[E-rundbrief] Info 688 - EU-Vertrag Kommentare

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Di Jun 17 17:02:28 CEST 2008


E-Rundbrief - Info 688 - Matthias Reichl: Fort-schritt Marke EU, Wer 
schützt uns als Gemeinschaft? 2 Kommentare; Bundesausschuss 
Friedensratschlag (D): Das Nein der Iren ernst nehmen - Den Weg in die 
Militärunion umkehren - Irland hat für ein Stück Demokratie in der EU 
gesorgt, Pressemitteilung.

Bad Ischl, 17.6.2008

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Fort-schritt Marke EU

Zur irischen "Nein"-Mehrheit zum EU-"Reform"Vertrag

Zwei Kommentare

Matthias Reichl

Barroso und Gesinnungsfreunde liefern mit ihren Durchhalteparolen für 
eine fortgesetzte Ratifizierung des EU-"Reform"Vertrages eine aktuelle 
Version des Slogans: "Heute stehen wir am Abgrund - morgen sind wir 
einen Schritt weiter...!"

Wer schützt uns als Gemeinschaft?

Der Wiener Verfassungsrechtsprofessor Hannes Tretter verschwiegt uns 
einiges in seinem "Standard"-Kommentar ("Tragödie für die 
Grundrechtsentwicklung in der EU", vom 13.6.08), in dem er die 
EU-Grundrechtscharta anpreist. Denn auch der Europarat mit seinem 
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (in Straßburg), in dem - mit 
Ausnahme Weißrusslands - alle (47) Länder Europas vertreten sind, trifft 
seit Jahrzehnten ähnliche Prozessentscheidungen. Dass diese zu oft als 
Feigenblätter dienen müssen um "das Recht des Einzelnen zu sichern" ist 
leider bekannt. Daher müssen sich Bewegungen der Betroffenen selbständig 
und außerhalb juristischer/ Staatliche Institutionen für die 
Verteidigung ihrer Rechte engagieren.

In der aktuellen EU-Diskussion geht es um die gravierenden Gefährdungen 
unserer kollektiven Rechte. Z.B. um ökologische (Atomtechnologie, 
Gentechnik, Nanotechnik, Ernährung...), soziale (fehlende ökonomische 
Mindestsicherung, Ausgrenzung auch für Flüchtlinge u. Migranten...), 
politische (Überwachungsstaat, Militarisierung, Aushöhlung der direkten 
Demokratie...) und viele andere existenziell wichtige Bereiche.

Wenn Unrecht zu Recht wird, wird - gewaltfreier - Widerstand zur Pflicht 
(für alle vom EUnrecht Betroffenen).

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Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Das Nein der Iren ernst nehmen
Den Weg in die Militärunion umkehren
Irland hat für ein Stück Demokratie in der EU gesorgt


Kassel, 13. Juni 2008 - Zu der absehbaren Ablehnung des
EU-Reformvertrags bei dem Referendum in Irland stellt der Sprecher des
Bundesausschusses Friedensratschlag fest:

Sollten sich die Trendmeldungen aus Irland bestätigen, dann hat sich
heute die Mehrheit der Bevölkerung in einem landesweiten Referendum
gegen den EU-Reformvertrag ausgesprochen.

Wären wir professionelle Politiker, würden wir sagen: "Dies ist ein
guter Tag für Irland und ein guter Tag für Europa". Jenseits solcher
Sprechblasen sollte aber substanziell auf die positiven Konsequenzen des
irischen "No" hingewiesen werden.

Dazu gehört zum ersten, dass der Mogelvertrag von Lissabon, der ja
nichts anderes ist als eine verkappte Neuauflage des schon einmal an
Frankreich und Holland gescheiterten Verfassungsvertrags, dass dieser
Reformvertrag wieder ad acta gelegt werden muss. Er ist nicht
mehrheitsfähig in Europa. Die politische Klasse in Brüssel und den
EU-Mitgliedstaaten wusste das und hatte deshalb darauf gedrungen, dass
der Vertrag nirgends dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wird. Einzig
Irland musste - gegen den Willen der eigenen Regierung - das Referendum
durchführen, weil das die dortige Verfassung vorschreibt.
Irland hat also für ein Stück Demokratie in der EU gesorgt.

Zum zweiten sind damit im Grundsatz all jene Elemente des Reformvertrags
vom Tisch, die über den ursprünglichen Gehalt der Europäischen Union
hinausgehen sollten. Wir zählen dazu neben der Festlegung der EU auf den
allein seligmachenden Marktradikalismus vor allem die Transformation der
EU in eine Militärunion. Der Lissaboner Vertrag enthielt u.a. folgende
Gefahren:

- die EU-Mitgliedstaaten sollten sich verpflichten, ihre militärischen
Fähigkeiten "schrittweise zu verbessern" (Art. 28c);

- es sollte eine "Europäischen Verteidigungsagentur" gegründet werden,
die "Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis
des Verteidigungssektors" ergreifen soll (Art. 28a, Ziff. 3)(die
"Verteidigungsagentur" arbeitet bereits seit 2004 - also ohne
vertragliche Grundlage);

- es sollten "besonderer Verfahren (angewandt werden), um den schnellen
Zugriff auf die Haushaltsmittel der Union zu gewährleisten", damit
Militäreinsätze ("Missionen") durchgeführt werden können; hierfür sollte
ein sog. "Anschubfonds" gebildet werden;

- "Schnelle Eingreiftruppen" und sog. Battle groups (Schlachtgruppen)
für Kampfeinsätze in aller Welt sollten gebildet werden (auch sie ggibt
es bereits!);

- der Tatbestand des "Terrorismus" sollte mit militärischen Mitteln
(d.h. mit Krieg) beantwortet werden;

- die Machtlosigkeit des Europäischen Parlaments in Sachen Außen- und
Sicherheitspolitik sollte bestehen bleiben: Das EP wird in
Angelegenheiten der Außen- und Sicherheitspolitik lediglich informiert
und angehört; Entscheidungen trifft ausschließlich der Rat (also die
"Exekutive" der EU);

- der ganze Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik bliebe
rechtsstaatlicher Kontrolle entzogen; nach Art. 240 ist der Gerichtshof
der Europäischen Union hierfür "nicht zuständig".

Was immer die zahlreichen Motive der irischen Bevölkerung für ihr Votum
gewesen sein mögen: Dem Land und seinen Menschen ist zu danken, dass die
Demokratie und die Friedensorientierung in der Europäischen Union eine
neue Chance erhalten. Das "No" der Iren war kein Nein zu Europa, sondern
es war ein Nein zu dieser besonderen Form einer bevormundenden,
autoritären, neoliberalen und sich militarisierenden Europäischen Union.

Der EU ist zu wünschen, dass sie aus der Abstimmung die richtigen
Konsequenzen zieht: Der Weg in die Militärunion muss umgekehrt werden.
Die EU muss sich ganz auf ihre zivilen und sozialen Traditionen und
Tugenden besinnen. Dann braucht sie keine Furcht mehr vor
Volksabstimmungen haben.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)

()
Empfehlung:
Besuchen Sie die friedenspolitische Website der AG Friedensforschung der
Uni Kassel mit umfassenden Berichten und Analysen zu allen
Konfliktgebieten der Welt und dem Dossier zum EU-Reformvertrag
(Verfassungsvertrag):
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Europa/verf/Welcome.html



-- 

Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) Sparkasse Bad Ischl,
Geschäftsstelle Pfandl
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