[E-rundbrief] Info 828 - Augusto Boal gestorben 2.5.09

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Fr Mai 8 08:27:21 CEST 2009


E-Rundbrief - Info 828 - Matthias und Maria Reichl: Erinnerungen an
Augusto Boal; Augusto Boal: Address to the "World Day of Theatre"
(25.3.2009);  Augusto Boal für den Friedensnobelpreis nominiert (2008);
Fritz Letsch (D), Barbara Santos (BR): Zum Tod von Augusto Boal.

Bad Ischl, 8.5.2009

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Augusto Boal starb am 2.5.2009 in Rio de Janeiro

Matthias und Maria Reichl

Mit tiefer Anteilnahme geben wir den Tod von Augusto Boal am Morgen des
2. Mai 2009 im Samaritano Hospital in Rio de Janeiro bekannt.

Durch eine Seminare und Begegnungen mit ihm und seinem Sohn Julian
verdanken auch wir ihm, einem Freund unseres Begegnungszentrums,
wertvolle Impulse (zuletzt am 9.4.2008 in Wien). Dabei haben wir Augusto
als Theaterschaffenden, Lehrer, Künstler und politischen Menschen kennen
gelernt und waren ihm freundschaftlich verbunden. Vorallem auch seine
fruchtbare Zusammenarbeit mit seinem Freund Paulo Freire und dessen
Pädagogik der Unterdrückten hatte entscheidenden Einfluss nicht nur auf
die Praxis von Bildung sondern weit darüber hinaus in die Arbeit von
Basisinitiativen und -bewegungen. (Auch Augustos letztes Buch *Die
Ästhetik der Unterdrückten*.) Seinen letzten Text - für den
Internationalen Theatertag haben  schließen wir unten an.

Ende Oktober werden sich in Österreich in seinem Geist Gruppen aus allen
Kontinenten treffen, die mit dieser Methode Forumtheater, unsichtbares
Theater, legales Theater und politische Aktionen praktizieren - und
damit auch jene vielen mitreissen, die schon resigniert haben
(www.arge-forumtheater.at, www.theatreoftheoppressed.org)

Nachruf im ORF: http://oe1.orf.at/highlights/135641.html

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Augusto Boals last message was the address to the "World Day of Theatre"

International Message

One of the most important of these is the circulation of the
International Message traditionally written by a theatre personality of
world stature at the invitation of the International Theatre Institute.
The first such message was written by Jean Cocteau in 1962.

Augusto Boal is a Brazilian theatre director, writer and activist. He
will deliver the 2009 World Theatre Day message on March 25, 2009 at a
celebration at UNESCO headquarters in Paris, France. He is the creator
of Theatre of the Oppressed, a well-known form of performance-activitism.
To order an English translation of his book, Theatre of the Oppressed,
visit TCG’s publications.

Additional activities, news and transcripts of the speech will be made
available on this site in the weeks to come.

Boal's 2009 Address:

All human societies are “spectacular*” in their daily life and produce
“spectacles” at special moments. They are “spectacular” as a form of
social organization and produce “spectacles” like the one you have come
to see.

Even if one is unaware of it, human relationships are structured in a
theatrical way. The use of space, body language, choice of words and
voice modulation, the confrontation of ideas and passions, everything
that we demonstrate on the stage, we live in our lives. We are theatre!
Weddings and funerals are “spectacles”, but so, also, are daily rituals
so familiar that we are not conscious of this. Occasions of pomp and
circumstance, but also the morning coffee, the exchanged good-mornings,
timid love and storms of passion, a senate session or a diplomatic
meeting - all is theatre.

One of the main functions of our art is to make people sensitive to the
“spectacles” of daily life in which the actors are their own spectators,
performances in which the stage and the stalls coincide. We are all
artists. By doing theatre, we learn to see what is obvious but what we
usually can’t see because we are only used to looking at it. What is
familiar to us becomes unseen: doing theatre throws light on the stage
of daily life.

Last September, we were surprised by a theatrical revelation: we, who
thought that we were living in a safe world, despite wars, genocide,
slaughter and torture which certainly exist, but far from us in remote
and wild places. We, who were living in security with our money invested
in some respectable bank or in some honest trader’s hands in the stock
exchange were told that this money did not exist, that it was virtual, a
fictitious invention by some economists who were not fictitious at all
and neither reliable nor respectable. Everything was just bad theatre, a
dark plot in which a few people won a lot and many people lost all. Some
politicians from rich countries held secret meetings in which they found
some magic solutions. And we, the victims of their decisions, have
remained spectators in the last row of the balcony.

Twenty years ago, I staged Racine’s Phèdre in Rio de Janeiro. The stage
setting was poor: cow skins on the ground, bamboos around. Before each
presentation, I used to say to my actors: “The fiction we created day by
day is over. When you cross those bamboos, none of you will have the
right to lie. Theatre is the Hidden Truth”.

When we look beyond appearances, we see oppressors and oppressed people,
in all societies, ethnic groups, genders, social classes and casts; we
see an unfair and cruel world. We have to create another world because
we know it is possible. But it is up to us to build this other world
with our hands and by acting on the stage and in our own life.
Participate in the “spectacle” which is about to begin and once you are
back home, with your friends act your own plays and look at what you
were never able to see: that which is obvious. Theatre is not just an
event; it is a way of life!

We are all actors: being a citizen is not living in society, it is
changing it.

- Augusto Boal

http://tcgstaging.ifactory.com/international/events/theatreday.cfm#message

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Augusto Boal für den Friedensnobelpreis nominiert - Brief von CTO Rio

(Anfang 2008)

Liebe Freundin! Lieber Freund!

Wie Du vielleicht schon weißt, wurde Augusto Boal als Kandidat für den
Friedensnobelpreis 2008 nominiert. Diese wunderbaren Neuigkeiten
bescherten uns große Freude und machten uns sehr glücklich, weil wir
denken, dass die jahrzehntelange, weltweite Arbeit Augusto Boals diesen
prestige­trächtigen Preis wirklich verdient. Nicht nur für ihn
persönlich, sondern für den Impuls, den er für alle AnwenderInnen des
Theaters der Unterdrückten   auf 5 Kontinenten gegeben hat, auf Grund
dessen hervorragende Arbeit geleistet wird.

Augusto Boals wichtigster künstlerischer Ansatz, das Theater der
Unterdrückten, wird inzwischen in mehr als 70 Ländern von hunderten von
Gruppen praktiziert. Es findet Anwendung auf so zahlreichen Gebieten wie
etwa in der Pädagogik und Erziehung, in Sozialarbeit, in der Politik, im
Gesundheitswesen und natürlich im Theater, sowie überall, wo Frauen und
Männer unter Benachteiligungen leiden und gehindert werden, sich voll zu
entfalten.  Dort wo Menschen das Recht auf Dialog verweigert wird, ist
das Theater der Unterdrückten das Theater (die Form) des Dialogs.

Diese Gruppen helfen tausenden von Menschen auf der ganzen Welt ihre
Bürgerrechte im Kampf gegen Rassismus, Sexismus, Sklaverei und jede Form
der Ausbeutung geltend zu machen.
Um mehr über das Theater der Unterdrückten zu erfahren, gibt es die
www.theatreoftheoppresed.org...

Allein die Tatsache, dass Augusto Boal als Kandidat nominiert wurde,
zeugt davon wie wichtig sein humanistisches Werk ist und hilft die
Methoden des Theaters der Unterdrückten weiterzuentwickeln und auch mehr
unterdrückten Menschen zu Gute kommen zu lassen...

www.ctorio.org.br/

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Augusto Boal

Fritz Letsch, 5.5.2009

Liebe FreundInnen und KollegInnen,

in der Nacht vom ersten zum zweiten Mai ist Augusto Boal in Rio de
Janeiro verstorben.

Er wird fehlen. Er hinterläßt uns Werkzeuge zur Weltveränderung. Mit
seiner Kunst, seinen Ideen und seinen konkreten Utopien wird er weiterleben.
Lasst uns trauern. Und lasst uns weitermachen, lasst uns weiter kämpfen,
lachen und Theater spielen, für eine veränderte, bessere Welt.
Weiter unten ein Text von Bárbara Santos vom Zentrum des Theaters der
Unterdrückten in Rio de Janeiro (CTO-Rio), dessen künstlerischer Leiter
Boal war
(aus dem Portugiesischen übertragen).

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Bárbara Santos, am 4. Mai 2009:

Unser geliebter Freund Augusto Boal, der auf seinen vielen Reisen durch
die Welt unermüdlich den Samen des Theaters der Unterdrückten
verstreute, hat sich auf eine weitere Reise begeben. Er ist in den
frühen Morgenstunden des 2. Mai 2009 aufgebrochen. Am Ersten Mai war er
noch bei uns geblieben, solidarisch mit allen Arbeiterinnen und
Arbeitern, die für eine gerechtere, solidarischere und glücklichere Welt
kämpfen.

Er ist zu dieser besonderen Reise aufgebrochen und wird bei keiner
Veranstaltung mehr präsent sein. Aber, wie es seine Art war, hat er bis
zum letzten Moment gelebt, geliebt und gearbeitet und das Buch *Die
Ästhetik der Unterdrückten* hinterlassen. Ausdrücklich hat er auch
hinterlassen, dass keine Veranstaltung wegen seiner Abwesenheit abgesagt
werden sollte: „Ist das nicht der Sinn der Multiplikation?“

Gestern, am 3. Mai, haben wir uns zu einer Abschiedszeremonie
zusammengefunden. Sein Körper kündigte den Beginn einer neuen Etappe des
Theaters der Unterdrückten an: in physischer Abwesenheit seines
Meisters. Wir haben geweint, geredet und gesungen. Celso Frateschi hat
einen Teil aus „Arena canta Zumbi“ rezitiert. Wir sangen das Lied von
Nuno Arcanjo. Und Cecília Boal, mit aller Kraft und Lebendigkeit, schrie
in alle Himmelsrichtungen, dass ihr Mann als der erinnert werden sollte,
der er immer war: ein Kämpfer. Wir trockneten unsere Tränen und
applaudierten der Abreise von Boal.
Sein Körper ist gegangen, seine Präsenz bleibt. Voraussichtlich am
nächsten Samstag den 9. Mai werden wir diese Präsenz in einer Würdigung
im CTO-Rio bestätigen. Wir werden dem Leben, dem Kampf, der
Produktivität, dem Werk und der Fortführung der Arbeit von Augusto Boal
huldigen.
Es wird nicht einfach sein, ohne unseren Meister, Partner, Freund und
Kampfgenossen weiterzumachen. Aber was war schon einfach auf dem Weg des
Theaters der Unterdrückten?

Die Ethik und die Solidarität als Fundamente und Leitfäden. Die
Multiplikation als Strategie. Konkrete und dauerhafte soziale Aktionen,
mit dem Ziel der Transformation unterdrückerischer Realitäten.

*Es lebe Augusto Boal*
Wir machen weiter.

http://fritz-letsch.blog.de/2009/05/04/augusto-boal-6059902/#trackbackForm.

-- 

Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) Sparkasse Bad Ischl,
Geschäftsstelle Pfandl
IBAN: AT922031400600970305 BIC: SKBIAT21XXX




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