[E-rundbrief] Info 434 - Avnery: Libanonkrieg - 3. Woche
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Do Aug 3 23:53:07 CEST 2006
E-Rundbrief - Info 434 - Uri Avnery: Von der Hisbollah bis zu den
Schiiten im Irak.
Nach der dritten Woche des Libanonkrieges - Fragen und Antworten.
Bad Ischl, 3.8.2006
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Uri Avnery
Von der Hisbollah bis zu den Schiiten im Irak
NACH DER DRITTEN WOCHE DES LIBANONKRIEGES - Fragen und Antworten
"FREITAG", Berlin 4. 8. 06
FREITAG (F.): Wer wird diesen Krieg gewinnen?
Uri Avnery (U.A.): Noch funktioniert die Hisbollah und kämpft weiter.
Allein dies wird in die Geschichtsbücher der arabischen Völker als
glänzender Sieg eingehen. Wenn ein Leichtgewichtler gegen einen
Schwergewichtler kämpft und in der 15. Runde immer noch steht, so ist
dies ein Sieg, egal wie das Ende aussieht.
F.: Kann die Hisbollah aus dem Grenzgebiet vertrieben werden?
U.A.: Die Frage beruht auf einem Missverständnis über das Wesen der
Hisbollah. Nicht zufällig wird die Organisation Hisb-Allah ("Partei
Allahs") und nicht Jeish-Allah ("Armee Allahs") genannt. Es handelt
sich um eine politische Organisation, die in der schiitischen
Bevölkerung des Südlibanon verwurzelt ist. Praktisch vertritt sie
diese Gemeinschaft. Die Schiiten machen 40 Prozent der libanesischen
Bevölkerung aus - zusammen mit den anderen Muslimen bilden sie die
Mehrheit im Libanon. Hisbollah kann nur "entfernt" werden, wenn die
ganze schiitische Bevölkerung vertrieben wird. Das wäre eine
ethnische Säuberung - ich hoffe, dass keiner daran denkt. Nach dem
Krieg wird die Hisbollah weiter wachsen.
F.: Könnten internationale Streitkräfte hilfreich sein?
U.A.: Das ist ein Slogan, der besonders für Diplomaten zugeschnitten
wurde, die nach einer Idee Ausschau halten, der sie zustimmen können.
Sie klingt gut und besonders gut, wenn noch das Wort "robust"
hinzugefügt wird.
Aber was genau soll eine "robuste internationale Truppe" dort tun?
Man schlägt vor, sie solle die Hisbollah in einem bestimmten Abstand
von der Grenze halten. Nicht durch Worte - wie die glücklose UNIFIL*,
die jeder von Anfang an ignorierte, sondern durch Gewalt. Wenn die
Aufstellung dieser Kräfte in Absprache mit beiden Seiten stattfinden
sollte, das heißt, mit Israel und der Hisbollah - dann ist das in
Ordnung. Dies mag sogar eine Leiter für die israelische Regierung
sein, um von dem Baum herunterzukommen, auf den sie geklettert ist.
Aber wenn diese Kräfte gegen den Willen der Hisbollah dort
aufgestellt werden, wird sich ein Guerillakrieg entwickeln. Wird eine
internationale Streitmacht an einem Ort standhalten und kämpfen, von
dem sich die mächtige Armee Israels vor sechs Jahren mit eingezogenem
Schwanz zurückgezogen hat?
Bei alldem gibt es noch ein spezielles Dilemma: Was wird geschehen,
wenn die Hisbollah Israel trotz der Pufferkräfte angreift? Wird
Israel dann wieder in das Gebiet einmarschieren und einen
Zusammenstoß mit der internationalen Truppen riskieren, zum Beispiel
mit deutschen Soldaten?
F.: Wie kann man den Verlauf der militärischen Kampagne bewerten?
U.A.: Generalstabschef Dan Halutz hat die Regierung in diesen Krieg
gestoßen, um zwei beschämende militärische Fehlschläge zu vertuschen:
die palästinensische Kommando-Aktion in Kerem Shalom, als der Soldat
Gilat Shalit entführt wurde, und die Hisbollah-Aktion an der
libanesischen Grenze. Kein Offizier wurde deshalb zur Rechenschaft
gezogen. Die Hauptverantwortung ruht natürlich auf dem Generalstabschef.
Halutz, der erste Generalstabschef, der aus den Reihen der Luftwaffe
kommt, war davon überzeugt, dass er die Hisbollah mit einem
Bombardement aus der Luft und durch Artillerie und Kriegsschiffe
erledigen könne. Er hat sich gewaltig geirrt. Selbst nach der
vielfältigen Zerstörung der Infrastruktur im Libanon gelang es ihm
nicht, den Gegner zu besiegen.
F.: Olmert hat erklärt, nach dem Krieg würde die Situation anders
sein als vorher. Gibt es dafür ein Chance?
U.A.: Absolut. Aber die Situation wird für uns viel schlimmer als
vorher sein. Eines der Ziele von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah
ist es, die Schiiten und Sunniten in einem gemeinsamen Kampf gegen
Israel zu vereinigen.
Man sollte wissen, dass Sunniten und Schiiten Jahrhunderte lang
Todfeinde waren. Viele orthodoxe Sunniten betrachten die Schiiten als
Ketzer. Indem die Schiiten den Palästinensern zu Hilfe kommen, die
ihrerseits Sunniten sind, hofft Nasrallah, eine neue Allianz zu schmieden
Im Nahen Osten könnte demnach eine neue Achse entstehen, die
Hisbollah, die Palästinenser, Syrien, den Irak und den Iran
einschließt. Syrien ist ein sunnitisches Land. Der Irak wird jetzt
mehrheitlich von Schiiten kontrolliert, von denen die Hisbollah
unterstützt wird. Aber die irakischen Sunniten, die einen harten
Guerillakrieg gegen die Amerikaner führen, sympathisieren gleichfalls
mit der Hisbollah.
Dieser Block erfreut sich großer Beliebtheit in der gesamten
arabischen Welt, weil er gegen die USA und Israel kämpft. Der andere
Block, der Saudi- Arabien, Ägypten und Jordanien einschließt,
verliert täglich an Popularität.
F.: Was sollte also getan werden?
U.A.: Den israelisch-palästinensischen Konflikt beenden, der den
ganzen Nahen Osten am Brodeln hält. Die Hamas aus dieser feindlichen
Front herausholen, indem man mit ihr als der gewählten
palästinensischen Regierung verhandelt.
Ein Abkommen mit dem Libanon erreichen. Damit es Bestand hat, müssen
in diesem Abkommen die Hisbollah und Syrien mit eingeschlossen sein,
was Israel verpflichtet, den Golan zurückzugeben. Man sollte sich
daran erinnern, dass Ehud Barak fast schon damit einverstanden war
und einen Friedensvertrag unterzeichnet hätte, ähnlich dem mit
Ägypten - aber unglücklicherweise im letzten Augenblick aus Furcht
vor der öffentlichen Meinung gekniffen hat.
Übersetzung: Ellen Rohlfs
(*) UN-Beobachtermission im Libanon
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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