[E-rundbrief] Info 425 - Avnery: Stoppt diese Scheisse.
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Mi Jul 19 23:28:31 CEST 2006
E-Rundbrief - Info 425 - Uri Avnery (Israel): "Stoppt diese Scheiße".
(Israels militärische Gewalttaten gegen Palästina und den Libanon).
Bad Ischl, 19.7.2006
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Jeder, der sich nach einer Lösung sehnt, muss wissen: es gibt keine
Lösung, ohne die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts.
Und es gibt keine Lösung des palästinensischen Problems ohne
Verhandlungen mit der gewählten Regierung, einer Regierung, der die
Hamas vorsteht.
Wenn jemand ein für alle mal diese Scheiße wie Bush so delikat
formulierte beenden will, dann geht es nur auf diese Weise.
"Stoppt diese Scheiße"
Uri Avnery
18.7.2006
EINE FRAU, eine Immigrantin aus Russland, wirft sich voller
Verzweiflung vor ihr Haus, das von einer Rakete getroffen worden war.
Sie schreit in gebrochenem Hebräisch: "Mein Sohn, mein Sohn!" da sie
glaubte, er sei tot. Tatsächlich war er nur verletzt und ins
Krankenhaus gebracht worden.
Libanesische Kinder, am ganzen Körper verletzt, in Beiruts
Krankenhäusern. Die Beerdigung der Opfer einer Rakete in Haifa. Die
Ruinen eines völlig zerstörten Stadtviertels in Beirut. Bewohner aus
dem Norden Israels fliehen vor den Katjuschas nach Süden. Bewohner
des südlichen Libanon fliehen vor der israelischen Luftwaffe nach Norden.
Tod, Zerstörung. Unvorstellbares menschliches Leid.
Und der abscheulichste Anblick: George Bush sitzt in verspielter
Stimmung auf seinem Stuhl in Petersburg - über ihn gebeugt sein
loyaler Diener Tony Blair, um das Problem zu lösen: "Sieh, was die
tun müssen, ist, die Syrer dahin zu bringen, dass sie die Hisbollah
dahin bringen, mit all der Scheiße aufzuhören dann wäre endlich
Schluss damit."
So sprach der Mächtigste der Welt und die sieben Zwerge "die Großen
der Welt" sagten Amen.
SYRIEN? DOCH erst vor wenigen Monaten war es Bush ja derselbe
Bush der die Libanesen zwang, die Syrer aus ihrem Land zu jagen. Nun
will er, dass sie im Libanon intervenieren und für Ordnung sorgen?
Vor 31 Jahren , als der libanesische Bürgerkrieg auf seinem Höhepunkt
war, sandten die Syrer vor allem von den libanesischen Christen
eingeladen - ihre Armee in den Libanon. Zu jener Zeit verursachte der
damalige Verteidigungsminister Peres und seine Verbündeten eine
Hysterie in Israel. Sie verlangten, Israel möge den Syrern ein
Ultimatum stellen, das sie daran hindere, die israelische Grenze zu
erreichen. Yitzhak Rabin, der Ministerpräsident, sagte damals zu mir,
dass dies reiner Unsinn sei, weil es das Beste für Israel wäre, wenn
sich die syrische Armee entlang der Grenze formieren würde. Nur dies
könnte die Ruhe sicherstellen, die gleiche Ruhe, die an der Grenze
Israels zu Syrien herrscht.
Doch Rabin gab der Medienhysterie nach und stoppte die Syrer weit
entfernt von der israelischen Grenze. Das so geschaffene Vakuum wurde
1982 von der PLO gefüllt. Ariel Sharon vertrieb die PLO und das
Vakuum füllte sich mit der Hisbollah.
All dies, was sich dann dort ereignete, wäre nicht geschehen, wenn
wir den Syrern erlaubt hätten, von Anfang an die Grenze zu besetzen.
Die Syrer sind vorsichtig, sie handeln nicht leichtsinnig.
WAS HAT Hassan Nasrallah nur gedacht, als er entschied, die Grenze zu
überqueren und eine Guerilla-Aktion durchführen zu lassen, die den
augenblicklichen Hexensabbat verursacht? Warum hat er es getan? Und
warum zu diesem Zeitpunkt?
Jeder hält Nasrallah für eine kluge Person. Er ist auch besonnen.
Seit Jahren hat er einen großen Vorrat an Raketen aller Art angelegt,
um eine Art Terrorbalance herzustellen. Er wusste, dass die
israelische Armee nur auf die Gelegenheit wartete, sie zu zerstören.
Trotzdem hat er eine Provokation ausgeführt, die der israelischen
Regierung den perfekten Vorwand lieferte, den Libanon
anzugreifen mit dem vollen Einverständnis der Weltgemeinschaft. Warum?
Möglicherweise war er vom Iran und von Syrien, die ihn mit Raketen
ausstatten, aufgefordert worden, etwas zu tun, um den amerikanischen
Druck von ihnen abzulenken. Und tatsächlich hat die plötzliche Krise
die Aufmerksamkeit von den iranischen Bemühungen im Nuklearbereich
abgelenkt. Und es scheint, Bushs Haltung habe sich gegenüber Syrien verändert.
Aber Nasrallah ist weit davon entfernt, eine Marionette des Iran oder
von Syrien zu sein. Er führt eine echte libanesische Bewegung an und
kalkuliert seine eigene Bilanz des Für und Wider. Wenn er vom Iran
oder von Syrien angefragt worden wäre, etwas zu tun wofür es aber
keinen Beweis gibt und er gesehen hätte, dass dies nicht mit den
Zielen seiner Bewegung übereinstimmt, dann hätte er es nicht getan.
Vielleicht handelte er aus innerpolitischen Gründen. Das libanesische
politische System war stabiler geworden, und es war schwieriger
geworden, den militärischen Flügel der Hisbollah zu rechtfertigen.
Ein neuer bewaffneter Vorfall hätte helfen können. (Solche
Betrachtungen sind uns keineswegs fremd, besonders nicht vor Budget-Debatten).
Aber all dies erklärt nicht den Zeitpunkt. Nasrallah hätte einen
Monat vorher oder einen Monat später handeln können, ein Jahr vorher
oder später. Es muss einen triftigeren Grund gegeben haben, der ihn
davon überzeugte, genau jetzt in solch ein Abenteuer zu schliddern.
Und tatsächlich diesen Grund gab es: Palästina.
Vor zwei Wochen begann die israelische Armee einen Krieg gegen die
Bevölkerung des Gazastreifens. Auch dort war der Vorwand eine
Guerillaaktion, in der ein israelischer Soldat gefangen genommen
wurde. Die israelische Regierung packte die Gelegenheit beim Schopfe
und führte einen seit langem vorbereiteten Plan aus: den
Widerstandswillen der Palästinenser zu brechen und die neu gewählte
palästinensische Regierung zu zerstören, die von der Hamas dominiert
wird. Und natürlich auch um die Qassams zu stoppen.
Die Operation im Gazastreifen ist eine besonders brutale und so
sieht es auch auf den Bildschirmen in aller Welt aus. Schreckliche
Bilder aus dem Gazastreifen erscheinen täglich und stündlich in den
arabischen Medien. Tote, Verletzte, Zerstörung. Wassermangel,
fehlende Medikamente für die Verwundeten und Kranken. Ganze Familien
getötet. Kinder schreien in Agonie. Mütter weinen. Gebäude stürzen in
sich zusammen.
Die arabischen Regime, die alle von Amerika abhängig sind, kommen
nicht zu Hilfe. Da sie alle von islamischen Oppositionsbewegungen
bedroht sind, schauen sie mit einiger Schadenfreude zu, was gegenüber
der Hamas geschieht. Aber 10 Millionen Araber vom Atlantik bis zum
Persischen Golf sehen zu, regen sich auf und werden über ihre
Regierung wütend, schreien nach einem Führer, der den belagerten und
heldenhaften Brüdern in Palästina zu Hilfe eilt.
Vor 50 Jahren schrieb Gamal Abdel-Nasser, der neue ägyptische Führer,
dass eine Rolle auf einen Helden wartet. Er entschied, selbst dieser
Held zu sein. Jahrelang war er das Idol für die arabische Welt,
Symbol für die arabische Einheit. Aber Israel nützte eine Gelegenheit
und stürzte ihn im Sechs-Tage-Krieg. Danach stieg Saddam Husseins
Stern am arabischen Horizont auf. Er wagte es, sich gegen das
mächtige Amerika zu stellen und Raketen auf Israel abzuschießen und
wurde so der Held der arabischen Massen. Aber er wurde vernichtend
und in demütigender Weise von den Amerikanern, die von Israel
angespornt wurden, geschlagen.
Vor einer Woche sah sich Nasrallah derselben Versuchung gegenüber.
Die arabische Welt schrie nach einem Helden und er reagierte: Hier
bin ich. Er forderte Israel und indirekt auch die US und die ganze
westliche Welt heraus. Er begann den Angriff ohne Verbündete und
wusste, dass weder der Iran noch Syrien es riskieren würden, ihm zu helfen.
Vielleicht wird er fortgerissen wie Abd-el-Nasser und Saddam vor ihm.
Vielleicht hat er die Gewalt des Gegenangriffes, den er erwartete,
unterschätzt. Vielleicht glaubte er wirklich, dass unter dem Gewicht
seiner Katjuscha-Raketen Israels Etappe zusammenbrechen würde (So wie
die israelische Armee glaubte, die israelische Zerstörung würde das
palästinensische Volk im Gazastreifen und die Schiiten im Libanon zerbrechen).
Eines ist klar: Nasrallah hätte diese Gewaltspirale nicht begonnen,
wenn die Palästinenser ihn nicht um Beistand gebeten hätten. Aus
kühler Berechnung oder aus wahrer moralischer Entrüstung oder wegen
beidem Nasrallah eilte zur Rettung des belagerten Palästinas.
DIE ISRAELISCHE Reaktion hätte man erwarten können. Seit Jahren
warten die Armeekommandeure auf eine Gelegenheit, das Raketenarsenal
der Hisbollah zu vernichten und diese Organisation zu zerstören oder
sie wenigstens zu entwaffnen und sie sehr weit weg von der
israelischen Grenze zu befördern. Sie versuchten dies auf die einzige
ihnen bekannte Weise: durch weitreichende Zerstörung, damit die
libanesische Bevölkerung aufsteht und die Regierung zwingt, Israels
Forderungen zu erfüllen.
Werden diese Ziele erreicht?
HISBOLLAH IST die authentische Vertretung der schiitischen
Gemeinschaft, die etwa 40% der libanesischen Bevölkerung ausmacht.
Zusammen mit den andern Muslimen bilden sie die Mehrheit im Land. Der
Gedanke, dass die schwächliche libanesische Regierung, die auf jeden
Fall auch die Hisbollah einschließt, in der Lage wäre, diese
Organisation zu liquidieren, ist lächerlich.
Die israelische Regierung verlangt, die libanesische Armee solle an
der Grenze entlang aufmarschieren. Dies ist jetzt zu einem Mantra
geworden. Es zeugt von totaler Ignoranz. Die Schiiten haben
bedeutsame Positionen in der libanesischen Armee inne. So gibt es
überhaupt keine Chance, dass sie einen Bruderkrieg gegen sie beginnen werden.
Im Ausland nimmt ein anderer Gedanke Gestalt an: eine internationale
Truppe sollte entlang der israelisch-libanesischen Grenze aufgestellt
werden. Die israelische Regierung ist strickt dagegen. Eine wirklich
internationale Truppe nicht wie die unglückliche UNIFIL, die seit
Jahrzehnten dort ist würde die israelische Armee daran hindern, das
zu tun, was sie will. Außerdem: sollte sie dort ohne das
Einverständnis der Hisbollah aufgestellt werden, würde ein neuer
Guerillakrieg gegen sie beginnen. Würde solch einer Truppe ohne
wirkliche Motivation das gelingen, was der mächtigen israelischen
Armee nicht gelungen ist?
Dieser Krieg mit seinen Hunderten von Toten und Zerstörungswellen
wird höchstens zu einem anderen zerbrechlichen Waffenstillstand
führen. Die israelische Armee wird den Sieg ausrufen und behaupten,
sie habe die "Spielregeln" verändert. Nasrallah (oder seine
Nachfolger) werden behaupten, ihre kleine Organisation habe sich
gegen eine der mächtigsten Militärmaschinen der Welt erhoben und ein
weiteres leuchtendes Kapitel über Heldentum in den Annalen der
arabischen und muslimischen Geschichte geschrieben.
Es wird keine richtige Lösung geben, weil die Wurzel des Übels nicht
angegangen wird: das palästinensische Problem.
VOR VIELEN JAHREN hörte ich im Radio eine der Reden von Abd-el-
Nasser, die er vor einer großen Menschenmenge in Ägypten hielt. Er
verbreitete sich über die Errungenschaften der ägyptischen
Revolution, als Schreie aus der Menge kamen: "Palästina oh, Gamal!"
Daraufhin vergaß Nasser über sein angefangenes Thema zu reden und
sprach mit wachsender Begeisterung über Palästina.
Seit damals hat sich nicht viel verändert. Wenn die palästinensische
Sache erwähnt wird, wirft sie ihre Schatten über alles andere. Genau
dies geschah jetzt auch.
Jeder, der sich nach einer Lösung sehnt, muss wissen: es gibt keine
Lösung, ohne die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts.
Und es gibt keine Lösung des palästinensischen Problems ohne
Verhandlungen mit der gewählten Regierung, einer Regierung, der die
Hamas vorsteht.
Wenn jemand ein für alle mal diese Scheiße wie Bush so delikat
formulierte beenden will, dann geht es nur auf diese Weise.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
http://www.uri-avnery.de
erstellt am 18.07.2006
Original in Englisch:
http://zope.gush-shalom.org/home/en/channels/avnery/1153268185/
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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