[E-rundbrief] Info 453 - Boff: Oekologischer Alarm.
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Fr Sep 15 22:08:34 CEST 2006
E-Rundbrief - Info 453 - Leonardo Boff: Ökologischer Alarm: Ohne
Kurswechsel sind wir verloren!
Bad Ischl, 15.9.2006
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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ÖKOLOGISCHER ALARM: Ohne Kurswechsel sind wir verloren!
Von Leonardo Boff (*)
RIO DE JANEIRO, (IPS) Der Ausdruck "nachhaltige Entwicklung" wurde
1972 im Brundtland Bericht der Vereinten Nationen geprägt er ist
inzwischen von allen internationalen Organisationen und den meisten
Regierungsprogrammen weltweit übernommen worden. Allerdings war er
von Anfang an umstritten, da die beiden Begriffe "Nachhaltigkeit" und
"Entwicklung" sich auch widersprechen.
So stammt der Begriff "Entwicklung" aus der real existierenden
Wirtschaft - der Kapitalistischen die sich über die Märkte
organisiert, die heutzutage weltweit etabliert sind. Zur internen
Logik dieses Systems gehört die systematische und ungehemmte
Ausbeutung aller Ressourcen der Erde, um drei Ziele zu verfolgen:
Produktionserhöhung, Konsumerweiterung und Reichtumsvermehrung.
Diese Logik impliziert einen allmählichen aber beschleunigten Abbau
der natürlichen Ressourcen, die Beeinträchtigung der Ökosysteme und
eine beträchtliche Verminderung der Spezies (etwa 3.000 pro Jahr) und
zwar 10 Mal mehr als bei einer normalen Evolution. Im sozialen
Bereich schafft sie wachsende Ungleichheiten, da sie Kooperation und
Solidarität durch einen rabiaten Wettbewerb verdrängt. Fazit, mehr
als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Armut.
Dieses Modell begründet sich auf dem Glauben, dass die natürlichen
Ressourcen und das wirtschaftliche Wachstum unendlich sind was eine
reine Illusion ist. Die Erde ist nicht unendlich in Wirklichkeit ist
sie ein sehr kleiner Planet, mit sehr begrenzten Ressourcen, die
meisten von ihnen nicht erneuerbar sie wachsen nicht nach. Sollten
wir tatsächlich dieses Wirtschaftsmodell für die ganze Welt
verallgemeinern wollen, dann würden wir drei Mal mehr Ressourcen
brauchen, als auf dem Planeten vorhanden sind. Inzwischen spüren wir
alle schon, dass die Erde die Gefräßigkeit und Gewalttätigkeit dieser
Produktions- und Konsumptionsweise nicht verträgt.
Trotz dieser grundlegenden Kritik am System kann das Konzept der
nachhaltigen Entwicklung auch nützlich sein, wenn es um die
Entwicklung von begrenzten Regionen oder bestimmten Ökosystemen geht.
Immerhin erinnert es an die Notwendigkeit das Kapital Natur zu
schützen, den rationalen Einsatz der Ressourcen in den Vordergrund zu
stellen und danach zu trachten, dass sich die Prozesse regenerieren
können. So ist es zum Beispiel möglich die natürlichen Ressourcen des
Amazonasregenwaldes so zu nutzen, dass das Biotop als solches
erhalten und den Bedürfnissen jetziger und zukünftiger Generationen
zugänglich bleibt.
Im Sinne einer globaler Strategie, die den ganzen Planeten erfasst,
ist das Wirtschaftsmodell einfach untragbar. Die Lösung kann nur in
einem Paradigmenwechsel gefunden werden, nämlich für ein Miteinander
von Natur, Erde und Menschheit. Jedenfalls muss es ein Paradigma
sein, welches das Leben in den Mittelpunkt des Handelns stellt, um
dessen natürliche und kulturelle Vielfalt zu erhalten und dessen
physikalisch-chemisch-ökologische Grundlagen zu garantieren und
weiterzuentwickeln.
Genau hier kommt die Frage nach einer neuen Ethik auf. Heute, wie
noch nie zuvor in der Geschichte der Philosophie, ist die
ursprüngliche Bedeutung des griechischen Begriffs des "Ethos" aktuell
geworden. Ethos auf griechisch bedeutet die menschliche Wohnstätte.
In den heutigen Dimensionen ist das Zuhause des Menschen tatsächlich
die Erde geworden sie ist unsere gemeinsame Wohnstätte. Daher
brauchen wir ein planetarisches Ethos und eine neue Ethik.
Die wesentlichen Grundlagen für diese neue Ethik sind in zwei
Dokumenten enthalten: Die Erdcharta, eine internationale Initiative,
die von der UNESCO im Jahr 2000 angenommen worden ist und das
"Manifest für das Leben", das die Umweltminister Lateinamerikas im
Jahr 2002 unterschrieben haben. Beide haben sehr viel mit den
"Millennium-Entwicklungszielen" (MDG) der UNO gemeinsam.
Der Hintergrund unseres Anliegens kommt in der Einleitung der
Erdcharta gut zum Ausdruck: "Die Grundlagen der globalen Sicherheit
sind bedroht." Diese Situation zwingt uns "in einem universellen
Verantwortungsgefühl zu leben - in der Identifikation mit der
globalen Gemeinschaft des Lebens, sowie mit unseren lokalen
Gemeinschaften." Die Situation ist kritisch, sie zwingt "die
Menschheit dazu, ihre Zukunft zu entscheiden". "Die Option ist klar,
entweder es wird eine globale Allianz geschaffen, um auf die Erde
achtzugeben und wo die Einen auf die Anderen aufpassen oder wir
riskieren unsere Zerstörung und die Vernichtung der Lebensvielfalt".
Die neue Ethik muss aus einer anderen Perspektive entstehen: "Die
Menschheit ist Teil der Evolution des Universums, die Erde ist unser
Zuhause in einer einmaligen Lebensgemeinschaft. Die Erde gibt uns die
wesentlichen Grundlagen zur Entfaltung unseres Lebens. Alle teilen
wir die Verantwortung für unsere gemeinsame Gegenwart und Zukunft,
für das Wohlergehen der menschlichen Familie und aller Lebewesen. Der
Geist von menschlicher Solidarität und von der Verwandtschaft mit
allem Leben erstarkt erst dann, wenn wir das Mysterium unserer
Existenz achten, für das geschenkte Leben dankbar sind und unseren
Platz in der Natur mit Bescheidenheit einnehmen".
Die Erde, das Leben und die Menschheit sind Ausdrücke eines unfassbar
weitläufigen Evolutionsprozesses, der vor 13 Millionen Jahren
begonnen hat und mit dem sie eine einzige, komplexe und vielfältige
Realität bilden. Die Erde ist Gaia, ein lebendiger Superorganismus.
Der Mensch (human) (linguistischer Ursprung: "Humus = fruchtbare,
gute Erde") ist die Erde selbst, die er fühlt, denkt, liebt, pflegt
und bewundert. Die Aufgabe des Menschen, als Träger von Bewusstsein,
Intelligenz, Willen und Liebe, ist es deshalb, die Erde zu pflegen,
der Gärtner dieses fantastischen Garten Edens zu sein.
Diese Mission muss dringend erweckt werden, weil die Erde, das Leben
und die Menschheit krank und in ihrer Einheit bedroht sind. Dazu
empfiehlt die Charta, "in einer nachhaltigen Weise zu leben". Das ist
das neue zivilisatorische Prinzip, ein vielversprechender Traum für
die Zukunft des Lebens.
Mehr als über eine nachhaltige Entwicklung zu reden, käme es darauf
an, die Nachhaltigkeit der Erde, des Lebens, der Gesellschaft und der
Menschheit zu sichern. Die Charta stellt dazu fest: "Die Ethik der
Nachhaltigkeit hebt das Leben weit über die politökonomischen oder
praktisch-instrumentalen Interessen hinaus. Die Ethik der
Nachhaltigkeit ist eine Ethik der ständigen Erneuerung des Lebens,
aus der alles geboren wird, alles wächst, alles krank wird, alles
stirbt und wiederentsteht."
Das Ergebnis dieser Ethik ist das, was wir heutzutage am meisten
suchen, nämlich Frieden. In der Definition der Charta ist Frieden,
"die Fülle die erreicht wird mit richtigen Beziehungen zu sich
selbst, mit anderen Personen, mit anderen Kulturen, mit anderem
Leben, mit der Erde und mit dem Großen Ganzen, von dem wir ein Teil sind."
Die Menschheit muss diesen Weg zu einer neuen Zukunft gehen. Die
gegenwärtige Situation ist eine der Krise und nicht der Tragödie und
so bin ich sicher, dass die Menschheit die neuen Bedingungen - wie
schon öfters zuvor - finden wird, um das Leben und ihr Schicksal zu
verwirklichen. (ENDE/trad fnf/COPYRIGHT IPS)
(*) Leonardo Boff, Theologe, Schriftsteller und Mitglied der
Internationalen Kommission der Erdcharta.
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