[E-rundbrief] Info 580 - Avnery - Israels Fehlkalkulationen

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Do Aug 23 17:48:26 CEST 2007


E-Rundbrief - Info 580 - Uri Avnery (Israel): 
Miss C. (Miscalculation/ Fehlkalkulation - 
Täuschungsmanöver israelischer Militärs und 
Politiker verschleiern ihre Kriegspläne gegen 
Syrien. Tägliches Töten in den von Israel 
besetzten palästinensischen Gebieten und in Gaza.)

Bad Ischl, 23.8.2007

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Die Not im Gazastreifen wird von Tag zu Tag 
größer - gemäß dem Plan, der einen totalen 
Zusammenbruch, Anarchie und den Fall der Hamas 
vorsieht. Die Situation in der Westbank ist nicht 
viel besser. Die Straßensperren bleiben, wo sie 
sind, auch die Siedlungen und Außenposten. Das 
Straßennetz “nur für Israelis” dehnt sich weiter 
aus, der Mauerbau ist in vollem Schwange.

Das Schwerwiegendste der Situation in den 
besetzten Gebieten unter Olmert und Barak ist das 
tägliche Töten. Es vergeht fast kein Tag ohne 
erneute Brutalität. Ein Schüler wurde überfahren; 
seine Verletzungen waren schwer; er wurde an 
einer Straßenkontrollstelle über eine Stunde lang 
festgehalten, bis er dort starb. Die Armee 
veröffentlicht ein lakonisches Statement: er war 
auf der Liste derer, denen es” verboten ist, 
Israel zu betreten”. Fünf Soldaten greifen sich 
einen Jugendlichen, der an einer Bushaltestelle 
auf einen Bus wartet und prügeln ihn zu Tode. 
Eine kranke Frau kommt an eine Straßensperre und 
wird dort ohne ersichtlichen Grund aufgehalten, bis sie stirbt.

Miss C.

Uri Avnery

18.8.2007

ICH STELLE Miss Calculatia vor, das zur Zeit so 
beliebte Fremdwort, den neuen Star im israelischen Diskurs.

Für hebräische Ohren klingt dies wie eine junge 
Schönheit, so wie “Miss Israel”. Aber 
Miss-Calculatia, die hebräische Version für 
“Miscalculation” (Fehlkalkulation) ist weder jung 
noch schön und nicht einmal weiblich: es ist nur 
ein weiteres hochtrabendes Fremdwort, das ein gutes hebräisches Wort ersetzt.

(Im Lateinischen ist “calculus” ein kleiner 
Stein. Lange bevor die Römer von Computern 
träumten, benutzten sie einen Abakus - ein 
antikes Rechenbrett -, das aus kleinen Steinen zusammengesetzt war.)

Die Miskalkulation, von der hier die Rede ist, 
ist keine Schönheitskönigin, sondern eine Königin 
der Hässlichkeit: es geht um einen Krieg zwischen 
Israel und Syrien, der jeden Moment ausbrechen 
kann - nicht, weil Israel ihn will oder die 
Syrer, sondern weil eine Seite einen provokativen 
Akt falsch einschätzen wird, der dann wiederum 
die andere Seite in den Krieg treibt.

Wie alle Kriege wird er eine Kampagne des Todes 
und der Zerstörung sein, verbunden mit Trauer und 
Flucht, mit Leid und Not auf beiden Seiten. Und 
keiner kann voraussehen, wie das enden mag.


FAST JEDEN Tag erklären der Ministerpräsident, 
der Verteidigungsminister und ihre Trabanten, 
Israel sei an keinem Krieg interessiert. Überhaupt nicht. Gott bewahre!

Es erinnert einen fast an Hamlets Kommentar über 
seine treulose Mutter: “Die Dame protestiert zu 
viel, dünkt mich.” Besonders weil Ehud Barak 
seine Friedensbekenntnisse ablegt, während er auf 
den besetzten Golanhöhen steht - mit dem 
Hintergrund lärmender Panzer, die bei einem kriegsähnlichen Manöver vorrücken.

Die israelischen Chefs der militärischen 
Nachrichtendienste berichten, dass nach ihrer 
Einschätzung Syrien keinen Krieg beabsichtigt. 
Ihrer Meinung nach würde ein Krieg zu diesem 
Zeitpunkt keinen syrischen Interessen dienen.

Um die Runde voll zu machen, erklärte auch Hassan 
Nasrallah in dieser Woche bei einer Massen-Rallye 
in Beirut, die Hisbollah wünsche ebenfalls keinen Krieg.

Von “unten” kommt auch keinerlei Druck für einen 
Krieg. Die israelische Öffentlichkeit fürchtet 
sich davor  und die syrische anscheinend genau so.

Woher kommt dann also das tägliche Gerede über 
einen Krieg? Wenn ihn keiner wünscht, warum wird 
dann soviel über ihn geredet? Warum berichten die 
Medien in Israel und in aller Welt von 
“Spannungen an der Nordgrenze Israels”? Warum 
führt die israelische Armee hektische Manöver auf 
dem Golan durch? Warum gibt es Berichte über 
hastige Waffenkäufe der syrischen Armee und über 
hektische Baumaßnahmen, die sich auf 
Befestigungen gegen Israel beziehen? Warum bietet 
die türkische Regierung dringende Vermittlung zwischen Israel und Syrien an?

Das ist alles sehr mysteriös.

Es scheint, die Lösung dieses Rätsels könne weder 
in Jerusalem noch in Damaskus gefunden werden  sondern in Washington.

Wenn Ehud Olmert sich weigert, auf Bashar 
al-Assad Serenaden zu reagieren, deutet er an, 
dass Präsident Bush jeden Kontakt mit den Syrern 
verbietet. Im vergangenen Jahr stieß Amerika 
Israel in den Libanonkrieg, es blockierte einen 
frühen Waffenstillstand und anscheinend war es 
daran interessiert, den Krieg nach Syrien hin auszudehnen.

Syrien gehört natürlich zur “Achse des Bösen”, 
die in Bushs Gehirn besteht. Seine arabischen 
Verbündeten sagen ihm vergeblich, dies sei ein 
Fehler: das sunnitische Syrien sei kein 
natürlicher Verbündeter der iranischen Schiiten. 
Es brauche sie nur, weil die USA es isoliere. 
Damaskus benützt die schiitische Hisbollah nur, 
um Druck auf Beirut und Jerusalem auszuüben, 
erklären sie. Es sollte im Interesse der USA 
sein, zwischen Israel und Syrien Frieden zu 
schaffen, um Syrien aus der iranischen Umarmung 
zu befreien. Aber Bush hört nicht auf sie.

Vielleicht stößt er Olmert in einen Krieg mit 
Syrien, um die Aufmerksamkeit von seinem 
irakischen Debakel abzulenken, das von Tag zu Tag 
schlimmer wird. Vielleicht ist er auch nur an 
künstlichen Spannungen interessiert, um das 
Assad-Regime zu Fall zu bringen. Hauptsache ist, 
eine weitere arabische Demokratie zu errichten 
wie Ägypten, Jordanien und Saudi Arabien.

Die Frage ist: Warum beteiligt sich Israel an diesem Spiel?


DIE ZENTRALE Figur in diesem Spiel ist Ehud 
Barak. Seine Verbindung mit Syrien hat nicht erst 
gestern begonnen. Vor acht Jahren, während seiner 
kurzen und katastrophalen Amtszeit als 
Ministerpräsident, spielte er mit der Idee, mit 
Syrien Frieden zu machen. Er verhandelte mit 
Hafez al-Assad und  welche Überraschung!  die 
beiden Parteien kamen an die Schwelle eines 
historischen Friedensabkommens. Die Golanhöhen 
wären zurückgegeben worden, die Siedler 
umgesiedelt, ein weiteres wichtiges arabisches 
Land hätte mit Israel in Frieden gelebt.

Und dann fiel alles wie ein Kartenhaus in sich 
zusammen. Der Vorwand war, dass der alte Assad 
unbedingt seine langen Füße ins Wasser des 
Genezarethsees tauchen wollte, statt ein paar 
hundert Meter davon entfernt zu bleiben. Doch der 
wirkliche Grund lag in den Füßen Baraks: er bekam 
nämlich kalte Füße. Er sprang im letzten 
Augenblick ab und begann mit dem unverantwortlichen Abenteuer von Camp David.

Ich nannte ihn damals einen 
“Friedensverbrecher”  einen politischen 
Serientäter gegen den Frieden. Nachdem Camp David 
misslang  wegen seiner unbändigen Arroganz und 
seiner tiefen Verachtung gegenüber den Arabern. 
Er erfand das Mantra: “Wir haben keinen Partner”. 
Natürlich war nicht er es, der versagte. Es war 
auch nicht die Konferenz, die er initiiert, aber 
auch nicht entsprechend vorbereitet hatte.

Nein. Es war der Partner, der versagte. Mit den 
Palästinensern kann es keinen Frieden geben, so 
wie man auch mit den Syrern keinen Frieden machen 
kann. Wie die unsterbliche Redensart des 
Ultra-ultra-rechten Yitzhak Shamir: “Das Meer 
bleibt dasselbe Meer, und die Araber bleiben dieselben Araber.”

“Wir haben keinen Partner.” Dieses Mantra 
zerstörte die israelische Friedensbewegung und 
verursachte Schaden, der anscheinend kaum mehr zu reparieren ist.


EHUD OLMERT hält Barak aus dem Spiel fern, das er 
mit Mahmoud Abbas spielt. Warum einem 
Konkurrenten ein Geschenk machen? Aus Rache 
wischt Barak die Idee vom Frieden mit den 
Palästinensern mit einer Handbewegung vom Tisch. 
Er verkündet, dass die Idee vom Frieden ein 
Blindgänger sei, weil ein palästinensischer Staat 
Israel mit Raketen überschütten würde. Was heute 
Sderot geschieht, würde morgen dem 
Ben-Gurion-Flughafen passieren, der nur wenige 
Kilometer von der Grünen Linie entfernt liegt.

Das heißt, dass Frieden nur dann gemacht werden 
kann, wenn Israel ein Waffensystem hat, das 
absoluten Schutz gegen Kurzstreckenraketen 
bietet. Und wann geschieht das? In ein paar 
Jahren. (Aber bis dahin haben die Palästinenser 
wahrscheinlich ihre Raketen weiter entwickelt, 
und wir brauchen ein noch höher entwickeltes Verteidigungssystem).

Frieden in drei Jahren oder in dreißig oder in 300 Jahren?


VORLÄUFIG SPIELT Olmert sein Spiel weiter. Fast 
jeden Tag gibt es einen neuen farbigen Ballon: 
Friedensvorschläge, “Prinzipien” für einen 
Frieden, der in irgendeiner unbestimmten Zeit 
kommen wird, ein theoretisches 
“Friedensabkommen”. All diese Pläne haben eines 
gemeinsam: sie haben mit der Realität nichts zu 
tun  weder hier noch jetzt. Sie gehören in eine 
rosige Zukunft, während sehr schlimme Dinge vor Ort geschehen.

Es ist wieder Präsident Bush, der Olmert in diese 
Richtung drängt. So sehr er Spannungen zwischen 
Israel und Syrien wünscht, so sehr wünscht er 
auch positive Nachrichten über seine Vision eines 
“Friedensprozess” zwischen Israel und den 
Palästinensern. Lasst sie einen virtuellen 
“Friedensprozesses” in den Raum stellen und über 
ein Dokument für die Zeit der Wiederkunft des 
Messias diskutieren, lasst sie einander anlächeln 
und umarmen. Dies belegt, dass Bush schließlich 
gewinnt: seine Vision von Frieden ist im 
Anmarsch. Das ist gut für Bush, gut für Olmert und gut für Abbas.

Für wen ist es nicht gut? Für die Palästinenser, 
die unter dem Joch der Besatzung zusammenbrechen. 
Die Not im Gazastreifen wird von Tag zu Tag 
größer  gemäß dem Plan, der einen totalen 
Zusammenbruch, Anarchie und den Fall der Hamas 
vorsieht. Die Situation in der Westbank ist nicht 
viel besser. Die Straßensperren bleiben, wo sie 
sind, auch die Siedlungen und Außenposten. Das 
Straßennetz “nur für Israelis” dehnt sich weiter 
aus, der Mauerbau ist in vollem Schwange.

Das Schwerwiegendste der Situation in den 
besetzten Gebieten unter Olmert und Barak ist das 
tägliche Töten. Es vergeht fast kein Tag ohne 
erneute Brutalität. Ein Schüler wurde überfahren; 
seine Verletzungen waren schwer; er wurde an 
einer Straßenkontrollstelle über eine Stunde lang 
festgehalten, bis er dort starb. Die Armee 
veröffentlicht ein lakonisches Statement: er war 
auf der Liste derer, denen es” verboten ist, 
Israel zu betreten”. Fünf Soldaten greifen sich 
einen Jugendlichen, der an einer Bushaltestelle 
auf einen Bus wartet und prügeln ihn zu Tode. 
Eine kranke Frau kommt an eine Straßensperre und 
wird dort ohne ersichtlichen Grund aufgehalten, bis sie stirbt.

Solche Geschichten sind zur Routine geworden und 
verursachen keine Wellen der Aufregung mehr. Zwei 
oder drei Journalisten regen sich noch darüber 
auf und berichten  die übrigen ignorieren dies. 
Die Gefühle sind abgestumpft. Es sind einfach keine Neuigkeiten mehr.


MAN MÖCHTE eigentlich erwarten, dass jemand über 
die inhaltslosen Spiele des “Friedenprozesses” 
wütend wird. Jede denkende Person weiß doch, dass 
Abbas von der Hamas aus der Westbank vertrieben 
werden wird (wie es schon im Gazastreifen 
geschah), wenn er politisch nichts erreicht  und 
dies sollte den Israelis doch Angst einjagen.

Die Israelis ängstigen sich aber nicht. Die Hamas 
wird die Westbank übernehmen? Na und? Die-Araber-sind-doch-alle-gleich.

Syrien hat Raketen, die jeden Ort in Israel 
erreichen  einschließlich Tel Avivs, 
einschließlich Dimonas. Ein Krieg mit Syrien wird kein fröhlicher Ausritt sein.

Na und? Die Leute regen sich nicht auf. Barak 
sagt, es gebe keinen Krieg, aber dass es 
vielleicht doch Krieg gibt. Aber das würde dann 
nur eine geringfügige Mis-calculatia - eine Fehlkalkulation - sein.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph 
Glanz, vom Verfasser autorisiert).

http://www.uri-avnery.de
erstellt am 18.08.2007

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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