[E-rundbrief] Info 687 - Deutsches Militaer in Afghanistan

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Di Jun 10 15:36:09 CEST 2008


E-Rundbrief - Info 687 - Clemens Ronnefeldt(D): Was wird für uns am 
Hindukusch verteidigt? Deutsche Sicherheits- und Friedenspolitik auf dem 
Weg der Militarisierung? Vortrag am 23.5.2008 in Osnabrück.

Bad Ischl, 10.6.2008

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Was wird für uns am Hindukusch verteidigt?

Deutsche Sicherheits- und Friedenspolitik auf dem Weg der Militarisierung?

Einführung zur Veranstaltung am Freitag, 23.5.2008, 11.00 Uhr, im 
Europa-Saal Osnabrück

von Clemens Ronnefeldt,  Internationaler Versöhnungsbund - Deutscher Zweig.

1. Zur Militarisierung der deutschen Sicherheits- und Friedenspolitik

Im Mai 2008 befanden sich nach Angaben des Einsatzführungskommandos der 
Bundeswehr ca. 8000 SoldatInnen weltweit im Einsatz: Im Kosovo, in 
Bosnien-Herzegowina, in Georgien, in Afghanistan, in Usbekistan, im 
Libanon, am Horn von Afrika/Dschibuti, in Äthiopien Eritrea, im Sudan 
und in Sudan-Darfur.

Zwischen 1992 und 2007 waren ca. 200.000 SoldatInnen im Auslandseinsatz. 
Bis Ende des Jahres 2007 wurden 69 SoldatInnen der Bundeswehr bei 
Auslandseinsätzen getötet, davon 44 durch Fremdeinwirkung, mehr als 9000 
wurden verwundet.

Ein Schwerpunkt der deutschen Auslandsmissionen befindet sich im 
Mittleren Osten, wo Zweidrittel der Welterdölreserven lagern.

Am 26.11.1992 erließ der Bundesminister der Verteidigung die 
"Verteidigungspolitischen Richtlinien", in denen es heißt:
"... Dabei lässt sich die deutsche Politik von vitalen 
Sicherheitsinteressen leiten: ...
Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs 
zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten 
Weltwirtschaftsordung".

Das "Weißbuch 2006" des Bundesministeriums der Verteidigung greift 
diesen Gedanken erneut auf: "Deutschland, dessen wirtschaftlicher 
Wohlstand vom Zugang zu Rohstoffen, Waren und Ideen abhängt, hat ein 
elementares Interesse an einem friedlichen Wettbewerb der Gedanken, an 
einem offenen Welthandelssystem und freien Transportwegen". (Quelle: 
Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.): Weißbuch 2006 zur 
Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 
2006, S. 19).

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, formulierte 
den Paradigmen-wechsel von der Verteidigung zum weltweiten Einsatz 
folgendermaßen:

"Einsatz in der Verteidigung, aufgezwungen durch einen im Grunde 
bekannten Gegner, in vertrauter Umgebung, in großen geschlossenen 
Verbänden war lange unser konzeptioneller Dreh- und Angelpunkt. Nun ist 
es die souveräne aktive politische Entscheidung zum Einsatz 
militärischer Macht im Konzept weltweiter Sicherheitsvorsorge." (Quelle: 
Schneiderhan, Wolfgang: Einflüsse des neugewichteten Aufgabenspektrums 
auf die Führungskultur der Bundeswehr", Abschlussrede auf der 41. 
Kommandeurtagung der Bundeswehr, Berlin, 11. März 2008).

"Wir benötigen eine zeitgemäße, vernetzte Sicherheitspolitik, deren Ziel 
es ist, Gefährdungen unserer Sicherheit bereits am Entstehungsort zu 
begegnen". (Quelle: Schneiderhan, Wolfgang: Soldat im Zeitalter der 
Globalisierung, in: Europäische Sicherheit, 2/2007, S. 20.)

"Vor allem aber wird die Asymmetrie dadurch bestimmt, dass sich eine 
Seite an Recht, Gesetz und allgemeine Moralvorstellungen bindet und 
damit die Ausübung von Gewalt legalisiert und reglementiert, dies auf 
der anderen Seite aber unterbleibt." (Quelle: Schneiderhan, Wolfgang: 
Soldat im Zeitalter der Globalisierung, in: Europäische Sicherheit, 
2/2007, S. 16).

Der Generalinspekteur betont:
"Unsere Soldaten verstehen die politischen und kulturellen Zusammenhänge 
vor Ort und begegnen den Menschen mit Respekt und Verständnis." (Quelle: 
Schneiderhan, Wolfgang: Soldat im Zeitalter der Globalisierung, in: 
Europäische Sicherheit, 2/2007, S. 20).

Diese Aussage steht in Widerspruch zu Presseberichten z.B. mit Fotos 
deutscher Soldaten in Afghanistan, die diese beim Hantieren mit Schädeln 
von toten Afghanen zeigen.

Der ehemalige Fallschirmjäger Achim Wohlgethan schreibt in seinem Buch:
"Ich wurde nun Augenzeuge, wie ISAF-Soldaten sehr unkonventionell 
testeten, ob das Gelände an dieser Stelle vermint war - und zwar mit 
Äpfeln! Dazu winkten die Soldaten die vielen Kinder heran, die auf dem 
Schießplatz leere Messinghülsen sammelten, weil diese bares Geld wert 
waren. Dann griffen die Soldaten hinter sich in eine Kiste mit Äpfeln, 
hielten sie den Kindern vor die Nase und schmissen sie ins Gelände. Dann 
warteten sie ab, was passierte. Wenn die Kinder losliefen und es keinen 
Knall gab, wurde dieses Feld als geklärt und unvermint betrachtet".
(Quelle: Achim Wohlgethan, Endstation Kabul, Berlin, 2008, S. 78).

2. Was wird für uns am Hindukusch verteidigt? - Zahlen und Fakten zum 
Afghanistankrieg

Die Kosten des Afghanistan-Krieges für die NATO-Staaten betrugen in den 
Jahren 2002 bis 2006:
ca.   82 Mrd. US-Dollar für Militär
ca.     7 Mrd. US-Dollar für Entwicklungshilfe
ca. 433 Mio. US-Dollar für Gesundheit und Ernährung.
(Quelle:  IMI-Analyse 2007/029 vom 17.8.2007, www.imi-online.de).

Das Bruttoinlandsprodukt pro Afghane/in pro Jahr liegt bei ca. 355 
US-Dollar.

Deutschland gab 2008 in Afghanistan für Militär-Ausgaben ca. 530 Mio. 
Euro, für Zivil-
Ausgaben ca. 100 Mio. Euro aus.

In der Armuts-Statistik rutschte Afghanistan in den letzten Jahren noch 
einen Platz nach unten:
Im Jahr 2004 von Platz 173 (von 178 Ländern) im  Jahr 2007 auf Platz 174 
(von 178 Ländern).
(Quelle: UN-Armutsindex Afghanistan).

Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 25.6.2007: "Karsai kritisiert 
Nato-Truppen scharf.
Afghanistans Präsident: Militäreinsätze sind wahllos und ungenau / 
Verteidigungsminister Jung
entging Attentat".

Dem Militäreinsatz in Afghanistan fielen in folgenden Zeiträumen 
zahlreiche Tote zum Opfer:
Oktober-Dezember 2001: ca. 20 000 Menschen
Januar-Dezember   2006:  ca.   4 000 Menschen
Januar-Oktober      2007:  ca.   5 000 Menschen.
(Quellen: Prof. Marc Herold, USA, AP, Spiegel Online 3.10.2007).

Im Jahre 2007 wurden unter den ausländischen SoldatInnen ca. 200 Tote 
gezählt.

Von 2005 zu 2006 ereignete sich eine große Zunahme der Gewalt in 
Afghanistan.
Im Jahre 2005 gab es 27 Selbstmordattentate, 783 Straßenbomben und 1588 
Direktangriffe, 2006 bereits 139 Selbstmordattentate, 1677 Straßenbomben 
und 1588 Direktangriffe. (Quelle: Bündnis 90/Die GRÜNEN (Hg.): "Mit 
diesem Krieg ist kein Frieden mehr zu machen. Erklärung und
Positionspapier zu Afghanistan, Sommer 2007, S. 1).

Die Opium-Produktion in Afghanistan lag im Jahre 2001 bei ca. 200 t, im 
Jahre 2006 bei ca. 6.200 t, im Jahre 2007 bei ca. 8.200 t. Dies 
entspricht ca. 93% der Weltproduktion an Schlafmohn und an Opium. 
(Quelle: UN-Anti-Drogenbehörde, in: www.focus.de/politik, 1.11.2007).

Bei Meinungsumfragen im Februar 2008 zu Afghanistan lehnten 86% der 
Deutschen Kampfeinsätze grundsätzlich ab, 13% waren dafür.
55% der Deutschen wollen den schnellstmöglichen Abzug der Bundeswehr aus 
Afghanistan, 42% sind für den Verbleib. (Quelle: ARD-Deutschland-Trends 
für die Tagesthemen von Infratest dimap, 4./5. 2. 2008).

Deutschland setzt sich im Rahmen der Europäischen Union in Afghanistan 
für die Ausbildung von afghanischen Polizisten ein und spendete 
Polizeifahrzeuge.

"Der geheimnisumwobene Einsatz der Bundeswehr-Elitetruppe `Kommando 
Spezialkräfte? (KSK) in Afghanistan war rein politisch motiviert, 
schlecht vorbereitet und militärisch weitgehend überflüssig", so lautet 
das Fazit des Verteidigungsausschusses des Bundestages.
(Quelle: Süddeutsche Zeitung, 23.4.2008).

Was wird für uns am Hindukusch verteidigt? Unser westlicher Lebensstil? 
Das Überleben der NATO? Die Option auf einen deutschen Sitz im 
UN-Sicherheitsrat? Die Eindämmung Chinas, Indiens und Russlands? Eine 
Plattform für die US-Regierung zum Iran-Angriff?

Der ehemalige Entwicklungsbeauftragte des Bundesmnisteriums für 
wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in Afghanistan, Herbert Sahlmann, 
hat einen 20-Punkte-Friedens-Plan ausgearbeitet. (Quelle: Pax Christi 
Rundbrief 1/2008, S. 8).

Der ehemalige ARD-Sonderkorrespondent Christoph R. Hörstel hat in seinem 
Buch  "Sprengsatz Afghanistan. Die Bundeswehr in tödlicher Mission, 
München 2007, einen detaillierten  5-Jahres-Friedensplan vorgelegt.

Prof. Andreas Buro, friedenspolitischer Sprecher des Komitee für 
Grundrechte und Demokratie, hat einen zivilen Strategieplan entworfen 
(Quelle: Friedensforum 1/2008, Hg.: Netzwerk Friedenskooperative, Bonn, 
S. 20). Alle drei Friedenspläne könnten bei entsprechendem politischen 
Willen sofort begonnen werden.								 						
Die Friedensbewegung in Deutschland fordert in einer Petition an den 
Bundestag: "Dem Frieden eine Chance. Truppen raus aus Afghanistan" und 
fordert in einem Aufruf die SoldatInnen der Panzerbrigade 21 in 
Augustdorf auf: "Verweigern Sie den Kriegseinsatz in Afghanistan". 
(Quelle: Friedensforum 2/2008, Hg.: Netzwerk Friedenskooperative, Bonn, 
S. 3f).

Jürgen Rose, Oberstleutnant, verweigert derzeit den 
Afghanistan-Einsatzes, weil er diesen nicht im Einklang mit dem 
Grundgesetz und dem Völkerrecht sieht.
Christiane Ernst-Zettl, im Rang eines Hauptfeldwebel, weigerte sich als 
Sanitäterin, eine Waffe in  Afghanistan zu tragen, weil dies nicht mit 
der Genfer Konvention vereinbar sei. Sie bekam dafür 800 Euro Geldbuße 
auferlegt, die Humanistische Union zeichnet sie mit dem "Aufrechter 
Gang"-Preis 2008 aus.
Florian Pfaff, Major, verweigerte die logistische Unterstützung des 
Irak-Krieges, wurde dafür degradiert, klagte dagegen erfolgreich und 
erhielt die Carl-von-Ossietzky-Medaille. Florian Pfaff hat das 
lesenswerte Buch "Totschlag im Amt. Wie der Friede verraten wurde" 
erschienen in Nördlingen 2008, verfasst.

"Wir verteidigen unsere Art zu leben - und das ist unser gutes Recht", 
sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Rechtfertigung des 
Afghanistan-Krieges am 16.10.2001. (Quelle: Frankfurter Rundschau, 
17.10.2001).

Solange 20 Prozent der Menschheit 80 Prozent der Rohstoffe verbrauchen 
und diese Art zu leben - auch in Deutschland - die Lebenschancen eines 
großen Teiles der Menschheit in anderen Kontinenten einschränkt und 
verhindert, ist dem Bundeskanzler zu widersprechen - besonders auch von 
den Kirchen.

Schlusswort:

       Der "Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale 
Umweltveränderungen" hat eine Reihe von zukünftigen Konfliktherden 
benannt, die die Sicherheit von Menschen weltweit gefährden: Dazu zählen 
die Verschlechterung der Trinkwasserqualität, die Zunahme von Sturm- und 
Flutkatastrophen, der klimabedingte Rückgang der 
Nahrungsmittelproduktion und die umweltbedingte Migration von Millionen 
von Flüchtlingen.

  	Diese Herausforderungen sind so gewaltig, dass sie eines großen 
menschlichen und finanziellen weltweiten zivilen Einsatzes bedürfen - 
mit dem Ziel des gemeinsamen Überlebens der Menschheit.

	Mein Dank gilt Jürgen Rose sowie Bernt Glatzer von der 
Arbeitsgemeinschaft Afghanistan für Zuarbeiten zu dieser Einführung, 
ebenso Florian Pfaff und zahlreichen Soldaten für wertvolle Gespräche.

        Kontakt und V.i.S.d.P.:
        Clemens Ronnefeldt,
	Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des 
                 Internationalen Versöhnungsbundes
	A.-v.-Humboldt-Weg 8,  85354 Freising, www.versoehnungsbund.de

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
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