[E-rundbrief] Info 454 - Antje Bultmann und Whistleblower

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
So Sep 17 20:33:37 CEST 2006


E-Rundbrief - Info 454 - Rupert-Riedl-Preis an Antje Bultmann, 
Wissenschaftsjournalistin, Mitglied des Whistleblower-Netzwerks und 
des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Umweltstiftung, 
Wolfratshausen - verliehen vom "Club of Vienna" und der Stadt Wien; 
Internationale Tagung "Zivilcourage in der Risikogesellschaft", über 
riskante Aktivitäten von "Whistleblowern" v. 29.9. - 1.10. in 
Iserlohn (Deutschland).

Bad Ischl, 17.9.2006

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Rupert-Riedl-Preis an Antje Bultmann verliehen vom "Club of Vienna" 
und der Stadt Wien.

Am 8. Mai 2006 erhielt Antje Bultmann, Wissenschaftsjournalistin, 
Mitglied des Whistleblower-Netzwerks und des Wissenschaftlichen 
Beirats der Deutschen Umweltstiftung, Wolfratshausen, von einem 
Internationalen Wissenschaftler-Kommitee des Club of Vienna den 
Rupert-Riedl Preis.

Anlässlich der Preisverleihung hielt Antje Bultmann folgende Rede:

Erinnern Sie sich an David Kelly? David Kelly, den Experten für 
biologische Waffen ? Er war von der UN im Irak als Inspektor 
eingesetzt worden und hatte dem BBC gegenüber geäußert, dass der Irak 
über keine Massenvernichtungswaffen verfügt. Am 6. August 2003 wurde 
er in einem Wald tot aufgefunden. Vermutlich hat er Selbstmord 
begangen, nachdem von allen Seiten ein derartiger Druck auf ihn 
ausgeübt wurde, dass er keinen anderen Ausweg sah.

Sie haben vielleicht von Mordechai Vanunu gehört, der vor 20 Jahren 
ausplauderte, dass Israel über Atomwaffen verfügt und der deshalb 18 
Jahre bis April 2004 hinter Gitter saß, davon 12 Jahre  in Einzelhaft.

Sie haben vielleicht auch von der deutschen Veterinärin Margrit 
Herbst gelesen, die als eine der ersten auf die Gefahren von BSE 
aufmerksam machte, worauf sie von ihrem Arbeitgeber versetzt und 
schließlich entlassen wurde.

Weltweit bekannt wurde auch der Fall des bis dato unbekannten 
Zeitsoldaten Joseph Darby, durch den die Folterungen in Guantanamo 
publik wurden. Er musste später vor dem Hass seiner Landsleute fliehen.

Darby, Vanunu, Kelly und Herbst sind sogenannte Whistleblower, mutige 
Menschen, die "die Warnpfeife geblasen haben", um die Allgemeinheit 
vor Schaden zu bewahren. Es gibt Tausende namenlose Whistleblower, 
die von den Medien nicht wahrgenommen werden, wie z.B. ein Arbeiter, 
der Kollegen gegenüber geäußert hatte, dass es tödlich sei, Asbest 
mit dem Besen zusammenzufegen. Er wurde entlassen.

Unangenehme Nachtrichten werden gern ignoriert, totgeschwiegen und 
wenn das nicht möglich ist, wird der Unglücksbote kaltgestellt. In 
den etablierten Wissenschaften ist es nicht anders. Ich möchte hier 
stellvertretend den 52jährigen Guillermo Eguiazu von der Universität 
Rosario, Argentinien, vorstellen. Er hat sich mit Risikotechnologien 
wie Gentechnik, Pestiziden und Elektrosmog befasst, vor allem aber 
mit dem karzinogenen Schimmelpilzgift Aflatoxin, das bei 
unsachgemäßer Lagerung von Getreide, Nüssen, Milchprodukte etc. 
entsteht. Er wollte aber auch Verantwortung für seine Forschung 
übernehmen. Er engagierte sich für die Aufklärung der Bevölkerung mit 
Vorträgen auf dem Land und Büchern in einfacher Sprache. Er setzte 
sich sogar für ein Gesetz zur Reduzierung von Schimmelbildung in 
einer verbesserten Lagerhaltung ein.

Die Universitätsleitung wies ihn zurecht: es sei nicht sein Job, die 
soziale Frage zu stellen, und erst recht nicht, sich in 
politisch-wirtschaftliche Entscheidungen einzumischen. Eines Morgens 
fand er sein Institut verwüstet. Danach wurde es in eine alte 
Hühnerschlachterei verfrachtet, während alle anderen Institute in 
wohlhabenden Gegenden untergebracht waren. Er und sein Assistent 
Alberto Motta gaben nicht auf. Sie entwickelten eine neue 
Wissenschaft, die Technopathogenologie, kurz TPG. Es geht dabei um 
die Früherkennung von gefährlichen pathogenen Entwicklungen und die 
Vermeidung von Risiken neuer Technologien.

Das argentinische Bildungsministerium zählt ihn zu den 
qualifiziertesten Wissenschaftlern Argentiniens. Das nützte ihm 
allerdings nichts. Sein Gehalt wurde gekürzt, das des Assistenten 
gestrichen. Der Professor durfte zwar sein Institut selber putzen, 
aber nicht mehr lehren. Ein Protest der Studenten konnte daran nichts 
ändern. 2004 wurde die gesamte Laboreinrichtung auf einen Lastwagen 
abtransportiert. Teile des Inventars fanden sich später bei Kollegen.

Das sind raue Sitten, aber, meine Damen und Herren, ähnlich heftig 
geht man weltweit mit Whistleblowern um.

Sie decken Korruption und den Missbrauch technischer Macht in allen 
Bereichen der Gesellschaft auf. Sie folgen ihrem Gewissen um das Wohl 
der Allgemeinheit zu schützen, ohne in Betracht zu ziehen, welche 
Folgen das für sie persönlich haben kann. Statt belohnt zu 
werden,  werden sie bestraft. Sie haben einen schlechten Ruf, gelten 
als illoyal und als Nestbeschmutzer, Staatsfeinde. Viele 
Whistleblower verlieren ihren Arbeitsplatz, werden in psychiatrische 
Kliniken gebracht oder ins Gefängnis.

Wir brauchen Whistleblower!

In 2000 Jahren hat sich die Welt nicht so sehr verändert, wie in den 
letzten 200 Jahren. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Zunahme der 
Weltbevölkerung, ein zweiter, die Entwicklung der Wissenschaften und 
ihre heute oft äußerst risikoreiche technologische Umsetzung. Wir 
wissen es alle, niemals in der Geschichte  sind - durch den Menschen 
verursacht - so viele Tier- und Pflanzenarten ausgestorben, wie 
heute. Niemals wurden Boden, Wasser und Luft so sehr verseucht. 
Niemals wurden hemmungslos so viele Ressourcen verbraucht. Auch die 
forcierte Intention die Evolution selber in den Griff zu bekommen 
besonders durch sogenanntes

·        terra forming (globale technologische Eingriffe) oder

·        human forming (Optimierung des Menschen)

(um sich dabei noch als Retter der Welt zu fühlen), hat tragische 
Folgen für die gesamte Lebenswelt.

Top Wissenschaftler und Nobel Preisträger wie Josef Rotblat, Max Born 
und José Lutzenberger haben ihre Warnungen oft und deutlich in die 
Welt geschickt.  Sie haben Zweifel am Überleben der Menschheit.

In unserer neoliberalen Gesellschaft werden Risiken für Gesundheit 
und Leben oft legalisiert, vor allem, bei der Aussicht auf hohe 
Gewinne. Konsum und Gewinnmaximierung sind quasi zu einer Religion 
geworden, beklagt José Lutzenberger.

Die Wirtschaft hat mit ihrem Neoliberalismus in kürzester Zeit mehr 
Menschen missioniert, als der Katholizismus und der Protestantismus 
zusammen. Manchmal wird der sogenannte Risikofaktor einer Technologie 
berechnet. Auch wenn der bei 0,001 liegt, kann dies bezogen auf die 
Zeit Tausende Tote bedeuten. Mit  mathematischen Größen kann man auf 
dem Papier sauberer  manipulieren als wenn die  Opfer mit Namen genannt werden.

Wenn wir uns entwickeln wollen, müssen wir einen guten Blick auf 
große und kleine Konflikte und Katastrophen haben, die von Menschen 
verursacht oder nicht verhindert werden. Die Verletzlichkeit der 
Natur und des sozialen Friedens betrifft vor allem:

1.      die Zerstörung der Grundlagen des Lebens und der Umwelt, und 
unbedacht zerstörerische Eingriffe in die Evolution

2.      die Gefährdung unserer Gesundheit

3.      die Bedrohung elementarer Menschenrechte

4.      geistige und finanzielle Korruption

Whistleblower sind das wache Gewissen einer Gesellschaft und 
notwendig für eine funktionierende Demokratie. Sie bilden eine Art 
Frühwarnsystem. Wir brauchen das  dringend. Besonders Wirtschaft und 
Wissenschaft dürfen nicht weiter den Kopf in den Sand stecken. Wie 
war das doch noch? Ist die Wissenschaft nicht eigentlich der Wahrheit 
verpflichtet?

Ich schreibe seit 1991 für Zeitungen und Magazine. Aufgrund eigener 
Erfahrungen bin ich in den Bereich  Zivilcourage und Whistleblowing 
hineingeraten. Ich arbeite dafür, dass beide als Werte ins 
öffentliche Bewusstsein dringen. 1997 habe ich "Auf der 
Abschussliste", mein erstes Buch über Whistleblowing herausgebracht. 
Inzwischen kann man den Begriff, für den es im Deutschen keine 
richtige Übersetzung gibt, sogar in kleineren Zeitungen finden.

Ich bin Geschäftsführerin der Ethikschutz-Initiative, der wir jetzt 
auch die Bezeichnung Whistleblower-Netzwerk gegeben haben. 
(www.whistleblower-netzwerk.de) Wir befassen uns vor allem mit 
Whistleblowern, die noch mitten im Prozess der Auseinandersetzung stehen.

Wer helfen will, setzt sich zwischen alle Stühle. Das Ansehen der 
Nestbeschmutzer färbt auf die ab, die sich mit ihnen befassen. Wer 
will schon etwas mit scheinbaren Versagern zu tun haben, die keinen 
Erfolg haben, die gemieden, gedemütigt und bestraft werden?  -Es ist 
nicht leicht, verzweifelten Menschen zu helfen, die am Boden zerstört 
und finanziell am Ende sind und doch eigentlich dachten, sie hätten 
etwas Gutes für die Allgemeinheit getan.

Viele Organisationen, die sich um Whistleblower kümmern oder einen 
Preis vergeben, warten deshalb bis sich die Whistleblower etabliert 
haben, bis sie in etlichen Talkshows aufgetreten sind und ihre 
einstmals unbequeme Botschaft mindestens von weiten Teilen der 
Bevölkerung  akzeptiert wurde. Solche Whistlebower sind natürlich 
besser als Vorbilder geeignet.

Aber vorher müssen die Kartoffeln aus dem Feuer geholt werde. Dafür 
ist Mitgefühl notwendig. Gerade mitten in der Verfolgung brauchen 
Whistlebower Unterstützung. Man muss sich dann aber nicht nur mit 
diesem selbst befassen, sondern auch mit der umstrittenen Sache, das 
kostet viel Zeit und benötigt fachliches Wissen.

Übrigens eine positive Nachricht: Whistleblower würden - so eine 
amerikanische Studie zu 90 Prozent in der gleichen Situation wieder 
genauso handeln.

In Amerika und England, wo Gesetze Whistleblowing schützen, hat sich 
das Ansehen dieser mutigen Leute entscheidend verbessert. Die Gesetze 
haben außerdem einen vorsorglichen Nebeneffekt: Potentielle Täter 
haben plötzlich mehr Angst , geistige oder finanzielle Korruption zu begehen.

Es ist notwendig, den Dialog über Whistleblowing zu unterstützen und 
eine Kultur der Zivilcourage anzuregen, um in ganz Europa eine Basis 
für Gesetze zu schaffen.

Im kommenden Frühjahr soll das nächste Buch über gefährliche 
Zivilcourage herauskommen, das ich zusammen mit einem Kollegen 
geschrieben habe. Ein Verlag, mit dem wir einen Vertrag hatten, hat 
kalte Füße bekommen, obwohl sich bereits eine bekannte TV-Show dafür 
interessiert hatte. Aber wir sind sicher, einen neuen Verlag zu 
finden. Whistleblower lassen sich nicht mundtot machen.

Das Image der Whistleblower muss positiv besetzt werden. Sie sind die 
Helden des Alltags. Sie müssen aus dem Schatten der Gesellschaft heraustreten.

Wer unser internationales Whistleblower-Netzwerk unterstützen möchte 
oder mitarbeiten möchte, ist dazu herzlich eingeladen. U.a. suchen 
wir dringend Juristen.

Vom 29. September bis 1. Oktober findet an der Ev. Akademie in 
Iserlohn bei Dortmund eine Tagung statt, mit Whistleblowern, mit 
einer Preisverleihung und zwei Filmen über Whistleblower. Auch ein 
Whistleblower aus Amerika ist eingeladen.

Es ist für mich eine besondere Freude und Ehre, den 
Rupert-Riedl-Preis zu bekommen. Ich hatte noch das Glück Prof. Riedl 
kennen zu lernen. Er war auch ein Mann, der Zivilcourage hatte. So 
unerschrocken, wie er sich für Gerechtigkeit eingesetzt hat, ist er 
zu einem Vorbild geworden. Dieser Preis wird mich in meiner Arbeit bestärken.

Herzlichen Dank!

Antje Bultmann

http://www.whistleblower-netzwerk.de/antje_rede.html

Veranstaltungstermin:

29.9. - 1.10. ISERLOHN: Internationale Tagung "Zivilcourage in der 
Risikogesellschaft". Über riskante Aktivitäten von "Whistleblowern". 
Zivilcouragierte Menschen berichten über ihre Erfahrungen. Zwei 
Fernsehjournalisten werden Filme zeigen. Es wird George Carlo kommen, 
ein prominenter Whistleblower aus Washington und ein Preis für 
Zivilcouragevon der Solbach-Freise Stiftung an Prof. Siegwart Horst 
Günther - deutscher Arzt und Aufdecker der radioaktiven 
Kontaminierung durch abgereichertes Uran (DU) und die 
Gesundheitsschäden - vergeben. (Evang. Akademie, Berliner Pl. 12, 
58638 Iserlohn, Tel.: 02371/352-0, akademie at kircheundgesellschaft.de, 
www.kircheundgesellschaft.de/akademie/)

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
     Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
     fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
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