Zeit für eine demokratische 
Umweltverfassung. Vortrag bei Toblacher Gespräche 1994.

Bad Ischl, 5.1.2010

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Die Ökologische Wende wird sich nur durchsetzen, wenn sie auch sozial
wünschbar erscheint

Höchste Zeit für eine demokratische Umweltverfassung

Toblacher Gespräche 1994

Alexander Langer

1
Wir haben falschen Reichtum geschaffen, um falsche Armut zu bekämpfen -
König Midas der Schutzheilige unseres Zeitalters

Seit einigen Jahrhunderten wird in hohem Maße und unvergleichlich
schneller als früher falscher Reichtum aus Furcht vor falscher Armut
produziert. An solchem Überreichtum - wie an Übergewicht, Überfütterung,
Überverarztung... - kann man auch zugrunde gehen. Der falsche Wohlstand
als Befreiung von der falschen Not ist unsere Krankheit, im
industrialisierten und sogenannten "hochentwickelten" Teil der Welt: von
Handarbeit, Wetter, Natur, Krankheit, Mühe, Schwäche und vielleicht
sogar Tod sind wir weitgehend losgekommen, dafür leiden wir an
Atomstrahlung und Müllberg, aber auch an Auszehrung unserer Phantasie
und Schwindsucht unserer Wünsche - ist doch alles machbar und käuflich
geworden. Jedes Gleichgewicht - das ja niemals für immer hergestellt war
- ist offenkundig verlorengegangen.

Nicht nur der Zauberlehrling ist die Symbolgestalt unseres Zeitalters.
Der antike König Midas - dessen Wunsch erfüllt wurde, alles, was er
berührte, in Gold zu verwandeln - bietet sich als der eigentliche
Schutzheilige der Fortschritts- und Entwicklungsfanatiker an, als der
hochaktuelle Vorläufer der Segnungen unserer Zivilisation. Was wir - was
die hoch-industrialisierte, hoch-gerüstete und hoch-technologisierte
Menschheit - berühren, verwandelt sich in Geld, in handelbare,
gewinnbringende Güter und Dienstleistungen, kurzum in angeblichen Wohlstand.

2
Man kann nicht mehr so tun, als wüßte man nichts: der Erkenntnisprozeß
des letzten Vierteljahrhunderts hat Einsichten zutage gefördert, Alarm
wurde geschlagen, Einzelmaßnahmen getroffen

Seit einigen Jahrzehnten und mit zunehmend detaillierterer Sachkenntnis
kennt man zahllose Aspekte dieser Verarmung durch angeblichen Wohlstand.
Wir hören schon fast nicht mehr hin, wenn die mehr oder weniger
vollständig die Litanei der Umweltkatastrophen heruntergebetet wird.

Wir haben ein Vierteljahrhundert damit zugebracht, sie zu erkennen, zu
diagnostizieren und zu prognostizieren, Alarm zu schlagen und Aufrufe zu
verabschieden, teilweise Konventionen und Gesetze zu erlassen und
Institutionen zur Katastrophenbekämpfung zu schaffen. Der technische
Umweltschutz in der industrialisierten Welt hat sich gewiß erheblich
verbessert, einzelne Erfolge sind zu verzeichnen: die Industrie
verschmutzt heute weniger, einige tote Gewässer beleben sich wieder,
einzelne gefährdete Arten wurden durch Unterschutzstellung noch gerettet
und "umweltfreundlichere" (d.h. weniger schädliche) Waschmittel,
Treibstoffe und Verpackungsfolien wurden eingeführt.

3
Warum führte der Alarm nicht zu entsprechenden Taten? Ist das luzide
Intervall (Stockholm 1972-Rio 1992) schon vorbei?

Katastrophenalarm, Lamentieren, Demonstrieren, Boykottieren,
Unterschriftensammeln...: all dies hat beigetragen, den Notstand zu
erkennen und ins Bewußtsein zu bringen: die Krankheiten wurden
ausgemacht und benannt, die Möglichkeiten der Heilung (soweit noch
gegeben) erörtert und studiert - umfassende Therapien wurden aber bisher
nicht eingesetzt. Und was am entscheidendsten erscheint: der Wille zur
Heilung ist alles eher als gesichert, denn er würde entschlossene
Signale der Umkehr, der Wende erfordern. Und da der ökologische Notstand
ja nicht bloß auf diktatorische Entscheidungen einer profitgierigen oder
zerstörungswilligen Verschwörerclique zurückgeht, sondern diese
Entscheidungen tagtäglich durch ein Plebiszit konkreter Verhaltensformen
mit massenhaftem Konsens bestätigt werden, ist die Wende auch
entsprechend schwer herbeizuführen. Nicht bloß die Fabrikanten und
Absahner umweltzersetzender Produkte, Herstellungsweisen und
Konsumformen stellen sich der Wende massiv entgegen - die große Mehrheit
der Bevölkerung stimmt ebenfalls "mit den Füßen" (nein, eigentlich mit
den Gaspedalen!) für diese Form der Zivilisation und würde es sich
schwer verbitten, sich den Gürtel enger schnallen zu lassen. Opfer und
Täter sind also schwer zu unterscheiden und fallen vielfach zusammen.
Selbst die Opfer in der Dritten Welt oder im Osten träumen vielfach nur
davon, möglichst schnell und möglichst ausgiebig an diesem Prozeß
teilzuhaben.

Dürfen wir uns wundern, wenn heute sogar die Diagnose, die Erkenntnis in
Frage gestellt wird? Berlusconi, der neue italienische Regierungschef,
verhöhnte in seiner Antrittsrede im Parlament die ökologischen Warner
und deren Treibhaus-Schreckgespenst: "in einer Zeit, die soweit vor uns
liegt, wie die Ermordung Julius Cäsars zurückliegt, wird es vielleicht
eine leichte Erwärmung geben..." Also - wird gefolgert - kann man munter
weiterbetonieren und Energie verheizen.

Ist also das luzide Intervall der Erkenntnis, das man symbolisch in den
zwei Jahrzehnten zwischen den Welt-Umweltkonferenzen von Stockholm
(1972) und Rio de Janeiro (1992) ansiedeln könnte, schon vorbei? Ist man
des Lamentierens müde und meint, man sollte das Zusammenwachsen der Welt
nach dem Fall der Ost-West-Systemgrenzen durch einen globalen neuen
Wachstumsschub zelebrieren? Es sieht so aus. Und mehr und mehr scheint
sich die Tagesordnung des Weltgeschehens wieder auf Kriege und Börsen zu
konzentrieren - zwei besonders akute Formen auch der Umweltzerstörung.

4
"Sustainable development": Stein der Weisen oder neue Verschleierungsformel?

Seit einigen Jahren (Brundtland-Bericht 1987) ist die magische Formel
des "sustainable development" - der verträglichen oder gar nachhaltigen
Entwicklung - die scheinbar gelungene Quadratur des Kreises: ein Kürzel
für die Erkenntnis der Notwendigkeit einer gewissen Wachstumsbegrenzung,
einer weisen Selbstbeschränkung des hochindustrialisierten und
hochgerüsteten Teiles der Menschheit und für die Einsicht, daß mehr
Gleichgewicht auf Dauer die bessere Investition ist als härterer
Wettbewerb, wobei der Begriff "Entwicklung" (d.h. Wachstum) doch noch in
der Zieldefinition erhalten bleibt. Doch hat gerade das äußerst magere
Ergebnis der UNCED-Konferenz in Rio (und das weitgehende Ausbleiben
konkreter Folgen) gezeigt, wie weit man von einer echten Kurskorrektur
oder gar Wende noch entfernt ist.

Wenn deshalb "sustainable development" letztlich bloß heißt, daß der
Süden der Welt mit seinen Ressourcen unter Aufsicht des Nordens
pfleglicher umgehen soll, damit sie weltweit aufs rationalste eingesetzt
werden können, ist darin wohl nicht jene mobilisierende Zielvorstellung
enthalten, die im Norden und im Süden unserer Erde die Kräfte für eine
Umkehr entfachen und nähren könnten.

5
Malis extremis extrema remedia? ("Kuh hin, Kalb hin"? Ökodiktatur?)

Angesichts der Sackgassen, in denen wir uns offensichtlich befinden, mag
es dann und wann passieren, daß extreme Auswege gesucht werden. Auch
unter Umweltfreunden, die ja eigentlich einer Kultur des Maßhaltens
verpflichtet sind, kann es - wenn auch heute eher isoliert - solche
geben, die das eine oder andere Extrem befürworten. Benennen könnte man
sie folgendermaßen: einerseits "Kuh hin, Kalb hin" (um es in der
ortsüblichen Sprache zu formulieren), d.h. die Überzeugung, daß gegen
die Umweltkatastrophe sowieso nicht mehr wirksam vorzugehen ist, und
deshalb in der Evolution der Erde eben wieder einmal ein Schub Desaster
fällig ist. Vielleicht trifft das Schicksal des Aussterbens diesmal den
Menschen, vielleicht wird unser Planet überhaupt unbewohnbar. Oder - im
kleineren Maßstab: Seuchen, Verschmutzung, Versteppung, Klimaveränderung
usw. werden eben radikale Veränderungen in der Biologie, in der
Geographie und in der Zivilisation der Erde hervorrufen, und zwar mit
ganz anderem Nachdruck, als dies je Politik, Wissenschaft oder Markt
zustandebringen könnten. Das entgegengesetzte Extrem könnte man in der
Forderung nach einem ökologisch-ethischen Staat, vielleicht sogar nach
einer weisen, möglichst weltweiten Öko-Diktatur sehen: da die Menschheit
mit ihrer Freiheit Schindluder getrieben und ihr eigenes Überleben -
zusammen mit der gesamten Umwelt - aufs Spiel gesetzt hat, braucht sie
die fachkompetente und ethisch fundierte Bevormundung durch eine
ökologische Obrigkeit, die der Anarchie umweltzerstörender
Verhaltensweisen endlich den Garaus macht.

Mit diesen beiden Extremen ist Politik nicht zu machen - jedenfalls
keine demokratische. So oft der "ethische Staat" als Alternative zum -
gewiß abzulehnenden - "unethischen" Zustand oder gar Staat versucht
wurde, war die ethische Bilanz der Freiheitsberaubung fürchterlich. Und
fürs Warten auf die reinigende Katastrophe braucht es gar keine Politik
- bezeichnet dieser Begriff doch gerade das Gegenteil des schlichten
Hinnehmens einer Auslese durch Katastrophen und Kraftproben.

Also wird man gerade für eine ökologisch verpflichtete Politik den
Schlüssel anderswo suchen müssen - sosehr man die Verzweiflung verstehen
kann, die manchmal aus den Befürwortern solcher Extreme spricht.
Unweigerlich wird man sich der Mühe einer äußerst behutsamen und
komplexen Vernetzung von sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen,
gesetzgeberischen, administrativen, wissenschaftlichen und
umwelt-technischen Schritten stellen müssen. Den wuchtigen
Befreiungsschlag, der mit einem revolutionären Akt den Weg für die
Umkehr eröffnet, den gibt es nicht, Kompromisse und Zwischenschritte
sind unumgänglich, geduldige Überzeugungsarbeit wird zu leisten sein.

6
Die Schlüsselfrage: wie kann eine ökologisch verträgliche Zivilisation
wünschbar erscheinen? "Lentius, profundius, suavius", statt "citius,
altius, fortius"

Die Schlüsselfrage scheint also nicht in erster Linie zu sein, was wir
tun können oder müssen, sondern woher Motivation und Impulse kommen
sollen, die eine Umkehr möglich machen. Angst vor der Katastrophe hat,
bisher zumindest, diese Auswirkung nicht gezeitigt; Gesetze und
Kontrollen waren großteils unzureichend und/oder unwirksam,
wissenschaftliche Einsicht vermochte nicht zu überzeugen oder gar
mitzureißen. Und offensichtlich war bisher das Streben nach einer
gesamtgesellschaftlichen - sozialen, ökologischen, kulturellen -
Alternative nicht genügend glaubhaft in eine Vision und ein
Gestaltungsprojekt umgesetzt und von einer politischen Führung
überzeugend verkörpert worden, sodaß sich eine Mehrheit für eine andere
und bessere Konzeption von Wohlstand und die dafür nötigen Änderungen
eingesetzt hätte.

Nicht Einzelmaßnahmen, nicht "das bessere Umweltministerium" oder die
sorgfältigere Umweltverträglichkeitsprüfung, nicht strengere
Verpackungsnormen und vernünftige Geschwindigkeitsbegrenzungen werden -
so notwendig sie sind - den Durchbruch zum Kurswechsel bringen, sondern
nur die breite kulturelle und soziale Verankerung neuer Wunsch- und
Zielvorstellungen.

Bisher kann man das olympische Motto des "citius, altius, fortius"
(schneller, höher, stärker) als die bestgelungene Kurzformel für den
Inbegriff unserer Zivilisation ansehen: der Wettkampf ist nicht mehr die
sportliche Ausnahme und Veredelung des Alltags, sondern der Daseinsgrund
schlechthin. Wenn sich nicht die Überzeugung von der sozialen
Wünschbarkeit des Gegenteils - "lentius, profundius, suavius" könnte man
es formulieren: "langsamer, tiefer, freundlicher" - durchsetzt und als
neues Wohlstandskonzept um sich greift, wird keine Einzelmaßnahme vor
dem Mißachtung, Unterlaufen oder Austricksen sicher sein.

Insofern kann ökologische Politik nur auf der Grundlage neuer (oder
vielleicht alter?) kultureller und zivilisatorischer Einsichten wirksam
werden, deren Herausarbeitung natürlich vor allem außerhalb der Politik
im strikten Sinne vor sich geht. Dazu können religiöse und ethische,
soziale und ästhetische, traditionsgebundene und auch ethnische (d.h. in
der Geschichte und Identität eines Volkes begründete) Motivationen
ausschlaggebende Impulse liefern. Von der Politik wird man erwarten
müssen, daß sie Schritte setzt, die gleichzeitig Ansätze zu einem
Kurswechsel enthalten und Lust machen auf die Wende: eine bloß
bestrafende Ökologie-Politik, die mit Sack und Asche wirbt und
pauperistische Ideale beim Publikum voraussetzt, wird im demokratischen
Wettbewerb chancenlos dastehen.

7
Mögliche Prioritäten in der Suche nach dauerhaftem Wohlstand

Folgende Schritte mögen zu denen gehören, die heute - untereinander
vernetzt und möglichst gleichzeitig zu aktivieren - dazu beitragen
könnten, einen Kurswechsel zu befördern und die Voraussetzung für
(möglicherweise auch den Wunsch auf) weitere Änderungen zu schaffen.
Natürlich wird auch hier in Teilschritten vorzugehen sein, und die
Geschichte der sozialen Reformen zeigt, daß am ehesten der spürbare
Erfolg von Maßnahmen den Konsens schaffen kann, die nächsten Etappen
anzugehen. Allerdings müssen diese Teilschritte eindeutig in die
richtige Richtung weisen - also gegen den derzeitigen Strom.

a) Öko-Bilanz

Die bisherigen Haushaltsrechnungen sind allesamt auf Geld aufgebaut.
Solange nicht in allen Bereichen (Gemeinde, Land, Region, Staat, EG...)
eine sorgfältige Umweltbilanz realistische Auskunft über echte Gewinne
und Verluste gibt, lassen sich die derzeit gängige Wirschaftsweise und
die darauf basierenden sozialen Wünsche nicht entthronen und ersetzen.

b) Haushalte kürzen statt steigern

Alles Gerede um eine Wende bleibt sinnlos, solange Wachstum das
Wirtschaftsziel schlechthin bleibt und öffentliche wie private Haushalte
auf Steigerung der verfügbaren Geldmenge setzen. Der industrialisierte
Teil der Welt muß endlich mit dem Nullwachstum und einer gewissen
Kürzung Ernst machen - was natürlich behutsam und graduell zu erfolgen
hat, um keine sozialen und ökonomischen Zusammenbrüche auszulösen.

c) regionale Wirtschaft statt Weltmarktkonzentration fördern

Solange außenwirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der Maßstab des
Wirtschaftens bleibt, wird jede ökologische Kurskorrektur im Keim
erstickt. Regenerierung regionalen Wirtschaftens macht auch
übersichtlichere Haushaltsgebarung aller Beteiligten und eine
ausgeglichenere Öko-Bilanz möglich.

d) ökologisches Tarif- und Steuersystem, Kostenwahrheit

Gegenüber einem Markt, der umweltfeindliches Verhalten u.a. gerade
deshalb fördert, weil er die Kosten dafür nicht zu tragen braucht, wird
ein ökologisch orientiertes Tarif- und Steuersystem unerläßlich, um
wenigstens teilweise und kurzfristig größere Kostenwahrheit
herzustellen: Unternehmer und Verbraucher müssen merken, was massiver
Gütertransport, Plastikverpackung, Energieverschwendung,
Rohstoffverbrauch, Wasserverschmutzung usw. wirklich kosten.

e) Umweltverträglichkeitsprüfung erweitern und verallgemeinern

Fast alles, was heute an Bauten errichtet bzw. an Technologien erprobt
und eingeführt wird, hat Ausmaße und Auswirkungen wie nie zuvor. Die
Umweltverträglichkeitsprüfung - im erweiterten Sinne einer tatsächlichen
Untersuchung und Abwägung der kurzfristigen und langzeitigen
ökologischen, aber auch sozialen und kulturellen Folgen jedes Vorhabens
- muß zum Kernbestand gesellschaftlicher Weisheit werden und gehört
entsprechend auch rechtlich abgesichert. So wie frühere und andere
Gesellschaften ihre Grundnormen und Tabus hatten (bezüglich Krieg,
Gastfreundschaft, Inzest oder was immer), brauchen wir heute eine
Grundnorm zur Verankerung der Umweltverträglichkeit: ganz gleich, ob es
sich um Autobahnen, Raketen, Biotechnologien, Energiegewinnungsformen
oder Einführung neuer chemischer Substanzen handelt. Und diese
Verträglichkeit kann und darf nicht ohne soziale Mitbeteiligung der
Betroffenen geschehen. Ein Umweltgerichtshof könnte dazu die nötige
rechtliche Verankerung schaffen.

f) Umverteilung der Arbeit, soziale Garantien

Nur eine umfassende Umverteilung der sozialen Arbeit (und damit auch der
gesellschaftlich anerkannten und honorierten "Arbeitsplätze") kann die
notwendige Kurskorrektur erlauben. Die soziale Abfederung von
schmerzlichen Umrüstungsprozessen (ganz gleich, ob man
energieverschlingende oder umweltverschmutzende Fabriken schließt oder
Waffenbetriebe) ist genauso notwendig und lohnend wie andere
langfristige soziale Investitionen: es ist nicht einzusehen, warum
Grundeigentümer entschädigt werden, die einer Straße Platz machen, und
nicht auch Arbeiter, die der ökologischen Umstellung weichen müssen.

g) Minderung der Geldwirtschaft, Ausbau der "Naturalien"

Solange Wirtschaften ausschließlich über Geld vermittelt wird, ist die
Berücksichtigung ökologischer Kriterien äußerst schwierig und führt zu
sozialen Ungerechtigkeiten: wer zahlen kann, darf letztlich auch
verschmutzen. Ein Prozeß der "Renaturierung" - weg von der allgemeinen
Käuflichkeit, hin zu mehr Eigenleistung und direktem Zugang zur Natur -
mag helfen, Sinn und Genuß von Arbeit, Tätigkeit und sozialem Austausch
zu heben. "Res communes omnium" (vom öffentlichen Brunnen zum Strand,
vom Wald zum Berg) sind nicht durch teuere Eintrittskarten zu verteilen,
sondern am besten durch Honorierung von Eigenleistung, Freiwilligkeit u.dgl.

h) Partnerschaftskonzept entwickeln

Ökologisch sinnvolle Selbstbeschränkung ist dann überzeugender, wenn man
sich in ein Partnerschaftsverhältnis eingebunden sieht, das etwas von
der weltweiten Interdependenz widerspiegelt, die in der Realität ja
vorhanden und letztlich ausschlaggebend für unser ganzes Ökosystem ist.
Angesichts der heutigen Weltlage bieten sich insbesondere
"Dreiecks-Partnerschaften" zwischen Nord, Süd und Ost an, die vermitteln
können, wie sehr beispielsweise Verschmutzung, Müll und Tropenwald bei
uns, in der Dritten Welt und in Osteuropa zusammenhängen und gemeinsam
überwunden werden können. (siehe z.B. "Klimabündnis")

8
Ökologische Verfassung?

Frühere Gesellschaften haben tiefgreifende und langfristig angelegte
Entscheidungen und Verpflichtungen auch entsprechend feierlich
verankert, geadelt und tradiert: denken wir etwa an die "Magna Charta
Libertatum", an den legendären Rütli-Schwur, an die französische
Menschenrechtsdeklaration oder - in Südtirol - an den "Bund mit dem
Herzen Jesu", wie immer man inhaltlich zu diesen Akten stehen mag.
Heute fehlt es an einer vergleichbaren ökologischen Grundnorm, die in
unserer Zeit - um Verbindlichkeit zu beanspruchen - demokratisch
zustandekommen müßte. Zwar wurde in die eine oder andere Verfassung ein
Passus über die Umwelt eingebaut, doch sind wir noch weit entfernt
davon, die Erhaltung bzw. Wiederherstellung des ökologischen
Gleichgewichts als gesellschaftlich vereinbarten und verpflichtenden
Grundwert zu begreifen und uns entsprechend zu verhalten.

Wenn hingegen die soziale Wünschbarkeit umweltverträglichen Lebens und
Wirtschaftens festgelegt und verankert werden soll, könnte man sich
vielleicht einen solchen - vor allem kulturellen und sozialen, dann erst
juristischen - "ökologisch-verfassunggebenden Prozeß" vorstellen:
Verfassungen dienen dazu, dem Einzelnen, aber auch dem Staat und allen
handelnden Subjekten jene Grenzen zu setzen, die auch gegen die
verführerische Konvenienz der Einzelfalles nicht übertreten werden
dürfen, und in denen sich die grundlegenden Wertvorstellungen einer
Gemeinschaft historisch niederschlagen. Solange sich eine derartig
verbindliche gesellschaftliche Verpflichtung zum ökologischen Maßhalten
nicht einstellt und festhalten läßt, wird keine Einzelmaßnahme stark
genug sein, den reißenden Strom der Konsum- und Wachstumsvergötzung
aufzuhalten.

http://www.alexanderlanger.org/cms/index.php?r=85&k=265&id=1295


-- 

Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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