[E-rundbrief] Info 699 - L. Boff: Mayas und Zivilisationskrise

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Di Jul 15 14:05:58 CEST 2008


E-Rundbrief - Info 699 - Leonardo Boff (Brasilien): Welche Antworten 
haben die alten Mayas auf die Krise unserer Zivilisation? (IPS)

Bad Ischl, 15.7.2008

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Welche Antworten haben die alten Mayas auf die Krise unserer Zivilisation?

Von Leonardo Boff (*)

RIO DE JANEIRO, (IPS) -- Die Zeichen  vermehren sich und sprechen eine 
klare Sprache: Die Erde kann die verstärkte Ausbeutung ihrer Ressourcen, 
die Entwürdigung ihrer Kinder, die Ausgrenzung von Millionen von 
Menschen und deren Verurteilung zum Hunger, einfach nicht länger ertragen.

Der britische Historiker Eric Hobsbawm bemerkte in seinem viel zitierten
Buch "Das Zeitalter der Extreme" sehr treffend: "Die Zukunft kann nicht 
die Fortsetzung der Vergangenheit sein, denn unsere Welt läuft sonst das 
Risiko, zu explodieren oder zu implodieren. Es muss sich ganz einfach 
etwas ändern, da die Alternative nur die Dunkelheit ist."

Wie kann diese Dunkelheit vermieden werden, die zum Untergang unserer
Zivilisation führen kann - und vielleicht sogar das Armageddon der 
Spezies Mensch bedeutet? Wir sollten uns unbedingt mit anderen 
Zivilisationen beschäftigen -- sie können uns einiges in Sachen 
ökologischer Weisheit lehren. Es gibt viele solcher Kulturen, aber ich 
habe die der Mayas ausgesucht, weil ich erst kürzlich zu Besuch in 
Zentralamerika war, wo die Nachfahren dieser außergewöhnlichen 
Zivilisation leben. Ich habe mich lange und ausführlich mit Weisen, 
Priestern und Schamanen unterhalten.

  Aus dem reichen Fundus möchte ich nur drei zentrale Punkte 
herausheben, die in unserem Lebensstil auffallend fehlen: Die 
harmonische Kosmovision mit allen Lebewesen, die faszinierende 
Anthropologie, in der das Herz im
Mittelpunkt steht und der Sinn menschlicher Arbeit.

Die alt hergebrachten Weisheiten der Mayas haben sich durch mündliche
Übertragungen von Eltern auf die Kinder erhalten können. Da sie stets 
neben der modernen Kultur mitgeführt wurden, sind die alten Traditionen 
und Lehren treu als kulturelles Erbe gehütet und gepflegt worden -- 
bestätigt auch in Schriften wie "Popol-Vuh" und den Büchern von Chilam 
Balam. Dabei muss ich feststellen, dass die grundlegende Intuition ihrer 
Kosmovision der modernen Kosmologie und der Quantenphysik recht nahe kommt.

Das Universum ist aufgebaut und wird zusammengehalten von kosmischen
Energien ausgehend vom Erschaffer und Erhalter des Ganzen. Was in der 
Natur existiert, ist aus der Liebe zwischen dem Herzen des Himmels und 
dem Herzen der Erde entstanden. Die Mutter Erde ist ein Lebewesen, das 
pulsiert, spürt, erahnt, arbeitet -- sie schafft und ernährt alle ihre 
Kinder. Der grundlegende Dualismus zwischen Erzeugung und Zerfall (wir 
würden dazu "Chaos und Kosmos" sagen) schafft die Dynamik des gesamten 
Universums als Prozess. Das Wohlbefinden wird erreicht, wenn der Mensch 
sich mit diesem Prozess in Einklang befindet und von einem tiefen 
Respekt gegenüber jedem Lebewesen durchdrungen ist. So fühlt sich der 
Mensch als gleich gesinntes Teil der Mutter Erde und kann ihre Schönheit 
und ihren Schutz genießen. Der Tod widerspricht dem nicht, sondern ist 
nur eine noch tiefere Einbindung im Universum.

Aus der Sicht der Mayas sind die Menschen "die Aufgeklärten, die 
Suchenden der Existenz". Berichtenswert ist da ein Auszug aus einem Text 
von Popol Vuh über die Erscheinung des Menschen: "Es wird Licht werden, 
eine Dämmerung im Himmel und auf Erden - denn es kann keine Glorie und 
keine Größe in unserer Schöpfung geben, bis der Mensch erscheint".

Um seine Vollendung zu erreichen, muss der Mensch drei Werdegänge
durchlaufen -- es handelt sich dabei um einen wahrhaftigen
Individuierungsprozess, wie ihn der Schweizer Psychoanalytiker C. G. 
Jung beschrieben hat. Die "Person aus Lehm" kann zwar reden, hat aber 
keine Konsistenz, denn das Wasser löst sie auf. Sie entwickelt sich und 
kann eine "Person aus Holz" werden. Dann hat sie Verstand aber keine 
Seele, weil sie rigide und unsensibel ist. Letztendlich erreicht der 
Mensch die Phase der "Person aus Mais", dann "weiß er, was nah und was 
weit weg" ist, sein Hauptmerkmal ist jedoch, dass er jetzt ein Herz 
besitzt. Deshalb kann er auch "ganz genau das Universum, die Quelle des 
Lebens, fühlen und wahrnehmen": Sein Herz schlägt im Rhythmus des 
Herzens des Himmels und des Herzens der Erde.

Das Wesentliche des Menschseins ist im Herz -- das Gleiche behaupten 
schon lange Denker wir M. Maffesoli, D. Goleman, A. Cortina und ich 
selbst. Es findet sich in der herzlichen Intelligenz und im sensiblen 
Verstand. Es geht aber nicht darum, dem analytischen und rechnenden 
Verstand abzuschwören, sondern diesen zu ergänzen, zu vergrößern, damit 
unser Vermögen zu verstehen, breiter und reicher wird. Durch die 
Gewichtung auf diese anderen Formen der Rationalität schaffen wir Raum, 
damit Werte wie Fürsorge, Liebe, Mitgefühl und Respekt entstehen, ohne 
die wir das bedrohte System des Lebens nicht retten können.

Der dritte Aspekt der Weisheit der Mayas betrifft die Arbeit und ist
besonders aufklärend für unsere Kultur. Für uns ist Arbeit hauptsächlich 
die Produktion von Gütern und Reichtum. Die besten Stunden des Tages 
widmen wir der Arbeit, die meistens sogar enttäuschend und wenig kreativ 
ist. Für die Mayas ist menschliche Arbeit, eine Hilfestellung für die 
Mutter Erde, die uns alles gibt, was wir zum Leben brauchen. Wenn uns 
etwas fehlt, dann helfen wir ihr, genug für uns alle zu produzieren. 
Wenn dieses Ziel erreicht ist, dann können sich die Menschen anderen 
Dingen widmen, wie dem Zusammenleben in der Gemeinschaft, der Pflege der 
Wohnungen, der Straßen und der Tempel, und z.B. der Kunst.

Die Arbeit ist für die Mayas eine Tätigkeit, die den Menschen nicht
versklavt, sondern sie erlaubt ihm, seine Fertigkeiten auszudrücken und 
sein Leben zu gestalten. Diese Lebensweisheit hat seine ganz besondere 
Gültigkeit in der kritischen Situation unserer Geschichte. Alles was uns 
hilft, das Gleichgewicht der Erde und ihre Fruchtbarkeit zu 
unterstützen, sollte anerkannt und übernommen werden - als eine Form der 
Regeneration und Rettung.

(ENDE/trad fnf/mjr/COPYRIGHT IPS)

(*) Leonardo Boff, Brasilianischer Schriftsteller, Befreiungstheologe 
und Ko-Autor und Sprecher der "Charta der Erde"

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     Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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