[E-rundbrief] Info 588 - Rb 126 - Jungks Atomstaat, IAEO, Siemens
Matthias Reichl
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So Sep 2 11:54:18 CEST 2007
E-Rundbrief - Info 588 - Matthias Reichl/ Robert
Jungk: Der Atomstaat - 30 Jahre danach; Robert
Jungk zum "Atomstaat" - 1977; Ende der Freiheit -
Tschechien und Slowakei als Atomstaat?;
Atomstaatgegner - 1977 und heute; IAEO und Siemens im Atomstaat
Bad Ischl, 2.9.2007
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Der Atomstaat - 30 Jahre danach
Matthias Reichl
Robert Jungks Buch Der Atom-Staat. Vom
Fortschritt in die Unmenschlichkeit (1977
erstmals im Kindler Verlag publiziert, später als
Rowohlt- und Heyne-Taschenbuch) hat uns damals
schon wachgerüttelt - und heute umso mehr. Seine
Warnung vor dem - angeblich - notwendigen
Überwachungsstaat, der die gefährlichen
Atomanlagen und -waffen schützen soll, wird in
den untenstehenden Zitaten deutlich. Leider sind
Jungks Bücher nur noch antiquarisch erhältlich.
Wir haben noch einige Restexemplare der von mir
zusammengestellten Textsammlung ...damit wir
nicht untergehen (aus 1992) zu verkaufen.
Robert Jungk zum Atomstaat - 1977
Mit der technischen Nutzbarmachung der
Kernspaltung wurde der Sprung in eine ganz neue
Dimension der Gewalt gewagt. Zuerst richtete sie
sich nur gegen militärische Gegner. Heute
gefährdet sie die eigenen Bürger. Denn Atome für
den Frieden unterscheiden sich prinzipiell nicht
von Atomen für den Krieg ... so beginnt Robert
Jungk dieses Buch (Der Atomstaat), das er in
Angst und Zorn geschrieben hat, in Angst um
den drohenden Verlust von Freiheit und Menschlichkeit.
Der sensationelle Erfolg dieses Buches erklärt
sich genau aus dieser Haltung. Jungks Thema ist
die Deformierung des Menschen durch Einschränkung
der persönlichen Freiheit, durch Repressionen,
Ängste und gegenseitige Bespitzelungen. Jungk
zeigt auf, was bereits möglich war und ist und
fordert eindringlich jeden einzelnen auf, seine
furchtsame Ich kann sowieso nichts
ändern-Haltung aufzugeben. (Umschlagtext der
Taschenbuchausgabe rororo7288 von 1979)
Weitere Zitate aus Robert Jungks Texten:
"Eine Besonderheit der Atomentwicklung besteht
darin, dass sie von einem gewissen Augenblick an
unmöglich rückgängig gemacht werden kann. Dieses
Phänomen der Irreversibilität ist eine ganz
neue historische Erscheinung. Ist ein Reaktor
einmal angefahren, dann werden damit Prozesse
in Gang gesetzt, die man lange Zeit nicht mehr aus der Welt schaffen kann.
Generationenlang andauernde radioaktive
Zerfallsvorgänge mit ihren Strahlengefahren für
alles Lebendige müssen von da an sorgfältig und
in Permanenz kontrolliert werden. Überschreitet
die Zahl zu bewachender Installationen und
Entsorgungslager einen bestimmten Punkt, so muss
strenge Überwachung und Kontrolle über einen sehr
langen Zeitraum hinweg das politische Klima prägen.
Der Doppelantrieb von Terror- und Atomfurcht wird
die Industriestaaten dazu veranlassen, alle
Erkenntnisse, die über die Bürger in den
verschiedensten staatlichen und privaten
Datenbanken gehortet sind, bei Bedarf zu einem
einzigen Warn- und Kontrollsystem von nie bekannter Dichte zusammenzuschalten.
Indem nunmehr das Überschreiten verfassungsmässig
gesetzter Grenzen durch die Exekutive und ihre
Vollzugsbehörden als unter den neuen technischen
Gegebenheiten unverzichtbar entschuldigt werden
kann, ist die Voraussetzung für eine zunehmende
Erweiterung der Rechtlosigkeit im Rechtsstaat
geschaffen. Solche Maßnahmen werden sich dann
nicht auf eine vorübergehende, außerordentliche
Notlage- zum Beispiel einen Terroranschlag -
berufen müssen, sondem auf die stets gefährdeten
und als unentbehrlich erachteten Energiequellen
hinweisen. Atomindustrie - das bedeutet
permanente Bedrohung. Sie erlaubt scharfe
Gesetze zum Schutz der Bürger. Sie verlangt
sogar die Bespitzelung von Atomgegnern als
Präventivmaßnahme und kann die Mobilisierung
zehntausender Polizisten gegen friedliche Demonstranten rechtfertigen.
Angesichts solcher Aspekte liegt es fast nahe,
polemisch zu fragen, ob nicht die Machtaspekte
der Atomindustrie sie gewissen Kreisen so
attraktiv macht, obwohl die wirtschaftlichen
Gewinnaussichten der neuen Kraft so zweifelhaft sind.
Ende der Freiheit - Tschechien und Slowakei als Atomstaat?
"Es wäre tragisch, wenn z.B. die Tschechen und
Slowaken, die endlich wieder eine gewissen Maß an
Freiheit erlangt haben, sich jetzt der
technokratischen Tyrannei eines Atomstaats beugen würden.
Die biologische und politische Unverträglichkeit
der Atomwaffen, Atomkraftwerke und Atomabfälle
sollte so früh wie möglich erkannt und radikal
beseitigt werden. Geschieht das nicht, dann
wächst die Hypothek, die sich die Menschheit für
die Gegenwart und darüber hinaus für die Zukunft
auflädt, so sehr, dass sie schließlich nicht mehr
zu tilgen sein wird und Katastrophen
unvermeidlich werden. Tschernobyl hat dies bereits eindrücklich gezeigt.
Nur jetzt sofort ist dieses Unheil noch zu
verhindern. Diese Warnung wieder und wieder
öffentlich hörbar und lesbar zu machen, ist
vielleicht zur Zeit die wichtigste Aufgabe aller
Journalisten und Umweltgruppen."
(Aus Robert Jungks Vorwort in: Atom-Daten,
Fakten, Hintergründe, Handbuch mit Schwerpunkt
Östererreich-CSFR, Greenpeace Österreich 1992.)
Atomstaatgegner - 1977 und heute
1977 waren auch wir schon in österreichischen und
internationalen, gewaltfreien
Anti-Atom-Initiativen aktiv - und wurden (wie
viele andere auch) vom lokalen Gendarmeriechef
und von anderen Behörden überwacht. Einige der -
teilweise gefährlich falschen - Berichte konnte
ich gut zehn Jahre später im Wiener
Innenministerium in meinem Akt nachlesen.
Inzwischen haben elektronisch gespeicherte und
vernetzte Dateien längst die Karteikarten und Aktenordner abgelöst.
Bis knapp vor seinem Tod warnte Jungk weiter vor
dem sich ausbreitenden Atomstaat - auch am
Beipiel Tschechiens und der Slowakei mit ihren
störanfälligen Atomkraftwerken (siehe oben). Wir
initiierten 1994 mit Salzburger und
oberösterreichischen Atomgegnern, dass die
tschechischen Umweltschützer von Deti Zeme eine
Übersetzung ins Tschechische (Atómovy Stát)
publizierten um die zuständigen Politiker und
Manager zu informieren. Die jüngsten
verständnislosen Äußerungen von Präsident Klaus
und Außenminister Schwarzenberg in Prag, aber
auch von Intellektuellen wie Kohut und Krusa,
zeigen ihre Unbelehrbarkeit und den Einfluss von
Atomlobby und Sicherheitsdiensten auf die
Politik. Doch die einfachen Menschen begreifen
die drohende Gefahr und verteidigen ihre Bürgerrechte - weltweit.
Bis jetzt sind uns keine speziellen
Veranstaltungen und sonstige Initiativen zum
Atomstaat-Gedenkjahr bekannt - auch nicht von
der Robert-Jungk-Bibliothek in Salzburg. Die
vielfältigen Proteste von Atomgegnern - z.B.
gegen das AKW Temelin - setzen allerdings Jungks
Warnung in konkrete Aktionen und Kampagnen um.
Auch wir beteiligen uns daran und berichten
laufend darüber. Mit dem "Nuclear Free Future
Award" werden zum 10. Mal - dieses Mal in
Salzburg vom 18. - 20.10.07 - Aktivisten aus
allen Kontinenten ausgezeichnet (siehe Termine Info 582).
IAEO und Siemens im Atomstaat
(Auch zu: Info 568, 571, 572 u. 573)
Die Internationale Atomenergie Organisation IAEO
- eine 50 Jahre alte UN-Behörde, 2005 mit dem
Friedensnobelpreis ausgezeichnet - will uns
vorspiegeln, dass die Atomenergie mit ihren AKWs
sicher sei und daher zwecks Klimaschutz ausgebaut
werden soll. Generaldirektor Mohammed El-Baradei
behauptet (im profil v. 27.8.07): Ich würde
den Österreichern raten, sich nicht auf die
Tatsache zu konzentrieren, dass es diese
Kraftwerke gibt, sondern viel mehr auf die
Sicherheit der Atomkraftwerke. Um Temelin mache
ich mir nicht die geringsten Sorgen. Ich kann das
mit ruhigem Gewissen sagen, weil ich auch hier in
Österreich lebe. Das erinnert an Atomexperten,
die in ihren Expertisen sogar Katastrophengebiete
wie Tschernobyl oder die mit abgereichertem Uran
verseuchten Kriegsgebiete im Balkan und Nahost
gesundbeten möchten. (Siehe: www.antiatom.info)
Für Atomgegner und andere Kritiker, die sich
dieser Gehirnwäsche und Kontrolle widersetzen,
entwickeln und praktizieren ausgelagerte
Spezialfirmen spezielle Überwachungsprogramme.
Der Ruf nach Sicherheitsmaßnahmen gegen
Terroristen ist ein willkommener Vorwand. Dass
nun auch der Atomkonzern Siemens (dessen
internes Kontrollsystem beim Schmiergeldskandal
versagte) in Graz eine Abteilung für Biometrie
ausbaut, zeigt ihre Cleverness. Der Umsatz boomt
und einige Staaten (u.a. die Schweiz, Italien und
Großbritannien) nützen diese Technik für neue
Pässe und Datenkontrolle. Siehe:
http://futurezone.orf.at/business/stories/217109/.
Matthias Reichl
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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