[E-rundbrief] Info 852 - J. Galtung: Dumme Afghanistan-Offensive.

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
So Aug 2 21:19:02 CEST 2009


E-Rundbrief - Info 852 - Johan Galtung: Die Großoffensive in Afghanistan
ist dumm. Terrorismus kann nur durch Dialog bekämpft werden

Bad Ischl, 2.8.2009

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

================================================

Johan Galtung: Die Großoffensive in Afghanistan ist dumm. Terrorismus
kann nur durch Dialog bekämpft werden

Johan Galtung gilt als Begründer der Friedensforschung. 1959 gründete
der Norweger in Oslo das Internationale Friedensforschungsinstitut PRIO
(The International Peace Research Institute, Oslo). Im Jahr 1987 erhielt
der 79-jährige den Alternativen Nobelpreis, 1993 den Gandhi-Preis.
Weltweit wirkte er in über 120 Konflikten als Vermittler. In
Krisengebieten wie dem Nordkaukasus, in Ecuador, Afghanistan und Sri
Lanka war er aktiv. Mit dem Friedensforscher sprach für ND Nissrine
Messaoudi.

ND: Die Bundeswehr beteiligt sich derzeit an einer Großoffensive in
Nordafghanistan. Verteidigungsminister Franz Josef Jung begründet den
Einsatz mit der Verschlechterung der Sicherheitslage im Raum Kundus. Wie
beurteilen Sie das Vorgehen?

Galtung: Die Offensive in Afghanistan ist einfach nur dumm. Die
Kriegsbeteiligung wird für niemanden zu mehr Sicherheit führen. Weder
wird es für die Afghanen noch für Deutschland sicherer. Im Gegenteil,
dies wird nur noch mehr Konflikte schüren. Denn es ist ja ganz klar:
Wenn man jemanden tötet, dann gibt es für jeden Toten, sagen wir, zehn
Verwandte, Freunde und Bekannte, die die Täter hassen. So kann es zur
Gefahr für Deutschland kommen. Ich halte dies wirklich für eine
außerordentlich dumme Politik.

Jung hat wiederholt betont, dass es sich um einen Stabilisierungsauftrag
handle und nicht um Krieg. Ist das Schönfärberei?

Ja, natürlich ist das Krieg. Diese Kriegshandlungen werden rein gar
nichts stabilisieren. Afghanistan muss den Afghanen überlassen werden.
Entwicklungsprojekte sind zwar wichtig. Aber ein Soldat mit einer Waffe
in der einen Hand und einem Kanister Wasser in der anderen kann keine
glaubwürdige Entwicklungshilfe leisten. Es wäre besser, wenn solche
Projekte von muslimischen Ländern betreut würden, denn durch die
Bombardierungen haben die Afghanen - und nicht nur die - das Vertrauen
westlichen Staaten gegenüber verloren. Muslimische Länder hätten in
Afghanistan mehr Erfolg. Sie verstehen den Islam und verurteilen die
Afghanen nicht.

Aber die Taliban gelten international als Verbrecher, die man bekämpfen
muss.

Wie viele deutsche Politiker sind denn schon mal einem Talib begegnet?
In jeder Gruppierung gibt es moderate und fundamentalistische
Überzeugungen. Der Terrorismus kann nur durch Dialog und mit dem Willen
zur Versöhnung bekämpft werden. Die USA haben es verpasst, mit den
Taliban zu verhandeln. Letztere waren sogar bereit, Osama bin Laden nach
dem 11. September an einen anderen islamischen Staat auszuliefern. Die
USA haben das ausgeschlagen, einen Krieg begonnen und damit noch mehr
Hass auf sich gezogen. Der Westen muss von seiner gewalttätigen Politik
ablassen. Die Bombardements auf Afghanistan verschärfen das Problem nur.
Ich war als Vermittler in Afghanistan und bin auf äußerst
gesprächsbereite Partner gestoßen.

Was wäre Ihr Vorschlag, wie man mit den Taliban oder anderen
extremistischen Gruppierungen umgehen sollte?

Nochmals: Dialogbereitschaft ist der Schlüssel zur Lösung des Problems.
Es gibt Wortführer in der Nordallianz und unter den Taliban, die sich
für eine Koalitionsregierung einsetzen würden. Man muss sie nur
aufsuchen und ihnen eine Stimme geben.

Wie sähe Ihrer Meinung nach ein konkreter Lösungsvorschlag für
Afghanistan aus?

Der Alternativvorschlag für Afghanistan wäre: Erstens muss man
verstehen, dass Afghanistan kein einheitlicher Staat ist, es könnte
vielleicht ein Bundesstaat sein. So sollte man nicht von Kriegsherren
reden, sondern die Autonomiebestrebungen gegenüber Kabul ernst nehmen.
Zweitens muss man die Taliban in einer Koalitionsregierung haben. Ganz
ohne die Taliban geht es nicht, nur mit ihnen auch nicht. Drittens
glaube ich, dass man mit den islamischen Ländern im Umkreis
Afghanistans, die teilweise innerhalb Afghanistans repräsentiert sind,
über einen Staatenbund reden könnte.

Das wäre eine gute Aufgabe für die Europäer. Die EU weiß eine Menge
darüber, wie man einen Staatenbund kreiert. Dafür müsste man also eine
Friedenssicherung haben, aber dies muss nicht nur in Zusammenarbeit mit
dem Sicherheitsrat, sondern auch in Zusammenarbeit mit der OIC
(Organisation der Islamischen Konferenz) geschehen. Deutschland hätte
von Anfang an lieber vermitteln sollen, statt sich auf die Seite der USA
zu schlagen, nur um die "Supermacht" nicht zu verärgern.

Es hat den Anschein, als bekämen sogenannte Terror-Organisationen immer
mehr Zulauf. Sind das die Konsequenzen aus dem Krieg?

In der Tat haben die Taliban und Al-Qaida Zulauf wie nie zuvor. Die
Unsicherheit wächst und die Racheakte resultieren aus diesen
Kriegshandlungen. Der Hass auf die USA und auf die westlichen Staaten,
die durch ihre Truppen die US-Amerikaner unterstützen, wird daher
stärker. Die Amerikaner wollen ja das Böse und die Bedrohung stets
personifizieren. Damit wird die Dimension des Terrorismusproblems
verkannt. Der Krieg gegen Afghanistan und der Krieg gegen den Terror
sind nicht mit weiteren Bomben zu gewinnen. Da sehe ich keine Chance.

In westlichen Medien taucht der Islam fast nur noch in
Negativ-Schlagzeilen auf. Dabei gibt es auch islamischen Pazifismus.
Warum, glauben Sie, berichtet man so einseitig?

Man könnte auch über das Christentum nur negativ berichten und nur von
Hexenverbrennung und Inquisition sprechen. Aber man tut es nicht. Im
Westen wird vielfach zu wenig differenziert und der Islam als Ganzes
dämonisiert. In einem gewissen Sinn handelt es sich bei diesem Konflikt
um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Fundamentalismen: dem
islamischen und dem christlichen. Dabei gibt es, wie Sie sagten, eine
sehr aktive Friedensbewegung im islamischen Raum. Diese Leute sind im
Westen kaum bekannt. Sie entstammen der oberen Mittelschicht und
kritisieren die Gewalt in der islamischen Welt. Wenn es gelingt, die
islamischen und die westlichen Pazifisten zusammenzuführen, entsteht
eine Riesenbewegung.

Sehr einflussreich ist etwa die malaysische Organisation "International
for the Just World" von Chandra Muzaffar. Diese Leute wenden sich gegen
die dogmatische wahabitische Richtung des Islams, der unter anderem die
saudiarabische Regierung und die Taliban anhängen.

Sehen Sie denn keine Verbesserungen der USA-Politik unter der
Obama-Regierung?

Der US-Präsident ist zwar sehr intelligent und auch charismatisch. Doch
die Fakten sprechen gegen ihn. Seine Außenpolitik ist nicht anders als
die von George W. Bush. Weshalb ich glaube, dass die Großmacht im Jahre
2020 zusammenbrechen wird. Die ökonomischen, militärischen, kulturellen
und natürlich politischen Widersprüche werden den Zerfall des Imperiums
herbeiführen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Gehorsamkeit der
Bündnisstaaten ist nicht mehr vorhanden. Die Zeiten, in denen die USA
der "Großmeister" waren, der den Knaben Dokumente vorlegte, die ohne
Vorbehalt unterschrieben wurden, sind vorbei. Die Magie ist verschwunden.

Quelle:  Neues Deutschland vom 28.07.2009.

-- 

Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) Sparkasse Bad Ischl,
Geschäftsstelle Pfandl
IBAN: AT922031400600970305 BIC: SKBIAT21XXX





Mehr Informationen über die Mailingliste E-rundbrief