[E-rundbrief] Info 550 - Medienfreiheit Venezuela - Oesterreich

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Sa Jun 2 15:01:20 CEST 2007


E-Rundbrief - Info 550 - Erklärung von 
Kulturschaffenden, Publizisten und Politikern aus 
Deutschland, Österreich und der Schweiz zum 
Streit über die Pressefreiheit in Venezuela; 
Matthias Reichl: Welche "Medienfreiheit"?

Bad Ischl, 2.6.2007

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Streit über die Pressefreiheit in Venezuela

Kulturschaffende, Publizisten und Politiker aus 
Deutschland, Österreich und der Schweiz erklären dazu:

Für Freiheit der Presse ­ nicht der Konzerne: Wir 
respektieren die Entscheidung der venezolanischen 
Telekommunikationsbehörde CONATEL, dem privaten 
Fernsehkanal Radio Caracas TV (RCTV) die Lizenz 
zur Nutzung des zweiten staatlichen Kanals nicht 
zu verlängern. Die Entscheidung entspricht der 
international üblichen Medienpolitik und steht 
zudem im Einklang mit nationalen Gesetzen und internationalen Richtlinien.

Wir respektieren die alternierende Vergabe von 
staatlichen Sendelizenzen. Sie dient dem Zweck, 
neuen Medien den Zugang zum staatlichen Rundfunk 
zu geben. Das Argument, RCTV sei seit 53 Jahren 
auf Sendung gewesen, spricht daher für und nicht 
gegen die Entscheidung des venezolanischen Staates.

Wir erkennen das Recht der Regierung Venezuelas 
an, über die Rundfunkressource frei zu verfügen. 
Im Fall von RCTV wurde auch vertragsgemäß 
gehandelt. Der Sender wurde nicht geschlossen, 
die Lizenz nicht entzogen. Die Nutzungsfrist für 
die terrestrische Übertragung ist lediglich 
ausgelaufen. RCTV hat weiterhin die Möglichkeit, 
per Kabel und Satellit weiterzusenden.

Wir beobachten zugleich mit Sorge die 
Berichterstattung über den Fall. Der Sender RCTV 
wird international als Opfer einer angeblich 
repressiven Medienpolitik dargestellt. Tatsache 
ist, daß die Senderleitung, die sich nun als 
Vorkämpfer der Pressefreiheit inszeniert, im 
April 2002 aktiv an einem Putschversuch gegen die 
demokratisch gewählte Regierung von Präsident 
Hugo Chávez teilgenommen hat, indem die Aufrührer 
unterstützt und die Regierung zensiert wurden. 
Bei dem versuchten Staatsstreich wurden 13 
Menschen getötet. Der selbsternannte 
Übergangspräsident ließ alle Verfassungsorgane 
auflösen, gewählte Politiker und bekannte 
Journalisten gezielt verfolgen sowie Medien 
schließen. Mit großem Unverständnis nehmen wir 
Stellungnahmen wie die der Presseorganisation 
»Reporter ohne Grenzen« zur Kenntnis, die dies in 
einem Interview mit der Deutschen Welle als »Recht auf Kritik« banalisiert.

Wir sehen in Anbetracht der Berichterstattung die 
Notwendigkeit einer Debatte über die 
Demokratisierung der Medien ­ nicht nur in 
Venezuela. Nach Angaben der 
Telekommunikationsbehörde CONATEL werden 80 
Prozent der Information in dem Land nach wie vor 
von den privaten Medienkonzernen produziert. Der 
Blick des Auslands auf Venezuela entspricht 
demnach weitestgehend dem Blick der Großkonzerne 
auf die sozialreformerische Regierung Chávez. 
Wenn Pressefreiheit aber mit der Freiheit vom 
Medienkonzernen verwechselt wird, ist das Recht 
auf unabhängige und wahrhaftige Informationen bedroht.

(Es folgt eine Liste von 18 Unterzeichnern - von Rolf Becker bis Jean Ziegler)

Quelle: www.jungewelt.de/2007/06-02/048.php

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Welche "Medienfreiheit"?

Matthias Reichl

Der obenstehende Erklärung kann ich mich 
anschließen. Auch in Österreich offenbaren die 
Berichte darüber die Malaise und Unterentwicklung 
von scheinheilig-demokratischen Massenmedien. Ihr 
internationaler "Standard" basiert auf einer 
verführerischen Mischung von agressiver und 
subtiler Produktwerbung, "gewürzt" mit primitiven 
Sex-and-Crime-Filmen - der üblich-üble Kommerzmix.

Da moralische Appelle gegen die 
Konsum-Gehirnwäsche der Kommerzmedien relativ 
wenig bewirkt haben, sollten wirsamere, 
gewaltfreie Maßnahmen gegen sie überlegt werden. 
(Deshalb verstehe ich die radikalen Forderungen 
der betroffenen Venezolaner und anderer im 
"Süd-Nord-Konflikt" involvierten.) Die Argumente 
einer Einschränkung der Meinungsfreiheit werden 
dort absurd, wenn die Veröffentlichung wertvoller 
Information, Bildung und Kultur mangels 
akzeptabler Ressourcen be- oder verhindert 
werden. Daher bauen die fortschrittlichen Länder 
Lateinamerikas ihr gemeinsames TV-Netzwerk 
"TeleSur" und ein ähnliches Rundfunk-Netz auf. 
Ihre Alternative zum Medienkolonialismus aus dem 
"Norden" dient als Vorbild für andere Regionen.

Bei uns werden im nächsten Jahr auch die privaten 
(Radio)Sendelizenzen neu verteilt. Dabei könnten 
die freien, nichtkommerziellen den privaten 
Kommerzsendern unterliegen und damit liquidiert 
werden. (So tauchte kürzlich bei dem katholischen 
Pfarrer von Bad Ischl ein konservativer 
Unterstützer von "Radio Maria" auf und bat ihn 
ihre "Kandidatur" für die regionale Sendelizenz - 
die bis jetzt vom Freien Radio Salzkammergut 
genützt wird - zu unterstützen. Wer die 
strategische Macht dieser internationalen 
religiös-konservativen Netzwerke kennt, wird deren Gefahr nicht unterschätzen!)

Die nach wie vor unzureichende staatliche 
finanzielle und organisatorische Unterstützung 
für die "Freien Radios" (ohne Werbeeinnahmen und 
mit wenigen Sponsoren) könnte diese zum Aufgeben 
zwingen um eine weitere untragbare 
Selbstausbeutung ihrer Sendungsmacherteams zu 
vermeiden. Auch die neue Regierung konnte ihnen 
nur "Akuthilfen", nicht aber eine langfristige 
Grundabsicherung anbieten. (Gruppierungen mit - 
politischer - Protektion haben ihre speziellen 
Kanäle.) Damit würden wieder einmal Konflikte auf 
gut österreichisch "entsorgt".

Wie viele andere kleine Zeitschriften wird auch 
unser "Rundbrief" durch Post-Tariferhöhungen auf 
das Zehnfache und diskriminierende administrative 
Vorschriften in seiner Existenz gefährdet. Sollen 
und können wir uns den Aufwand, auch für die 
Informationssendung "Begegnungswege" im 
regionalen "Freien Radio Salzkammergut" (am 1. 
und 3. Donnerstag von 19:00 bis 20:00) noch 
leisten? Oder kapitulieren wir vor der Übermacht 
kommerzieller Privatmedien - und auch vor dem - 
in Teilen der Berichterstattung - garnicht so 
"objektiven" und "unabhängigen" ORF? Auf deren 
"Qualitätsmängel" reagieren kritische Konsumenten 
zunehmend mit einem teilweisen oder sogar totalen 
Boykott. (Ich konnte mit dazu bis jetzt noch nicht durchringen.)

Aus: "Rundbrief" Nr. 125, Begegnungszentrum für 
aktive Gewaltlosigkeit, Juni 2007

Siehe auch Info 547

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
     Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
     fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
     Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) 
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