[E-rundbrief] Info 517 - Rb 124 - Schwarcz: Atomare Vernichtungstechnik
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Mi Mär 7 21:45:32 CET 2007
E-Rundbrief - Info 517 - Rundbrief Nr. 124 -
Prof. Ernst Schwarcz (Wien, A): Fragwürdige
Fortschritte bei der atomaren
Vernichtungstechnik; Atomwaffen - Frankreich: Jeder Punkt der Erde.
Bad Ischl, 7.3.2007
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
==============================================================
Fragwürdige Fortschritte bei der atomaren Vernichtungstechnik
Prof. Ernst Schwarcz
Schon seit mehr als einem Jahr pfeifen es die
Spatzen vom Dach, dass US-Präsident George W.
Bush neue und bessere Atomwaffen anschaffen
möchte. Dabei ist unter anderem die Rede von
einem sogenannten Bunker Buster, einer Bombe,
die wegen ihrer großen Eindringtiefe für die
Zerstörung von unterirdischen militärischen
Kommandozentralen speziell geeignet sein soll. -
- - Nun hat es sich scheinbar bis zum
US-Präsidenten noch nicht herumgesprochen, dass
eine solche Waffe - allerdings nicht atomaren
Ursprungs - schon seit mehr als fünfzehn Jahren
existiert. In meinem Antikriegsbuch ZEITENWENDE
habe ich die Neue Zürcher Zeitung vom 12. Oktober
2001 zitiert. Dort hieß es unter dem Titel
Anti-Bunker-Bomben: Bei ihren Luftschlägen
gegen das Taliban-Regime in Afghanistan haben die
USA vom Tarnkappenbomber B-2 aus eine
bunkerbrechende Bombe eingesetzt, die mehr
zerstören kann als jeder konventionelle Sprengstoff bisher.
Eine Schilderung über den allerersten
erfolgreichen Einsatz dieser - von der
amerikanischen Rüstungsindustrie für die US-Armee
eigens maßangefertigten ? Bombe lieferte kurze
Zeit später die Süddeutsche Zeitung in einem
Bericht von der Operation Wüstenfuchs im
US-Krieg 1991 gegen den Irak. Dabei wurden zwei
dieser Bomben über Bagdad abgeworfen in der
Absicht, wichtige Kommandozentralen der
irakischen Armee zu zerstören. Dank der mittels
Laserstrahlen exakt funktionierenden Zieltechnik
wurden beide Bunker genau getroffen. Allerdings
stellte sich nachträglich heraus, dass in einem
der beiden Bunker ? dem Amarija-Bunker -
keinerlei militärische Einrichtungen vorhanden
waren. Es befanden sich dort rund 500 Zivilisten,
die vor den Luftangriffen Schutz gesucht hatten.
Nach dem Volltreffer waren sie alle mausetot. Man
nennt das im Neu-Sprech Kollateralschaden!
Es ist mir völlig unverständlich, warum in den
USA unbedingt eine neue bunkerbrechende
Atombombe gebaut werden muss, wenn die eben
geschilderte konventionelle 5000-Pfund-Bombe
(mit der technischen Bezeichnung GBU-28) ohnedies
bereits bestens funktioniert hat. Sie ist
angeblich imstande, eine 6 Meter dicke
Betonschicht oder 30 Meter Erdreich zu
durch-schlagen. ? Der mehr als fragwürdige
Vorteil einer Atombombe für diesen speziellen
Zweck könnte nur sein, dass die Bombe sozusagen
in einem Aufwaschen gleich Hunderte oder gar
Tausende Menschen, die sich im Umfeld des
Zielbereiches befinden, töten bzw. atomar verseuchen könnte.
Der britische und amerikanische Wunschtraum von mini-nukes
Auch der Begriff der mini-nukes, das sind
kleine Atombomben, wurde als erstes von den
militärischen Beratern des amerikanischen
Präsidenten erfunden. Aber nur wenig später
tauchte er auch in den Wunschträumen des
englischen Premiers Tony Blair und seiner
militärischen Berater auf. Dementsprechend wird
heute in England geplant, dass ein Teil der auf
den vier atomar betriebenen Trident-U-Booten
Großbritanniens befindlichen 185 Nuklear-Raketen
mit Mehrfach-Sprengköpfen gegen
mini-nukes-Raketen mit Einfach-Sprengköpfen
ausgetauscht werden soll. Eine solche Umstellung
hätte den fiktiven Vorteil, dass die
angenommene mini-nuke-Sprengkraft von nur einer
Kilotonne TNT wesentlich geringer wäre als jene der Hiroshima-Bombe.
Zum Vergleich seien hier einige Daten der am 6.
August 1945 über der japanischen Stadt Hiroshima
abgeworfenen Atombombe - der ersten über einer
menschlichen Siedlung abgeworfenen Nuklearwaffe -
angeführt. Sie hatte eine Sprengkraft von 13
Kilotonnen TNT (dem stärksten konventionellen
Sprengstoff), tötete sofort bei ihrem Abwurf
70.000 Menschen und zerstörte 80 Prozent von
Hiroshima (einer der größten Städte Japans). Am
Ende des Jahres 1945 waren aber an den Folgen der
Verletzungen und radioaktiven Verstrahlung
insgesamt 140.000 Einwohner Hiroshimas gestorben
- genau die doppelte Zahl! Aber noch eine weitere
Zahl muss uns in diesem Zusammenhang erschrecken:
wegen der Spätfolgen der radioaktiven
Verstrahlung hat sich nämlich die Gesamtzahl der
Opfer Hiroshimas bis zum Jahr 2005 ? 60 Jahre
später (!) ? auf über 240.000 erhöht.
Wie würde der Unterschied zum ersten
Atombombeneinsatz der Menschheitsgeschichte
aussehen, wenn bei einem zukünftigen mit
Atomwaffen geführten Krieg n u r mini-nukes
eingesetzt werden würden - also Atomwaffen mit
nur einem Dreizehntel der Zerstörungskraft der
Hiroshima-Bombe? Mit dieser Frage setzten sich
die Vertreter von MEDACT - der britischen Sektion
der IPPNW, der Internationalen Ärztevereinigung
gegen einen Atomkrieg, - auseinander. In einem am
7. Dezember 2006 veröffentlichten Bericht
verurteilt die britische Ärzteorganisation den
möglichen Einsatz solcher kleiner Bomben ganz
energisch, denn diese würden im Fall ihrer
Anwendung Tausende von Menschen töten. Die
Autoren widerlegen den Mythos, dass solche
Waffensysteme zwischen Militär und Zivilisten
unterscheiden und sozusagen ,chirurgisch
eingesetzt werden könnten. MEDACT reagiert damit
auf die jüngst veröffentlichen Berichte von
Premierminister Tony Blair, wonach er die
britischen Trident-Atomwaffen modernisieren möchte.
In dem Bericht der MEDACT heißt es weiter: Seit
dem Ende des Kalten Krieges stellen sich viele
Briten die Frage, warum ihr Land überhaupt noch
Atomwaffen unterhält. Die offizielle Begründung
der Regierung lautet, dass ihre Atomraketen nicht
nur für passive Vergeltungs-schläge sondern auch
für ,hochpräzise Einsätze zur Verfügung stehen
müssen. - MEDACT verdeutlicht, dass auch
Atomwaffen mit reduzierter Sprengkraft
unterschiedslos töten und daher gegen die Genfer
Konventionen verstoßen. In diesem Zusammenhang
wird auch eine Warnung von Dr. Hans Blix, dem
früheren Chef der in Wien ansässigen
Internationalen Atombehörde, angeführt. Nach
seiner Meinung raubt die Modernisierung von
Trident Großbritannien jede moralische
Integrität, die erforderlich wäre, um andere
Nationen vor einem Aufstieg zur Atommacht abzuhalten.
Dazu käme auch die Gefahr, dass bei einem
eventuellen Atomschlag eines Atomwaffenstaates
mit mini-nukes die Regierung des angegriffenen
Staates nicht sofort feststellen könnte, um
welche spezielle Waffengattung es sich hier
handelt. Eindeutig wäre aber für sie, dass eine
Atomwaffe eingesetzt wurde und dass damit die
Schwelle für den bisherigen 60jährigen
Nichteinsatz von Atomwaffen durchbrochen worden
ist. Und es wäre in der Folge nicht
ausgeschlossen, dass der angegriffene Staat
daraufhin seinerseits gegen den Angreifer
Atomwaffen zum Einsatz bringt. Dadurch könnte,
wegen des leichtfertigen Umgangs mit einer neuen
Waffenkategorie, ein weltweiter Atomkrieg ausbrechen!
Zusammenfassend heißt es in dem Bericht von
MEDACT: Als Atommacht trägt Groß-britannien eine
signifikante Mitverantwortung für die Gestaltung
unser aller Zukunft. Die Entwicklung neuer
nuklearer Waffen wird uns alle in einen neuen
Rüstungswettlauf hineinführen mit allen damit
verbundenen Risiken und Gefahren.
Wien, 25. Jänner 2007, Prof. Ernst
Schwarcz, Bauernfeldgasse 6/8, A-1190 Wien Tel./Fax 0043 (0)1 36 877 22
-------------------------------------------------------------------------
Atomwaffen
Frankreich: Jeder Punkt der Erde
Auch Frankreich arbeitet fieberhaft an der
Modernisierung seines Atomwaffenpotentials. Ende
2006 fand ein erster Testflug der neuen nuklearen
Langstreckenrakete M-51 statt. Die ungeladene
Rakete war von der französischen Atlantikküste
aus, vom 50 km von Bordeaux gelegenen
Raketenversuchszentrum der Armee, abgeschossen
worden, um eine Viertelstunde später vor der
US-Küste ins Meerwasser zu plumpsen. Ab 2010 soll
die M-51 die kommende Generation von Atom-U-Booten bestücken.
Die geheimgehaltene Reichweite sie jedenfalls so
gestaltet, dass kein einziger Punkt des
Planeten außerhalb der französischen
Abschreckungskapazitäten liege, wie der
Chefingenieur der ozeanischen
Nuklearstreitkräfte, Christophe Fournier,
erklärt. 50 bis 60 dieser Raketen sollen gebaut
werden, eine einzige kostet 150 Millionen Euro.
(Aus guernica Nr 1/2007)
===========================================================
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314)
Sparkasse Bad Ischl, Geschäftsstelle Pfandl
IBAN: AT922031400600970305 BIC: SKBIAT21XXX
Mehr Informationen über die Mailingliste E-rundbrief