[E-rundbrief] Info 592 - Rb 126 - US-Sozialforum
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Di Sep 4 11:56:59 CEST 2007
E-Rundbrief - Info 592 - Rundbrief Nr. 126 - Enzo
Mangini (I): Die Vereinigten Staaten verändern -
Erstes US-Sozialforum in Atlanta.
Bad Ischl, 4.9.2007
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Die Vereinigten Staaten verändern
Erstes US-Sozialforum in Atlanta
Enzo Mangini
15.000 Vertreter großer und kleiner
Organisationen und Initiativen diskutierten vom
27.6. bis 1.7.2007 in Atlanta, Georgia, in
Hunderten von Workshops eine der kompliziertesten
Fragen: Wie kann man aus den USA ein demokratisches Land machen?
Das erste Sozialforum der USA wurde am 26. Juni
mit der Vorpremiere von Michael Moores neuem Film
Sicko eröffnet. Der Angriff des provokanten
Filmemachers auf die privaten
Krankenversicherungsunternehmen, die das Leben
und die Gesundheit von 300 Millionen US-Bürgern
beherrschen, passt haargenau auf die Geschichte
der Krankenpflegerinnen, die seit Jahren die
Abschaffung der privaten Krankenversicherung
fordern. Unser Kampf für ein öffentliches
Gesundheitssystem, erzählt die führend in dieser
Bewegung engagierte Rita Valenti in Atlanta,
verfügt nun über ein Instrument mehr. Das ist
der Begeisterungsschub, den wir erwartet haben.
Das Forum hätte nicht besser beginnen können.
(Sicko kommt ab 12.10.07 auch in Österreichs Kinos.)
Den offiziellen Beginn des United States Social
Forum (USSF, www.ussf2007.org) bildet die
Demonstration am 27. Juni ins Stadtzentrum von
Atlanta. Vertreter der Natives, der indigenen
Völker, laufen in der ersten Reihe. Ihre
Organisationen, vor allem die der Cherokees,
haben hart dafür gearbeitet, dass das Forum in
diesem Teil des Territoriums der
Kolonialregierung, die Vereinigte Staaten genannt
wird, stattfinden konnte. Zusammen mit den
Cherokees, den Shoshones, den Seminoles kamen
auch die Natives Alaskas, die von Erdölbohrungen
und von den klimatischen Veränderungen in ihrer
arktischen Umwelt bedroht werden, sowie die aus
Hawaii, dem 50. US-Bundesstaat, der in eine
Touristenkolonie und einen Militärstützpunkt
verwandelt wurde. Sie haben viel zu sagen, mit
den Krankenschwestern, Latinos, Migranten,
Afroamerikanern und den zahllosen sozialen
Minderheiten, die zusammen über zehntausend
Delegierte nach Atlanta entsandt haben...
Wir haben Atlanta gewählt, um auf ideelle Weise
eine Brücke zur letzten großen Massenbewegung in
der Geschichte der USA zu schlagen, erklärt
Alice Lovelace, eine der Organisatorinnen. Die
Bürgerrechtsbewegung war übergreifend,
geografisch wie auch hinsichtlich ihrer sozialen
Zusammensetzung. Auf diesem Boden stehend hoffen
wir, mit dem Forum eine neue, große
Massenbewegung anzustoßen, die das Land verändern
kann ... Wir wollen als soziale Bewegungen unsere
Autonomie gegenüber den Parteien deutlich machen.
Und vor allem sind wir daran interessiert zu
betonen, was uns von den beiden Parteien
unterscheidet: Wir wollen nicht, dass die USA
weiterhin als einsame Supermacht gesehen werden.
Wir wollen mit den Bewegungen der anderen Länder
zusammenarbeiten, die uns helfen können, unser Land zu verändern.
Dazu waren Delegationen aus Europa und
Lateinamerika, aber auch aus Asien, Afrika und
Australien angereist. Die informelle Losung
lautete Kontamination: Die Formulierung von
Themen dient dazu, die Diskussion zu
strukturieren, sagt Rita Valenti, aber wir
wissen wohl, dass alles zusammengehört.
Das erste Plenum auf dem Forum ist dem
Wiederaufbau von New Orleans und der Regionen am
Golf von Mexiko gewidmet, die vor zwei Jahren
durch den Hurrikan Katrina verwüstet wurden. In
der Präsentation dazu heißt es: Die Zerstörung
von New Orleans zeigt die historische Rolle, die
Rassismus, Genozid, Sklaverei und Militarismus
ebenso wie Sexismus, Ausbeutung und die weiße
Vorherrschaft spielen, aber sie ist auch ein
Beispiel für die Umweltkrise und die Entscheidung
der Bundesregierung, die armen Gemeinschaften
aufzugeben... Es ist die Rede vom
Rückkehrrecht - wie für die Palästinenser nach 1948.
Das zweite Plenumsthema, mit dem ersten direkt
verbunden durch die Erfahrung der
afroamerikanischen, armen weißen und
Latinobevölkerungen, lautet: Krieg, Militarismus
und der Komplex der Gefängnisindustrie. Die
US-Regierung bedroht immer mehr Länder mit
Invasion, Bombardements und Bestrafung,
gleichzeitig leiden immer mehr Menschen in den
USA im Gefängnis unter staatlicher
Gewaltanwendung. Wir müssen uns fragen, was wir
tun können, um den Krieg der US- Regierung gegen
die Völker der Welt zu stoppen.
Die Aspekte dieses Krieges werden in den übrigen
vier Plenarveranstaltungen untersucht: die Rechte
der Migranten, sexuelle Gerechtigkeit, die Rechte
der Arbeitenden, die Stimmen der indigenen
Völker. Wir wollen nicht nur die Diskurse
zusammenführen, erklärt Rita Valenti. Zum
Beispiel gibt es einen Raum, der dem Thema
Pflege, Wohlergehen und Umweltgerechtigkeit
gewidmet ist. Damit sollen Bündnisse zwischen
solchen Bewegungen aufgebaut werden, die wie die
Krankenschwestern für ein besseres
Gesundheitssystem kämpfen, und solchen, die ein
anderes Herangehen an die Gesundheit verfolgen,
und dann noch zwischen diesen und den Bewegungen,
die sich für Umwelt und ökonomische Gerechtigkeit
einsetzen - denn die erste Ursache für Krankheit heißt Armut.
Das Forum in Atlanta bestand nicht nur aus einer
langen Liste von Klagen. Die Friedensbewegung der
letzten Jahre, die Bewegung der Migranten im Jahr
2006 und davor die Anti-WTO-Proteste in Seattle
haben eine Vielzahl von Erfahrungen lokaler
Selbstorganisation angehäuft. Dazu gehören z.B.
die sozialen Netze, die im Südwesten den
Migranten helfen, den Bundesgesetzen und den
lokalen Vigilantes, die der Polizei helfen, zu
entkommen. Das Forum ist die erste landesweite
Gelegenheit zu ermessen, wie weit ihre Fähigkeit
reicht, die anderen Vereinigten Staaten
aufzubauen, die nötig sind, wenn eine andere Welt möglich werden soll.
Der augenfälligste Baustein dazu ist das Center
for Media Justice, das anlässlich des Forums
errichtet wurde. Die großen Medien haben der
unermüdlichen Arbeit am Forum monatelang
keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt. Erst in den
letzten Wochen kamen erste Anfragen nach
Interviews und erste Berichte. Die
Mainstreammedien interessieren uns nicht sehr,
erklärt Alice. Wir haben ein großartiges
Medienzentrum errichtet, das jede nötige
Unterstützung liefert und Seminare für
unabhängige Medien durchführen wird. Sie werden
im ganzen Land die Inhalte des Forums, die
Vorschläge, Kampagnen und Debatten verbreiten.
Die Begeisterung ist groß: Schon allein die
Organisierung des Forums ist für uns eine
unglaubliche Erfahrung, die uns verändert hat,
sagt Rita, und wir hoffen, dass diese Dynamik
anhält. Wie stark sind die sozialen Bewegungen
in den USA?, fragt sich Alice. Ich hoffe in
einigen Tagen die Antwort zu haben. Deshalb haben
wir uns hier in Atlanta versammelt. Wenn wir die
Antwort haben, werden wir auch sagen können, was wir imstande sind zu tun.
Aus: Carta (Rom), Nr.24, 6.7.07 (www.carta.org)
(Übers.: Hans-Günter Mull, Red.: M.R.).
SoZ - Sozialistische Zeitung, Sept. 2007,
www.vsp-vernetzt.de/soz-0709/0709141.php
Infos:
www.ussf2007.org
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
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