[E-rundbrief] Info 446 - Rb 122 - Prekaer arbeiten, Armutskonferenz
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
So Sep 3 23:00:07 CEST 2006
E-Rundbrief - Info 446 - Rundbrief Nr. 122 - Euromayday: Prekär
arbeiten, prekär leben!; Matthias Reichl: Wie sozial ist ein Partner
der Armut schafft? Zum "Bad Ischler Dialog" mit Regierungsmitgliedern
über "Sozialpartnerschaft" in Bad Ischl (6. - 7.9.2006); 10 Jahre
Armutskonferenz Österreich: "Nicht die Augen verschliessen!", Sozialhilfe.
Bad Ischl, 3.9.2006
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Wie sozial ist ein Partner der Armut schafft?
Zum "Bad Ischler Dialog" mit Regierungsmitgliedern über
"Sozialpartnerschaft" in Bad Ischl (6. - 7.9.2006)
Prekär arbeiten, prekär leben!
Illegalisiert, saisonal und befristet Beschäftigte, Schein- und so
genannte "Neue Selbständige", Niedriglohnjobber, Erwerbsarbeitslose
und Freiberufler, Projekt-, Teilzeit- oder Leiharbeiter sowie alle
ihre Zwischen- und Mischformen haben eines gemeinsam - sie alle leben
und arbeiten mehr oder weniger prekär. Während die
Supermarktangestellte zu Niedrigstlöhnen schuftet und sich die
Studentin durch geringfügige Jobs und unbezahlte Praktika wurstelt,
werden Kultur- und Medienarbeiter zumeist sozialversicherungslos. Den
Erwerbsarbeitslosen wird durch ständige Disziplinardrohungen der
Handlungsrahmen eingeschränkt und der freiberuflich arbeitende
Webdesigner ist auch von längerfristigen Perspektiven "befreit".
Während die papierlose und dadurch umfassend entrechtete
Sexarbeiterin versucht, sich ihr Leben zu regeln. Wir aber wollen
soziale Sicherheiten für ein Leben, das flexibel, aber ohne
fremdbestimmten Zwang zur Flexibilität gestaltet werden kann - und
wir wollen noch vieles mehr!
(Aus dem Aufruf von Euromayday zu ihrer Parade am 1. Mai 2006)
Grüne und SPÖ in Wien haben die Situation analysiert, können aber
auch keine umfassende Lösung der Probleme garantieren. Eine
effiziente Maßnahme wäre ein garantiertes Grundeinkommen für alle.
Beinahe die Hälfte der unselbstständig Beschäftigten wechseln
mindestens einmal im Jahr ihren Arbeitsplatz. Die "Statistik Austria"
sind von diesen atypischen Beschäftigungsverhältnissen ca. 1.065.000
Menschen betroffen. Viele Menschen werden zu häufigem Jobwechsel
gezwungen, befinden sich in arbeitsrechtlichen Konstruktionen, die
wenig Schutz bieten oder verdienen nicht genug, um ihren
Lebensunterhalt finanzieren zu können.
Seit dem Jahr 2000 ist die Anzahl der in Neuen Erwerbsformen Tätigen
insgesamt um rund 30 Prozent gestiegen. Die größten Zuwächse waren in
den Bereichen Geringfügig Beschäftigte (+ 18 Prozent) und bei den
Freien Dienstverträgen (+18 Prozent) zu verzeichnen. Zumindest ein
Drittel von ihnen kann entweder keine oder zumindest keine
existenzsichernden Ansprüche im Rahmen der Arbeitslosen- und
Pensionsversicherung erwerben, Mehrstunden und Überstunden sind
unzureichend geregelt, ein 13. und 14. Gehalt wird nicht bezahlt.
Unser Sozialsystem wird dadurch nachhaltig beschädigt.
M.R.
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10 Jahre Armutskonferenz: "Nicht die Augen verschliessen!"
Caritas, Diakonie, Arge für Obdachlose, Plattform für
Alleinerziehende, Hilfswerk, Pro Mente und auch der Bundespräsident
gratulieren: 10 Jahre starke Stimme gegen Armut. 10 Jahre
Öffentlichkeit gegen Verharmlosen. 10 Jahre Forschung für weniger Armut.
(06.07.06). Vor 10 Jahren wurde das Netzwerk der Armutskonferenz
gegründet. Seitdem engagiert sie sich, um das verschwiegene Probleme
von Armut und sozialer Ausgrenzung in Österreich zu thematisieren und
eine Verbesserung der Lebenssituation Betroffener zu erreichen.
1995 fand in Salzburg die erste österreichweite Armutskonferenz
statt. 1996 formierte sich ein breites und buntes Bündel von
zivilgesellschaftlichen Kräften zum jetzigen großen Netzwerk:
Wohlfahrtsverbände, Dachverbände von Sozialinitiativen, kirchliche
und gewerkschaftliche Organisationen, Bildungs- und
Forschungseinrichtungen und Zusammenschlüsse von Armutsgefährdeten
wie Alleinerziehende und Arbeitslose.
"Nach 10 Jahren Armutskonferenz kann ich nur darüber staunen, dass
immer noch Politiker akzeptieren, dass Hilfesuchende bei der
Sozialhilfe in jedem Bundesland unterschiedlich viel wert sind.",
kommentiert Diakonie-Direktor Michael Chalupka den Geburtstag der
Armutskonferenz. "Staunen darüber, dass es noch immer Leute gibt, die
Armut in erster Linie für selbstverschuldet halten. Staunen
darüber,dass Bildungsverantwortliche nicht alles tun, um die Zukunft
von Kindern unabhängig ihrer Herkunft zu gewährleisten."
"Armut ist ein Faktum, davor darf man die Augen nicht
verschließen",appelliert Bundespräsident Heinz Fischer. "Der
Unterschied zwischen Arm und Reich wird nicht kleiner, sondern eher
größer. Darum muss man sich kümmern. Die Armutskonferenz zeigt Fakten
auf und diese müssen Eingang in die politische Diskussion finden." so
der Bundespräsident.
114.216 Sozialhilfebezieher/innen: Anstieg Hilfesuchender um 11 Prozent.
31.000 Kinder und Jugendliche betroffen. Anstieg in allen Bundesländern.
(08.08.06) Ende 2004 betrug die Zahl der Hilfesuchenden in der
Sozialhilfe 114.216, das ist ein Anstieg zum Vorjahr um 11 Prozent
(102.920)*, weist die ARMUTSKONFERENZ auf die bisher
unveröffentlichten und aktuellst verfügbaren Daten hin. Der Anstieg
ist in allen Bundesländern zu verzeichnen (+10,8 Prozent in Kärnten,
+26,3 Prozent in Niederösterreich, +21,6 Prozent in Oberösterreich,
+7 Prozent in Salzburg, +19,8 Prozent in Steiermark, +32,6 Prozent in
Tirol, +7,7 Prozent in Wien).
"31.176 davon sind Kinder und Jugendliche", betont die
Armutskonferenz und weist auf eingeschränkte Zukunftschancen hin.
"Rechnet man die SozialhilfebezieherInnen in Alten- und Pflegeheimen
dazu (56.233, ein Plus von 6,4 Prozent) käme man insgesamt
auf 170.500 Menschen, die ihren Lebensunterhalt bzw. ihre Pflege
nicht mehr selbst bestreiten können. Unseren Recherchen nach hat sich
die Anzahl Hilfesuchender mit Sozialhilfe in fast jedem Bundesland bis heute
weiter erhöht", so das Anti-Armutsnetzwerk.
"Die Gründe seien die zunehmende Zahl an "working poor", gestiegene
Lebenshaltungskosten bei Wohnen und Energie, Nichtexistenzsichernde
Arbeitslosen- und Notstandshilfeleistungen, nichtausreichende
Pensionen, hohe Arbeitslosigkeit und der Anstieg an psychischen
Erkrankungen", analysiert die Armutskonferenz. Dazu kämen die
ausgewiesenen Mängel der Sozialhilfe wie beschämende
Bedarfsprüfungen, keine Pensionszeiten, mangelnde
Krankenversicherung, undurchsichtige Richtsatzhöhen, falsche
Anreizstrukturen in der Finanzierung, hohe Nichtinanspruchnahme,
mangelnde Rechtssicherheit oder die Armutsfalle "Regress". Die
Verbesserungsvorschläge lägen seit geraumer Zeit am Tisch, so die
Armutskonferenz.
"Keine halben Lösungen für ganze Probleme", wünscht sich das
Anti-Armutsnetzwerk angesichts dieser wachsenden sozialen Notlagen.
"Das Beste ist es zu verhindern, dass Menschen in die Sozialhilfe abrutschen".
Acht Gründe für eine Verbesserung der Sozialhilfe
Für die Betroffen verweist Die ARMUTSKONFERENZ auf acht gute Gründe,
die Sozialhilfe in eine bürgerfreundliche, transparente
Sozialleistung umzuwandeln, die Existenzsicherung garantiert und für alle gilt:
1.) Falsche Anreizstrukturen in der Finanzierung: die finanziell
ärmsten Gemeinden haben die höchsten Kosten, weil sie am meisten Arme
haben. Ein Finanzausgleich zwischen ärmeren und reicheren Gemeinden
ist nicht in allen Bundesländern berücksichtigt, dies wäre für eine
gerechtere Finanzierungsbasis notwendig.
2.) Für Notlagen, nicht für strukturelle Arbeitslosigkeit, "working
poor", Altersarmut geschaffen: Die Sozialhilfe wurde eigentlich nur
als Instrument zur Überbrückung außergewöhnlicher Notlagen
konstruiert. Von daher ist sie gar nicht geeignet, regelmäßig
wiederkehrende und massenhaft auftretende soziale Risikolagen wie
Arbeitslosigkeit, Billigjobs oder Altersarmut aufzufangen. Das wird
sie völlig überfordern.
3.) Mangelnde Rechtsicherheit: Es gibt weder klare Rechtsansprüche
auf eine bestimmte Leistungsart noch in allen Fällen bzw. in allen
Bundesländern grundsätzlich einen Bescheid. Gnadenrecht und Almosen,
statt moderner Orientierung an sozialen Grundrechten.
4.) Undurchsichtige Richtsatzhöhen: Wissenschaftlich fundierte
Festlegung der Höhe von Richtsätzen, etwa ein Warenkorb, fehlt.
Bedürftigkeitsgrenzen basieren auf mehr oder weniger willkürlichen
Annahmen. Hilfesuchende sind je nach Bundesland unterschiedlich viel
"wert": Differenzen bis 132 Euro.
5.) Armutsfalle Regress: Rückforderung der Sozialhilfe bei Aufnahme
von Arbeit ist ein falscher Anreiz und integrationsfeindlich.
6.) Mangelnde Krankenversicherung: Zehntausende bekommen eine
Behandlung über "Krankenhilfe", was z.B. eine durch die E-Card
ausschließt. Zugang zu medizinischen Leistungen sollte für alle
vereinfacht werden; besonders für Einkommensschwache, deren
Krankheitsrisiko doppelt so hoch -die Inanspruchnahme von
Gesundheitsdiensten aber - niedriger ist, wie in der Durchschnittsbevölkerung.
7.) Beschämende Bedarfsprüfungen und hohe Nichtinanspruchnahme:
Besonders in den ländlichen Regionen gibt es eine hohe
Nichtanspruchnahme aus Scham. Viele suchen zu spät Hilfestellen auf.
8.) Keine Anrechnung von Pensionszeiten
(Bearb. v. M.R.)
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
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