[E-rundbrief] Info 497 - Abruestungsexperten warnen
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Mi Jan 17 23:05:55 CET 2007
E-Rundbrief - Info 497 - Wolfgang Kötter:
Abrüstungsexperten warnen: Fünf Minuten vor 12!
Bad Ischl, 17.1.2007
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Abrüstungsexperten warnen: Fünf Minuten vor 12!
Von Wolfgang Kötter
Die Gefahren, die von den atomaren, biologischen
und chemischen Waffen und ihrer Weiterverbreitung
ausgehen, wachsen. Die Welt ist in ein neues
Atomzeitalter mit besorgniserregenden Bedrohungen
eingetreten, warnen die Wissenschaftler des
einflussreichen Bulletin of the Atomic
Scientists. Seit sechzig Jahren führen sie die
Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr, die
anzeigt, wie nahe sich die Menschheit an der
Selbstvernichtung befindet. Abhängig von
einschneidenden sicherheitspolitischen
Ereignissen, stellten sie die Uhr 17 Mal vor oder
zurück. Zur Zeit zeigt sie auf 7 Minuten vor 12.
Auf medienwirksamen Veranstaltungen in Washington
und London werden die Zeiger heute wieder einmal
nach vorn bewegt - die Katastrophe rückt näher.
(1) Zur Begründung verweisen die Experten auf die
atomaren Ambitionen Irans und Nordkoreas, auf
ungesichertes Nuklearmaterial in Russland und
anderswo, den hohen Alarmstatus von 2.000 der
weltweit insgesamt 25.000 Kernwaffen und der
erneut wachsenden Nachfrage nach Atomenergie.
Dies alles fördere die Verbreitung von
Atomwaffen. Nichtverbreitung ohne nukleare
Abrüstung aber bleibt eine Illusion. Darauf haben
soeben vier ehemalige Spitzenpolitiker der USA
verwiesen. In einem gemeinsamen Appell fordern
die ehemaligen Außenminister Henry Kissinger und
George Shultz, Ex-Verteidigungsminister William
Perry und der langjährige Senator Sam Nunn ein
Verbot aller Atomwaffen und schlagen konkrete
Schritte zur nuklearen Abrüstung vor. (2)
Wenn jedoch ab kommender Woche im altehrwürdigen
Salle des Conseils des Genfer Palastes der
Nationen wieder um Abrüstungsfortschritte
gerungen wird, ist guter Rat teuer. Zwar hat die
UN-Vollversammlung der Abrüstungskonferenz erst
im vergangenen Monat ein rundes Dutzend Aufträge
übermittelt, aber weder die Konferenzpräsidentin,
Südafrikas Botschafterin Claudine Mtshali, noch
einer ihrer Kollegen aus den übrigen 64
Mitgliedstaaten weiß, wie sie zu erfüllen sind.
Das wichtigste multilaterale Verhandlungsorgan
kann sich seit Jahren nicht einmal auf ein
Arbeitsprogramm einigen. Dabei entstanden hier in
der Vergangenheit nicht weniger als sieben
internationale Verträge für die
unterschiedlichsten Abrüstungsbereiche (siehe
unten). Aber seit geraumer Zeit ist die Konferenz
paralysiert, weil unvereinbare
Interessengegensätze jede Bewegung blockieren.
Einige Regierungen reduzieren bereits ihre
Delegationen, um angesichts permanenter
Untätigkeit wenigstens Kosten zu sparen.
Allerdings sind nicht die Diplomaten schuld am
Versagen, die Stagnation ist vielmehr Symptom der
Abrüstungskrise insgesamt. Im letzten
Jahresbericht vor Ende seiner Amtszeit hatte
UN-Generalsekretär Kofi Annan warnend darauf
verwiesen, dass die internationale Gemeinschaft
derzeit an einer Wegscheide steht. Entweder gehe
sie einen konstruktiven Weg gegen die
Waffenverbreitung oder den gefährlicheren Weg,
der letzlich zur Anwendung von
Massenvernichtungswaffen mit katastrophalen
Folgen führen wird: Wenn es jemals einen
Zeitpunkt gegeben hat, um die festgefahrenen
multilateralen Verhandlungen wieder in Gang zu
bringen und die Abrüstung wieder in den
Vordergrund der internationalen Agenda zu
stellen, dann jetzt, so der Abschiedsappell Annans.
Verantwortlich für diese Situation ist in erster
Linie die Bush-Regierung. Nach den Anschlägen vom
11. September 2001 zogen die in
Schlüsselpositionen der Macht etablierten
Neokonservativen ihre jahrelang vorbereiteten
Kreuzzugspläne aus der Schublade. Unter dem
Etikett Krieg gegen den Terror deklarierten sie
diese zur offiziellen US-Außenpolitik - mit
verheerenden Konsequenzen für Rüstungskontrolle
und Abrüstung. Nicht allein, dass Washington
offen Päventivkriege á la Irak androht, was bei
den potentiellen Opfern vor allem
Aufrüstungsreflexe auslöst. Auch die Vereinigten
Staaten selbst treiben den Rüstungsausbau mit
aller Macht voran und torpedieren flächendeckend
jegliche echte Abrüstung. Die USA boykottieren
den vor zehn Jahren unterschriebenen
Teststoppvertrag, während das Pentagon sogar die
Wiederaufnahme von Atomversuchen für die neu zu
schaffenden Mini-Nukes und Bunkerbrecher fordert.
Sie verhindern die Kontrolle des Verbots
biologischer Waffen und arbeiten statt dessen
intensiv an eigenen Biowaffen. Die Vereinigten
Staaten ignorieren die Ächtung von
Antipersonenminen, sind gegen ein Verbot von
Streumunition und unterminieren wirksame
Maßnahmen gegen den illegalen Waffenhandel. Hier
in der Genfer Konferenz schließlich blockieren
sie Verhandlungen zur nuklearen Abrüstung und zur
Verhinderung eines Wettrüstens im Kosmos, weil
sie selbst nuklear aufrüsten und absolute
militärische Dominanz im Weltraum anstreben.
Washington betrachtet bindende vertragliche
Verpflichtungen als Beeinträchtigung seiner
nationalen Souveränität. Statt dessen soll die
Gewalt das Völkerrecht aus den internationalen
Beziehungen verdrängen. Auch über die Zukunft des
Genfer Gremiums hat eine Arbeitsgruppe des
US-Kongresses ihr Urteil bereits gesprochen. Es
lautet: Die Abrüstungskonferenz hat ihre
Nützlichkeit überlebt und sollte beseitigt
werden. Ohne die einzig verbliebene Supermacht,
die zur globalen Kriegsführung in der Lage ist
und mit 500 Mrd. Dollar allein genauso viel für
die Rüstung ausgibt wie der Rest der Welt, wird
Abrüstung jedoch weitgehend irrelevant.
Trotzdem gibt es eine reale Chance für die
multilaterale Rüstungskontrolle und Abrüstung.
Nicht nur das blutige Desaster im Irak zeigt,
dass das unilaterale, auf Hochrüstung, Krieg und
Konfrontation setzende Vorgehen sich letztlich
gegen die eigenen Interessen der USA wendet, aber
auch die gesamte Menschheit gefährdet. Viele
Experten sind davon überzeugt, dass die
Katastrophe nur durch die vollständige
Beseitigung aller Massenvernichtungsmittel
abzuwenden ist. Die Genfer Abrüstungskonferenz
könnte diese historische Aufgabe übernehmen.
Immerhin haben die sechs nach dem
Rotationsprinzip amtierenden Präsidenten des
vergangenen Jahres aus Südkorea, Polen, Rumänien,
Russland, Senegal und der Slowakei einen gewissen
Trend zu konstruktiver Arbeit konstatiert. In
einem gemeinsamen P6-Vision-Non-Paper schlagen
sie konkrete Schritte zur Reanimation der
Konferenz vor. Dazu aber braucht es den
politischen Willen zur Abrüstung bei den Regierungen aller Staaten.
Arbeitsergebnisse der Genfer Abrüstungskonferenz:
1. Teilteststoppvertrag (1963)
2. Nuklearer Nichtverbreitungsvertrag (1968)
3. Meeresbodenvertrag (1970)
4. Biowaffen-Konvention (1972)
5. Umweltkonvention (1977)
6. Chemiewaffen-Konvention (1992)
7. Umfassender Teststoppvertrag (1996)
Eine gekürzte Fassung dieses Artikels von
Wolfgang Kötter erschien ebenfalls bei ND vom 17.01.2007.
Fußnoten:
1. Die Uhr ist am 17.01.2007 auf 5 Minuten vor 12 vorgestellt worden.
2. Siehe: http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/004167.html
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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