[E-rundbrief] Info 437 - E. Galeano: Wie lange noch? (Nahostkrieg)

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
So Aug 13 09:33:40 CEST 2006


E-Rundbrief - Info 437 - Eduardo Galeano: Wie lange noch? (Über 
Unterdrückung und Zerstörung im Nahen Osten und Lateinamerika.)

Bad Ischl, 13.8.2006

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Wie lange noch?

Von Eduardo Galeano (*)

MONTEVIDEO, (IPS) ­ Ein Land bombardiert zwei Länder. Die 
Straffreiheit, mit der dies geschieht, würde Verwunderung 
hervorrufen, wenn sie nicht schon zur Gewohnheit geworden wäre. 
Einige verschüchterte Proteste sprechen von Fehlern, die gemacht 
worden seien. Wie lange noch wird der Horror "Irrtum" genannt?

Dieses Gemetzel von Zivilisten entfesselte sich an der Entführung 
eines Soldaten. Seit wann kann die Entführung eines israelischen 
Soldaten die Entführung der palästinensischen Souveränität 
rechtfertigen? Seit wann kann die Entführung von zwei israelischen 
Soldaten die Entführung des ganzen Libanon rechtfertigen?

Das Gemetzel von Juden erfreute sich seit Jahrhunderten großer 
Beliebtheit unter den Europäern. In Auschwitz mündete schließlich 
dieser entsetzliche Strom, nachdem er ganz Europa durchkreuzt hatte. 
Wie lange noch werden die Palästinenser und andere Araber für 
Verbrechen zahlen, die sie nicht begangen haben?

Hisbollah existierte noch nicht als Israel den Libanon durch die 
vorangegangenen Invasionen verwüstete. Wie lange noch sollen wir die 
Geschichte vom angegriffenen Aggressor glauben, der Terrorismus 
ausübt, weil er sich im Recht fühlt, sich gegen Terrorismus zu verteidigen?

Irak, Afghanistan, Palästina, Libanon 
 Wie lange noch wird man 
straffrei Länder ausrotten dürfen?

Die Folterungen in Abu Ghraib, die weltweit ein gewisses Unwohlsein 
zur Folge hatten, sind nichts Neues für uns in Lateinamerika. Unsere 
Militärs haben diese Verhörtechniken in der "Escuela de las Américas" 
gelernt. Inzwischen hat die sogenannte Schule Amerikas zwar ihren 
Namen verloren, aber nicht ihre Methoden. Wie lange noch werden wir 
akzeptieren, dass man die Folter rechtfertigt, so wie es der Oberste 
Gerichtshof von Israel getan hat, im Dienste der Verteidigung des Vaterlandes?

Israel hat sechsundvierzig Empfehlungen der Generalversammlung und 
anderer Organisationen der Vereinten Nationen ignoriert. Wie lange 
noch dürfen die Regierungen in Israel das Privileg genießen, taub zu sein?

Die Vereinten Nationen empfehlen, beschließen aber nichts. Wenn die 
UNO etwas beschließen will, wird es vom Weißen Haus mit dem Vetorecht 
verhindert. Washington hat im Weltsicherheitsrat vierzig 
Resolutionen, die Israel verurteilten, mit dem Veto zu Fall gebracht. 
Wie lange noch agieren die Vereinten Nationen, als würden sie 
Vereinigte Staaten von Amerika heißen?

Seit die Palästinenser aus ihren Häusern und Ländereien verjagt 
worden sind, ist viel Blut geflossen. Wie lange noch soll das Blut 
fließen, damit Gewalt das rechtfertigt, was das Gesetz verbietet?

Die Geschichte wiederholt sich, Tag für Tag, Jahr für Jahr und es 
stirbt ein Israeli für 10 Araber. Wie lange noch ist das Leben von 
einem Israeli zehn Mal mehr Wert?

Der Iran entwickelt die Nuklearenergie. Wie lange glauben wir noch, 
dass so etwas als Beweis ausreicht, um das Land als eine Gefahr für 
die Menschheit anzusehen? Offenbar stört es die sogenannte 
internationale Gemeinschaft überhaupt nicht, dass Israel 
zweihundertfünfzig Atombomben besitzt, obwohl es ein Land ist, das 
offenbar kurz vor einem Nervenzusammenbruch steht. Wer bedient 
eigentlich die Gefahrenmessmaschine der Welt? Hieß das Land, das die 
Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hat, Iran?

Im Globalisierungszeitalter ist das Recht Druck auszuüben stärker, 
als die Ausdrucksfreiheit. Um die illegale Besetzung von Palästina zu 
rechtfertigen, wird der Krieg "Frieden" genannt. Die Israelis sind 
Patrioten und die Palästinenser sind Terroristen und Terroristen 
lassen die Weltalarmglocken läuten. Wie lange noch werden die 
Kommunikationsmedien kommunikationsscheu sein?

Dieses Gemetzel ist nicht das Erste und wird auch nicht ­ so fürchte 
ich - das Letzte sein. Warum findet es im Stillen statt? Hat es 
dieser Welt die Sprache verschlagen? Wie lange noch werden die 
Stimmen der Empörung nur über Glocken aus Holz zu hören sein?

Die Bombardements töten Kinder, mehr als ein Drittel der Opfer sind 
weniger als die Hälfte. Wer sich untersteht zu protestieren, wird als 
Antisemit angeklagt. Wie lange noch werden wir, die Kritiker der 
Verbrechen des Staatsterrorismus, Antisemiten sein? Wie lange noch 
werden wir uns das gefallen lassen? Sind die Juden, die darüber 
entsetzt sind, was da in ihrem Namen getan wird, auch Antisemiten? 
Sind die Araber, Semiten wie die Juden, auch Antisemiten? Gibt es da 
nicht auch arabische Stimmen, die die palästinensische Heimat 
verteidigen gegen das Narrenhaus des Fundamentalismus?

Die Terroristen sehen sich alle ähnlich. Da gibt es seit den Zeiten 
des Kalten Krieges gegen den kommunistischen Totalitarismus, 
Staatsterroristen, als respektable Machtpolitiker und private 
Terroristen, als losgelassene Verrückte oder organisierte Verrückte. 
Alle berufen sich auf Gott, ob er nun Gott, Allah oder Jehova heißt. 
Wie lange noch übersehen wir, dass alle Terrorismen das Menschenleben 
verachten und dass sie sich gegenseitig ernähren? Ist es denn nicht 
offensichtlich genug, dass in diesem Krieg zwischen Israel und 
Hisbollah die Toten Zivilisten sind, Libanesen, Palästinenser, 
Israelis? Ist es denn nicht offensichtlich genug, dass die Kriege in 
Afghanistan und Irak und die Invasionen von Gaza und Libanon 
Brutkästen des Hasses sind, die Fanatiker am laufenden Band produzieren?

Wir Menschen sind die einzige tierische Spezies, die auf die 
gegenseitige Ausrottung spezialisiert ist. Wir spenden 2,5 Milliarden 
US-Dollar täglich für Rüstungszwecke. Das Elend und der Krieg sind 
Töchter und Söhne des gleichen Vaters - wie ein grausamer Gott frisst 
er die Toten und die Lebenden. Wie lange noch lassen wir es zu, dass 
diese Welt, im Liebestanz mit dem Tod, unsere einzig mögliche Welt 
bleibt? (ENDE/trad fnf/COPYRIGHT IPS)

(*) Eduardo Galeano, uruguayischer Schriftsteller und Journalist, 
Autor von "Die offenen Adern Lateinamerikas" und "Erinnerungen an das Feuer".


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