[E-rundbrief] Info 697 - Rb 129 - V. Shiva: Biosprit

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Mi Jul 2 12:12:52 CEST 2008


E-Rundbrief - Info 697 - Rb. 129 - Vandana Shiva: Klimakatastrophe und 
Biosprit. Eine Medizin schlimmer als die Krankheit.

Bad Ischl, 2.7.2008

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Klimakatastrophe und Biosprit

Eine Medizin schlimmer als die Krankheit

Von Vandana Shiva (*)

NEW DELHI, (IPS) - Im Jahr 2008 kann niemand mehr leugnen, dass ein vom 
Menschen verursachter Klimawechsel stattfindet. Trotzdem sind die 
bisherigen Vereinbarungen zur Milderung dessen Auswirkungen und zur 
Unterstützung der am meisten betroffenen Regionen noch ungenügend. Das 
Desaster wird nicht offen eingestanden.

Um Klimaschwankungen einzudämmen braucht man substanzielle Veränderungen 
der vorherrschenden Produktions- und Konsummuster. Die Globalisierung 
hat die Produktion wie auch den Konsum weit und breit angeheizt und 
somit die Emissionen von Kohlenstoffdioxid erhöht. Die Normen der 
Welthandelsorganisation (WTO) zur Handelsliberalisierung zwingen die 
Nationen auf einen Entwicklungspfad der zu erhöhten Emissionen führt. 
Das gleiche gilt für die Weltbank, deren ungebremste Kreditvergabe für 
den Bau von Autobahnen, thermischen Kraftwerken, agroindustriellen 
Anlagen und den Kauf von Produkten der großen Konzerne, geradezu alle 
Länder darauf drängt, mehr Treibhausgase in die Atmosphäre abzulassen.

Die Verantwortung tragen auch Großkonzerne wie z. B. Cargill und 
Walmart. Der Agrarkonzern Cargill ist ein Schlüsselakteur bei der 
Ausbreitung der Sojapflanzungen in Brasilien und der Palmölplantagen in 
den Regenwäldern von Indonesien und trägt somit volle Verantwortung für 
die erhöhten Emissionen und die Brandrodungen der Wälder. Das Modell des 
Supermarktkonzerns Walmart, das auf der Basis einer zentralisierten 
Einzelhandelsversorgung über große Entfernungen funktioniert, ist ein 
unfehlbares Rezept für die Belastung der Atmosphäre mit Kohlenstoffdioxid.

Der erste Schritt zur Verminderung der Klimakatastrophe muss daher die 
realen Faktoren analysieren und die realen Akteure benennen, die zu 
dieser Krise geführt haben. Was meine ich unter realen Faktoren? Das 
sind Produktionsweisen, die im Gegensatz zur ökologischen Landwirtschaft 
und zur lokalen Produktion von Nahrungsmitteln stehen. Die realen 
Akteure, mit denen wir uns beschäftigen müssen, sind ganz offensichtlich 
das ins Gigantische gewachsene globale Agrogeschäft, die WTO und die 
Weltbank. Zu den realen Faktoren, die uns Sorge machen, gehört die 
systematische Zerschlagung der traditionellen landwirtschaftlichen 
Produktionsweisen, mit ihren niedrigen Emissionen, durch die rasante 
Ausbreitung von planwirtschaftlich konzipierten Urbanisierungen durch 
riesige Baukonzerne. Zerschlagen werden auch die nachhaltigen 
Transportsysteme auf der Basis erneuerbarer Energie und öffentlicher 
Verkehrsmitteln durch die Ausbreitung des Individualverkehrs mit Pkws. 
Die realen Akteure hinter diesen Übergängen zu unhaltbaren 
Mobilitätsstandards sind die Erdölindustrie und dieAutomobilkonzerne.

Im 'Kyoto-Protokoll' sind Maßnahmen zur direkten Eindämmung von 
Aktivitäten, die schädliche Emissionen verstärken, völlig ausgeklammert 
worden. Man hat sich auch der politischen Herausforderung nicht 
gestellt, Normen gegen die Umweltvergifter zu schaffen und sie dafür 
bezahlen zu lassen - so wie es auf dem Umweltgipfel 1992 vereinbart 
worden war. Statt dessen wurde in Kyoto ein Mechanismus des Handels mit 
Emissionsrechten ins Leben gerufen, der die Vergifter begünstigt. Den 
Umweltverschmutzern wurden Rechte an der Atmosphäre eingeräumt und die 
Möglichkeit gegeben, ihre Rechte auf Umweltverschmutzung zu 
kommerzialisieren. Gegenwärtig werden auf dem Emissionsrechte-Markt 30 
Milliarden Dollar umgesetzt - dabei wird geschätzt, dass es noch leicht 
eine Billion Dollar werden könnten.

Eine andere falsche Lösung für den Klimawandel ist die Förderung von 
Biotreibstoffen, die auf der Basis von Mais, Soja, Palmöl und Jatropha 
produziert werden.

Biobrennstoffe aus Biomasse sind noch immer die wichtigsten Brennstoffe 
der Armen in dieser Welt. Diese Energie dient z. B. zum Kochen und 
stammt von nicht essbarer Biomasse wie getrockneter Kuhdung, Gemüse- und 
Holzresten aus den Gemeindewäldern u. ä.

Industrielle Biotreibstoffe jedoch sind keine Brennstoffe der Armen, 
weit eher sind es solche, die ihre Nahrungsmittel in Hitze, Elektrizität 
und Transport verwandeln. Flüssige Biobrennstoffe, insbesondere Ethanol 
und Biodiesel, sind zu rasant wachsenden Industriezweigen geworden, 
getrieben von der Suche nach Alternativen zu fossilen Brennstoffen, aus 
Angst vor dem Versiegen der Erdölquellen bzw. wegen den CO2 Emissionen.

Der US-Präsident George W. Bush hat Ende Dezember vergangenen Jahres 
eine gewaltige Anhebung der Produktion von Biobrennstoffen bis zum Jahr 
2020 versprochen. Ein solches Wachstum würde die Nachfrage und die 
Preise für Getreide so stark nach oben treiben, dass es die Armen aus 
den Nahrungsmittelmärkten rausdrängen würde.

Industrielle Biobrennstoffe werden fälschlicherweise gefördert  - als 
erneuerbare Energiequelle und als Mittel zur Verminderung der Emissionen 
von Treibhausgasen - obwohl die Verarbeitung ganzer Ernten von Soja, 
Mais und Palmöl in flüssige Treibstoffe das Klimachaos und die CO2 
Belastung ganz gravierend verschärfen könnte.

Die Rodung von Wäldern, um neue Soja- und Palmölplantagen anzubauen, 
führt eindeutig zu einer Erhöhung der CO2 Emissionen. Die für die 
Landwirtschaft zuständige UN-Organisation FAO schätzt dass 25 bis 30 % 
der Treibhausgase, die jährlich in die Atmosphäre abgegeben werden, 
durch die wachsende Vernichtung der Wälder entstehen. Die Produktion von 
Biotreibstoffen könnte bis zum Jahr 2022, so wird befürchtet, 98 % der 
indonesischen Regenwälder auf dem Gewissen haben.

Auch am Fall der USA geht die Rechnung nicht auf. Laut 
Regierungsvorhaben sollten 20 % der Maisernte für die Ethanolproduktion 
verwendet werden. Das damit produzierte Ethanol könnte aber nur 1 % des 
Erdölkonsums ersetzen. Würde die ganze Maisernte für die 
Ethanolproduktion eingesetzt werden, dann könnten auch nur 5 % des 
gegenwärtigen Erdölverbrauchs ersetzt werden. Also kann kaum behauptet 
werden, dass hier eine Alternative vorliegt, um ein befürchtetes 
Versiegen des Erdöls zu begegnen - ganz sicher auch kein Mittel im Kampf 
gegen den Klimawandel.

Diese falschen Lösungen werden nur zu einer Verschärfung der Klimakrise 
führen und die Ungerechtigkeit, den Hunger und die Armut in der Welt 
erschlimmern.

(ENDE/trad fnf/COPYRIGHT IPS)

ips - inter press service - die globale Nachrichtenagentur

(*) Vandana Shiva, Biologin, Umweltaktivistin, Schriftstellerin und 
Alternative Nobelpreisträgerin.

(Siehe auch E-Rundbrief-Infos 611, 624, 656 im 
www.begegnungszentrum.at/archiv/)

Appelle und Informationen:

In Österreich: "Brot auf die Teller und nicht in die Tanks" 
www.nachhaltig.at/agrosprit/

In Deutschland: www.regenwald.org/protestaktion. php?id=248

International: www.biofuelwatch.org.uk/

OECD-Studie: 
www.foeeurope.org/publications/2007/OECD_Biofuels_Cure_Worse_Than_Disease_Sept07.
pdf

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     Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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