[E-rundbrief] Info 387 - J. Galtung: Fall des US-Imperiums
Matthias Reichl
info at begegnungszentrum.at
Do Apr 13 18:39:55 CEST 2006
E-Rundbrief - Info 387 - Johan Galtung: "So funktioniert das System".
Das US-Imperium soll in 15 Jahren fallen. Ein "junge welt"-Gespräch
mit dem Friedensforscher.
Bad Ischl, 13.4.2006
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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"So funktioniert das System"
Das US-Imperium soll in 15 Jahren fallen.
Ein Gespräch mit dem Friedensforscher Johan Galtung
Johan Galtung wirkt seit über 40 Jahren als Friedens- und
Konfliktforscher. Der norwegische Politologe nahm in 45 großen
Konflikten weltweit die Rolle eines Vermittlers ein, beispielsweise
in Ecuador, Afghanistan und Sri Lanka. Die Begriffe "strukturelle
Gewalt" sowie "positiver Friede" gehen auf ihn zurück. Er wirkte auch
am Konzept der "sozialen Verteidigung" mit und setzte sich für eine
Demokratisierung der Vereinten Nationen bzw. für ein Weltparlament
ein. 1987 erhielt er den alternativen Nobelpreis
Frage: Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks machten Sie eine
Prophezeiung: Entweder würden die Grünen oder der Islam das neue
Feindbild des Westens werden. Bezogen auf den Islam scheinen Sie
Recht behalten zu haben.
Galtung: Zunächst habe ich 1980 die Prophezeiung gewagt, dass vor
1990 die Mauer zusammenbrechen würde und danach das sowjetische
Imperium. Diese Prognose war nicht verkehrt. Ich denke, mit dem
feindlichen Islambild lag ich auch nicht daneben. Der Fall des
Sowjetimperiums war ja in einem gewissen Sinn ein Teil der
Vorhersage: Wenn ein Feind ausfällt, muss man einen neuen haben -
zumindest wenn man so dichotom und apokalyptisch denkt wie die US-Amerikaner.
Frage: Wird so nur in den USA gedacht?
Galtung: Es sind die Amerikaner, die anderen plappern nach, weil sie
gute NATO-Mitglieder sind und dasselbe sagen müssen wie die
Amerikaner. So funktioniert das System. Die Analyse der herrschenden
Macht ist sozusagen die herrschende Analyse.
Wenn die Vereinigten Staaten Außenpolitik betreiben, und das tun sie
ja immer, gibt es zwei Dinge: Die langfristige Zielsetzung und die
aktuellen Vorwände für ihr praktisches Vorgehen. Also muss man
trennen, was die Vereinigten Staaten eigentlich wünschen und was ein
Vorwand ist. Ich bin nicht so überzeugt, dass sie wirklich an das
Feindbild Islam glauben, aber das Feindbild ist nützlich.
Was die Zielsetzung angeht, so war diese immer ganz klar. Es gab
immer zwei Zielsetzungen. Erstens Märkte und Rohstoffe und zweitens
die Militärbasen, um das zu kontrollieren. Also könnte man sagen,
dass es um eine ökonomische und eine militärische Zielsetzung geht.
Darüber gibt es ein ausgezeichnetes Buch von John Perkins:
"Bekenntnisse eines Economic Hit Man". Wie das alles genau vor sich
geht, kann man darin nachlesen.
Frage: Herr Galtung, haben Sie eine weitere Prognose?
Galtung: Ja. Sie betrifft den Zusammenbruch des US-Imperiums. Diesen
prognostizierte ich 2000 für den Zeitraum von 2020 bis 2025. Aber
dann ist Herr Bush jr. Präsident geworden, und ich habe diese Frist
um fünf Jahre abgekürzt, weil Bush beschleunigend wirkt. Deswegen
sage ich jetzt: vor 2020.
Das heißt aber nicht, dass die USA zusammenklappen. Vielmehr wird es
eine Befreiung für die USA sein. Sie werden erblühen, wenn sie von
diesem Imperium befreit sein werden.
Frage: Die marxistische Theorie sagt ja schon im Kommunistischen
Manifest, dass das bürgerliche Produktionsverhältnis keine Gnade
kennt und die letzte Barbarei ihm noch unterworfen wird. Der
Weltmarkt, den die kapitalistische Wertschöpfung herstellt, ist auch
Bedingung für eine kommunistische Staatenlosigkeit oder mit Ihren
Worten, für die Befreiung. Wie bringen Sie das in Zusammenhang?
Galtung: Die allgemeine These von Marx ist die, dass das Elend des
Proletariats Auslöser eines Befreiungsimpulses sein wird. Wenn man
das kapitalistische System als ein Weltsystem betrachtet, gibt es
eine Menge Elend, vor allem in den Ländern des Südens. Doch Marx hat
sehr ökonomisch und nicht über das Militär nachgedacht. Nach dem
Zweiten Weltkrieg haben die USA beispielsweise 70 Interventionen
unternommen. Meistens, um das System zu verteidigen. Und das löst
Gegenkräfte aus, die nicht dieselben sind, die Marx beschreibt. Zum
Beispiel die islamischen Länder, in denen sehr häufig interveniert
worden ist. Heute wird im Irak interveniert und vielleicht zukünftig
auch im Iran. Das löst andere Kräfte aus, als die von Marx
beschriebenen. Deshalb ist das US-Imperium nicht so sehr durch eine
proletarische Revolution im Marxschen Sinne bedroht, sondern von
denjenigen, die nicht mehr möchten, dass man gegen sie interveniert.
Und davon gibt es sehr viele. Man spricht davon, dass das US-Imperium
nach 1945 etwa zwischen zwölf und sechzehn Millionen Menschen getötet
hat. Und meistens, um die ökonomische Macht zu behalten.
Frage: Diese Macht ist aber eine kapitalistische und in Deutschland
und in anderen Staaten ebenso existent. Die westlich-kapitalistischen
Staaten bilden zusammen einen Block. Wenn sie auch untereinander
konkurrieren, nutzen doch Länder wie zum Beispiel Deutschland,
Spanien oder Norwegen auch einen gewissen Verhandlungsspielraum, was
den Schutz ihres Kapitals durch den Militärschirm der USA einerseits
und den ihrer eigenen Interessen andererseits angeht. Die Größe
dieses Verhandlungsspielraums bemisst sich nach der jeweiligen
ökonomischen Macht.
Galtung: Im Kapitalismus gibt es Konkurrenz, und es gibt sogar
Zusammenarbeit. (lacht) Aber es gibt diejenigen, die sich militärisch
mehr einsetzen als andere. Und das sind zum ersten die USA und als
Nummer zwei Großbritannien. Es ist genau dieses Zusammenwirken von
ökonomischen und militärischen Kräften und selbstverständlich auch
politischen. Wir sprechen hier von Imperium. Also nicht nur von der
Ökonomie, sondern von einer Koordinierung der Machtausübung.
Ich möchte auch gern die Kultur mit einbeziehen. Nämlich die Idee,
die Kultur der Vereinigten Staaten als eine Weltkultur zu verstehen.
Eine Kultur, zu der zum Beispiel auch Konkurrenz und Zusammenarbeit
gehören. Sicher trägt diese Kultur viele nette Züge, aber nicht nett
ist ihre Überzeugung, dass die Amerikaner die absolute Wahrheit für
die Menschheit kennen würden. Das war ja auch das Problem der
Sowjetunion. Und das ist das Problem des Islam.
Frage: Eine solcher Anspruch ist nicht besonders wissenschaftlich.
Galtung: Sie müssen bedenken, dass die westliche Wissenschaft nicht
die einzige ist. Vor tausend bis fünfhundert Jahren beherbergten die
islamischen Länder die Hälfte der Zivilisation der Erde. Aber das war
mehr Kunst, Literatur, Mathematik. Sie haben ja auch zum Beispiel den
ersten Soziologen gehabt: Ibn Chaldun, ein Muselman und tunesischer
Diplomat aus dem 15. Jahrhundert. Was also eigentlich die gute
Wissenschaft ist, ist nicht so ganz klar, würde ich sagen. Die
Wahrheit kann sehr schön aussehen, so wie die Demokratie. Aber man
bringt dem Irak nicht die Demokratie durch Bomben und Töten. Es wird
niemals funktionieren, Menschenrechte durchzusetzen, indem man
anfängt, Menschenrechte zu brechen. Das geht nicht.
Die islamische Wissenschaft war meist sozial ausgerichtet, die
westliche hingegen war meistens Naturwissenschaft. Das ist der
Unterschied. Es ist nicht so ganz klar, ob die moderne Wissenschaft
wirklich weise war. Sie hat sowohl die Atombombe als auch
Fortschritte in der Medizin hervorgebracht. Was aber die Lebenskunst
angeht, bin ich von ihr nicht überzeugt.
Frage: Ist es nicht besser, von einem Konzern ausgebeutet zu werden,
als von einem Patriarchen und seinen Schergen?
Galtung: Das glaube ich nicht.
Interview: Stefan Valentin
Quelle: "junge Welt" vom 31.03.2006.
Galtungs Homepage: www.transcend.org
www.lebenshaus-alb.de/mt/archives/003673.html
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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