[E-rundbrief] Info 571 - D. Ellsberg: Libby und Vanunu.
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
So Jul 15 16:38:11 CEST 2007
E-Rundbrief - Info 571 - Daniel Ellsberg: Libby und Vanunu.
Bad Ischl, 14.7.2007
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Libby und Vanunu
Daniel Ellsberg
ZNet 07.07.2007
Am selben Tag, an dem Präsident Bush Scooter
Libbys Gefängnisstrafe aufhob, wurde in Israel
Mordechai Vanunu zu einer neuen Haftstrafe
verurteilt. In beiden Fällen lautete der Vorwurf,
Gespräche mit Journalisten geführt zu haben. Die
Strafen unterscheiden sich deutlich. Im Falle
Libby ging es um Meineid bezüglich der Umstände
(der geführten Gespräche) - mit der Folge einer
Behinderung der Justiz. Die Anklage im Fall
Vanunu lautete, er habe gegen Auflagen verstoßen,
die ihm vor drei Jahren, nach seiner
Haftentlassung, auferlegt wurden (nach
18-jähriger Haft, die er voll abgesessen hatte).
Vanunu hat mit Journalisten geredet. Man hatte
ihm verboten, mit irgendjemandem zu reden, weder
mit Journalisten noch mit Ausländern. Aber Vanunu
benahm sich wie ein freier Mensch und tat beides - wiederholt und öffentlich.
Libby hat Geheiminformationen weitergegeben.
Vanunu war damals wegen desselben Vergehens zu
einer Haftstrafe verurteilt worden. Aber diesmal
ging es bei ihm nicht um Geheimnisverrat, niemand
wirft ihm dies vor. Die Transkripte und
Veröffentlichungen seiner Interviews sind
zugänglich, öffentliches Wissen. In seinen
Gesprächen hat er vor allem seine ehrliche
persönliche Haltung zum Thema Atomwaffen zum
Ausdruck gebracht: Atomwaffen - auch die
israelischen - gehörten abgeschafft und zwar überall.
Meineid, wie im Falle Libby, mit der Absicht, die
Justiz zu behindern (was Libby schließlich auch
gelang), ist ein uraltes, etabliertes Verbrechen.
Praktisch alle Rechtssysteme kennen entsprechende
Paragraphen. Vanunus freie Meinungsäußerungen
hingegen sind - laut geltendem internationalem
Menschenrecht - keine Verbrechen. In keinem
anderen demokratischen Staat wären seine Aussagen
als Verbrechen gewertet worden. Es geht hier
nicht um Bewährungsauflagen, wie es oft
fälschlicherweise dargestellt wurde. Vanunu war
nicht auf Bewährung. Er hatte seine Haftzeit, für
seine frühere Verurteilung, voll abgesessen: 18
Jahre Gefängnis, davon 11 1/2 in Isolationshaft.
Die meisten Strafsysteme hätten ihm danach
keinerlei Auflagen oder Restriktionen auferlegt.
Welchen Status haben jene rechtlichen
Restriktionen, für deren Verletzung Vanunu nun
verurteilt wurde? Die Antwort lautet: Jenes
israelische Recht, mit dem Vanunus
Bewegungsfreiheit und seine freie
Meinungsäußerung eingeschränkt wurden, ist ein
Relikt aus der Zeit des britischen Mandats über
Palästina. Es handelt sich um unverändert
übernommene Kolonialregelungen. In keiner anderen
Demokratie findet sich Vergleichbares. Man stelle
sich vor, die neugegründeten 'Vereinigten Staaten
von Amerika' hätten damals die britischen
Restriktionen und Unterdrückungsmechanismen, die
zur Amerikanischen Revolution geführt hatten, in
ihr Rechtssystem übernommen. Diese wurden in der
Unabhängigkeitserklärung und der 'Bill of Rights'
verurteilt. Als er das neue Urteil hörte, sagte
Vanunu mit Galgenhumor, er sollte wohl eher bei
der Königin von England Berufung einlegen.
Es gibt weitere Unterschiede zwischen dem Fall
Libby und dem Fall Vanunu. Lewis Libby hatte mit
Journalisten geredet - in der klaren Absicht, die
Person Joseph Wilson zu diskreditieren. (Dieser
hatte öffentlich Tatsachen ausgesprochen, die die
Lügen der Bush-Administration widerlegten.)
Einige Geheiminformationen, die Libby
veröffentlichte - auf Anweisung seines Chefs,
Vizepräsident Dick Cheney - sollten bewusst auf
die falsche Fährte führen. Es ging um die Frage,
auf welcher Grundlage Amerika in den Irakkrieg
geführt wurde. So war beispielsweise eine Passage
aus einem geheimen Einschätzungsbericht
('National Intelligence Estimate') aus dem
Kontext gerissen. In diesem Kontext heißt es
warnend, der vorliegende Bericht sei nicht
gesichert und in Geheimdienstkreisen umstritten.
Tatsächlich erwies er sich als falsch. Zum
Zeitpunkt, als Vizepräsident Cheney Lewis Libby
autorisierte, die Infos preiszugeben (ob Cheney
selbst dazu befugt war, darf sehr bezweifelt
werden), wussten Cheney und Libby bereits, dass
die Einschätzungen nicht zutreffend waren.
Eine weitere Geheiminformation, die Libby
preisgab, war der Name und die Tätigkeit von
Joseph Wilsons Ehefrau, Valerie Plame. Sie
arbeitete als verdeckte CIA-Agentin. Ihre Aufgabe
war es, das Schema der Nuklearproliferation im
Nahen/Mittleren Osten aufzudecken. Zum Thema
Enthüllung: Ich teile nicht die Ansicht, dass
sämtliches Geheimdienstwissen sakrosankt sei. Ich
selbst wurde vor Gericht gestellt, weil ich
geheime Informationen kopierte und bewusst an die
Öffentlichkeit brachte - die sogenannten
'Pentagon Papers'*. Ich hätte andererseits
niemals etwas Derartiges getan wie den Namen von
Valerie Plame oder deren Geheimstatus
preiszugeben. Ihre Arbeit hat offensichtlich den
amerikanischen Sicherheitsinteressen gedient, und
sie konnte sie nur unter dem Deckmantel der
Anonymität leisten. Plame hatte ein Anrecht auf Geheimhaltung.
Es gibt noch einen Unterschied zu meiner
damaligen Veröffentlichung (der 'Pentagon
Papgers'): Die spezifische Geheimhaltungspflicht,
um die es im Falle Plame geht, ist per Gesetz
geschützt. Der US-Kongress hat ein Gesetz zum
Schutze der Identität von Personen erlassen, die
für Geheimdienste tätig sind ('Intelligence
Identities Protection Act'). Dieses Gesetz stellt
die Enthüllung der wahren Identität eines
Undercover-Agenten unter Strafe. (Ob Libby
wusste, dass Plame Undercover-Status besaß,
bleibt - dank seiner Erinnerungslücken
(vielleicht Lügen) - unbewiesen.) Ich habe nichts
gegen das oben erwähnte Gesetz, es ist sehr eng
gefasst. Allerdings würde ich mich sehr gegen ein
Gesetz wie das britische Geheimdienstgesetz
wehren (Official Secrets Act), das sehr generell
ist und jede Veröffentlichung von
Geheimdienstinformation unter Strafe stellt.
Durch den Ersten Zusatz (der US-Verfassung)
konnte ein solches Gesetz bei uns bislang verhindert werden.
Keine Frage, die Informationen, die Mordechai
Vanunu 1986 an die Presse gab, waren in Israel
ein Geheimnis und deren Veröffentlichung illegal
- vor allem die Information, dass Israel seit
geraumer Zeit Atomwaffenstaat war, mit einem
Atomwaffenarsenal größer als das der Briten,
vielleicht sogar größer als das der Franzosen.
Israel hatte nie den Atomwaffensperrvertrag
unterzeichnet und seine nuklearen Operationen
keinerlei internationalen Inspektionen
unterworfen. Andererseits: Kein anderer
Atomwaffenstaat der Welt hätte seinen Status vor
dem eigenen Volk und der Welt verborgen (mit
Ausnahme Südafrikas, das mit dem Ende der
Apartheid sein geheimes Atomwaffenarsenal
eingestand und es gleichzeitig auflöste).
1986 war das israelische Programm nur noch für
jene Israelis und andere (zu denen offiziell auch
die US-Regierung gehörte) ein Geheimnis, die es
vorzogen, dem israelischen Leugnen - das sehr
ambivalent und bewusst irreführend war -, Glauben
zu schenken. (Überraschend war allerdings der
Umfang des Programms, selbst die CIA war überrascht.)
Klar ist, es ging um Informationen, auf die
Vanunus Mitbürger schon lange ein Anrecht hatten
- schon zuvor dringend gehabt hätten, als noch
Zeit war, sich eine demokratische Meinung zu
bilden und Einfluss auf die nationale Politik zu
nehmen. Meiner Ansicht nach hat Vanunu mit dem
ihm zur Verfügung stehenden Wissen genau das
Richtige getan. Ich hoffe, ich hätte mich an
seiner Stelle ebenso verhalten. Die
Bereitwilligkeit, mit der er bei seinen
Enthüllungen ein persönliches Risiko einging -
wie etwa eine Verurteilung zu langer Haft -,
verdient weltweite Bewunderung und, wie ich
hoffe, Nachahmung (laut Amnesty International ist
Mordechai Vanunu die einzig bekannte Person, mit
einer derart langen Isolationshaft (diese stellt,
laut Amnesty, einen Menschenrechtsverstoß dar).
Die Verfolgung der Person Vanunus, die
kontinuierlichen Einschränkungen, denen er auch
nach Ende seiner Haftzeit unterworfen war und nun
seine erneute Verurteilung und Einweisung ins
Gefängnis, wo er eine sechsmonatige Strafe
absitzen soll (verhängt unter dem Vorwand, er
verfüge über fünfundzwanzig Jahre altes Wissen,
das er weitergeben könnte (was übrigens durch die
Restriktionen keineswegs verhindert worden wäre))
- dies alles ist illegal und empörend.
Was Lewis Libby angeht: Ich weiß nicht, ob eine
dreißigmonatige Gefängnisstrafe in seinem Fall
wirklich so exzessiv gewesen wäre, wie Präsident
Bush meinte, als er die Strafe umwandelte. Bush
weiß - besser als wir alle - dass Libby nur der
Wasserträger war, dass Libby routinemäßig die
Wünsche und Befehle seiner Chefs ausführte - auch
wenn diese klar illegal waren. Würde die
Untersuchung durch den US-Kongress - in der es um
Gesetzesbrüche, Verfassungsverstöße und
Täuschungsmanöver, die uns in den Irakkrieg
geführt haben, geht, (Dinge, die auch gegen den
Iran wieder zur Anwendung kommen könnten) -, dies
bestätigen, wären Amtsenthebungsverfahren und
danach Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Richard
Cheney und/oder George Bush sehr wohl möglich.
Nun haben wir allerdings Gewissheit: Eine
Verurteilung von Cheney oder dessen Boss würde
von präsidialer Seite in eine Rundumbegnadigung
umgewandelt. Das versetzt entsprechenden
Bemühungen einen Dämpfer. Richard Nixon hat
einmal erklärt: "Wenn es der Präsident tut, ist
es nicht illegal". Vielleicht stimmt dieser Satz
nicht wirklich. Aber was immer "es" ist, wenn
"es" der Präsident oder sein Vize anordnet oder
tut, scheint "es" strafrechtlich nicht verfolgbar zu sein.
Zum Thema Israel: In diesem Land sind noch Regeln
in Kraft, die zu einem alten imperialen System
passen, aber nicht zu einer Republik.
Anmerkung d. Übersetzerin
* zur Person von Daniel Ellsberg bzw. zum Thema
'Pentagon Papers' siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Ellsberg
www.zmag.de/artikel.php?id=2101/index.php
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