[E-rundbrief] Info 778 - Jungk: Technofaschismus
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Sa Dez 13 19:23:15 CET 2008
E-Rundbrief - Info 778 - Robert Jungk (A): Gemütsfaschismus und
Technofaschismus (1991). (Ergänzung zum Info 775).
Bad Ischl, 13.12.2008
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Gemütsfaschismus und Technofaschismus
Robert Jungk
Es ist eines der großen Verdienste des Seelenforschers Wilhelm Reich,
daß er 1934 angesichts der Machtergreifung des Nationalsozialismus nicht
nur wirtschaftliche und nationale Bedrängnisse für den Erfolg des
"Führers" verantwortlich machte, sondern auch seelische Defizite, die
der "Retter" Adolf Hitler auszugleichen versprach.
Wenn heute im Zeichen ökonomischer Hochkonjunktur Vertreter
faschistischer oder faschistisch beeinflußter Programme Zulauf erhalten,
dann sollte man sich an diese - vor allem von der Linken - zu wenig
beachteten Erkenntnisse über die "Massenspychologie des Faschismus"
erinnern. Weiter verbreitet noch als die durch Rationalisierung und
rücksichtslose Strukturveränderungen bewirkte materielle
Arbeitslosigkeit ist meiner Ansicht nach die "seelische
Arbeitslosigkeit" von Millionen, die in der von Technokraten verwalteten
Konsumgesellschaft weder Lebenssinn noch Möglichkeiten eines sie
erfüllenden Engagements entdecken. Desillusion und Resignation
beherrschen die Stunde. Wer auf überzeugende Weise dem entgegenarbeitet,
indem er an Selbstbewußtsein, unterdrückte Wut und so etwas wie einen
Gemeinschaftsgeist appelliert, gewinnt Anhänger. Sie brauchen
Begeisterung, sei sie auch irregeleitet, dringender als Brot.
In "Player piano", einem Science-fiction-Roman von Kurt Vonnegut, der
kurz nach dem Krieg erschien, schildert er das Leben der Menschen in
einer hochtechnisierten, vollautomatisierten Gesellschaft der nahen
Zukunft. Tagsüber müssen sie sich den Zwängen der "großen Maschine"
unterwerfen, die anonyme, austauschbare Bestandteile aus ihnen gemacht
hat, am Abend und in der Nacht aber können sie sich in den romantischen
Slums der Städte ausleben. Da dürfen diejenigen, die stundenlang
schweigen und den Ärger herunterschlucken müssen, sich austoben. Die
Präzision und Disziplin der Arbeitsstunden ist jetzt nicht gefragt.
Schreien, Toben, brüllendes Lachen, ja auch Schluchzen sind nicht nur
gestattet, sondern als die nunmehr passende Verhaltensweise verlangt.
Wer je eine Versammlung der Anhänger Le Pens, eine der
biergeschwängerten Massenversammlungen zu Füßen von Franz Josef Strauß
oder dem "neuen Franz" Schönhuber erlebt hat, weiß, wie hoch da die
Gefühle gingen und gehen. Da fühlt sich niemand mehr einsam,
unterdrückt, zum vernünftigen Tun vergattert, sondern als Teil einer
singenden, brüllenden, klatschenden Gemeinschaft von Patrioten, die
ihren "Mann" stehen und von einer weisungsgebenden Figur auf den
Heilsweg geführt werden. Und am nächsten Tag? Da werden sie wieder zu
grauen Mäusen, zu gehorsamen Bürokraten, folgsamen Angestellten,
fleißigen Lohnbeziehern. Genau wie das Management sich seine Hand- und
Kopflanger wünscht. Der Gemütsfaschismus, den die Neuen Rechten zum
politisch ernstzunehmenden Faktor gemacht haben, korrespondiert exakt
mit dem Technofaschismus der Industriegesellschaft, indem er
kompensatorisch befriedigt, was im kalten, rationalen, entfremdeten
Alltag der Produktionsuntertanen und ihrer anonymen Manager
vernachlässigt wird.
War es denn unter Hitler und Mussolini sehr viel anders? Sie wurden auf
Wogen des Sentiments nach oben gespült, um dann dort die Begeisterung
ihrer Gefolgschaft als Gegenleistung für ihre Beteiligung an der Macht
der Großkonzerne einzubringen. Speer, der die Aufrüstung organisierte
und die Todesproduktion des Krieges so perfekt verwaltete, daß das
objektiv viel schwächere Dritte Reich sich jahrelang gegen eine
ökonomisch, technisch und demographisch weit überlegene Allianz halten
konnte, war die andere, viel zu wenig beachtete Führerfigur des
deutschen Faschismus.
Es ist kein Zufall, daß viele der Gründerpersönlichkeiten der nach dem
Zusammenbruch glänzend wiederauferstandenen deutschen Wirtschaft das
"Führen" und Organisieren in den Massenorganisationen der Partei und des
Heeres erlernt hatten. Ähnliches trifft unter etwas veränderten
Vorzeichen für die Managerelite der USA, Großbritanniens, Frankreichs,
Italiens und vor allem Japans zu, wo militärische Tugenden als
Voraussetzung erfolgreicher Unternehmensführung offen anerkannt werden.
Die Technofaschisten haben allerdings begriffen, daß Uniformen und
militärische Umgangsformen von der Mehrheit der Nachkriegsgeneration
abgelehnt werden. So geben sie sich äußerlich zivil, vernünftig, ja
sogar freundlich lächelnd. Über die harte Faust des Herrschers wird der
Samt demokratischer Umgangsformen gestülpt, aber wirkliche Demokratie,
echtes Mitspracherecht wird auch den Abhängigen der
High-Tech-Gesellschaft verweigert.
Gegen diese Entwicklung, die dem einzelnen immer weniger Möglichkeit
gibt, seine individuelle Persönlichkeit durchzusetzen, und ihn zum
Mitmacher, ja zum Mitschuldigen an einer auf künftige Katastrophen
hinsteuernde Entwicklung macht, haben die neuen sozialen Bewegungen der
letzten zwanzig Jahre gekämpft und zunehmend Anhänger gewonnen. Ihre
zunehmend techno-kritische, antikapitalistische Haltung muß den
Technokraten Sorgen bereiten. Nachdem sie die Arbeiterbewegung durch
Beteiligung an der ökologischen und imperialistischen Ausbeutung der
Welt korrumpiert und weitgehend ruhiggestellt hatten, mußten sie gegen
die Herausforderungen der Studentenbewegung, Ökobewegung,
Friedensbewegung, Frauenbewegung, Arbeitslosenbewegung eine politische
Bewegung finden, die nicht nur den Wirtschaftsinteressen nützen, sondern
auch die Gemüter der von Zweifeln, Angst, Unsicherheit Bedrängte
gefangennehmen könnte.
In den neuen faschistischen Bewegungen haben sie nun so etwas entdeckt,
und es steht zu erwarten, daß die Mächtigen nach anfänglichen Zweifeln
(wie sie übrigens zunächst auch gegen die Nazis bestanden) den neuen
"Führern" genügende Finanzmittel zur Verfügung stellen werden, damit sie
die vom Technofaschismus um ihre Persönlichkeitskräfte Gebrachten über
den Gemütsfaschismus erneut gleichschalten. Während sie selbst, die
wahren "Führer", anonym bleiben, dürfen populäre Massenredner und
Agitatoren deutlich hervortreten, Sympathien gewinnen und die Bürger von
ihren wirklichen Interessen ablenken.
Ein wirksamer Kampf gegen den Gemütsfaschismus verlangt die kritische
Aufdeckung der Macht, die der Technofaschismus heute schon in Arbeits-
und Konsumwelt übt. Doch dazu müßte noch etwas Wichtigeres kommen: Die
Gegner des Technofaschismus, die Grünen und die Linken, müssen sich
darum bemühen, den Bürgern nicht nur materielle oder ökologische
Verbesserungen anzubieten, sondern die Visionen einer humanen
Gesellschaft, für die sich die Menschen begeistern können. Mit "Brüder,
zu Sonne, zur Freiheit" hat die Arbeiterbewegung Millionen in Bewegung
gebracht. Mit Tarif- und Lohnkämpfen allein können die Herzen der
Menschen nicht gewonnen werden. Wer den "Wärmestrom" des Sozialismus
versiegen läßt, kann nicht hoffen, denen, die mit der "heißen Luft"
eines verquasten Patriotismus falsche Wärme vortäuschen, erfolgreich
Widerstand zu leisten.
Erfolgversprechender Antifaschismus darf die Emotionen der Menschen
nicht vernachlässigen. Sie auf ernstzunehmende und ehrliche Weise
anzusprechen und politisch einzusetzen, ist die Aufgabe einer nicht nur
soziologisch, sondern auch psychologisch denkenden neuen politischen
Generation, die lesen und diskutieren, aber auch zuhören und mit den
Menschen sprechen kann. Nur so werden wir dem neuen Faschismus
widerstehen und ihn überwinden.
Vorwort in: Die Rückkehr der Führer. Modernisierter Rechtsradikalismus
in Westeuropa. Hg. v. M. Kirfell/ W. Oswalt. Europaverlag, Wien 1991, S.
7ff.
Abgedruckt in: Robert Jungk: "...damit wir nicht untergehen...".
Ausgewählt u. herausgegeben von Matthias Reichl. Edition Sandkorn, Linz,
1992, S. 120ff.
Erhältlich nur bei: Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit,
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Tel. 06132-24590, e-mail: info @
begegnungszentrum.at, www.begegnungszentrum.at
http://www.begegnungszentrum.at/texte/jungk/jungk2-faschismus.htm
Nachbemerkung von Matthias Reichl (10.01.2007):
Robert Jungk wurde am 5.4.1992 - als parteifreier Kandidat der
österreichischen Grünen für das Amt des Bundespräsidenten - knapp vor
der Wahl das Opfer einer Politiklüge aus der rechten Ecke. Jörg Haider,
führender Kopf der FPÖ, beschuldigte Jungk, daß dieser Anfang der 40er
Jahre in Artikeln für die schweizerische Zeitung "Weltwoche" das "Dritte
Reich" Hitlers gelobt hätte. Haider im Fernsehinterview des ORF: "Also
eine Jubelbroschüre fürs Dritte Reich vom Herrn Jungk,
Präsidentschaftskandidat einer Partei, die immer so tut, als wäre sie
jenseits des Verdachts, irgendwelche faschistische Züge zu haben." Bis
der Oberste Gerichtshof die Forderungen Jungks voll bestätigte, Haider
müsse diese falschen Behauptungen widerrufen, war die Wahl längst
vorbei. Und in den Medien war das Echo auf den halbherzigen Widerruf mager.
(Ergänzung zum Info 775)
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Weitere Informationen in der Homepage der Robert-Jungk-Bibliothek für
Zukunftsfragen, Salzburg:
http://www.jungk-bibliothek.at
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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