[E-rundbrief] Info 395 - Permanentes Tribunal der Voelker Wien 5/06

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
Do Mai 18 15:04:54 CEST 2006


E-Rundbrief - Info 395 - Permanentes Tribunal der Völker: Erklärung 
der Jury des Tribunals über "Die Transnationalen Konzerne der 
Europäischen Union: Macht der Konzerne und Straflosigkeit in Europa 
und in Lateinamerika", Wien, 10. - 12. Mai 2006. Im Rahmen des 
Alternativengipfels "Enlazandos Alternativas 2".

Bad Ischl, 18.5.2006

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Permanentes Tribunal der Völker

Erklärung der Jury des Tribunals über "Die Transnationalen Konzerne 
der Europäischen Union:

  Macht der Konzerne und Straflosigkeit in Europa und in Lateinamerika"

Wien, 10. - 12. Mai 2006

1 Allgemeine Grundlagen

Die Aufforderung eine Sitzung der PPT über die Rolle von 
transnationalen Konzernen der Europäischen Union abzuhalten, wurde 
dem PPT am 2. Februar 2006 offiziell übermittelt. Es waren eine Reihe 
von inoffiziellen Kontakten vorangegangen, wie es im Statut des 
Tribunal niedergelegt ist. Es sollte die immer dominanter werdende 
Rolle der  europäischen TNCs in entscheidenden Bereichen untersucht 
werden. Dazu gehören: Dienstleistungen, Infrastruktur, Energie, 
Petroleum Wasser, Finanzsystem, Telekommunikation etc. Die TNCs sind 
so dominant, dass politische Souveränität, Entwicklungspolitische 
Perspektive, wirtschaftspolitische Alternativen und die weitere 
Demokratisierung verschlossen werden. Wegen der verwickelten und 
daher schwierigen Konstellation hat das Netzwerk der Organisationen, 
die "enlazando alternativas 2" tragen nicht gefordert, zu einem 
formellen Urteil zu gelangen, sondern die Vielfalt von Klagen zu 
hören, die aus vielen lateinamerikanischen Ländern, von vielen 
Bevölkerungsgruppen in bezug auf viele Bereiche von Leben und Arbeit 
gegen die Transnationalen Konzerne der EU vorgebracht werden. Daher 
ist die Abschlußerklärung des Tribunals kein formelles Urteil, 
sondern eine Erklärung über die Rolle der europäischen TNCs in 
Lateinamerika. Das PPT akzeptierte die Aufforderung nicht zuletzt, 
weil sie besonders wichtig für die weitere Arbeit des PPT sein kann. 
Dafür waren drei Gründe maßgebend.

    1. Das Spektrum von Akteuren, die Bewegungen, die am Enlazando 
Alternativas teilnehmen, sind die wichtigsten Träger des Kampfes für 
das Recht der Völker. Das ist die Basis des PPT, die in der Erklärung 
von Algier von 1976 gelegt worden ist.

    2. Die Aufforderung zur Sitzung zielt nicht auf ein Urteil oder 
eine Verurteilung, sondern auf eine rigorose, tiefschürfende 
Untersuchung des nicht auszuschließenden Fehlverhaltens und der 
Verletzungen fundamentaler Menschenrechte durch TNCs unter der 
Mitwirkung  der EU.

    3. Die Themen der Aufforderung sind eine bedeutsame Gelegenheit, 
um die Forschung im Rahmen des PPT in den Bereichen von ökonomischen 
Interessen und Konflikten und in Fragen der Menschenrechte zu 
stärken. Dies ist eine schon seit langem verfolge Linie. In diesem 
Kontext sind bereits eine Reihe von Tribunalen durchgeführt worden, z.B.

Die Mitglieder Jury danken den Organisatoren dieses wichtigen 
Treffens Enlazando alternativas. Sie sind sich der hohen Qualität und 
Klarheit der Dokumente über die einzelnen zur Bewertung gestellten 
Fälle bewusst. Sie sind beeindruckt von der Qualität der Hearings und 
von den Stellungnahmen, die ein klares Bekenntnis zu Gerechtigkeit 
für die lokalen Gemeinschaften und die Länder, aus denen sie kommen, 
erkennen lassen.

Wir haben haben Berichte über Fälle gehört, in die viele TNCs 
verwickelt sind, und zwar aus Österreich, Finnland, Frankreich, 
Deutschland, Großbritannien, Italien, Niederlanden, Spanien und dem 
Nicht-EU-Mitglied Norwegen. Die Berichte haben sehr klar erkennen 
lassen, wie sehr europäische TNCs die Menschenrechte, Arbeitsrechte 
missachten, die natürliche Umwelt manchmal irreversibel schädigen und 
wie sehr sie die sozialen Bedingungen in lokalen Gemeinschaften 
nachgerade zerstören.

Wir haben besonders aufmerksam die Berichte verfolgt, in  denen die 
Mittäterschaft europäischer Regierungen zu Gunsten "ihrer" TNCs 
angeprangert worden ist. Darüber hinaus haben wir erfahren, wie sehr 
internationalen Institutionen, wie Weltbank, IWF, Interamerikanische 
Entwicklungsbank oder WTO den Weg für die TNCs ebnen.

Wir haben uns über Fälle informieren lassen, wie die 
Privatisierungsmaßnahmen zu Gunsten der großen Konzerne, die 
Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die Ölförderung und deren Folgen, 
die Ausdehnung der Monokulturen zur Zellulose- oder Sojaproduktion, 
die Liberalisierung der Finanzdienstleistungen.

2 Das Verfahren

Die Anhörungen haben in drei Sitzungen von jeweils etwa 4 Stunden 
stattgefunden, denen eine Eröffnungssitzung vorausgegangen ist. 
Grundlage der Anhörungen war ein detailliertes Dossier über die 
präsentierten Fälle. Die mündlich erläuterten Fälle wurden durch 
Nachfragen seitens der Jury zu klären versucht. Die in der Sitzung 
präsentierten Fälle betrafen die oben erwähnten Bereiche von der 
Wasserversorgung bis zur Biodiversität. Die Dokumente stehen zur 
Nachprüfung im Internet zur Verfügung.

3 Die Stellungnahme des Tribunals

In einer ersten Stellungnahme ist es möglich, einige allen Fällen 
gemeinsame Probleme zu identifizieren, die für die weitere Arbeit des 
PPT bedeutsam sind.

    1. Die Gefährdung des Rechts des Zugang zu grundlegenden 
Dienstleistungen. Wenn Wasser durch Privatisierung in eine Ware 
verwandelt wird, ist es kein Gemeingut mehr, das allen Menschen zur 
Verfügung steht. Die Preis- und Verteilungspolitik der TNCs, die von 
den internationalen Finanz- und Entwicklungsinstitutionen zumeist 
unterstützt wird, enteignet die ärmere Bevölkerung eines 
fundamentalen Menschenrechtes. Was für Wasser gesagt wurde, gilt in 
ähnlicher Weise auch für die Energieversorgung.

    2. Die Bedrohung des Rechts auf Land und Boden infolge der 
Expansion von Monokulturen (vor allem Soja und Eukalyptus für die 
Zelluloseproduktion). Dabei wird den Kleinbauern Land genommen und 
folglich die Existenzgrundlage entzogen.

    3. Die Unterminierung des Rechts auf Ernährungssicherheit und 
souveränität durch die industriell betriebene Landwirtschaft und die 
Produktion für den Export, zusammen mit der Privatisierung der 
Biodiversität durch große Konzerne (unter Anwendung des Patentrechts 
für genetische Ressourcen). Die internationalen Handelsregimes 
erlauben den TNCs die Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber den 
Rechten der Menschen.

    4. Angriff auf Arbeitsrechte. Der Druck in Richtung möglichst 
hoher Renditen, die Notwendigkeit, möglichst billig für den Weltmarkt 
zu produzieren, die Schwäche der Gewerkschaften, auch in 
Lateinamerika, die Flexibilisierung des Arbeitseinsatzes 
unterminieren die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der ILO. Darüber 
hinaus nutzen die TNCs Unterauftragnehmer, um die Arbeitskosten 
weiter zu senken, weil dort die Arbeitsverhältnisse prekär sind. 
Daher wächst der informelle Sektor, der inzwischen wesentlicher 
größer als der Sektor formeller Beschäftigung ist.

    5. Missachtung der Rechte der indigenen Bevölkerung. 
Transnationale Konzerne aus der EU missachten Landrechte der 
indigenen Bevölkerung, häufig in Kollusion mit den nationalen 
Regierungen. Sie verletzen damit die kulturelle Identität und 
fundamentale Rechte. Sie suchen keine Partizipation, verlassen sich 
auf die Ausübung ihrer ökonomischen Macht.

    6. Missachtung von Umweltrechten. Europäische TNCs sind 
rücksichtslos in fragilen Ökosystemen, in den Zentren der 
Biodiversität, unter Berücksichtigung der Bedeutung der Erhaltung der 
tropischen Wälder für eine Stabilisierung des Weltklimas. Ihnen geht 
es nur um kurzfristigen ökonomischen Profit. Die Vergiftung der 
Gewässer, die Zerstörung von Ökosystemen durch Infrastruktur sind 
unvermeidlich. Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, z.B. von Öl 
und Gas hat weitreichende ökologische Folgen, auf lokaler Ebene 
ebenso wie im globalen Raum.

    7. Auch die bürgerlichen und politischen Rechte sind bedroht. 
Infolge der Mitwirkung und der Kooperation von lokalen und nationalen 
Regierungen haben die TNCs aus der EU fast freie Hand. Es gibt den 
Widerstand von Volksbewegungen, aber er wird sehr häufig polizeilich 
niedergeschlagen, diffamiert und kriminalisiert.

Wenn man bedenkt, dass zu all diesen Missachtungen und Fehlverhalten 
die Wirkung der internationalen Finanzmärkte hinzukommt, die dies 
bestärken, kann man die Heftigkeit der gegenwärtigen Attacke auf das 
Recht auf menschliche Entwicklung verstehen. Daraus ergeben sich die 
Herausforderungen für das Permanente Tribunal der Völker.

Die Verantwortung für alle diese Fälle sind nicht auf die TNCs der EU 
zu begrenzen. Sie betrifft auch die Regierungen und die Kommission, 
die die Standards erlassen haben, die es den TNCs erlauben, so zu 
agieren wie sie es tun. Der Skandal aber besteht darin, dass die TNCs 
niedrigere Standards in Lateinamerika einhalten müssen als in der EU. 
In den Verhandlungen mit Lateinamerika wird die Linie der 
Liberalisierung der Märkte, insbesondere der Finanzmärkte, verfolgt 
und damit der Unterstützung der TNCs. Wirtschaftliche Unterstützung 
ist häufig konditioniert, damit die Kriterien der EU eingehalten 
werden. Gleichzeitig hat die EU eine Reihe von Präferenzabkommen 
geschlossen mit Ländern, in denen Menschenrechte oder die 
Kernarbeitsnormen nicht eingehalten werden.

Die dem PPT vorgelegten Fälle zeigen allesamt, wie sehr bindende 
Regeln für TNCs fehlen. So lange diese Regeln nicht existieren werden 
Klagen, wie die auf dieser Sitzung gehörten und untersuchten immer 
wieder erneut aufgeworfen werden.

Daher schlußfolgert das Tribunal, dass die Komplexität und 
Bedeutsamkeit der Anklagen und die ihnen zugrunde liegenden 
Bedrohungen von Rechten weitere Untersuchungen erforderlich machen. 
Das Ziel ist, auf internationaler Ebene Rechtsinstrumente zu 
schaffen, die es möglich machen, TNCs wirksam und verantwortlich zu 
machen für jede Verletzung von Rechten, die sie begehen.

Schluß mit der Straflosigkeit!

www.internazionaleleliobasso.it
www.alternativas.at

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
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