[E-rundbrief] Info 854 - Arundhati Roy: Zivilgesellschaft

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Mo Aug 10 20:24:38 CEST 2009


E-Rundbrief - Info 854 - Arundhati Roy: Die Macht der Zivilgesellschaft 
in einer imperialen Zeit. Vortrag am 16. August 2004 in San Francisco, 
Kalifornien/USA.

Bad Ischl, 10.8.2009

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Arundhati Roy

Die Macht der Zivilgesellschaft in einer imperialen Zeit

Im Folgenden dokumentieren wir die deutsche Übersetzung eines Vortrags, 
den die weltbekannte indische Schriftstellerin ("Der Herr der kleinen 
Dinge") Arundhati Roy (Trägerin des Sydney-Friedenspreises 2004) am 16. 
August 2004 in San Francisco, Kalifornien/USA, gehalten hat. (Übersetzt 
von Matthias, sprachlich überarbeitet,  strukturiert und gegliedert von 
Hans).


1. Der Raub an unserer Sprache

2. Der Staat im Bewußtsein der Menschen   (in Indien, in USA)

3. Die Wahlurnendemokratie   (in Indien, in USA)

            1. Die Wahlen in Indien

            2. Die Wahlen in den USA

4. Das imperiale System

5. Globalisierung des Dissens

            1. Vielfältige Strategien vor Ort

            2. Weltsozialforum

6. Widerstand in der Dritten Welt

7. Gefahren für den Widerstand

            1. Die Macht der Medien

            2. Die NGO-isierung des Widerstandes

            3. Die Drei Gewalten des Staates

8. Kein Frieden ohne Gerechtigkeit

Das Wesentliche





Ich bin gebeten worden über die "Macht der Zivilgesellschaft in einer 
imperialen Zeit” zu sprechen. Ich bin es nicht gewohnt, zu tun, was mir 
aufgetragen wird, aber durch einen glücklichen Zufall ist das genau das 
Thema, über das ich heute abend sprechen wollte.



1. Der Raub an unserer Sprache

Wenn die Sprache verstümmelt und ihrer Bedeutung beraubt worden ist, was 
können wir dann unter "Macht der Zivilgesellschaft” verstehen?

Wenn Freiheit Besatzung, wenn Demokratie neoliberalen Kapitalismus, wenn 
Reform Unterdrückung bedeutet, wenn Worte wie „Bevollmächtigung” und 
„Friedenserhaltung” einem einen kalten Schauer über den Rücken jagen - 
dann kann die Bedeutung von "public power” ("Öffentliche Gewalt") 
beliebig ausgesucht werden: ein Bizepstrainingsgerät, eine öffentliche 
Powerdusche - also werde ich  "Macht der Zivilgesellschaft”  eben zu 
definieren haben.



2. Der Staat im Bewußtsein der Menschen

In Indien ist "public" jetzt ein Hindi-Wort. Es bezeichnet das Volk. In 
Hindi haben wir "sarkar" und "public", den Staat und die Menschen. 
Dieser Wortwahl liegt die Annahme zu Grunde, daß der Staat etwas ganz 
anderes ist als das Volk. Diese Unterscheidung hat mit der Tatsache zu 
tun, daß Indiens Freiheitskampf - obwohl er großartig war - auf keinste 
Weise revolutionär war.

Die indische Elite trat problemlos und elegant in die Fußstapfen der 
britischen Imperialisten. Eine zutiefst verarmte, eigentlich feudale 
Gesellschaft wurde zu einem modernen, unabhängigen Nationalstaat. Auch 
heute noch, fünfzig Jahre danach, betrachten die wirklich Verlorenen den 
Staat als "Mai-Baap", als elterlichen Fürsorger. Die etwas Radikaleren - 
jene, die noch immer Feuer im Bauch haben - bezeichnen ihn mit Chor - 
den Dieb -  jemand, der alles an sich reißt.

In jedem Fall ist sarkar für die meisten Inder'innen etwas anderes als 
das Volk. Aber sobald man auf der indischen sozialen Leiter emporkommt, 
verschwimmt die Unterscheidung zwischen dem sarkar und dem Volk. Der 
indischen Elite fällt es - wie allen anderen Eliten auf dieser Welt - 
sehr schwer, sich vom Staat zu unterscheiden. Sie sieht wie der Staat, 
sie denkt wie der Staat, sie spricht wie der Staat.

In den Vereinigten Staaten ist die Verwischung der Grenzen zwischen 
sarkar und Volk viel gründlicher geschehen und in tiefere Schichten der 
Gesellschaft eingedrungen. Das könnte ein Zeichen für eine robuste 
Demokratie sein, aber leider ist es etwas komplizierter und 
unerfreulicher als das. Es hat unter anderem etwas zu tun mit dem fein 
ausgearbeiteten Netz der Paranoia, welches der US-sarkar, die 
Massenmedien der Konzerne und Hollywood gesponnen haben.

Gewöhnliche Amerikaner'innen sind so manipuliert worden, daß sie sich 
für ein Volk im Belagerungszustand halten, für ein Volk, dessen einzige 
Rettung und dessen einziger Beschützer seine Regierung ist. Wenn es 
nicht die Kommunisten sind, ist es AlQaida. Wenn es nicht Kuba ist, ist 
es Nicaragua.

Diese mächtigste Nation der Welt - mit ihrem konkurrenzlosen 
Waffenarsenal, ihrer historischen Bereitschaft, endlose Kriege zu 
führen, und diese einzige Nation, welche jemals wirklich Atombomben 
eingesetzt hat – wird heute von einer angstgepeinigten Bürgerschaft 
bewohnt, die aufspringt, wenn ein Schatten vorbeihuscht - von einem 
Volk, welches nicht durch soziale Dienste oder öffentliche 
Gesundheitsversorgung oder Arbeitsgarantien an den Staat gebunden ist, 
sondern durch Furcht.

Diese synthetisch hergestellte Furcht wird dazu benutzt, öffentliche 
Duldung für weitere Akte der Aggression zu erhalten. Und so geht es 
weiter: man baut einen Turm von sich selbst erfüllenden Hysterien, die 
dann ganz formell fein abgestimmt werden durch die verblüffenden, in 
Technicolor gehaltenen Terroralarmstufen der US-Regierung: Fuchsia, 
Türkis, Lachsrosa.

Für Beobachter von außerhalb macht es diese Verschmelzung von sarkar und 
Zivilgesellschaft in den Vereinigten Staaten oft schwer, die Taten der 
US-Regierung von denen des amerikanischen Volkes zu unterscheiden. Es 
ist diese Verwirrung, welche den Antiamerikanismus auf der Welt anheizt. 
Antiamerikanismus wird dann von der US-Regierung aufgegriffen und 
mithilfe ihrer getreuen Medien ausgestrahlt. Sie kennen den Ablauf: 
„Warum hassen sie uns? Sie hassen unsere Freiheit” ... usw,...usw.

Dies verstärkt das Gefühl der Isolation unter den Amerikaner'innen und 
macht die Umarmung von sarkar und Gesellschaft noch enger - wie das 
kleine Rotkäppchen, das zum Knuddeln zum Wolf ins Bett springt.

Die Bedrohung eines äußeren Feindes dafür zu gebrauchen, ein Volk für 
seine Zwecke aufmarschieren zu lassen, ist ein lahmer, alter Gaul, auf 
dem Politiker'innen seit Jahrhunderten an die Macht geritten sind. Aber 
könnte es sein, daß die einfachen Menschen diesen alten Gaul satt haben 
und sich nach etwas anderem sehnen.

Es gibt ein altes indisches Filmlied, das geht so: "yeh public hai, yeh 
sab jaanti hai" ("das Volk, es weiß alles"). Wäre es nicht schön, wenn 
dieses Lied recht hätte, und die Politiker'innen falsch lägen?

Vor Washingtons illegaler Invasion des Irak hat eine internationale 
Gallup-Umfrage gezeigt, daß die Unterstützung für einen von den USA im 
Alleingang durchgeführten Krieg in keinem einzigen europäischen Land 
mehr als 11%  betrug. Am 15. Februar 2003, nur wenige Wochen vor der 
Invasion, gingen mehr als zehn Millionen Menschen in verschiedenen 
Kontinenten gegen den Krieg auf die Straße, auch in Nordamerika.

Und doch zogen die Regierungen vieler, angeblich demokratischer  Länder 
in den Krieg.



3. Die Wahlurnendemokratie

Sind demokratisch gewählte Regierungen den Menschen, die sie gewählt 
haben, zur Rechenschaft verpflichtet? Und - was besonders bedeutsam ist 
- ist das Volk in den demokratischen Ländern für die Taten seines 
sarkars verantwortlich?

Wenn man darüber nachdenkt, erkennt man, daß die Logik, die dem Krieg 
gegen den Terrorismus zugrunde liegt, genau die gleiche ist wie die des 
Terrorismus. Beide lassen gewöhnliche Menschen für die Taten des sarkars 
leiden.

Al-Qaida nahm das Leben von Menschen in den Vereinigten Staaten als 
Rache für die Taten des US-Staates in Palästina, Saudiarabien, Irak und 
Afghanistan. Die US-Regierung hat die Menschen in Afghanistan mit 
tausenden Toten für die Taten der Taliban zahlen lassen, und die 
Menschen im Irak mußten mit hunderttausenden Toten für die Taten Saddam 
Husseins bezahlen.

Der entscheidende Unterschied ist, daß niemand Al-Qaida oder die Taliban 
oder Saddam Hussein gewählt hat. Aber der Präsident der Vereinigten 
Staaten ist gewählt worden – oder … naja, wenn man das so nennen will.

Die Premierminister Italiens, Spaniens und Großbritanniens sind gewählt 
worden - könnte man dann argumentieren, daß die Bürger'innen dieser 
Länder für die Taten ihrer Regierungen verantwortlicher sind als die 
Irakis für die Taten Saddam Husseins oder die Afghanis für die Taten der 
Taliban?

Wessen Gott entscheidet, was ein „gerechter Krieg” ist und was nicht? 
George Bush sen. hat einmal gesagt: „Ich werde mich niemals für die 
Vereinigten Staaten entschuldigen. Es interessiert mich nicht, was die 
Fakten sind”. Wenn der Präsident des mächtigsten Landes dieser Welt sich 
nicht darum kümmert, was die Fakten sind, dann können wir ziemlich 
sicher sein, daß wir ins imperiale Zeitalter eingetreten sind.

Was also bedeutet "Macht der Zivilgesellschaft" in einer imperialen 
Zeit? - Bedeutet sie überhaupt etwas? Existiert sie überhaupt.

In diesen angeblich demokratischen Zeiten behauptet das herkömmliche 
politische Denken, daß die Macht des Volkes sich in Wahlen ausdrückt. In 
diesem Jahr werden in einer großen Zahl von Ländern Wahlen abgehalten. 
Die meisten, nicht alle, werden die Regierung bekommen, für die sie 
gestimmt haben - aber werden sie auch die Regierung bekommen, die sie 
haben wollen?



3.1. Die Wahlen in Indien

In Indien haben wir dieses Jahr die Hindu-Nationalist'innen aus dem Amt 
gewählt. Aber auch als wir das feierten, war uns bewußt, daß bei jedem 
Thema - außer unverhohlenem Hindu-Nationalismus - bei Atombomben, 
Neoliberalismus, Privatisierungen, Zensur, monumentalen Staudämmen der 
Kongress und die BJP keine größeren ideologischen Unterschiede aufweisen.

Wir wissen, daß es das fünfzig Jahre alte Erbe der Kongresspartei ist, 
welches das Land kulturell und politisch für die Rechtsextremen 
vorbereitet hat. Es war auch die Kongresspartei, die als erste Indiens 
Märkte der Globalisierung durch die Konzerne geöffnet hat.

In ihrer Wahlkampagne hat die Kongresspartei angedeutet, daß sie bereit 
wäre, einige Punkte ihrer früheren Wirtschaftspolitik zu überdenken. 
Millionen von Indiens Ärmsten kamen in großer Zahl hervor, um in diesen 
Wahlen ihre Stimme abzugeben. Das Spektakel der großen indischen 
Demokratie ist live ausgestrahlt worden - die Bäuerinnen, die Alten und 
Schwachen, die verhüllten Frauen in ihrem wunderschönen Silberschmuck, 
die auf Elefanten, Kamelen und Ochsenkarren wunderliche Reisen zu den 
Wahlurnen unternahmen.

Im Widerspruch zu den Vorhersagen aller Experten und Umfrageinstituten 
erhielt der Kongress mehr Stimmen als irgendeine andere Partei. Die 
kommunistischen Parteien bekamen einen größeren Anteil der Stimmen als 
je zuvor. Indiens Arme haben klar gegen die sogenannten 
Wirtschaftsreformen des Neoliberalismus und gegen den heranwachsenden 
Faschismus gestimmt.

Sobald die Stimmen ausgezählt waren, entließen die kommerziellen Medien 
die Wähler'innen wie schlecht bezahlte und überflüssige Statisten an 
einem Drehort.

Als die Koalitionsregierung zusammengefunden war, boten die Sender nun 
geteilte Bildschirme: die eine Hälfte zeigte von außen das Haus von 
Sonia Gandhi, der Führerin der Kongresspartei, die andere Hälfte zeigte 
aufgeregte Aktienhändler'innen vor der Börse in Mumbai (Bombay).

Die waren bei dem Gedanken in Panik geraten, daß die Kongresspartei 
tatsächlich ihre Versprechen einhalten werde und das Mandat, mit dem sie 
gewählt worden war, auch umsetzen würde. Wir sahen, wie der Sensex-Index 
hinauf, hinunter und seitwärts ging. Die Medien, deren eigene öffentlich 
gelistete Aktien an Wert verloren, berichteten über den Einsturz an der 
Börse, wie wenn Pakistan Interkontinentalraketen gegen Neu-Delhi 
abgefeuert hätte.

Noch bevor die neue Regierung formell eingeschworen war, machten 
führende Politiker'innen der Kongresspartei die für Investoren und die 
Medien beruhigenden Bekanntmachungen, daß die Privatisierung der 
öffentlichen Betriebe weitergehen werde. Inzwischen hat die BJP, die 
jetzt in der Opposition ist - zynisch und komisch - damit begonnen, 
ausländische Direktinvestitionen und die weitere Öffnung der indischen 
Märkte zu kritisieren.

Das ist die unaufrichtige, sich weiterentwickelnde Dialektik der 
Wahl-demokratien. Was die Armen in Indien angeht: sobald sie ihre 
Stimmen bereitgestellt haben, erwartet man von ihnen, daß sie wieder 
nach Hause gehen. Die Politik wird ohne sie gemacht.



3.2. Die Wahlen in den USA

Und wie sieht es mit den Wahlen in den USA aus? Haben die Wähler'innen 
in den USA eine echte Wahl?

Das politische System der USA ist sorgfältig konstruiert worden: 
Niemand, der die grundlegende Richtigkeit der 
militärisch-industriell-korporativen Machtstruktur bezweifelt, kann 
durch die Tore der Macht schreiten.

Unglücklicherweise hat die Bedeutung der US-Wahlen abgenommen zu einer 
Art Persönlichkeitswettkampf, zu einer Streiterei darüber, wer besser 
darin wäre, dem Imperium vorzustehen. John Kerry glaubt genauso stark an 
die Idee eines Imperiums wie George Bush.

Es ist wahr, wenn John Kerry Präsident wird, werden im Weißen Haus 
einige Öltycoons und christliche Fundamentalisten ausgewechselt werden. 
Wenige werden traurig darüber sein, Dick Cheney, Donald Rumsfeld oder 
John Ashcroft mitsamt ihrer unverholenen Gaunerei abtreten zu sehen. 
Aber was wirklich bedenklich ist: ihre Politik wird auch in der neuen 
Administration weitergehen. Wir werden Bushismus ohne Bush haben.

Die Positionen mit echter Macht - die Vorsitzenden der Banken und  der 
Konzerne - sind durch keine Wahl angreifbar. Wer es auch wird, beide 
Seiten werden von diesen finanziert.

Bedenkt man dies, so ist es kein Wunder, daß man in dieser Wahl vor zwei 
Absolventen der Yale-Universität steht, die beide Mitglieder von Skull 
and Bones, der gleichen Geheimgesellschaft sind. Beide sind Millionäre, 
beide geben sich gerne als Soldaten, beide reden gerne den Krieg hoch 
und argumentieren fast kindisch darüber, wer den Krieg gegen den 
Terrorismus besser führen wird.

Wie Präsident Clinton vor ihm, wird Kerry die Expansion der US 
Wirt-schaft und die militärische Durchdringung der Welt weiterführen. Er 
sagt, daß er Bush auch dann die Berechtigung dafür gegeben hätte, in den 
Krieg gegen den Irak zu ziehen, wenn er gewußt hätte, daß der Irak keine 
Massenvernichtungswaffen besitzt. Er verspricht, mehr Truppen in den 
Irak zu entsenden. Er sagte kürzlich, daß er Bushs Politik gegenüber 
Israel und Ariel Sharon zu 100 Prozent unterstützt. Er sagt, daß er 98% 
der Steuerkürzungen Bushs beibehalten will.

So liegt unter dem schrillen Austausch von Beleidigungen fast absoluter 
Konsens. Es sieht so aus, als würden die Amerikaner'innen auch dann Bush 
bekommen, wenn sie Kerry wählen. Präsident John Kerbush oder Präsident 
George Berry.

Es ist keine echte Wahl. Es ist eine Scheinwahl. Es ist, als wähle man 
eine Marke von Waschmittel. Egal ob man "Ivory Snow" oder "Tide" kauft, 
sie gehören beide Proctor & Gamble. Das bedeutet nicht, daß beide die 
gleiche Meinung vertreten, die keine Abstufungen kennt, daß der Kongress 
und die BJP, New Labour und die Tories, die Demokraten und die 
Republikaner ununterscheidbar wären. Das ist natürlich nicht so, auch 
nicht bei Tide und Ivory Snow. Tide hat Sauerstoff-Boosting und Ivory 
Snow ist ein sanfter Reiniger.

In Indien gibt es einen Unterschied zwischen der offen faschistischen 
BJP, und der Kongresspartei, die geschickt eine Gruppe gegen die andere 
ausspielt: der Kongress sät das Gemeinschaftsgefühl, und die BJP erntet es.

Bei den heutigen Kandidaten für die US-Präsidentschaft gibt es 
Unterschiede in ihren IQ's und in dem Ausmaß ihrer Rücksichtslosigkeit.

Die Antikriegsbewegung in den Vereinigten Staaten hat beim Aufzeigen der 
Käuflichkeit und der Lügen, die zur Invasion des Irak geführt haben, 
eine phänomenale Arbeit geleistet - trotz der Propaganda und der 
Einschüchterung, die sie erfuhr. Das war nicht nur ein Dienst für die 
Menschen hier in den USA, sondern auch für die ganze Welt. Aber jetzt, 
wenn die Antikriegsbewegung offen für Kerry wirbt, glaubt der Rest der 
Welt, daß sie dessen "sensiblen” Imperialismus unterstützt.

Ist der Imperialismus der USA besser, wenn er von den Vereinten Nationen 
und den europäischen Staaten unterstützt wird?

Ist es besser, wenn die UNO indische und pakistanische Soldaten dazu 
auffordert, das Töten und Sterben im Irak zu erledigen, anstatt daß die 
US-Soldaten dies tun? Ist die einzige Veränderung, auf welche die Irakis 
hoffen dürfen, daß französische, deutsche und russische Firmen auch bald 
an der Beute aus der Besatzung ihres Landes Anteil haben dürfen?

Wäre das wirklich besser oder schlechter für jemanden von uns, die wir 
in den untergebenen Ländern leben? Ist es besser für die Welt, einen 
intelligenten Herrscher an der Macht zu haben als einen dummen? Ist das 
unsere einzige Wahl?

Es tut mir leid, es ist mir klar, daß dies unangenehme und sogar brutale 
Fragen sind, aber sie müssen gefragt werden. Tatsache ist, daß die 
Wahldemokratie ein Prozeß zynischer Manipulation geworden ist. Sie 
bietet uns heute nur einen sehr eingeengten politischen Raum. Zu 
glauben, daß dieser Raum eine echte Wahl darstellt, wäre naiv.



4. Das imperiale System

Heute stehen internationale Institutionen und Instrumente des Handels 
und des Geldes über der Gesetzgebung souveräner Staaten und dem 
komplexen System der zwischenstaatlichen Verträge. Sie ermöglichen und 
verordnen Methoden der Aneignung, die den Kolonialismus kleinlich wirken 
lassen.

Dieses System erlaubt den ungehinderten Transfer riesiger Mengen 
spekulativen Kapitals in die Drittweltländer - und aus ihnen heraus. In 
der Praxis schreibt es ihnen ihre Wirtschaftspolitik vor. Die 
Fluchtdrohung aufrechthaltend, kann das internationale Kapital sich 
tiefer und tiefer in ihre Wirtschaften saugen. Riesige transnationale 
Korporationen übernehmen die Kontrolle über ihre wichtigste 
Infrastruktur und ihre bedeutendsten natürlichen Ressourcen: ihren 
Bergbau, ihr Wasser, ihre Energieversorgung.

Die Wirtschaftsprogramme und parlamentarischen Gesetze dieser Länder 
werden de facto von Finanzinstitutionen außerhalb ihrer Grenzen 
geschrieben: vom Internationalen Währungsfond, der Weltbank, der 
Welt-Handelsorganisation und anderen Finanzinstituten wie der 
Asiatischen Entwicklungsbank.

Mit einer tödlichen Kombination aus Arroganz und Rücksichtslosigkeit 
nehmen sie einen großen Vorschlaghammer, gehen damit an fragile, von 
einander abhängige, historisch komplexe Gesellschaften und zerschlagen sie.

Über all diesem weht die Fahne der "Reform”. Als Konsequenz dieser 
sogenannten Reformen mußten tausende kleiner Unternehmen und Industrien 
in Afrika, Asien und Lateinamerika schließen. Millionen Arbeiter'innen 
und Bäuer'innen haben ihre Beschäftigung und ihr Land verloren.

In einer Londoner Zeitung, dem Spectator, kann man sich wieder die 
Zuversicht holen, daß „wir in der glücklichsten, gesündesten und 
friedlichsten Ära der Menschheitsgeschichte leben”. - Milliarden staunen 
verwundert:  Wer ist "wir”?  Wo lebt der Autor?  Wie ist sein 
christlicher Vorname?

Das Imperium verstärkt bestehende Ungleichheiten und verschlimmert sie. 
Es spielt in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Karten aus. 
Es verwendet verschiedene Waffen, um verschiedene Märkte aufzubrechen. 
Sie kennen das: einmal ist es das Scheckbuch, ein andermal die Cruise 
Missile.

Den Armen begegnet es in vielen Ländern nicht immer in der Form von 
Cruise Missiles und Panzern, wie dies im Irak, in Afghanistan und in 
Vietnam geschah. Es erscheint in ihrem Leben vor Ort in der Gestalt 
verschiedenster Avatars (Anm: ein Avatar ist die Verkörperung einer 
Gottheit auf Erden): sie verlieren ihren Job, ihnen werden unbezahlbare 
Stromrechnungen zugesandt, ihnen wird die Wasserversorgung abgedreht, 
sie werden von ihren Häusern und von ihrem Land vertrieben.

All dies wird von der repressiven Staatsmaschinerie überwacht oder 
durchgeführt, von der Polizei, der Armee, der Justiz. Es ist ein Prozeß 
erbarmungsloser Verarmung, mit dem die Armen historisch gesehen sehr 
vertraut sind.

Was man verstehen muß, ist, daß in den modernen Demokratien der 
Nationalstaat bei den Menschen auf eine nahezu religiöse Akzeptanz 
stößt. Aber die Globalisierung der Konzerne ist an den Nationalsstaat 
nicht gebunden, und das bewegliche Kapital auch nicht.

Für das Kapital ist aber die Gewalt des Nationalstaates notwendig, um 
Aufstände seiner Diener'innen niederzuschlagen. Daher ist es dem 
einzelnen Staat nicht möglich, sich allein gegen die 
Konzernglobalisierung zu stellen.

Radikale Veränderung kann und wird nicht durch Staaten und Regierungen 
ausverhandelt werden. Sie kann nur von den Menschen erzwungen werden - 
von einer Zivilgesellschaft, die sich über die Grenzen hinweg die Arme 
reicht.



5. Globalisierung des Dissens

Wenn wir von der "Macht der Zivilgesellschaft in einer imperialen Zeit” 
sprechen, empfindet es hoffentlich niemand als vorschnell, anzunehmen, 
daß das Einzige, was es wert ist, diskutiert zu werden, die Macht einer 
widersprechenden Zivilgesellschaft ist, einer Zivilgesellschaft, die das 
Konzept des Imperiums grundsätzlich ablehnt, einer Zivilgesellschaft, 
die sich als Gegenkraft zur eingesessenen Macht sieht - und die sich 
gegen alle Institutionen und Regierungen wendet, die dem Imperium dienen 
und es stützen.

Massenwiderstandsbewegungen, individuelle Aktivist'innen, 
Journa-list'innen, Künstler'innen und Filmemacher'innen sind 
zusammengekommen, um dem Imperium seinen Glanz zu nehmen. Sie haben die 
Informationen zusammengeführt und die Cash-Flow-Diagramme und 
Vorstandsreden in echte Berichte über echte Menschen in echter 
Verzweiflung verwandelt.

Sie haben gezeigt, wie das neoliberale Projekt Menschen ihren Wohnraum, 
ihr Land, ihre Jobs, ihre Freiheit und ihre Würde genommen hat. Sie 
haben das Abstrakte berührbar gemacht. Sie haben dem früher körperlosen 
Feind einen Körper gegeben.

Das ist ein großartiger Erfolg. Er konnte durch die Zusammenkunft von 
verschiedenen politischen Gruppen, mit einer Vielzahl von Strategien 
erreicht werden. Sie erkannten, daß das Ziel ihres Ärgers, ihres 
Aktivismus und ihrer Verbissenheit bei ihnen allen das gleiche war. Das 
war der Beginn der echten Globalisierung, der Globalisierung des Dissens.



5.1. Vielfältige Strategien vor Ort

Noch bis vor kurzem war es für die Menschen oft schwierig, sich als 
Opfer einer Eroberung des Imperiums zu sehen. Aber nun haben sie 
Anstrengungen unternommen, ihre Rolle in größerer Klarheit zu sehen und 
mit Kämpfen vor Ort begonnen.

Wie übertrieben dies auch klingen mag, Tatsache ist, daß sie auf 
verschiedenste Weise das Imperium auf ihre eigene Art konfrontieren. 
Dies geht im Irak, in Indien und in Argentinien unterschiedlich vor, und 
wieder anders sieht es aus auf den Straßen Europas und in den 
Vereinigten Staaten.

Die Konzernglobalisierung hat die Distanz zwischen den 
Entschei-dungsträgern und denen, die die Konsequenzen ihrer 
Entscheidungen zu ertragen haben, vergrößert. Foren wie das 
Weltsozialforum ermöglichen den örtlichen Widerstandsbewegungen, diese 
Distanz zu reduzieren und sich mit den Bewegungen aus den reichen 
Ländern zu verbinden. Diese Allianz ist wichtig und sehr fruchtbar.

Was für Wege stehen den Menschen offen, die sich gegen das Imperium 
stellen wollen? Mit Widerstand meine ich nicht nur die Artikulation 
einer widersprechenden Auffassung, sondern auch die effektive Erzwingung 
von Veränderung.

Als zum Beispiel Indiens erster privater Staudamm, der Maheshwar-Damm 
gebaut wurde, hat eine Allianz zwischen "Narmada Bachao Andolan (NBA)", 
der deutschen Organisation "Urgewald", der "Erklärung von Bern" und dem 
"International Rivers Network" in Berkeley es geschafft, einige 
internationale Banken und Korporationen dazu zu bringen, aus dem Projekt 
wieder auszusteigen.

Das wäre ohne eine solide Widerstandsbewegung vor Ort nicht möglich 
gewesen. Die Stimme dieser örtlichen Bewegung ist von Unterstützer'innen 
überall auf der Welt verstärkt worden. Das brachte die Investoren in 
eine peinliche Situation und zwang sie dazu, sich zurückzuziehen.

Eine Vielzahl ähnlicher Allianzen, welche spezifische Projekte und 
spezifische Konzerne als Ziel haben, könnte dabei helfen, eine andere 
Welt möglich zu machen. Wir sollten mit den Konzernen beginnen, die mit 
Saddam Hussein Geschäfte gemacht haben und nun von der Zerstörung und 
Besatzung des Irak profitieren.

Was die Massenwiderstandsbewegungen betrifft, ist es so, daß keine Menge 
an Berichterstattung der Medien eine große und starke Massenbeteiligung 
vor Ort ersetzen kann. Es gibt einfach keine Alternative zu 
altmodischer, aufwendiger, politischer Mobilisation.

In den Vereinigten Staaten fand - wie gut bekannt ist - die erste 
militante Konfrontation im September 1999 bei der WTO-Konferenz in 
Seattle statt, zwischen der Bewegung für weltweite Gerechtigkeit und der 
neoliberalen Junta. Für viele Massenbewegungen in den 
Entwicklungsländern, wo sie schon seit langem einsam und isoliert 
gekämpft hatten, war Seattle das erste erfreuliche Zeichen, daß ihr Zorn 
und ihre Vision für eine andere Art von Welt von vielen Menschen in den 
imperialistischen Ländern geteilt wird.

Wir müssen die politischen Programme und Prozesse für alle sichtbar 
machen, die ganz gewöhnliche Dinge für gewöhnliche Menschen zu einem 
unerreichbaren Traum machen, Dinge wie Nahrung, Wasser, eine Unterkunft, 
Würde.

Wir werden unsere Erfahrung, unsere Kreativität und unsere Kunst dafür 
einsetzen, die Methoden dieses Zustands zu hinterfragen, die Methoden, 
die sicherstellen, daß auf der Welt "normal” bleibt, was grausam, 
ungerecht, unakzeptabel ist.

Bunte Demonstrationen und Wochenendmärsche sind ein kraftvoller 
Ausdruck. Aber sie reichen nicht aus, um einen Krieg zu verhindern.

Für eine erfolgreiche Verhinderung des Krieges ist es notwendig, zu 
verstehen, daß der Krieg die Folge eines mangelhaften und ungerechten 
Friedens ist. Kriege werden nur dann gestoppt werden, wenn Soldat'innen 
sich weigern, zu kämpfen, wenn Arbeiter'innen sich weigern, Waffen auf 
Schiffe und Flugzeuge zu verladen, wenn die wirtschaftlichen Außenposten 
des Imperiums, die sich über die ganze Welt erstrecken, von den Menschen 
boykottiert werden.



5.2. Weltsozialforum

Im Januar 2001 kamen 20Tsd AktivIst'innen, Student'innen, 
Filme-macher'innen - einige der besten Köpfe dieser Welt - in Porto 
Alegre, Brasilien, zusammen, um ihre Erfahrungen und ihre Ideen für die 
Konfrontation mit dem Imperium auszutauschen. Das war die historisch 
gewordene Geburt des Weltsozialforums. Es war das erste formale Treffen 
einer aufregenden, anarchischen, unindoktrinierten, kraftvollen, neuen 
Art von „Zivilgesellschaft”.

„Eine andere Welt ist möglich”  heißt es im seinem Aufruf. Das Forum ist 
zu einer Plattform geworden, auf der hunderttausende von Gesprächen, 
Debatten und Seminaren dazu beitragen, eine Vision auszuarbeiten und 
ausreifen zu lassen, was für eine Art von Welt dies sein soll.

Im Januar 2004, als das vierte Weltsozialforum in Mumbai, Indien 
stattfand, zog es 200Tsd Menschen an. Ich war noch nie Teil eines so 
kraftvollen Treffens. Es war ein Zeichen für den Erfolg des 
Sozialforums, daß die Mainstream-Medien in Indien es vollkommen ignorierten.

Aber das Weltsozialforum ist wegen seines Erfolges in Gefahr. Die 
sichere, offene, festliche Atmosphäre des Forums hat es auch solchen 
Politiker'innen und Nichtregierungsorganisationen ermöglicht, sich Gehör 
zu verschaffen, die eng mit dem bestehenden politischen und 
wirtschaftlichen System verbunden sind, welches das Forum ablehnt.

Eine andere Gefahr ist, daß das Weltsozialforum, das eine so 
entscheidende Rolle in der Bewegung für weltweite Gerechtigkeit spielt, 
ein Ziel für sich wird. Allein die jährliche Organisation verbraucht die 
Energien einiger der besten Aktivist'innen.

Wenn der echte zivile Ungehorsam ersetzt wird durch bloße Gespräche über 
Widerstand, dann ist das Sozialforum in Gefahr, eine nützliche 
Institution für jene zu werden, denen sich das Forum zu anfang 
entgegenstellte. Das Forum muß stattfinden, und es muß wachsen, aber wir 
müssen Wege finden, unsere Gespräche in konkrete Taten zu verwandeln.



6. Widerstand in der Dritten Welt

In der Ära des Neoliberalismus ist Armut ein Verbrechen und Widerstand 
gegen sie wird vermehrt als Terrorismus bezeichnet.

In der Dritten Welt gibt es heute, grob gesprochen, gibt zwei Arten von 
Massenwiderstandsbewegungen:
Zum einen die Bewegung der Landlosen und Landarbeiter'innen in 
Brasilien, die Anti-Damm Bewegung in Indien, die Zapatisten in Mexiko, 
das Anti-Privatisierungs-Forum in Südafrika, und hunderte weitere. Sie 
kämpfen gegen ihre eigenen Regierungen, die zu Agenten des neoliberalen 
Projekts geworden sind. Viele dieser Anstrengungen sind radikal; sie 
kämpfen, um die Struktur und die Art des Entwicklungsweges ihrer 
Gesellschaft zu verändern.
Dann gibt es jene Bewegungen, die in umstrittenen Gebieten die brutalen 
neokolonialen Unternehmungen bekämpfen, deren Grenzen und Bruchlinien in 
vielen Fällen von den imperialistischen Mächten im vergangenen 
Jahrhundert künstlich eingezeichnet worden sind. In Palästina, Tibet, 
Tschetschenien, Kaschmir und mehreren nordöstlichen Provinzstaaten 
Indiens kämpfen Menschen für ihre Eigenständigkeit und Selbstbestimmung.

Viele dieser Kämpfe waren vielleicht radikal, als sie begannen, 
mög-licherweise sogar revolutionär. Aber oft zwingt sie die Brutalität 
der Unter-drückung in eine konservative, vielleicht sogar reaktionäre 
Position, aus der heraus sie die gleichen brutalen Strategien anwenden 
und die gleiche Sprache des religiösen und kulturellen Nationalismus 
sprechen, wie die Staaten, die sie ersetzen wollen.
Vielen Fußsoldat'innen dieser Anstrengungen wird es wie jenen ergehen, 
die in Südafrika die Apartheid bekämpft haben: Sobald sie die 
offensichtliche Besatzung überwunden haben, werden sie bemerken, daß 
ihnen ein noch größerer Kampf bevorsteht, der Kampf gegen den 
verborgenen wirtschaftlichen Kolonialismus.

Inzwischen, in einer Zeit, in der die Kluft, die Arm und Reich trennt, 
noch tiefer gegraben wird und der Kampf um die Kontrolle der Ressourcen 
dieser Welt sich intensiviert, wird der wirtschaftliche Kolonialismus 
wieder gestärkt durch militärische Angriffe.
Der heutige Irak ist ein tragisches Beispiel für diesen Prozeß: eine 
illegale Invasion, eine brutale Besatzung im Namen der Befreiung, eine 
Neuauflage der Gesetze, die den Konzernen erneut die schamlose Aneignung 
des Reichtums dieses Landes erlaubt - und jetzt: die Scharade einer 
"Irakischen Regierung”.

Aus diesen Gründen ist es absurd, den irakischen Widerstand gegen die 
US-Besatzung allein als geistiges Werk von Terroristen, Aufständischen 
oder Unterstützern Saddam Husseins zu sehen. Falls die Vereinigten 
Staaten überfallen und besetzt würden, wäre dann jeder, der kämpft, um 
sie wieder zu befreien, Terrorist'in oder Bush-Anhänger'in?
Der irakische Widerstand kämpft auf der Frontlinie des Kampfes gegen das 
Imperium. Und daher ist dieser Kampf unser Kampf.

Wie jede Widerstandsbewegung vereinigt die irakische bunt 
zusam-mengewürfelte Fraktionen: frühere Baathisten, Liberale, 
Islamist'innen, beleidigte Kollaborateur'innen, Kommunist'innen, und 
Andere. Selbstverständlich ist sie voll von Opportunismus, inneren 
Streitigkeiten, Demagogie und Kriminalität. Aber wenn wir nur makellose 
Bewegungen unterstützen, dann wird keine Widerstandsbewegung unserer 
moralischen Reinheit würdig sein.
Das soll nicht heißen, daß wir Widerstandsbewegungen nicht kritisieren 
sollen. Viele von ihnen leiden an einem Demokratiemangel, an einer 
Verherrlichung ihrer „Führer”, einem Mangel an Transparenz, einem Mangel 
an Vision und Zielrichtung. Am meisten aber leiden sie an der Verfolgung 
und Verteufelung durch den Staat - und einem Mangel an Ressourcen.

Bevor wir vorgeben, wie ein moralisch hochwertiger irakischer Widerstand 
seinen weltlichen, feministischen, demokratischen und gewaltfreien Kampf 
zu führen hat, sollten wir den Widerstand auf unserer Seite verstärken 
und die USA sowie die mit ihr verbündeten Staaten dazu zwingen, sich aus 
dem Irak zurückzuziehen.



7. Gefahren für den Widerstand

Als die Widerstandsbewegungen begonnen haben, über nationale Grenzen 
hinweg zu arbeiten und eine echte Bedrohung für das Imperium 
darzustellen, haben die Staaten ihre eigenen Strategien entwickelt, um 
mit ihnen fertig zu werden, von der Vereinnahmung bis zur Unterdrückung.

Ich werde über drei Gefahren sprechen, welche die Widerstandsbe-wegungen 
heute bedrohen: die problematische Beziehung zwischen den Bewegungen und 
den Massenmedien, die Gefahr der NGO-isierung des Widerstandes, und die 
Konfrontation der Widerstandsbewegungen mit ihren zunehmend repressiven 
Staaten.


7.1. Die Macht der Medien

Das Zusammentreffen von Massenmedien und Massenbewegungen ist kompliziert:

Die Staaten haben gelernt, daß die Medien von Krisenereignissen leben 
und es sich nicht leisten können, zu lange beim selben Thema zu bleiben. 
Wie Wirtschaftsbetriebe einen Umsatz von Geld brauchen, so benötigen die 
Medien einen Umsatz von Krisen. Ganze Länder werden zu Nachrichten von 
gestern, sie hören auf, zu existieren, und die Dunkelheit wird schwärzer 
als zu der Zeit, bevor das Licht auf sie fiel:

Wir sahen, wie dies mit Afghanistan geschah, als die Sowjets sich 
zurückzogen. Und nun, nachdem die Operation "Enduring Freedom" die 
CIA-Figur Hamid Karzai installiert hat, ist Afghanistan wieder seinen 
Warlords zurückgegeben worden.

Eine andere CIA-Figur, Iyad Allawi, ist im Irak installiert worden, und 
so ist für die Medien vielleicht die Zeit gekommen, sich auch von dort 
wieder zu entfernen.

Während die Regierungen die Kunst perfektionieren, eine Krise 
auszusitzen, werden die Widerstandsbewegungen im Wirbel der 
Krisenproduktion durch die Medien vermehrt dazu verführt, Wege zu 
finden, Krisen in einem einfach verdaubaren und zuschauerfreundlichen 
Format darzustellen.

Von jeder Bewegung, die von den Medien ernstgenommen werden will, von 
jedem „Thema” wird erwartet, daß es seinen eigenen Heißluftballon 
starten läßt, um für sein Markenzeichen und seinen Zweck zu werben.
Hungertote sind daher ein effektiveres Werbemittel für die Verarmung als 
Millionen unterernährter Menschen. Dämme sind solange nicht für 
Nachrichten gut, bis die von ihnen verursachten Verwüstungen gute Bilder 
liefern - und dann ist es zu spät.

Tagelang im ansteigenden Wasser eines Reservoirs zu stehen und dabei 
sein Haus und seine Habseligkeiten wegschwimmen zu sehen, war einmal 
eine effektive Strategie beim Protest gegen große Dämme, aber das 
funktioniert nicht mehr. Die Medien langweilen sich inzwischen dabei 
zutode. Also erwartet man von den hunderttausenden Menschen, die von 
Dämmen vertrieben werden, daß sie sich neue Tricks einfallen lassen - 
oder den Kampf aufgeben.

Wenn wir Raum für zivilen Widerstand zurückerobern wollen, werden wir 
uns von der Tyrannei der Krisenberichterstattung und der Furcht der 
Medien vor der Realität auf dieser Welt befreien müssen.



7.2. Die NGO-isierung des Widerstandes

Eine zweite Gefahr, welche die Massenbewegungen heute bedroht, ist die 
NGO-isierung des Widerstandes.
Es wird einfach sein, das was ich sagen werde, als eine Anklage gegen 
alle NGOs darzustellen. Das wäre nicht richtig. Es gibt zwar schmutzige 
Gewässer, in denen Schein-NGOs schwimmen, die dazu gegründet werden, 
Geld zu machen oder Steuern auszuweichen - in Staaten wie Bihar werden 
sie als Mitgift gegeben - aber es gibt auch NGOs, die wertvolle Arbeit 
machen.

Es ist notwendig, die NGOs in einem breiteren, politischen Kontext zu 
betrachten:

In Indien zum Beispiel begann der NGO-Boom in den späten 80er und frühen 
90er Jahren. Er fiel mit der Öffnung indischer Märkte für den 
Neoliberalismus zusammen. Um den Erfordernissen dieser strukturellen 
Anpassung zu genügen, reduzierte der indische Staat zu dieser Zeit die 
Finanzierung der Entwicklung ländlicher Regionen und von Bereichen wie 
Landwirtschaft, Energie, Transport und öffentliche Gesundheitsversorgung.

Als der Staat sich von seiner traditionellen Rolle trennte, kamen NGOs, 
um in genau diesen Bereichen zu arbeiten. Der Unterschied ist natürlich, 
daß die Gelder, über die sie verfügen, nur ein winziger Bruchteil dessen 
sind, was früher für diese Bereiche zur Verfügung stand.

Die meisten großen NGOs werden von Hilfs- und Entwicklungsagenturen 
finanziert und patronisiert - und diese wiederum werden von westlichen 
Regierungen, der Weltbank, der UNO und einigen multinationalen Konzernen 
finanziert. Obwohl sie vielleicht nicht dieselben Agenturen sind, sind 
sie sicherlich Teil derselben, losen politischen Formation, die das 
neoliberale Projekt überwacht und die Einschnitte in die öffentliche 
Finanzierung betrieben hat.

Warum sollten diese Agenturen NGOs finanzieren? Könnte es einfach 
altmodischer, missionarischer Eifer sein? Schuldgefühle? - Es ist ein 
bißchen mehr als das: NGOs vermitteln den Eindruck, daß sie das Vakuum 
füllen, welches der Staat zurückgelassen hat. Das tun sie auch, aber in 
einem substanziell nicht relevanten Ausmaß.

Ihr tatsächlicher Beitrag ist, daß sie politischen Ärger entschärfen und 
im Namen der Wohltätigkeit oder als Hilfe das austeilen, worauf jeder 
ein Recht haben sollte.

Die NGOs verändern die Psyche der Bevölkerung. Sie machen Menschen zu 
abhängigen Opfern und stumpfen die Ecken des politischen Widerstandes 
ab. Sie bilden eine Art Puffer zwischen dem sarkar und der Bevölkerung, 
zwischen dem Imperium und seinen Untertanen.
Die NGOs sind zu den Vermittlern, den Erklärern, den Umsetzern des 
neoliberalen Projekts geworden.

Auf lange Sicht gesehen, sind NGOs ihren Finanzierern verpflichtet - 
nicht den Menschen, mit denen sie zu tun haben. Sie sind, was 
Botaniker'innen eine Indikatorspezies nennen. Es ist fast so, daß um so 
mehr NGOs auftauchen, je größer die vom Neoliberalismus verursachte 
Zerstörung ist. Nichts illustriert dies besser als das Phänomen in den 
USA, die sich darauf vorbereiten, in ein Land einzufallen und 
gleichzeitig die NGOs darauf vorbereiten, in dieser Zerstörung wieder 
aufzuräumen.
Um sicherzustellen, daß ihre Finanzierung nicht gefährdet ist und daß 
die Regierungen der Länder, in denen sie arbeiten, ihnen weiterhin 
erlauben werden, ihre Funktion zu erfüllen, müssen die NGOs ihre Arbeit 
in einem hohlen Rahmen darstellen, einem Rahmen, dem der politische und 
historische Hintergrund herausgerissen ist - oder zumindest jener 
historische und politische Hintergrund, den man nicht gerne hört.

Letztendlich lassen apolitische, und also in Wirklichkeit extrem 
politische Notrufe aus armen Ländern und Kriegszonen die dunkelhäutigen 
Menschen dieser dunkelhäutigen Länder wie pathologische Opfer aussehen: 
noch ein unterernährter Inder, noch eine verhungernde Äthiopierin, noch 
ein afghanisches Flüchtlingslager, noch eine verkrüppelte Sudanesin, ... 
die alle der Hilfe des weißen Mannes bedürfen. Die NGOs verstärken, ohne 
es zu wissen, rassistische Vorurteile und betonen die Errungenschaften, 
den Komfort und das Mitgefühl der westlichen Gesellschaft. Die NGOs sind 
die weltlichen Missionare der modernen Welt.

Und schließlich spielt das für NGOs verfügbare Kapital die gleiche Rolle 
in der scheinbar alternativen Politik wie das spekulative Kapital, das 
in den armen Wirtschaftsräumen ein- und wieder ausfließt – in einem 
geringeren Maße zwar, aber auf heimtückischere Weise:
Es beginnt, die Themen zu bestimmen. Es macht Konfrontationen zu 
Verhandlungen. Es entpolitisiert den Widerstand. Es mischt sich in 
regionale Bewegungen ein, die traditionell selbstständig gearbeitet haben.

NGOs haben Gelder, mit denen Menschen angestellt werden können, die 
sonst Aktivist'innen in Widerstandsbewegungen sein könnten – nun aber 
fühlen, daß sie sofort etwas Wirksames, Konstruktives, Gutes machen und 
dabei noch ihren Lebensunterhalt verdienen können.

Echter politischer Widerstand bietet keine solchen Abkürzungen.

Die NGO-isierung der Politik droht den Widerstand in einen respektablen, 
vernünftigen, bezahlten "9-Uhr-früh-bis-5-Uhr-nachmittags-Job" zu 
verwandeln. Und dazu gibt es noch einige Vergünstigungen.
Echter Widerstand hat jedoch echte Konsequenzen, und er wird nicht bezahlt.



7.3. Die Drei Gewalten des Staates

Das bringt uns zur dritten Gefahr, über die ich heute sprechen will: die 
gefährliche Art der eigentlichen Konfrontation zwischen den 
Widerstandsbewegungen und immer repressiveren Staaten, zwischen der 
Zivilge-sellschaft und den Agenten des Imperiums.

Wann immer ziviler Widerstand die geringsten Anzeichen gezeigt hat, sich 
von symbolischen Aktionen zu irgendetwas auch nur im entferntesten 
Gefährlichen zu entwickeln, wurde die Unterdrückung gnadenlos. Wir haben 
gesehen, was geschehen ist bei den Demonstrationen in Seattle, in Miami, 
in Göteborg und in Genua.

In den Vereinigten Staaten hat man nun den "Patriot Act", der jetzt 
überall auf der Welt für Regierungen zu einer Vorlage für 
Antiterrorgesetze geworden ist. Freiheiten werden eingeschränkt, und 
dies wird mit dem Schutz der Freiheit gerechtfertigt.
Aber wenn wir einmal unsere Freiheiten verloren haben, wird es eine 
Revolution geben müssen, um sie wieder zurückzugewinnen.

Einige Regierungen haben viel Erfahrung bei der Einschränkung von 
Freiheiten und sehen hier noch immer viele Möglichkeiten. Die Regierung 
von Indien, schon lange ein Teilnehmer in diesem Spiel, wirft Licht auf 
den Pfad.    Über die Jahre hat sie eine Vielzahl von Gesetzen erlassen, 
die es ihr erlauben, fast jeden als terroristisch, aufständisch oder 
militant zu kennzeichnen:

Bei uns gibt es das "Militärische Sonderermächtigungsgesetz", das 
"Gesetz für Öffentliche Sicherheit", das "Gesetz für Sicherheit in 
besonderen Gebieten", das "Gangster-Gesetz", den "Terrorist and 
Disruptive Areas Act" (den es formal zwar nicht mehr gibt, aber unter 
welchem noch immer Menschen vor Gericht stehen) und POTA (Gesetz zur 
Verhinderung von Terrorismus), welches ein Breitbandantibiotikum gegen 
die Krankheit des Dissens ist.

Es werden noch weitere Schritte unternommen, wie Gerichtsurteile, die 
darauf hinauslaufen, Menschen das Recht auf einen Lebensunterhalt zu 
nehmen, die Redefreiheit einzuschränken und Regierungsangestellten das 
Recht zu streiken zu nehmen. Gerichte haben begonnen, unsere Lebensweise 
zu bestimmen. Und die Gerichte zu kritisieren ist strafbar.

Die Zahl jener Menschen, die im letzten Jahrzehnt von Polizei- und 
Sicherheitskräften getötet worden sind, muß in Zehntausenden angegeben 
werden. Im Staat Andhra Pradesh, dem Vorzeigemodell für 
Konzernglobalisierung in Indien, werden pro Jahr im Durchschnitt etwa 
200 sogenannte "Extremist'innen" getötet bei etwas, das "Zusammenstöße” 
genannt wird.

Die Polizei in Mumbai brüstet sich damit, wieviele "Gangster” sie in 
"Shoot Outs” erschossen hat. In Kashmir, wo ein Zustand herrscht, der 
eine Art von Krieg darstellt, wurden seit 1989 ungefähr  80Tsd  Menschen 
getötet. Tausende sind einfach "verschwunden”. In den nordöstlichen 
Provinzen ist die Situation ähnlich.

In den letzten Jahren hat die indische Polizei häufig Feuer auf 
unbewaffnete Menschen eröffnet, meistens Daliten und Adivasis 
(Kastenlose und Ureinwohner). Die bevorzugte Methode ist es, sie 
umzubringen und sie dann "Terrorist'innen" zu nennen. Indien steht hier 
aber nicht alleine da. Wir haben gesehen, wie ähnliches in Ländern wie 
Bolivien, Chile und Südafrika geschehen ist.

In Indien wird POTA (Prevention of Terrorism Act) oft auch als 
"Production of Terrorism Act" bezeichnet. Es ist ein vielseitig 
einsetzbares, für alles verwendbares Gesetz, das genausogut gegen ein 
Mitglied Al-Qaidas wie gegen einen verärgerten BusChauffeur angewendet 
werden kann.

Wie bei allen Antiterrorgesetzen, ist die Genialität hinter POTA, daß es 
sein kann, was auch immer die Regierung gerade braucht. Nach dem Pogrom 
in Gujarat im Jahr 2002, bei dem etwa  2Tsd  Muslim'innen brutal von 
Hindumobs getötet worden sind und 150Tsd von ihren Häusern vertrieben 
wurden, sind 287 Menschen unter POTA angeklagt worden. Von diesen sind 
286 Muslim'innen und einer ein Sikh.

POTA läßt unter Polizeigewahrsam erhaltene Geständnisse als Beweismittel 
vor Gericht zu. Das führt dazu, daß Folter die Nachforschungen ersetzt. 
Das "South Asia Human Rights Documentation Center" berichtet, daß es in 
Indien die weltweit meisten Folterungen und Todesfälle während der 
Inhaftierung gibt. Regierungsdaten zeigen, daß es allein im Jahr 2002 im 
Polizeigewahrsam 1.307 Todesfälle gegeben hat.

Vor einigen Monaten war ich Mitglied eines Volkstribunals, das sich mit 
POTA befaßte. Während einer Dauer von zwei Tagen hörten wir uns 
entsetzliche Berichte darüber an, was in unserer wundervollen Demokratie 
vor sich geht. Es gibt alles – von Menschen, die dazu gezwungen werden, 
Urin zu trinken, denen das Gewand vom Leib gerissen wird, die gedemütigt 
werden, denen elektrische Schocks gegeben werden, die mit Zigaretten 
verbrannt werden, denen Eisenstäbe in den After geschoben werden - bis 
zu denen, die zu Tode geschlagen und getreten werden.

Die neue Regierung hat versprochen, POTA aufzuheben. Ich wäre 
überrascht, wenn das geschieht, bevor eine neue Gesetzgebung unter einem 
anderen Namen in Kraft getreten ist. Wenn es nicht POTA ist, dann wird 
es MOTA sein, oder etwas Ähnliches.

Wenn jeder Weg des gewaltfreien Widerstandes gesperrt wird, und jeder, 
der gegen die Verletzung von Menschenrechten protestiert, Terrorist 
genannt wird, sollten wir dann wirklich überrascht sein, wenn große 
Teile des Landes von jenen überrannt werden, die an einen bewaffneten 
Kampf glauben und mehr oder weniger außerhalb der Kontrolle des Staates 
stehen, wie in Kashmir, in den nordöstlichen Provinzen, in großen Teilen 
von Madhya Pradesh, Chandigarh, Yarkhand und Andhra Pradesh? Die 
einfachen Menschen in diesen Regionen sind zwischen der Gewalt der 
Militanten und der des Staates gefangen.

Die Armee schätzt, daß in Kashmir zu jeder Zeit zwischen 3Tsd und 4Tsd 
Militante operieren. Um sie zu kontrollieren, setzt der indische Staat 
dort etwa 500Tsd Soldat'innen ein. Es sind offensichtlich nicht nur die 
Militanten, die die Armee kontrollieren will, sondern eine ganze 
Bevölkerung - eine Bevölkerung von gedemütigten, unglücklichen Menschen, 
welche die indische Armee als eine Besatzungsmacht betrachten.

Das Militärische Sonderermächtigungsgesetz erlaubt es nicht nur 
Offizieren, sondern auch niedrigrangigerem Personal der Armee, Gewalt 
gegen jede Person anzuwenden und sie auch zu töten, wenn sie verdächtigt 
wird, die öffentliche Ordnung zu stören.
Es wurde 1958 zunächst für einige Gebiete in Manipur erlassen. Heute 
wird es beinahe im ganzen Nordosten und in Kaschmir angewandt. Die 
Berichte von Folterungen, Verschwundenen, Todesfällen während der 
Gefangenschaft, Vergewaltigungen und Massenhinrichtungen durch 
Sicherheitskräfte sind genug, um einem den Magen umzudrehen.

In Andhra Pradesh, einem der bedeutendsten Staaten Indiens, ist die 
marxistisch-leninistische Volkskriegsgruppe seit Jahren an einem 
gewalttätigen, bewaffneten Konflikt beteiligt. Sie ist das Hauptziel bei 
vielen vorgetäuschten "Zusammenstößen” der Polizei in Andhra Pradesh.

Am 28. Juli 2004 hatte die Volkskriegsgruppe in der Stadt Warangal ihr 
erstes öffentliches Treffen seit Jahren. Hunderttausende Menschen kamen. 
Unter POTA gelten diese nun alle als Terrorist'innen. Wird man sie alle 
in einer indischen Version von Guantanamo Bay einsperren?

Der ganze Nordosten und das Kaschmirtal stehen vor einem Aufruhr. Was 
wird der Staat mit diesen millionen Menschen machen?

Wenn die USA den Irak in jener Art überfällt und besetzt, wie sie es 
gemacht hat, nämlich mit überwältigender militärischer Übermacht, kann 
man vom Widerstand dann erwarten, daß er ein gewöhnlicher militärischer 
sein wird? (Er würde natürlich auch terroristisch genannt werden, wenn 
er ein gewöhnlicher wäre.)

Auf eine seltsame Art macht das Arsenal von Waffen und überlegener 
Luftwaffe und Feuerkraft den Terror zur unausweichlichen Antwort. Was 
den Menschen an Geld und Macht fehlt, werden sie durch Verborgenheit und 
Strategie wettzumachen versuchen



8. Kein Frieden ohne Gerechtigkeit

Es gibt heute keine Diskussion auf der Welt, die wichtiger ist, als die 
Debatte über die Strategien des Widerstandes. Und die Wahl der Strategie 
ist nicht ganz in den Händen der Bevölkerung. Sie liegt auch in den 
Händen des sarkars.

Wenn in diesen unruhigen Zeiten, die einen zur Verzweiflung bringen 
können, die Staaten nicht alles tun, um die gewaltfreien 
Widerstandsbewegungen anzuerkennen, dann züchten sie automatisch jene, 
die sich der Gewalt zuwenden.
Keine Verurteilung des Terrorismus durch einen Staat ist glaubwürdig, 
wenn dieser nicht vorzeigen kann, daß er offen für Veränderungen durch 
gewaltfreien Dissens ist.

Aber stattdessen werden gewaltfreie Widerstandsbewegungen zerschlagen. 
Jede Art von politischer Massenmobilisierung oder Massenorganisation 
wird bestochen, gebrochen oder einfach ignoriert.

Inzwischen widmen die Staaten, die Konzernmedien, und vergessen wir 
nicht die Filmindustrie, ihre Zeit, ihre Aufmerksamkeit, ihre 
Technologie, ihre Forschung und ihre Bewunderung dem Krieg und dem 
Terrorismus. Sie haben die Gewalt vergöttlicht.

Die Botschaft, die daraus hervorgeht, ist beunruhigend und gefährlich: 
Wenn du versuchen willst, einem Ärger der Bevölkerung Ausdruck zu 
verleihen, ist Gewalt effektiver als Gewaltfreiheit.

Während die Kluft, die Arm und Reich trennt, größer wird, während die 
Notwendigkeit immer dringender wird, die Ressourcen der Welt zu 
verteilen und zu kontrollieren, um die große kapitalistische Maschine zu 
füttern, wird der Aufruhr sich verstärken.

Für jene von uns, die auf der falschen Seite des Imperiums leben, wird 
die Demütigung unerträglich.

Jedes irakische Kind, das von den Vereinigten Staaten getötet worden 
ist, war unser Kind. Jeder Gefangene, der in Abu Ghraib gefoltert worden 
ist, war unser Kamerad. Jeder ihrer Schreie war unserer. Wenn sie 
gedemütigt werden, so sind es wir, die gedemütigt werden.

Die US-Soldat'innen, die im Irak kämpfen, sind größtenteils Freiwillige 
aus einer Rekrutierung in Kleinstädten und armen Stadtteilen - einem 
Vorgang, der von ihnen fordert, für einen Sieg zu sterben, der niemals 
der ihre sein wird. Sie sind genauso Opfer dieses schrecklichen Krieges 
wie die Irakis selbst.

Die Mandarine der Konzernwelt, die Geschäftsführer'innen, die Bankiers, 
die Politiker'innen, die Richter'innen und General'innen sehen von oben 
auf uns herab und schütteln ernst ihre Häupter. „Es gibt keine 
Alternative”, sagen sie - und lassen die Hunde des Kriegs von den Ketten.

Dann kommt aus den Ruinen Afghanistans, den Schutthaufen des Irak und 
Tschetscheniens, von den Straßen des besetzten Palästina, aus den Bergen 
Kaschmirs, von den Hügeln und Prärien Kolumbiens und aus den Wäldern von 
Andhra Pradesh und Assam die kalte Antwort: „Es gibt keine Alternative 
außer dem Terror”. Terrorismus, bewaffneter Kampf, Aufstand, nenne es, 
wie du willst.

Terrorismus ist bösartig, ekelhaft und entmenschlicht sowohl diejenigen, 
die ihn ausüben, wie auch seine Opfer. Aber genauso tut es der Krieg. 
Man könnte sagen, daß der Terrorismus die Privatisierung des Krieges 
ist. Terrorist'innen sind die Freihändler des Krieges.
Es sind Menschen, die nicht glauben, daß der Staat ein Monopol auf die 
legitime Anwendung von Gewalt hat.

Die menschliche Gesellschaft steuert einen furchtbaren Ort an. Natürlich 
gibt es eine Alternative zum Terrorismus. Sie wird Gerechtigkeit genannt.

Es wird Zeit, zu erkennen, daß keine noch so große Zahl nuklearer Waffen 
oder Daisy Cutters, weder eine "full-spectrum-dominance" noch falsche 
Regierungen den Frieden auf Kosten der Gerechtigkeit kaufen können.

Das Verlangen nach Hegemonie und Übermacht von einigen wird dazu führen, 
daß andere sich noch stärker nach Würde und Gerechtigkeit sehnen. Welche 
Form der Kampf haben wird, ob er wunderschön oder blutdürstig sein wird, 
hängt von uns ab.

Democracy Now! / ZNet 24.08.2004

-- 

Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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