[E-rundbrief] Info 390 - Avnery: Friedensaktivisten u. Medien

Matthias Reichl info at begegnungszentrum.at
So Apr 30 18:07:47 CEST 2006


E-Rundbrief - Info 390 - Uri Avnery (Israel): Wer ist der Hund? Wer 
ist der Schwanz? (Fast alle US-amerikanischen Medien wollen nichts 
von palästinensischen und israelischen Friedensaktivisten wissen... 
Antisemitismus-Vorwürfe.

Bad Ischl, 30.4.2006

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Präsident Bush z.B. hat sich von allen lang bestehenden 
amerikanischen Positionen, die unsern Konflikt betreffen, 
zurückgezogen. Er akzeptiert automatisch die Positionen unserer 
Regierung  egal wie sie aussehen. Fast alle amerikanischen Medien 
wollen nichts von palästinensischen und israelischen 
Friedensaktivisten wissen. Was die Professoren betrifft, so wissen 
fast alle, welche Seite ihres Brotes mit Butter bestrichen ist. Wenn 
trotz allem einer von ihnen den Mund zu öffnen wagt und etwas gegen 
die israelische Politik sagt  was alle paar Jahre einmal 
vorkommt  wird er unter einem Hagel von Verwünschungen begraben: ein 
Antisemit, ein Holocaustleugner, ein Neo-Nazi .


Wer ist der Hund? Wer ist der Schwanz?

Uri Avnery

GEWÖHNLICH erzähle ich diese Geschichten nicht; denn es könnte der 
Verdacht aufkommen, ich sei paranoid.

Z.B. wurde ich vor 27 Jahren zu einer Vortragsreise in 30 
amerikanische Universitäten eingeladen, einschließlich der 
berühmtesten wie Harvard, Yale, Princeton, MIT, Berkeley ...
Meine Gastgeberin war die Gesellschaft für Versöhnung (Fellowship of 
Reconciliation), eine geachtete nicht-jüdische Organisation; die 
Vorträge selbst wurden aber unter der Schirmherrschaft der jüdischen 
Bet-Hillel-Rabbiner gehalten.

Bei der Ankunft am New Yorker Flughafen wurde ich von einem der 
Organisatoren empfangen. "Da gibt es einen Haken", sagte er mir, "29 
Rabbiner haben Ihren Vortrag abgesagt."

Am Ende fanden alle Vorträge statt doch unter der Schirmherrschaft 
christlicher Geistlicher. Als wir zu dem einen Rabbiner kamen, der 
meinen Vortrag nicht abgesagt hatte, erzählte er mir das Geheimnis: 
die Vorträge waren durch einen vertraulichen Brief der 
Anti-Defamation Liga, der "Gedanken-Polizei" des jüdischen 
Establishments, verboten worden. Der wichtigste Satz blieb mir im 
Gedächtnis: "zwar kann gesagt werden, dass Knessetabgeordneter Avnery 
ein Verräter ist, jedoch ..."


UND EINE ANDERE Geschichte aus dem realen Leben: ein Jahr später flog 
ich nach Washington DC, um die Zwei-Staaten-Lösung zu "verkaufen", 
die zu jener Zeit als ausgefallene, wenn nicht gar als verrückte Idee 
betrachtet wurde. Im Laufe meines Besuches waren die Quäker so 
freundlich, eine Pressekonferenz für mich zu arrangieren.

Als ich ankam, war ich sehr erstaunt. Der Raum war proppenvoll; 
praktisch alle bedeutenden amerikanischen Medien waren vertreten. 
Viele kamen direkt von einer Pressekonferenz mit Golda Meir, die auch 
gerade in der Stadt weilte. Die Veranstaltung sollte wie üblich eine 
Stunde dauern, aber die Journalisten ließen mich nicht gehen. Sie 
bombardierten mich weitere zwei Stunden lang mit Fragen. 
Offensichtlich waren die Dinge, die ich zu sagen hatte, ganz neu und 
interessierte sie.
Nun war ich neugierig, wie das in den Medien berichtet werden würde. 
Und in der Tat war die Reaktion erstaunlich: nicht ein Wort erschien 
in irgendeiner Zeitung, auch nicht im Radio oder im Fernsehen. Nicht 
ein einziges Wort.
Nebenbei: vor drei Jahren hielt ich eine Pressekonferenz  diesmal auf 
dem Kapitol in Washington. Es war eine genaue Wiederholung des 
letzten Males: viele Reporter, ihr offensichtliches Interesse, die 
Fortsetzung der Konferenz über die angegebene Zeit hinaus  und kein 
einziges Wort in den Medien.

ICH KÖNNTE noch ein paar solcher Geschichten erzählen  aber das 
genügt. Ich erzähle sie nur im Zusammenhang mit dem Skandal, der 
kürzlich von zwei amerikanischen Professoren, Stephen Walt von 
Harward und John Mearsheimer der Universität Chikago verursacht 
wurde. Sie veröffentlichten ein Untersuchungspapier über den Einfluss 
der pro Israel Lobby in den USA.

In 80 Seiten  40 davon Fußnoten und Quellenangaben  beweisen die 
beiden, dass die pro Israel Lobby eine ungehemmte Macht in der 
US-Hauptstadt ausübt, dass sie Mitglieder des Senates und des 
Abgeordnetenhauses terrorisiert, wie das Weiße Haus nach ihrer Flöte 
tanzt (falls ein Haus tatsächlich tanzen kann), dass die bedeutenden 
Medien ihren Befehlen gehorchen und dass selbst die Universitäten in 
Angst vor ihr leben.

Dieser Aufsatz verursachte einen Sturm. Und ich meine nicht die 
voraussagbaren wilden Angriffe der "Freunde Israels" - die meisten 
Politiker, Journalisten und Professoren. Sie schleuderten die 
üblichen Anklagen gegen die beiden Professoren: sie seien 
Antisemiten, sie lassen "die Protokolle der Weisen von Zion" wieder 
aufleben usw. Es gab etwas Paradoxes in diesen Angriffen, da sie nur 
die Argumente der Autoren bestätigten.

Die Debatte, die mich fasziniert, ist jedoch von anderer Art. Sie 
brach zwischen hochrangigen Intellektuellen aus, vom legendären Noam 
Chomsky, dem Guru der Linken in aller Welt (einschließlich Israels), 
bis zu den progressiven Internetseiten überall. Der Zankapfel war die 
Schlussfolgerung der Untersuchung: die jüdisch-israelische Lobby 
beherrsche die US-Außenpolitik und unterwerfe sie israelischen 
Interessen  und zwar im krassen Widerspruch zu den nationalen 
Interessen der USA selbst. Ein einschlägiger Fall: der amerikanische 
Angriff auf den Irak.

Chomsky und andere erhoben gegen diese Behauptung Einspruch. Sie 
leugneten nicht die tatsächlichen Erkenntnisse der beiden 
Professoren, sondern protestierten gegen ihre Schlussfolgerungen. 
Ihrer Ansicht nach lenken nicht die pro Israel Lobby die 
amerikanische Politik, sondern die Interessen der großen 
Aktiengesellschaften, die das amerikanische Empire beherrschen und 
Israel für ihre eigenen selbstsüchtigen Ziele ausbeuten.

Einfach gesagt: wedelt der Hund mit seinem Schwanz, oder wedelt der 
Schwanz mit dem Hund?


ICH BIN etwas nervös, mich in die Debatte solch berühmter 
Intellektueller einzumischen, aber ich fühle mich irgendwie trotzdem 
verpflichtet, meine Ansicht dazu zu äußern.

Ich will mit dem Juden beginnen, der zum Rabbi ging und sich über 
seinen Nachbarn beschwerte. "Du hast recht", erklärte der Rabbi. Dann 
kam der Nachbar und verurteilte die Klage. "Du hast recht," 
verkündete der Rabbi. "Aber wie ist das möglich?" rief seine Frau 
aus. "Es kann doch nur einer recht haben!" "Und du hast auch recht!" 
sagte der Rabbi.

Ich befinde mich in einer ähnlichen Situation. Ich denke, dass beide 
recht haben, (und hoffe damit, auch selbst Recht zu haben).

Die Erkenntnisse der beiden Professoren sind bis ins letzte Detail 
richtig. Jeder Senator und Kongressmann weiß, dass Kritik an der 
israelischen Regierung für ihn politischer Selbstmord bedeutet. Zwei 
von ihnen, ein Senator und ein Kongressmann, versuchten dies - und 
wurden politisch hingerichtet. Die jüdische Lobby wurde komplett 
gegen sie mobilisiert und jagte sie aus ihrem Amt. Dies geschah vor 
aller Augen, um ein öffentliches Beispiel zu geben. Wenn die 
israelische Regierung morgen ein Gesetz haben möchte, das die Zehn 
Gebote für ungültig erklärt, dann würden mindesten 95 Senatoren den 
Gesetzesentwurf unverzüglich unterschreiben.

Präsident Bush z.B. hat sich von allen lang bestehenden 
amerikanischen Positionen, die unsern Konflikt betreffen, 
zurückgezogen. Er akzeptiert automatisch die Positionen unserer 
Regierung  egal wie sie aussehen. Fast alle amerikanischen Medien 
wollen nichts von palästinensischen und israelischen 
Friedensaktivisten wissen. Was die Professoren betrifft, so wissen 
fast alle, welche Seite ihres Brotes mit Butter bestrichen ist. Wenn 
trotz allem einer von ihnen den Mund zu öffnen wagt und etwas gegen 
die israelische Politik sagt  was alle paar Jahre einmal 
vorkommt  wird er unter einem Hagel von Verwünschungen begraben: ein 
Antisemit, ein Holocaustleugner, ein Neo-Nazi .

Nebenbei gesagt, sind amerikanische Gäste in Israel, die wissen, dass 
es zu Hause verboten ist, über den Einfluss der jüdischen Lobby zu 
reden, sprachlos, wenn sie hören, dass hier die Lobby ihre Macht in 
Washington nicht verheimlicht, sondern offen damit angibt.

Die Frage ist deshalb nicht, ob die beiden Professoren mit ihren 
Untersuchungen recht haben, die Frage lautet eher, welche 
Schlussfolgerungen können aus ihnen gezogen werden?

NEHMEN WIR mal die Irakaffäre. Wer ist der Hund? Wer der Schwanz?

Die israelische Regierung betete um den Angriff, der für Israel die 
strategische Bedrohung des Irak zunichte gemacht hat. Amerika wurde 
von einer Gruppe Neo-Konservativer, fast alles Juden, die einen 
großen Einfluss auf das Weiße Haus haben, in den Krieg gestoßen. 
Früher waren einige von ihnen Berater von Binyamin Netanyahu gewesen

Oberflächlich betrachtet, ein klarer Fall. Die pro Israel Lobby 
drängte zum Krieg, Israel profitiert am meisten davon. Wenn der Krieg 
in einem Desaster für Amerika endet, dann wird sicher Israel die 
Schuld dafür gegeben.

Wirklich? Und wie ist es mit dem amerikanischen Ziel, ihre Hände auf 
die Weltölreserven zu legen, um die Weltwirtschaft zu beherrschen? 
Und mit dem Ziel, eine amerikanische Garnison im Zentrum der 
wichtigsten ölproduzierenden Region, über dem irakischen Öl, zu 
setzen - genau zwischen dem Öl Saudi Arabiens, des Iran und dem 
Kaspischen Meer? Wie ist es mit dem immensen Einfluss der großen 
Öl-Gesellschaften auf die der Bush Familie? Was mit den großen 
multinationalen Aktiengesellschaften, deren hervorragendster 
Vertreter Dick Cheney ist, die hofften, Hunderte Milliarden Gewinn 
beim "Wiederaufbau des Irak" zu machen?

Die Lektion der Irakaffäre ist die, dass die amerikanisch-israelische 
Verbindung am stärksten ist, wenn es scheint, dass amerikanische und 
israelische Interessen übereinstimmen (ungeachtet, ob dies auf Dauer 
wirklich der Fall ist). Die US benützen Israel, um den Nahen Osten zu 
beherrschen  Israel benützt die US, um Palästina zu beherrschen.

Wenn aber etwas Außergewöhnliches geschieht, wie die 
Jonathan-Pollard-Spionage-Affäre oder der Verkauf eines israelischen 
Spionage-Flugzeugs an China, und sich so eine Kluft zwischen den 
Interessen beider Seiten öffnet, dann ist Amerika fähig, Israel zu ohrfeigen.


DIE Amerikanisch-israelischen Beziehungen sind tatsächlich 
einzigartig. Es sieht so aus, als gäbe es keinen Präzedenzfall in der 
Geschichte. Es ist als hätte König Herodes Kaiser Augustus Befehle 
gegeben und bestimmt, wer Mitglied des römischen Senats werden soll.

Ich denke nicht, dass dieses Phänomen allein durch wirtschaftliche 
Interessen erklärt werden kann. Selbst die orthodoxesten Marxisten 
müssen anerkennen, dass dies auch eine geistige Dimension hat. Es ist 
kein Zufall, dass amerikanische (sowie auch britische) 
fundamentalistische Christen die zionistische Idee vor Theodor Herzl 
erfunden haben. Die evangelikale Lobby ist nicht weniger bedeutend im 
heutigen Washington als die jüdische. Nach ihrer Ideologie müssen 
Juden das ganze Heilige Land in Besitz nehmen, um die Wiederkunft 
Christi möglich zu machen (und dann  was sie nicht laut verkünden - 
werden einige Juden Christen und der Rest wird in der Schlacht von 
Armageddon (heute Meggido im Norden Israels) vernichtet.

An der Basis des Phänomens liegt die unheimliche Ähnlichkeit zwischen 
den beiden national-religiösen Geschichten: der amerikanische Mythos 
und der israelische. In beiden haben Pioniere, die wegen ihrer 
Religion verfolgt wurden, die Küsten ihres "Verheißenen Landes" 
erreicht. Sie wurden gezwungen, sich gegen die "wilden" Einheimischen 
zu wehren, die sie ausrotten wollten. Sie "erlösten" das Land, 
brachten die Wüste zum Blühen, schufen mit Gottes Hilfe eine 
blühende, demokratische und moralisch hochstehende Gesellschaft.
Beide leben in einem Zustand der Leugnung und der unbewussten 
Schuldgefühle - drüben wegen des Genozids an den einheimischen 
Amerikanern und der entsetzlichen Sklaverei der Schwarzen - hier 
wegen der Entwurzelung des halben palästinensischen Volkes und der 
Unterdrückung der andern Hälfte. Hier wie dort glauben die Menschen 
an einen ewigen Krieg zwischen den Söhnen des Lichts und den Söhnen 
der Finsternis.


JEDENFALLS ist die amerikanisch-israelische Symbiose ein zu 
einzigartiges und komplexes Phänomen, um sie als einfache 
Verschwörung zu beschreiben. Ich bin sicher, dass die beiden 
Professoren dies auch nicht so meinten.

Der Hund wedelt mit dem Schwanz und der Schwanz wedelt mit dem Hund. 
Sie wedeln sich gegenseitig.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, und vom Verfasser autorisiert)

http://www.uri-avnery.de
erstellt am 22.04.2006

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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