[E-rundbrief] Info 809 - Rb 132 - Kirchen-Machtkaempfe
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
So Mär 15 19:10:38 CET 2009
E-Rundbrief - Info 809 - Matthias Reichl: Kirchen-Machtkämpfe; „Petition
Vaticanum2“ für das Konzil; Paulo Suess (Brasilien):
Jesus und das Antlitz der Armen (Interview-Auszug)
Bad Ischl, 15.3.2009
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Kirchen-Machtkämpfe
Matthias Reichl
Anfang Februar 2009 geisterten die Nachrichten über den Gerhard M.
Wagner, dem neu ernannten römisch-katholischen Weihbischof von Linz
durch die Medien. Freunde, die ihm vor 25 Jahren - als Kaplan in Bad
Ischl - begegneten, schilderten ihn als einen erzreaktionären
theologischen Hardliner, der fanatisch seine Sicht von Kirche
hinauspredigte und Widerspruch nicht vertragen hat. Dem jungen Hitzkopf
wurde durch die Schulung in vatikanischen Think-Tanks einiges an
Strategie und Vernetzungstaktik mit ähnlich gesinnten Gruppierungen
beigebracht (z.B. per Internet). Die vehementen Proteste von der
Kirchenbasis zwangen den Vatikan, die Ernennung rückgängig zu machen.
Ein einmaliges Ereignis. Der momentane Erfolg dieses gewaltfreien
Widerstandes kann erst dann weiter bestehen, wenn sich weltweit ähnliche
Initiativen gegen diese Netzwerke - gewaltfrei - zur Wehr setzen und
diesen über längere Zeit durchhalten.
In europäischen Ländern werden allzu kritische Priester und Laien durch
nachhaltigen psychologischen bzw. ökonomischen Druck „von oben“ in die
innere oder äußere Emigration getrieben. Dabei werden u.a. gezielt
Denunzierungen bei vatikanischen Behörden durch reaktionäre
Splittergruppen (z.B. die Pius-Bruderschaft gegen den französischen
Bischof Gaillot) eingesetzt. Viele der so Verfolgten mussten dies mit
gravierenden (sozialen) Existenzproblemen bezahlen.
Alfred Kirchmayr hat in seinem Buch "Opus Dei. Das Irrenhaus Gottes?"
die individuellen Repressionen und die gesellschaftspolitischen
Auswirkungen aufgedeckt (siehe Info 724). Denn das Unheil durch die
vatikanische Christenverfolgung - z.B. in Lateinamerika - hat wesentlich
größere Auswirkungen, wie sie im Folgenden der brasilianische
Befreiungstheologe Paulo Suess schildert. Dort ist es nicht so selten,
dass Großgrundbesitzer fromm den Gottesdienst besuchen während ihre
Pistoleros widerständige Gläubige „beseitigen“.
Parallel zum Weltsozialforum 2009 trafen sich in Belém 1300 basisbewegte
Christen beim 3. Weltforum für Theologie und Befreiung zum Thema
„Wasser, Erde, Theologie“ - leider nur wenige aus Zentraleuropa. Sie
forderten u.a. „Statt Reparaturen muss ein Systemwechsel eingeleitet
werden“ (Infos: www.wftl.org, Buchtipp Info 811, Publik-Forum Nr.
3/2009, S. 16/17, zum WSF im Info 800).
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„Petition Vaticanum2“ für das Konzil bleibt aktuell
Am 3. März 2009 wurde der Zwischenstand der „Petition Vaticanum2“ der
Deutschen Bischofskonferenz in Hamburg übergeben. Da es in der Petition
aber nicht nur um die Pius-Bruderschaft sondern um den Gesamtkurs der
Kirche auf der Linie des Konzils geht, wird die „Petition Vaticanum2“
wie geplant bis zum 9.4.2009 weitergeführt: www.petition-vaticanum2.org
Links: Wir sind Kirche-Info-Brief Frühjahr 2009:
www.wir-sind-kirche.de/?id=126&id_entry=1935, „50 Jahre 2. Vatikanisches
Konzil“: www.wir-sind-kirche.de/index.php?id=527
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Jesus und das Antlitz der Armen
Die Ausbeutung dominiert, der globale Kapitalismus triumphiert. Was
folgt daraus?
Fragen an den Befreiungstheologen Paulo Suess (Brasilien)
Auszüge aus dem Interview von Thomas Seiterich und Wolf Südbeck-Baur,
erschienen im Publik-Forum Nr. 2/ 30. Jänner 2009.
... Publik-Forum: Vor gut vierzig Jahren vollzog die Befreiungstheologie
spirituell den Ortswechsel weg von der Kirche der Tradition, hin zur
Kirche der Armen. Und heute? Worin sehen Sie die spirituelle Aufgabe der
Befreiungstheologen?
Paulo Suess: Das System des globalisierten Kapitalismus scheint
unbesiegbar, trotz der aktuell weltweiten Krise des neoliberalen
Systems. Die Kräfte im Ringen um Gerechtigkeit sind extrem ungleich
verteilt. Das Wirtschaftssystem macht Hunderte Millionen Menschen
„unnötig“. Das Selbstbehauptungsvermögen und die Kampfkraft der
Ausgegrenzten erscheinen gering. Der weltweite Triumph des neoliberalen
Systems lädt zum Resignieren ein, zum Aufgeben, sich Abfinden oder gar
zum Zynismus. In dieser gleichsam biblischen Notlage die Hoffnung
wachzuhalten, den Glauben, die gefährliche Erinnerung der biblischen
Befreiungsgeschichte und, vorallem die Liebe nicht zu verlieren, sondern
stärkend weiterzugeben, in Gemeinschaft - darin erblicke ich die große
spirituelle Aufgabe der Befreiungstheologie von heute.
Publik-Forum: Wie lebendig ist die Befreiungstheologie?
Suess: Ich verweise auf unsere Getöteten, die Märtyrer: Keine andere
kirchliche Bewegung der Gegenwart hat solch einen Schatz an
Märtyrerinnen und Märtyrer wie die Kirche der Armen. Eine Blutspur
begleitet Jahr für Jahr die befreiungstheologisch Engagierten. Anfangs
starben Jahr für Jahr Hunderte bis Tausende. Heute sind es Jahr für Jahr
mal zwanzig, mal fünfzig Personen, die in Lateinamerika getötet werden,
weil sie sich für die Armen engagierten. Es sind Katechetinnen,
Urwaldschützerinnen wie die US-Nonne Dorothy Stand, Priester und Laien.
Manch einer unserer Bischöfe, wie zum Beispiel Erwin Kräutler, wird mit
dem Tode bedroht. Diese unvergleichliche Spur des Zeugnisses zeigt, wie
mutig und wie treu gegenüber dem gekreuzigten Christus die Kirche der
Armen ihren Weg geht. Kirchenpolitisch ist die Situation davon bestimmt,
dass es mehrere Sektoren in der Kirche Lateinamerikas gibt. Die Neuen
Geistlichen Gemeinschaften wachsen. Sie erreichen vor allem die
Mittelschicht. Die Kirche der Armen ist an vielen Orten anerkannt,
jedoch in einigen besonders konservativen Bistümern angefeindet. Neben
der Ex-Monopolistin katholische Kirche besetzten seit gut dreißig Jahren
die anfangs von den US-Geheimdiensten gezielt gefördeten Evangelikalen,
Charismatiker und fundamentalistischen Sekten immer mehr Raum in der
lateinamerikanischen Gesellschaft.
Publik-Forum: Individueller Aufstieg aus der Armut ins Kleinbürgertum -
ist diese Botschaft der Sekten auch ein Moment in den
Befreiungsbewegungen der Armen?
Suess: Die Gefahr besteht; zum Beispiel bei der Landlosenbewegung. Da
bekommt im Erfolgsfall jeder sein kleines Häuschen. Nach dem Vorbild der
Indios gilt jedoch: Das Land, das die Landlosenbewegung erobert ist
stets Gemeinschaftsland; es gehört niemandem partikular. Dadurch wird
eine klare Gemeinschaftsstruktur aufrechterhalten. Ich kann für größeren
Profit nicht mein Land verkaufen. Dieser Grundbesitz stabilisiert - auch
in Notfällen, wenn zum Beispiel jemand ins Krankenhaus muss und alles
futsch wäre, wenn er sein Land dafür verkaufen müsste. Bei
Kollektivbesitz ist dem ein Riegel vorgeschoben...
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
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