[E-rundbrief] Info 750 - Peking Erklaerung Wirtschaftskrise
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Fr Okt 31 21:27:48 CET 2008
E-Rundbrief - Info 750 - Die Erklärung von Peking anlässlich des
ASEM-Gegengipfels des Asia-Europa People`s Forum; Die globale
Wirtschaftskrise als historische Chance für einen echten Wandel.
Einzelpersonen, soziale Bewegungen und NGOs plädieren in einer ersten
Stellungnahme für ein Programm für radikalen wirtschaftlichen Umbau.
Peking, 15. Oktober 2008. (Englisches Original - siehe Info 749).
Bad Ischl, 31.10.2008
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Die Erklärung von Peking anlässlich des ASEM-Gegengipfels des
Asia-Europa People`s Forum
Die globale Wirtschaftskrise als historische Chance für einen echten Wandel.
Einzelpersonen, soziale Bewegungen und NGOs plädieren in einer ersten
Stellungnahme für ein Programm für radikalen wirtschaftlichen Umbau.
Peking, 15. Oktober 2008.
Präambel
Das Transnational Institute und Focus on the Global South nutzten das
Asia-Europe People's Forum, zu dem viele Vertreter sozialer Bewegungen
in Peking zusammengekommen waren, um vom 13. bis 15. Oktober mehrere
informelle Nachtsitzungen abzuhalten. Dabei haben wir uns darüber
ausgetauscht, was die Ausweitung der weltweiten Wirtschaftskrise
bedeutet, und dass sie für uns Gelegenheit bietet, einige der
ermutigenden und realisierbaren Alternativen in die Öffentlichkeit zu
tragen, an denen viele von uns seit Jahrzehnten arbeiten. Diese
Erklärung ist das gemeinsam erarbeitete Ergebnis dieser Pekinger Nächte.
Wir ErstunterzeichnerInnen verstehen sie als einen ersten Beitrag und
als Versuch, Vorschläge zu formulieren, die unseren Bewegungen als
Grundlage für eine radikal andere politische und wirtschaftliche Ordnung
dienen können.
Bitte unterschreiben Sie diese Erklärung, indem Sie ihren Namen in der
englischen Version am Ende unter dem Abschnitt "comments" hinzufügen.
Die Krise
Das Weltfinanzsystem löst sich mit großer Geschwindigkeit auf. Dies
geschieht inmitten einer Vielzahl anderer Krisen rund um Nahrungsmittel,
Klima und Energie. Dadurch wird die Macht der USA und der EU und die
Macht der von ihnen dominierten globalen Institutionen wie
Internationaler Währungsfonds, Weltbank und Welthandelsorganisation,
massiv geschwächt. Es wird nicht nur das neoliberale Paradigma in Frage
gestellt, sondern die Zukunft des Kapitalismus insgesamt.
Das Chaos im Weltfinanzsystem ist so groß, dass die Regierungen im
Norden Maßnahmen ergriffen haben, die progressive Kräfte seit Jahren
fordern, wie zum Beispiel die Verstaatlichung von Banken. Allerdings ist
dieses Vorgehen als kurzfristige Stabilisierungsmaßnahme gedacht, und
sobald der Sturm vorüber ist, wird man die Banken wahrscheinlich wieder
dem Privatsektor überlassen. Wir haben also nur ein kurzes Zeitfenster,
um zu mobilisieren, damit das nicht geschieht.
Herausforderung und Chance
Diese Situation einer schweren Krise ist für uns Neuland -- die
Auswirkungen der Finanzkrise werden hart sein. Die Bevölkerungen werden
einem tiefen Unsicherheitsgefühl ausgeliefert, Elend und Not ärmerer
Menschen werden überall anwachsen. Wir dürfen jetzt das Feld nicht
faschistischen, rechten, populistischen und fremdenfeindlichen Kräften
überlassen, die mit Sicherheit versuchen werden, aus der Angst und der
Wut der Menschen Kapital für ihre reaktionären Ziele zu schlagen.
In den letzten Jahrzehnten sind kraftvolle Bewegungen gegen den
Neoliberalismus entstanden. Sie werden in dem Maße wachsen, wie eine
kritische Berichterstattung über die Krisen immer mehr Menschen
erreicht, die jetzt schon empört darüber sind, dass öffentliche Mittel
für die Behebung von Problemen zweckentfremdet werden, für die sie nicht
verantwortlich sind; und die jetzt schon besorgt sind angesichts der
ökologischen Krise und steigender Preise, vor allem bei Nahrungsmitteln
und Energie. Diese Bewegungen werden weiter an Kraft gewinnen, wenn die
Rezession ihre Zähne zeigt und die Volkswirtschaften in die Depression
abrutschen.
Doch jetzt ist eine neue Offenheit für Alternativen da. Diese müssen
konkret und umsetzbar sein, wenn sie die Menschen für sich gewinnen
sollen. Wir haben überzeugende Alternativlösungen, die schon auf den Weg
gebracht sind, und wir haben noch viele andere gute Ideen, die wir in
der Vergangenheit - noch ohne Erfolg - ausprobiert haben. Im Zentrum
unserer Alternativen steht das Wohlergehen der Menschen und ihres
Planeten. Das bedeutet, dass es eine demokratische Kontrolle über die
Finanz- und Wirtschaftsinstitutionen geben muss. Das ist sozusagen der
rote Faden, der sich durch diesen Katalog von Vorschlägen zieht.
Vorschläge zur Debatte, zur Weiterentwicklung und für konkretes Handeln
Finanzwesen
. Banken umfassend vergesellschaften, nicht nur faule Vermögenswerte
verstaatlichen.
. Bankinstitutionen schaffen, die in der Bevölkerung verankert sind und
bestehende basisnahe Ausleihsysteme stärken, die auf Gegenseitigkeit und
Solidarität beruhen.
. systematische, volle Transparenz im Finanzsystem schaffen durch die
Offenlegung der Bücher für die Öffentlichkeit, gewährleistet durch
Bürgerbewegungen und Arbeitnehmerorganisationen.
. das bestehende Bankensystem unter die Aufsicht von Parlamenten und
Bürgern stellen.
. bei der Vergabe von Krediten auch zu kommerziellen Zwecken
systematisch soziale (inkl. Arbeitsbedingungen) und ökologische
Kriterien anlegen.
. minimal verzinsliche Kredite für soziale und ökologische Zwecke und
zur Stärkung der derzeit schon wachsenden sozialen Wirtschaft müssen
Priorität haben.
. Umbau der Zentralbanken nach demokratisch festgelegten sozialen,
ökologischen und expansionsorientierten (d.h. rezessionshemmenden)
Kriterien zu Institutionen, die der Öffentlichkeit gegenüber
rechenschaftspflichtig sind.
. Schutz für die Geldüberweisungen von Migranten an ihre Familien und
gesetzlich festzulegende Einschränkung von Gebühren und Steuern auf
solche Transferzahlungen. Steuern
. Schließung aller Steuerparadiese.
. Abschaffung der Steuererleichterungen für fossile Brennstoffe und
Kernenergie- Unternehmen.
. Anwendung deutlich progressiver Steuertarife.
. Einführung eines internationalen Steuersystems, um Transfer Pricing
(gezielte Preisgestaltung eines Konzerns mit dem Ziel der
Steuervermeidung)und Steuerhinterziehung einen Riegel vorzuschieben.
. Einführung einer Abgabe auf die Gewinne verstaatlichter Banken zum
Aufbau von Bürgerfonds' (s. unten).
. Einführung ausgeprägt progressiver CO2-Besteuerung für alle diejenigen
mit den größten CO2-Fußabdrücken
. Kontrolle der spekulativen Finanzgeschäfte, z.B. über eine Tobin Tax.
. Wiedereinführung von Zöllen und Abgaben auf Luxusgüter und auf Waren,
die im Inland schon produziert werden: so wird das Finanzaufkommen des
Staates gestärkt und gleichzeitig die einheimische Produktion gefördert,
was eine Senkung des weltweiten CO2-Ausstoßes bewirkt.
Öffentliche Ausgaben und Investitionen
. Militärausgaben radikal kürzen.
. Öffentliche Ausgaben umschichten: weg von der Schuldenbefreiung von
Bankern, hin zur Sicherung von Grundeinkommen und Daseinsvorsorge und
zur Bereitstellung sozialer Grundleistungen für Alle, wie: Wohnung,
Wasser, Strom, Gesundheit, Bildung, Kinderbetreuung sowie Zugang zum
Internet und zu anderen Strukturen der öffentlichen Kommunikation.
. Bürgerfonds (s. oben) zur Unterstützung besonders armer Gruppen einsetzen.
. Menschen, die wegen der versäumten Zahlung von Hypothekenraten ihr
Haus zu verlieren drohen, müssen die Möglichkeit erhalten, ihre
Zahlungsbedingungen neu auszuhandeln.
. Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen stoppen.
. Zur Stärkung der Beschäftigung öffentliche Unternehmen schaffen, die
unter der Aufsicht von Parlamenten, lokalen Gemeinschaften bzw.
Beschäftigten stehen.
. Leistungsfähigkeit öffentlicher Unternehmen durch die Demokratisierung
der Betriebsführung verbessern -- Manager des öffentlichen Dienstes,
Mitarbeiter, Gewerkschaften und Verbraucherorganisationen dabei
unterstützen, in diesem Sinne zusammenzuarbeiten.
. Einführung partizipativer Haushaltsgestaltung im Bereich der
öffentlichen Finanzen auf allen machbaren Ebenen.
. Massive Investitionen in verbesserte Energieeffizienz,
umweltfreundliche öffentliche Verkehrsmittel, erneuerbare Energien und
in die Behebung ökologischer Schäden.
. Preiskontrolle oder -subventionierung für lebenswichtige Konsumgüter.
Internationaler Handel und Finanzen . Einführung eines weltweiten
Verbots von Leerverkäufen auf Aktien und andere Anteile.
. Verbot des Handels mit Derivaten
. Spekulationsverbot auf Grundnahrungsmittel . Streichung der Schulden
aller Entwicklungsländer. Diese Schulden steigen, weil durch die Krise
die Währungen der Länder des Südens fallen.
. Die Forderung der Vereinten Nationen unterstützen, in die Gespräche
über die Lösung der Krise eingebunden zu werden, die die
Volkswirtschaften des Südens sehr viel härter treffen wird als bisher
zugegeben wird.
. Weltbank, Internationalen Währungsfonds und Welthandelsorganisation
schrittweise abschaffen.
. US-Dollar als internationale Reservewährung auslaufen lassen.
. Eine basisnahe Untersuchungskommission einberufen, welche die
notwendigen Mechanismen für ein gerechtes internationales Währungssystem
formuliert.
. Dafür sorgen, dass Hilfsleistungen nicht infolge der Krise reduziert
werden.
. Abschaffung der neoliberalen Auflagen für die Entwicklungshilfe.
. Abschaffung neoliberaler Auflagen bei Hilfsmaßnahmen
. Überwinden des Paradigmas der exportorientierten Entwicklung;
stattdessen Neu- bzw. Wiederausrichtung nachhaltiger Entwicklung auf die
Produktion für den lokalen und regionalen Markt.
. Anreize für Produkte setzen, die zum ortsnahen Verkauf auf dem
einheimischen Markt bestimmt sind.
. Einstellung aller Verhandlungen für bilaterale Freihandelsabkommen und
wirtschaftliche Partnerschaften.
. Förderung von Zusammenschlüssen für regionale
Wirtschaftszusammenarbeit wie UNASUR, die Bolivarianische Alternative
für Amerika (ALBA), das Handelsabkommen der Völker (Tratado de Comercio
de los Pueblos TCP), die echte Entwicklung und die Beseitigung der Armut
voranbringen. Umwelt
. Einführung eines internationalen Entgeltsystems für Länder, die im
Interesse des globalen Klimaschutzes auf die Ausbeutung fossiler
Brennstoffe verzichten, im Sinne des ecuadorianischen Vorschlags.
. Entschädigungszahlungen an die Länder des Südens für die vom Norden
verursachten ökologischen Schäden, um die Völker des Südens dabei zu
unterstützen, den Klimawandel und andere ökologische Katastrophen zu
bewältigen.
. Strenge Anwendung des Vorsorgeprinzips im Sinne der UN-Erklärung über
das Recht auf Entwicklung; es muss Bedingung für alle Entwicklungs- und
Umweltprojekte werden.
. keine weiteren Kredite für Projekte des so genannten "Mechanismus für
saubere Entwicklung" im Rahmen des Kyoto- Protokolls, die
umweltschädlich sind, wie zum Beispiel der Anbau von Eukalyptus, Soja
und Palmöl in Monokultur.
. Entwicklungsstopp für Emissionshandel und andere ökologisch
kontraproduktive technische Pseudolösungen ("TechnoFix"- Konzepte) wie
CO2-Abtrennung und - Endlagerung, Agrartreibstoffe, Kernkraft und
"saubere Kohle".
. Entwicklung von Strategien zur radikalen Drosselung des Konsums in den
reichen Ländern, bei gleichzeitiger Förderung nachhaltiger Entwicklung
in ärmeren Ländern.
. Einführung demokratischen Managements für alle internationalen
Finanzierungsinstrumente zur Bekämpfung des Klimawandels, unter starker
Beteiligung der Länder des Südens und der Zivilgesellschaft.
Landwirtschaft und Industrie
. Abwendung vom schädlichen Paradigma der industriezentrierten
Entwicklung, das dazu führt, dass der ländliche Raum ausgepreßt wird, um
die notwendigen Ressourcen für Industrialisierung und Verstädterung zur
Verfügung zu stellen.
. Förderung landwirtschaftlicher Strategien, die auf
Nahrungsmittelsicherheit, Ernährungssouveränität und nachhaltigen
Landbau setzen.
. Unterstützung von Bodenreformen und anderen Maßnahmen, die die
kleinbäuerliche Landwirtschaft fördern und ländliche und indigene
Gemeinschaften unterstützen.
. Ausbreitung sozial und ökologisch zerstörerischer
Monokultur-Unternehmen stoppen.
. Reformen des Arbeitsrechts stoppen, die auf die Verlängerung der
Arbeitszeiten, die Lockerung von Kündigungsvorschriften oder die
Einschränkung von Arbeitnehmerrechten abzielen.
. Schaffung sicherer Arbeitsplätze durch das Verbot prekärer Billigarbeit.
. Frauen gleichen Lohn für gleiche Arbeit garantieren -- als
grundlegendes Prinzip und auch um die kommende Rezession aufzufangen,
indem die Kaufkraft der Arbeitnehmer gestärkt wird.
. Die Rechte von Arbeitsemigranten, die ihren Arbeitsplatz verlieren,
schützen und für ihre sichere (freiwillige) Rückkehr und
Wiedereingliederung in die Heimatländer sorgen. Die Menschen, die nicht
zurückkehren können, dürfen nicht dazu gezwungen werden; ihre Sicherheit
soll gewährleistet sein, und sie sollten Beschäftigung oder ein
Grundeinkommen erhalten.
Schlussbemerkung
All dies sind praktische, konkrete, vernünftige Vorschläge. Einige
entsprechen Initiativen, die schon im Gang sind und sich bewährt haben.
Ihre Erfolge müssen öffentlich und einem breiten Publikum bekannt
gemacht werden, damit sie Nachahmung finden. Andere Vorschläge werden
sich kaum einfach aufgrund ihrer objektiven Vorzüge verwirklichen
lassen. Politischer Wille ist gefragt. Implizit ist damit jeder
Vorschlag ein Aufruf zum Handeln. Dieses Dokument ist als lebendige
Arbeitsgrundlage zu verstehen, die von uns allen weiter entwickelt und
ausgearbeitet werden kann und soll.
Bitte unterschreiben Sie die Erklärung. Eine nächste Gelegenheit,
gemeinsam an den Maßnahmen zu arbeiten, die notwendig sind, um diese und
andere Ideen Wirklichkeit werden zu lassen, wird das Weltsozialforum in
Belem in Brasilien Ende Januar 2009 bieten.
Wir haben die Erfahrung und die Ideen -- wir sollten die derzeit
herrschende Unordnung als Herausforderung und Anstoß sehen und den
Schwung nutzen, um eine echte Alternative auf den Weg zu bringen!
http://casinocrash.org/?p=235#more-235
Übersetzung: http://www.coorditrad.attac.org
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
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fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
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