[E-rundbrief] Info 439 - Shiva V.: WTO ist tot.
Matthias Reichl
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So Aug 13 11:59:33 CEST 2006
E-Rundbrief - Info 439 - Vandana Shiva (Indien): Die
Welthandelsorganisation WTO ist tot - lang lebe der Freihandel.
Bad Ischl, 13.8.2006
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Die Welthandelsorganisation WTO ist tot lang lebe der Freihandel
Von Vandana Shiva (*)
26.7.2006
NEW DELHI, (IPS) Die Doha Verhandlungsrunde über den globalen
Welthandel ist wieder einmal kollabiert, dieses Mal am 23. Juli beim
kleinen Ministertreffen in Genf. Auf die Frage, ob die WTO nun tot
sei oder nur schwerkrank, antwortete der indische Handelsminister
Kamal Nath, sie würde sich irgendwo auf dem Weg zwischen
Intensivstation und dem Krematorium befinden. Der EU
Handels-Kommissar Peter Mandelson meinte nach der Suspendierung der
Verhandlungen: "Wir haben die letzte Ausfahrt auf der Autobahn verpasst".
Die USA wurden von allen Teilnehmern für den Zusammenbruch der
Gespräche verantwortlich gemacht. Washington habe sich strikt
geweigert die Agrarsubventionen zu kürzen, hieß es einstimmig.
Die USA und ihre großen Konzerne sind in der Tat die treibenden
Kräfte für zwei Abkommen der Uruguay-Runde gewesen, die sehr negative
Auswirkungen für die Armen in der Dritten Welt haben. Das Abkommen
über die handelsbezogenen geistigen Eigentumsrechte (TRIPS) hat z. B.
die Kosten von Saatgut und Medikamenten verteuert und zwar zugunsten
der großen Konzerne. Tausende indische Bauern haben sich hoch
verschuldet und sind zum Teil in den Selbstmord getrieben worden,
weil sie keinen Ausweg aus der Abhängigkeit von einem teuren und
unausgereiften hybriden Baumwollsaatgut sahen, das Monsanto zusammen
mit indischen Partnern auf den Markt gebracht hatten. Das andere
Abkommen über die Landwirtschaft (AoA) hat die Lebensgrundlage von
Millionen Bauern zerstört und die Ernährungssicherheit der armen
Bevölkerung erschüttert.
Der Grund für das Scheitern der Doha-Verhandlungsrunde wurzelt in der
Haltung der USA, die im Austausch für einen erweiterten Markzugang
bei den Entwicklungsländern, keine Verringerung ihrer
wettbewerbsverzerrenden Agrarsubventionen akzeptieren wollten.
Allerdings bedeutet diese Verweigerung nicht, dass die USA ihr
Interesse an offenen Agrarmärkten verloren hätten. Offenbar müssen
die USA sich einfach nichts mehr multilateral abhandeln lassen, denn
sie bekommen auf bilateraler Ebene den Marktzugang viel billiger, oft
sogar ohne bindende Verträge, wie im Fall des
Landwirtschaftsabkommens mit Indien zur Förderung von genetisch
veränderten Organismen (GMO), von landwirtschaftlichen Importen und
der Einführung der US-Supermarktkette Wal-Mart. Die US-Konzerne wie
Monsanto, Wal-Mart und ADM stehen bereits fix auf der Kommandobrücke
der sogenannten US-indischen Landwirtschaftsinitiative.
Die US-Entwicklungshilfe mischt bereits kräftig bei der Ausrichtung
der indischen Agrarpolitik mit und hat die Vermarktung von Bt Brinjal
(genetisch manipulierte Sorte der einheimischen Aubergine Brinjal)
finanziert, was möglicherweise zur ersten genehmigten Ernte und zwar
im großen Maßsstab - von genetisch veränderten Nahrungsmitteln und
Saatgut führen wird. Die Gesetzeslage für die Evaluierung der
Ernährungssicherheit in Indien kennt das unwissenschaftliche
Kriterium einer "grundlegenden Äquivalenz" von Produkten nicht, das
in den USA eingeführt worden ist, um die langfristige Analyse der
Folgen von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln zu umgehen.
Dennoch wurde vom Konzern Monsanto-Mahyco die "grundlegende
Äquivalenz" als Datengrundlage beim Zulassungsverfahren von Bt
Brinjal vor den zuständigen indischen Gremien verwendet, um die
Genehmigungen für die Produktion und Verkauf von GMO zu erhalten.
Damit ist der Virus der Deregulierung der Biosicherheit in
schleichenderweise in Indien eingeführt worden. Die gentechnisch
veränderten Organismen werden bilateral ohne Einschaltung der WTO
vertrieben, was eigentlich auch Europa, das eine Politik verfolgt,
die stärker auf Sicherheit bei der Verbreitung von genetisch
manipulierten Organismen bedacht ist, zum Nachteil gereicht.
Jedenfalls brauchen die großen Agrarkonzerne wie Cargill und ADM
nicht mehr auf ausgehandelte Marktzugangsregulierungen der WTO
warten, um in den indischen Markt einzubrechen. Als ein Teil des
Bush-Singh Abkommens ist Indien zum Importland von Weizen geworden,
obwohl es eine ausreichende Eigenproduktion hätte. Der indische
Binnenmarkt ist zu einem Tummelplatz für transnationale Konzerne wie
Cargill, Canagra, Lever und ITC geworden. Die Ernährungssicherheit
Indiens ist systematisch abgebaut worden. Die Preise für
Nahrungsmittel sind dramatisch gestiegen und damit auch das Ausmaß an
Armut und Hunger in der indischen Gesellschaft. Obwohl Indien als
neue wirtschaftliche Macht und als positives Beispiel für die
Globalisierung angeführt wird, lebt ein Drittel der unterernährten
Kinder auf dieser Welt in diesem Land.
Inzwischen versuchen Supermarktriesen, wie Wal-Mart, im Einzelhandel
Fuß zu fassen und die indischen Unternehmen meistens kleine und
mittlere Händler, die mehr als 200 Millionen Menschen einen
Arbeitsplatz bieten zu verdrängen. Es wird sogar eine Allianz mit
Reliance Industry gesucht für den Neubau von Supermärkten in 784
Städten und von 1.600 landwirtschaftlichen Warenhäusern.
Die WTO liegt vielleicht im kritischen Stadium in der
Intensivstation, aber der Freihandel ist munter und quietschlebendig.
Die bilateralen und einseitigen Initiativen sind die neuen
Herausforderungen der Globalisierung und des freien Handels, denen
wir entgegentreten müssen, um die Macht der Konzerne aufzuhalten.
(ENDE/trad fnf/COPYRIGHT IPS)
(*) Vandana Shiva, Schriftstellerin und internationale Aktivistin für
die Rechte der Frauen und der Umwelt. Alternative Nobelpreisträgerin 1993.
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