[E-rundbrief] Info 739 - Friedensaktivist Ernst Schwarcz gestorben

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Fr Okt 10 18:18:21 CEST 2008


E-Rundbrief - Info 739 - Matthias und Maria Reichl: Der Wiener 
Friedensaktivist Ernst Schwarcz hat heute Nacht (10.10.08) seinen 
Frieden im Jenseits gefunden; Nachrufe des Wiener Friedensbüros und des 
Internationalen Versöhnungsbundes, Österr. Zweig; Ernst Schwarcz: Rede 
beim Hiroshimatag 2007 in Wien.

Bad Ischl, 10.10.2008

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

================================================

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Der Wiener Friedensaktivist Ernst Schwarcz hat heute Nacht (10.10.08) 
seinen Frieden im Jenseits gefunden. Im Diesseits waren wir mit ihm seit 
fast vierzig Jahren freundschaftlich verbunden. In den letzten Dekade 
war es vor allem das Solidaritätsengagement für palästinensische und 
israelische Friedensaktivisten, vor allem auch mit Mordechai Vanunu, dem 
mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichneten Atom(bomben)gegner.

Vor genau drei Monaten, am 10.7.2008 traf ich (Matthias)ihm in einem 
Wiener Cafe zum letzten Mal. Er gab mir eine Kopie seines unvollendeten 
letzten Buchmanuskriptes "Wie wird unsere Zukunft ausschauen? Eine 
Realutopie für das 21. Jahrhundert". Das letzte, vollständige Kapitel 
(aus dem Juli 2007) titelt "Das Schlaraffenlandsyndrom - und die 
kommende neue Welt" mit dem Untertitel "Von der Wichtigkeit, in kurzer 
Zeit möglichst reich zu werden". Darin stellt er den hoffenden Erich 
Fromm dem pessimistischen slowenischen Philosophen (und ehemaligen 
Staatspräsidenten) Janez Drnovsek gegenüber.

Wir waren uns einig, dass diese Entwicklungen und Prozesse unweigerlich 
in einer Katastrophe münden müssen - aus "Fusion" wird "Konfusion". So 
war unser Abschied - bei aller Freude über unser Zusammensein - ein 
bedrückend endgültiger.

Unser Freund Ernst nützte in seinen letzten Jahren auch das Internet um 
den rasanten Entwicklungen seine Antworten und Warnungen entgegezusetzen 
und auch um mit ähnlich Engagierten gemeinsam Solidaritätsinitiativen zu 
unterstützen. Darin waren auch wir mit ihm eng verbunden.

Wir schließen die Nachrufe des Wiener Friedensbüros und des 
Internationalen Versöhnungsbundes an - und die (letzte) Rede von Ernst 
Schwarcz beim Hiroshimatag 2007 - seine Warnung vor dem Wahnsinn von 
Kriegen jeder Art.

Wir danken dem Ernst für seine Unterstützung unserer Arbeit und werden 
in seinem Sinne weiter aktiv sein - so lange unsere Kräfte reichen.

Matthias und Maria Reichl
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit, Bad Ischl


----------------------------------------------

die Nachricht vom Internationalen Versöhnungsbund über den Tod des 
unermüdlichen Friedensaktivisten Prof. Ernst Schwarcz macht uns traurig.

Er war eine große Persönlichkeit der Friedensbewegung  und ein 
aufrechter Kämpfer für Frieden, Abrüstung und Gewaltfreiheit.

Mit seinem Engagement war, ist und bleibt er uns ein Vorbild, seine 
Anliegen - wie er sie zum Beispiel in den Reden am Hiroshimatag auf dem 
Wiener Stephansplatz formulierte - sind uns Vermächtnis und Auftrag.

Mit traurigen Friedensgrüßen!

Andreas Pecha und Alois Reisenbichler
Wiener Friedensbüro


Liebe Freundinnen und Freunde!

Leider müssen wir euch die traurige Mitteilung machen, dass Ernst
Schwarcz heute Nacht im 86. Lebensjahr verstorben ist.
Unser Beileid gilt seiner Familie - seiner Frau, seinen Töchtern und
Enkelkindern.

Mit Ernst ist eine ganz große Stütze des Versöhnungsbundes und der
Friedensbewegung von uns gegangen.

Trotz - oder besser wegen - seiner schlimmen Erfahrungen in der Jugend
hat sich Ernst als Quäker und Verleger sein Leben lang für Frieden,
Gewaltfreiheit und Abrüstung eingesetzt.

Ernst war jahrzehntelang Mitglied im österreichischen Versöhnungsbund.
Trotz fortgeschrittenen Alters übernahm Ernst von 1996 bis 2001 den
Vorsitz des VB und begeleitete die Arbeit des Büroteams engagiert und
mit viel Liebe. Seit 2002 war Ernst Ehrenvorsitzender des
österreichischen VB und engagierte sich weiterhin intensiv für das so
wichtige Anliegen der Abrüstung. Mit seinem Buch "Zeitenwende - Entweder
es gelingt der Menschheit, alle Kriege abzuschaffen oder es wird den
Kriegen gelingen, die Menschheit abzuschaffen" hinterlässt Ernst eine
eindringliche Mahnung, der Aufrüstung, dem Krieg, jedoch insbesondere
der Bedrohung durch Atomwaffen, Widerstand entgegen zu setzen und Wege
des friedlichen Zusammenlebens der Menschheit zu suchen.

Ernst war Pazifist aus ganzem Herzen - das Leid der Menschen durch Krieg
und Armut ging ihm sehr nahe - so nahe, dass es seine Gesundheit oft
belastete. Wir glauben fest daran, dass er nun den Frieden gefunden hat,
den er sich für die Welt so sehr wünschte.

Herbert Peherstorfer
für den Vorstand des Versöhnungsbundes

Irmgard Ehrenberger und Pete Hämmerle
für das Büroteam

Im Sinne von Ernst senden wir euch im Anhang seine Rede beim
Hiroshima-Tag am 6. August 2007.


Erinnerung an Hiroshima - 62 Jahre später
Rede am 6. August 2007 am Wiener Stephansplatz
Prof. Ernst Schwarcz
Internationaler Versöhnungsbund - Österreichischer Zweig



Gestatten Sie mir bitte, dass ich meine heutige Rede mit einer Anekdote 
über Albert Einstein beginne. Einstein wurde gefragt, ob er sagen könne, 
mit welchen Waffen ein möglicher dritter Weltkrieg geführt werden würde. 
Er antwortete, das könne er leider nicht sagen. Was er aber mit größter 
Bestimmtheit sagen könne ist, wie ein vierter Weltkrieg geführt werden 
wird, nämlich mit Knüppeln und Keulen.

Diese kleine Anekdote des am 18. April 1955 verstorbenen weltberühmten 
Nobelpreisträgers zeigt in ihrer Kürze, in welcher kritischen und in der 
bisherigen Weltgeschichte noch nie da gewesenen Situation sich die 
heutige Menschheit befindet. Gelingt es den derzeit regierenden 
Politikern nicht, den seit dem Kalten Krieg schon immer möglich 
gewesenen dritten Weltkrieg zu vermeiden, so ist das unvermeidliche 
Schicksal der ganzen Menschheit der Weltuntergang.

Alle wissen, dass das Führen von Kriegen schon vor ihrem Beginn eine 
möglichst hohe militärische Bereitschaft der jeweils kriegführenden 
Staaten durch systema-tische Aufrüstung voraussetzt. So wäre der Erste 
Weltkrieg vielleicht gar nicht ausgebrochen, wenn nicht schon zwanzig 
Jahre vor 1914 ein Wettrüsten in Bezug auf die Flottenstärken 
Deutschlands und Englands begonnen hätte. Damals ist der Flottenadmiral 
Tirpitz an den deutschen Kaiser Wilhelm herangetreten, um ihn zur 
intensiven Aufrüstung der deutschen Flotte zu überreden. In den zwanzig 
Jahren bis zum Kriegsausbruch 1914 ist der Bestand der deutschen 
Kriegsflotte von 190.000 Tonnen auf 1,305.000 Tonnen angewachsen, 
während die Tonnage des Kriegsgegners England in der gleichen Zeitspanne 
von 679.000 Tonnen auf 2,714.000 Tonnen angewachsen war. Also war die 
englische Flottenstärke 1914 "nur" viermal so groß wie zwanzig Jahre 
vorher, die deutsche Flottenstärke war aber fast siebenmal so groß.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gelten völlig andere Maßstäbe für 
die Vor-bereitung neuer Kriege. Jetzt wird mit "absoluten 
Vernichtungskapazitäten" durch den jederzeit möglichen Einsatz der 
allermodernsten Waffen - besonders von Atomwaffen - in einem 
Nullsummenspiel auf dem Schachbrett der Gegenwarts-geschichte Poker 
gespielt. - Das Wort Nullsummenspiel bedeutet, dass es in einem 
kommenden großen Krieg keine Sieger in herkömmlichem Sinn mehr geben 
wird; alle werden am Ende Verlierer sein!

Schauen wir uns die aktuellsten - erst am 12. Juni dieses Jahres 
veröffentlichten - Zahlen des schwedischen Friedensforschungsinstitutes 
SIPRI über die weltweiten Rüstungsausgaben (entnommen dem SIPRI-Jahrbuch 
2007) an: Betrugen die Militärausgaben aller Staaten der Welt im Jahr 
2003 "erst" 879 Milliarden US-Dollar, so haben sie sich bis zum Jahr 
2006 - in nur drei Jahren(!) ? um mehr als ein Drittel, nämlich um 36,6 
Prozent auf 1,2 Billionen Dollar erhöht. SIPRI stellt fest, dass die 
Militärausgaben der USA im Jahr 2006 528,7 Milliarden Dollar betragen 
haben, was 46 Prozent der weltweiten Militärausgaben entspricht. - Im 
globalen Durchschnitt wurden pro Kopf der Weltbevölkerung im Jahr 2006 
184 Dollar für militärische Zwecke ausgegeben; die entsprechende 
Kopfquote nur für die amerikanische Bevölkerung beträgt 1.756 Dollar - 
ein Betrag, der das Jahres-einkommen hunderter Millionen Menschen in der 
Dritten Welt beträchtlich übersteigt.

Wenn nicht manche Großmächte eine unverantwortliche Politik - gepaart 
mit der Unfähigkeit zur objektiven Beurteilung historischer und 
aktueller Gegebenheiten - betreiben würden, könnte vielleicht der 
Einfluss der jeweiligen Generalstäbe zurückgedrängt werden. Diese 
behaupten nämlich, dass die Realisierung gewisser militärischer Pläne 
für die weitere Existenz ihres Landes von überragender Bedeutung ist. 
(Wobei es selbstverständlich auch um lukrative Wirtschaftsaufträge und 
geopolitische Interessen - besonders um Erdöl - geht.)

Das aktuellste Beispiel für ein solches wahrhaftig "verantwortungsloses" 
militäri-sches Projekt ist das geplante US-amerikanische 
Raketenabwehrsystem in Ost-europa, das sowohl in den USA wie in der EU 
heftig umstritten ist. Es führt schon seit vielen Monaten zur 
politischen Verstimmung zwischen Russland und den USA. Mit der 
fadenscheinigen Begründung, es handle sich doch bloß um ein 
Abwehr-system gegen nordkoreanische und iranische Raketen (die es von 
Seiten des Iran frühestens in fünf Jahren geben könnte, von Seiten 
Nordkoreas aber wahrschein-lich überhaupt nie geben wird) sollen in 
Polen zehn Abfangraketen aufgestellt und im benachbarten Tschechien 
Radaranlagen errichtet werden.

Gegen diese Pläne hat der russische Präsident Wladimir Putin schon im 
April 2007 Einspruch erhoben und damit gedroht, seinerseits die beiden 
1990 und 1999 beschlossenen internationalen Verträge über die Begrenzung 
der konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE) aufzukündigen. Diese 
Verträge waren ein wichtiges Resultat zur Beendigung des Kalten Krieges 
zwischen Ost und West. ? Und Putin hat schließlich am 14. Juli 2007 
seine Drohung wahrgemacht und die Verträge ausgesetzt!

Der Widerstand Russlands ist deshalb durchaus verständlich, weil die in 
Tschechien geplanten Radaranlagen der amerikanischen Armee die 
Möglichkeit einer genauen Beobachtung aller Bewegungen des Militärs in 
fast ganz Russland ergeben würde. Und obendrein könnten bei einem 
möglichen Kriegsfall die in Polen stationierten amerikanischen 
Atomraketen auf kürzeste Distanz und ohne Vorwarnung gegen Ziele in 
Russland abgeschossen werden. Diese Beschlüsse von Präsident George W. 
Bush und seiner Administration wurden bei vollem Wissen über die 
faktische Parität der Zahl von jeweils sofort einsatzbereiten Atomwaffen 
beider Seiten, und zwar in Russland 5.682, in den USA 5.521, gefasst.

Die hier von mir geäußerte Kritik an diesem gegenwärtigen Trend der 
amerikanischen Außenpolitik schließt nicht eine berechtigte Kritik auch 
an den heutigen Trends der Politik Russlands aus. Die russische 
Militärpolitik in Tschetschenien und gegenüber den ehemaligen Staaten 
der Sowjetunion im Kaukasus ist kein Ruhmesblatt für die russische 
Geschichte. Ebenso ist auch die Demonstration der neuen wirtschaftlichen 
Macht Russlands als Folge seines Erdöl- und Erdgas-reichtums fast 
gleichzusetzen mit den US-Machtdemonstrationen für die weltweiten 
amerikanischen Erdölinteressen.

Die hier von mir aufgezählten Fakten zeigen die Gefahren eines jederzeit 
möglichen dritten Weltkrieges auf! - Ich stelle die Frage: Werden sich 
die Völker der Welt wieder wie 1914 und 1939 auf die Schlachtbank - 
diesmal eines absoluten Vernichtungskrieges ? führen lassen? Ich rufe 
alle Menschen guten Willens auf: Lasst uns gegen die verantwortungslose 
Politik einiger "großer Staatsmänner" gewaltfreien Widerstand leisten!

Wien, 6. August 2007

-- 

Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) Sparkasse Bad Ischl,
Geschäftsstelle Pfandl
IBAN: AT922031400600970305 BIC: SKBIAT21XXX




Mehr Informationen über die Mailingliste E-rundbrief