[E-rundbrief] Info 404 - RB 121 - Alternativengipfel in Wien

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Sa Jun 10 00:13:01 CEST 2006


E-Rundbrief - Info 404 - Rundbrief Nr. 121 - Matthias Reichl: 
Alternativengipfel EU-Lateinamerika/ Karibik "Enlazandos Alternativas 
2" - vom 10. - 13.5.2006 in Wien.

Bad Ischl, 10.6.2006

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Alternativengipfel in Wien

Matthias Reichl

Über meine bewegenden Begegnungen und Erfahrungen auf dem 
Alternativengipfel EU-Lateinamerika/ Karibik "Enlazandos Alternativas 
2" - vom 10. - 13.5.2006 in Wien - könnte ich seitenlang berichten. 
Zur aktuellen Situation auf diesem Kontinent habe ich im "Rundbrief" 
Nr. 119 (Info 313) Auszüge aus einer Rede von Hugo Chávez und in der 
Nr. 120 (Info 357) den Bericht von Leo Gabriel über "Das andere 
Amerika" abgedruckt. Diese Serie ergänzt der folgende Text des 
brasilianischen Priesters Egydio Schwade. Die Abschlusserklärung des 
Alternativengipfels findet ihr auf der Homepage www.alternativas.at.

Als Militärgegner musste ich dem strategischen Geschick des 
Fallschirmjägeroffiziers Hugo Chávez Respekt und Anerkennung zollen. 
Auch wenn er im Unterschied zum sanfteren indianischen Kollegen Evo 
Morales betont militant auftrat. In seiner 100-minütigen Rede in der 
"Urania" - eine Podiumsveranstaltung am 11.5., organisiert vom 
Internationalen Institut für den Frieden -  die ich aus einer der 
vorderen Reihen live miterlebte, hat Chávez nicht nur seine bekannte 
Kritik am Neoliberalismus und der USA wiederholt, sondern sich auch 
tiefgehend mit der bedrohten Ökologie unseres Planeten befasst.

Ein mögliches Entwicklungshilfeprojekt Venezuelas für Europa: 
Spanischkurse finanzieren und organisieren um die zukünftige soziale, 
politische und kulturelle Weltmacht zu verstehen und mit ihr zu 
kommunizieren. Nach dem Niedergang der USA löst vielleicht Spanisch 
das amerikanische Englisch ab!

Bischof Ramazzini aus Guatemala kam als herausragender katholischer 
Kirchenmann. Er kämpft gewaltfrei gegen die Zerstörung sozialer 
Strukturen, der Umwelt und der indigenen Kultur in Guatemala.

"Sakrileg" auf lateinamerikanisch: Vor gut 500 Jahren kamen spanische 
Missionare als Unterstützer der Militärs und Händler nach 
Lateinamerika um die dortigen indigenen Kulturen und 
Sozialgemeinschaften zu zerstören. In den letzten Jahrzehnten waren 
es u.a. reaktionäre Opus Dei-Priester und Laien, die die 
fortschrittlichen Basisgemeinschaften und deren Orientierung an der 
"Theologie der Befreiung" vertrieben, um sie durch frömmelnde und mit 
dem Neoliberalismus kollaborierenden Religionsführer zu ersetzen. 
Ziel war und ist die Unterwerfung unter die alte/ neue Herrschaft der 
Europäer und Nordamerikaner.

Bei der Abschlussveranstaltung des Alternativengipfels verteilte der 
französische Bauer José Bové Cocablätter an die Podiumsteilnehmer, 
darunter an die Präsidenten Chavez und Morales, den kubanischen 
Außenminister und an Vertreter von sozialen Bewegungen. Sie alle 
kauten die Blätter demonstrativ und forderten "Coca si, Cocaina no" - 
die Entkriminalisierung des Cocaanbaues, einer für die Kultur und 
Gesundheit unverzichtbaren Pflanze.

Rainhard Fendrich - österreichischer Pop-Sänger mit Kokainproblemen - 
könnte zur Bewährung unter dieser Devise ein Jahr Sozialarbeit bei 
einem Cocalero, einem bolivianischen Coca-Bauern, ableisten.

Zeitweise hatte ich dem "Hearing on Neo-liberal Policies and European 
Transnational Corporations in Latin America and the Caribbean" den 
Delegierten tief betroffen zugehört. Ich halte Susan Georges 
kritischen Kommentar zur abschließenden "Declaration of the Jury 
Permanent Peoples' Tribunal" für sehr berechtigt (Info 395 u. 401).

In seiner Presseaussendung zum Tribunal hat Heinz Hödl, 
Geschäftsführer der "Koordinierungsstelle der Österr. 
Bischofskonferenz für Mission und Entwicklung" kritisiert, dass zum 
Tribunal nicht auch Vertreter der angeklagten Dutzenden 
transnationalen Konzernen und Banken eingeladen wurden. Ich halte 
diese Kritik für unrealistisch, allein schon wegen deren 
zeitraubenden Propaganda- und Weißwaschauftritten. Es ging in dieser 
Phase des Tribunals primär darum, den Betroffenen genügend Raum zu 
geben, um die - exemplarischen - Fallbeispiele zu skizzieren. (Selbst 
dafür war die Zeit zu kurz.) Den Firmenvertretern soll in der 
nächsten Phase (im kommenden Jahr) Gelegenheit zur Erläuterung, 
Rechtfertigung und Selbstkritik ihres Handelns gegeben 
werden.   (Infos: www.internazionaleleliobasso.it)

Susan George (Paris) in einem "STANDARD"-Interview: "Staaten, die 
Erfolg hatten, europäische, die USA, Japan oder auch Korea, nutzen 
alle hohe Staatszuschüsse für Sektoren, die sie voranbringen wollten. 
Nun wollen gerade diese Länder - aus Angst, dass ihre Profite sich 
verringern - ähnliche Entwicklungen in anderen Ländern verhindern. 
Nichts anderes sind diese "Free trade agreements": es sind 
Übereinkommen, die offene Märkte erzwingen sollen, so dass 
einflussreiche und starke Konzerne sich uneingeschränkt bedienen können.

Und die EU geht hier viel aggressiver vor als die USA. Die Europäer 
wollen eine umfangreiche Öffnung in beinahe allen Bereichen des 
Dienstleistungssektors: von Energie über Flugverkehr bis zu freiem 
Investment. Wir haben zum Beispiel GATS bekämpft, aber sobald wir die 
EU aus der Tür hinausgedrängt hatten, waren sie auch schon beim 
Fenster wieder drinnen."

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
     Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
     fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
     Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
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Geschäftsstelle Pfandl
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