[E-rundbrief] Info 694 - Rb 129 - Grundeinkommen
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Di Jul 1 17:57:57 CEST 2008
E-Rundbrief - Info 694 - Rb. 129 - Matthias Reichl: Für ein
bedingungsloses Grundeinkommen.
Bad Ischl, 1.7.2008
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Für ein bedingungsloses Grundeinkommen
Erfahrungsbericht von Matthias Reichl aus 26 Jahre Engagement für ein
Grundeinkommen
Befreiung der Frauen von ökonomischer Abhängigkeit
Ich wurde erstmals 1982 im Leitungsgremium der "Alternativen Liste
Österreich" von Feministinnen mit der Forderung nach einem
"Grundeinkommen" (bzw. "Basislohn") - unabhängig von einem
Dienstverhältnis - konfrontiert. Dabei ging es ihnen primär um die
Befreiung nicht-erwerbstätiger (Haus-)Frauen aus ihrer finanziellen
Abhängigkeit vom Ehemann. Und weiters um die Grundversorgung von
Alleinerzieherinnen und geschiedenen Frauen. Diese Grundproblematik
besteht im Wesentlichen unverändert.
Grundabsicherung gegen ökonomische Krisen - Schutz vor (a)sozialer
Repression
Oppositionelles politisches und soziales Engagement - innerhalb und
ausserhalb politischer Organisationen - führte immer öfter zu
ökonomische Krisen und (a)sozialer Repression. Drohungen mit
Verschlechterungen auf dem Arbeitsplatz bis hin zur Kündigung war ein
längst praktiziertes Disziplinierungsmittel gegenüber (über)aktiven
Dienstnehmern. Ebenso von Seiten mancher Arbeitsamtsbeamten gegenüber
Arbeitslosen (Zuweisung an unakzeptable Arbeitsplätze, Entzug des
Arbeitslosengeldes bei "Arbeitsverweigerung", Verweigerung von
Fortbildungsmassnahmen usw. - dazu habe auch ich jahrelange Erfahrungen
seit 1982 bis zu meiner Frühpensionierung 1999!).
Grundabsicherung von gemeinnützigen Initiativen und Organisationen
Eine wachsende Anzahl von gemeinnützigen Initiativen und Organisationen
kann zwar mit Mühe noch die laufenden Unkosten abdecken, nicht aber die
Personalkosten. Die Druckmittel einer Kürzung bzw. Streichung
staatlicher Subventionen, Projektförderungen und ähnlicher
Unterstützungen (Presseförderung, Zeitungstarif...), ausufernder
bürokratischer Aufwand (v.a. bei EU-Projekten) bewirken zunehmend eine
Selbstzensur und (Über-) Vorsichtigkeit in politischen Aktivitäten. Ein
wachsender Teil wurde und wird schließlich gezwungen, seine Aktivitäten
zu verlagern bzw. einzustellen.
Negativkarriere von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
Hauptamtlich Vollzeit-Angestellte müssen Einkommens-Reduktionen
akzeptieren, die Umwandlung des Dienstverhältnisses in Teilzeit, dann in
zeitlich beschränkte bzw. fallweise Arbeitsverhältnisse, in verschiedene
Varianten "freier" Arbeitsverträge, in Scheinselbständigkeit und
schliesslich in unbezahlte ehrenamtliche Tätigkeiten. Allen gemeinsam
ist eine wachsende Selbstausbeutung (bis zur Selbstzerstörung), die sich
nicht nur für die betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sondern
auch für deren - von ihnen ökonomisch abhängigen - Angehörigen auswirkt.
Gerade die starke emotionale Verbindung mit den Zielen der Organisation
entwickelt einen Zwang zur Solidarität und zum "Weiterwerkeln". Viele
der dafür eigentlich zuständigen Beamten in staatlichen Institutionen
sehen kalt lächelnd zu und kalkulieren tragischen Zusammenbrüche
einzelner Aktiver und ganzer Organisationen als willkommene Ausschaltung
lästiger Oppositioneller ein. Begleitet wird diese perfide Strategie mit
barmherzigem Lächeln, Schulterklopfen, Ehrungen, Lob für die
uneigennützige "Bürgergesellschaft" mit ihren Ehrenamtlichen (z.B. durch
Sozialminister, Landes- und Kommunalpolitiker) usw.
"Aktion 8000" sollte das Grundeinkommen ersetzen?
Bei einer Alternativen-Diskussion, Mitte der 80er Jahre in Linz,
präsentierte Sozialminister Dallinger die in seinem Ministerium von
engagierten linken Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen entwickelte "Aktion
8000" - die (bis zu 100% subventionierte) einjährige Beschäftigung
Arbeitsloser in gemeinnützigen Projekten und Organisationen. Das sei
eine geeignete Alternative zum - kaum durchsetzbaren - Grundeinkommen.
Allerdings war dies von Bewilligungen durch Sozial-Behörden abhängig und
daher kein allgemeiner Anspruch. Meine - von Dallinger nicht
beantwortete - Frage, wie politisch abgesichert dieses Modell sei, war
vorausschauend sehr berechtigt.
Nach dem Übergang zu einer großen Koalition (1987) wurde bald unter
Druck der ÖVP auch das Sozialbudget eingeschränkt. (Auch jetzt könnten
solche faule Kompromisse wieder passieren!) Dazu kam noch eine Kampagne
- damals lanciert vom ÖVP-Abgeordneten Andreas Khol - gegen den
"Missbrauch" durch "obskure Vereine" (u.a. in einer "KURIER"-Meldung).
Dabei wurde so ziemlich alles was "links-verdächtig" war
zusammengewürfelt (Frauen-, Kultur-, Friedensorganisationen, auch unser
Verein "Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit" war darunter).
Auch wenn die Vorwürfe haltlos waren, wurde diese Repressionsmethode auf
österreichische Art bis heute fortgesetzt. Nicht genehme und
widerständige Organisationen hatten keine Chance auf Förderungen.
Konsequenz daraus - viele engagierte Leute zogen sich aus Angst um die
Existenz ihrer Organisationen aus kritischen und riskanten Initiativen
zurück. Erfolg: die schon beschriebenen Negativkarrieren!
Sozialbewegung seit den 80er-Jahren
In Österreich und bei internationalen Tagungen gab und gibt es bis heute
die Verständigungsschwierigkeiten zwischen sozialkaritativ und
arbeitnehmerorientierten Gruppierungen mit ihren Reformkonzepten
einerseits und den an einer grundlegenden Änderung engagierten. Das
sture Festhalten - v.a. vieler Gewerkschafter und ihrer Parteigenossen -
an der Verknüpfung mit einem traditionellen Arbeitsverhältnis und ihrem
mangelnden Verständnis für das Überhandnehmen von prekärer Formen war
einer der Gründe für das Auseinanderbrechen mehrerer Anläufe zu einer
österreichischen Sozialbewegung.
Die AMS-Büros als allein zuständige Verwalter?
Bei meinen jahrzehntelangen Konfrontationen vom Ischler Arbeitsamts- bis
zu den Ministerialbeamten bestätigte sich folgende Einschätzung. Die
einsichtigen Beamten wollen sich auf optimale Stellenvermittlung und
Weiterbildung ihrer Klienten, aber auch auf die Förderung von - auch
gemeinnützigen - Beschäftigungsprojekten konzentrieren und den
finanziellen Bereich an eine andere Stelle abtreten. Jene, die aus ihrer
persönlichen Aversion gegen "Sozialschmarotzer" - zu denen sie u.a. auch
"arbeits- bzw. vermittlungsunwillige" Personen mit Betreuungspflichten
bzw. mit reduzierter Mobilität und ähnlichem zählen - mit allen
vorhandenen Repressionsmitteln (z.B. zeitweilige Streichung des
Arbeitslosengeldes) vorgehen, werden diese "Allmacht" gegenüber den aus
ihrer Sicht "Sozialschmarotzern" entsprechend nützen. Ich habe dazu
meine eigenen Erfahrungen und erschütternde Berichte von Leuten, die
sich nicht - politisch und publizistisch - wehren können. Fazit daraus:
selbst zusätzliche sozialpädagogische Kurse für die AMS-Beamten ändern
kaum etwas an dieser unsozialen Konstruktion. (Das könnte künftig bei
dem Antrag auf die vom Sozialminister favorisierte "Mindestsicherung"
bzw. einer Ausgleichszulage zur Pension ähnlich geschehen.)
Internationale Entwicklungen
Dazu kommt noch, dass unter Berufung auf den EU-Stabilitätspakt nun auch
Länder und Gemeinden die einschlägigen Budgets stark reduzieren, v.a.
wenn manche der Gemeinden knapp vor der Zahlungsunfähigkeit stehen.
Die zunehmende Privatisierung (und damit privater Finanzierung) der
Grundversorgung (z.B. in Bildung, Gesundheit und viele gemeinnützige
Bereiche) erzwingt das Akzeptieren neoliberaler Marktmechanismen. In
ihnen wird die Profitmaximierung statt solidarischer Zusammenarbeit im
Überlebensk(r)ampf als unaufhaltsam propagiert.
Daher ist ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht allein eine
sozial-karitative Massnahme sondern auch eine Grundlage für ein
möglichst selbstbestimmtes gemeinnütziges (auch politisches) Handeln.
Diese Erkenntnisse aus 26 Jahren Engagement für ein Grundeinkommen habe
ich schon lange vor den jetzt akut gewordenen untragbaren Belastungen
für einen Großteil der Bevölkerung, - aus eigener Erfahrung und aus den
weiterer Betroffener -- zusammengefasst und heute aktualisiert.
Matthias Reichl (22.6.2008)
--
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
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