[E-rundbrief] Info 522 - Rb 124 - WSF 2007 Bericht
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Do Mär 8 10:10:08 CET 2007
E-Rundbrief - Info 522 - Rundbrief Nr. 124 -
Johann Schögler (Graz, A): Weltsozialforum 2007
in Nairobi, Kenia (Bericht - Interview in KORSO Nr. 2/2007).
Bad Ischl, 8.3.2007
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Weltsozialforum 2007 in Kenia
Johann Schögler
Interviewer: Christian Stenner (KORSO, Graz)
Das siebente Weltsozialforum der sozialen
Bewegungen fand vom 20. bis 25. Jänner unter dem
Motto Peoples Struggles, Peoples Alternatives
in Nairobi statt. An die 60.000 TeilnehmerInnen
besuchten insgesamt 1300 Vorträge, Seminare und Diskussionsveranstaltungen.
Ch. St.: Afrika ist Neuland für die
Weltsozialforen, beim ersten WSF in Porto Alegre
waren nur wenige AfrikanerInnen, das erste
afrikanische Forum fand erst 2006 in Mali statt
Letztendlich blieb diesmal die Beteiligung unter den Erwartungen.
J. Sch.: Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist
es gerade für die BewohnerInnen des ärmsten
Kontinents aus finanziellen Gründen sehr
schwierig zu reisen; zum anderen wurde bekannt,
dass viele Teilnahmewillige kein Visum bekommen
haben oder aus politischen Gründen aufgehalten
wurden. Dennoch waren laut Angaben des
Organisationskomitees 57.000 Personen anwesend,
an die 40.000 AfrikanerInnen und etwa 15.000
Personen von anderen Kontinenten, Südamerika vor
allem Brasilien und Europa waren stark vertreten,
ebenso der indische Subkontinent, es gab aber
auch kleinere Delegationen aus den USA, Kanada,
Australien und China. Zwischen letzterer und
afrikanischen TeilnehmerInnen kam es übrigens zu
heißen Diskussionen über die aktuelle Rolle
Chinas am afrikanischen Kontinent: Den Chinesen
wurde vorgeworfen, dass sie ebenso wie andere
imperialistische Mächte nur an den Rohstoffen
interessiert sind und damit die Entwicklung Afrikas untergraben.
Ch. St.: Unabhängige Medien berichten, dass es
erstmals Probleme wegen der Teilnahmegebühren gegeben habe
J. Sch.: Ja, das mit der Regierung und der
Stadtverwaltung von Nairobi eng verbundene
Organisationskomitee vor Ort, das nicht in den
sozialen Bewegungen verankert ist und nicht mit
dem gesamtafrikanischen Sozialforums-Komitee
verwechselt werden darf, hat eigenmächtig zwei
Entscheidungen getroffen: Zum einen das Forum aus
der Innenstadt in das 12 Kilometer nördlich
gelegene Mio-Stadion zu verlegen und zum Zweiten
die Registrierungsgebühren zu erhöhen; Menschen
aus dem Norden mussten 80 Euro zahlen,
TeilnehmerInnen aus den Übergangsländern 20 und
AfrikanerInnen 5 Euro; das ist aber ein
durchschnittlicher kenianischer Wochenlohn. Das
führte dazu, dass die kleineren sozialen
Bewegungen sich eine Teilnahme nicht leisten
konnten und versuchten, in Form von
Demonstrationen unentgeltlich ins Forum zu
gelangen was ihnen letztlich auch gelungen ist.
Weitere Proteste richteten sich gegen die hohen
Essen- und Wasserpreise im Stadion und gegen die
Tatsache, dass das Forum von mit
Maschinenpistolen bewaffneter Polizei und Militär bewacht wurde.
Ch. St.: Warum wurde das Forum aus der Stadt
hinaus verlegt fürchtete man Unruhen?
J. Sch.: Offiziell geschah dies aus
Sicherheitsgründen; meine Vermutung geht aber
eher dahin, dass die Administration nicht wollte,
dass sich das Sozialforum mit dem armen Afrika
vermischt und die Bewegung vor Ort daraus
gestärkt hervorgeht. Immerhin wohnen 900.000 EinwohnerInnen Nairobis in Slums.
In der Innenstadt hat sich dann ein kleineres
Parallelforum konstituiert, das von den
kenianischen Bewegungen organisiert wurde, die
sich eine Teilnahme am WSF nicht leisten konnten
und an dem ca. 2.000 Personen teilnahmen. Dort
wurden vor allem Fragen der Armut, der Ausbeutung
der Rohstoffe der dritten Welt und der Kriege um
diese Rohstoffe diskutiert. An diesem Forum
nahmen auch Mitglieder der Salzburger
Armutskonferenz teil; dabei wurde dann auch ein
Netzwerk für eine weltweite Armutskonferenz ins Leben gerufen.
Ch. St.: Gab es einen Austausch zwischen den beiden Veranstaltungen?
J. Sch.: Ja, es gab viele SprecherInnen, die in
beiden Foren auftraten. Und beim Abschlusstreffen
der sozialen Bewegungen am vierten Tag, an dem
2.000 Personen teilnahmen, hatten die
SprecherInnen des Forums aus der Innenstadt den gleichen Redeanteil.
Ch. St.: Was waren die konkreten Ergebnisse des heurigen Weltsozialforums?
J. Sch.: Die afrikanischen sozialen Bewegungen
und das afrikanische globalisierungskritische
Netzwerk ACORD haben sich am Forum stärker für
eine Kampagne gegen das Freihandelsabkommen der
AKP-Staaten mit der EU vernetzt, das heuer in
Kraft treten soll. Das Abkommen zielt auf
einseitige Öffnung der Märkte für
EU-Fertigprodukte, v.a. Nahrungsmittel und die
Abschaffung von Unterstützungszahlungen. Schon
jetzt gibt es ja ein enormes Ungleichgewicht
zwischen den Erzeugerpreisen und den Preisen
reimportierter Nahrungsmittel: Kenianische
KaffeeproduzentInnen verkaufen ein Kilo Rohkaffee
um 30 kenianische Schilling das sind ca. 40 Cent
der reimportierte Fertigkaffee von Nestlé kostet 2600 Schilling.
Die afrikanischen Netzwerke haben weiters
beschlossen in allen Hauptstädten Afrikas
Proteste zu organisieren um die Staatschefs an
die Einhaltung ihres Versprechens zu erinnern,
das sie jüngst bei einem Gipfel der Union
Afrikanischer Staaten abgegeben haben nämlich 15%
der jeweiligen Länderbudgets für das Gesundheitswesen auszugeben.
Zum dritten wurde eine weltweite Kampagne zur
Streichung der Schulden der dritten Welt
beschlossen, die zwischen 14. und 20. Oktober
stattfinden soll und ein internationaler
Aktionstag gegen den Irakkrieg am 20. März. Der
Widerstand gegen den G8-Gipfel in Rostock im Juni
dieses Jahres soll unter der Losung Brot für die
Welt stattfinden und insbesondere die
schreckliche Situation Afrikas thematisieren.
Weitere werden im Mai zum Thema Recht auf
Wohnung und im Dezember zur Klimaerwärmung stattfinden.
Darüber hinaus kam es auch zu wichtigen
Vernetzungsschritten: So hat die internationale
fortschrittliche Bauernorganisation Via Campesina
beschlossen, Aufbauhilfe für ein
gesamtafrikanisches Netzwerk zu leisten, das die
soziale, ökologische und faire Nahrungsmittelproduktion vorantreiben soll.
Ch. St.: Auch wenn alle genannten Forderungen
richtig und berechtigt sind: Betrachtet man die
Geopolitik der letzten Jahre, so scheinen die
Sozialforen kaum Einfluss auf das Weltgeschehen
zu haben. Gab es so etwas wie eine Evaluierung
der politischen Wirksamkeit der Foren?
J. Sch.: Der bekannte ägyptische Ökonom und
Entwicklungswissenschafter Samir Amin analysierte
am Forum den politischen Linksruck in
Lateinamerika, wie er bei der jüngsten Wahlrunde
zum Ausdruck kam, auch als Konsequenz der
Sozialforen: Durch die Foren seien die Netzwerke
der globalisierungskritischen Gruppen gestärkt
worden, und diese Stärkung habe sich auch auf der
Wahlebene ihre Entsprechung gefunden. Für Afrika
erhofft man sich nun ähnliche Auswirkungen.
Mag. Johann Schögler aus Graz, ist BORG -Lehrer,
Gewerkschaftsaktivist und Koordinator des 3.
Österreichischen Sozialforums 2006 in der steirischen Landeshauptstadt.
Aus: "KORSO" Nr. 2/2007 (www.korso.at)
(Siehe auch Info 499, 501 und 503)
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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