[E-rundbrief] Info 368 - RB 120 - N. Solomon: Martin Luther Kings Kampf
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
So Mär 5 08:31:12 CET 2006
E-Rundbrief - Info 368: Rundbrief Nr. 120 - Norman Solomon (USA): Martin
Luther Kings Vermächtnis erstickt unter den freundlichen Worten.
Vereinnahmung und Mißbrauch durch US-Politiker. Kings gewaltfreier Kampf
für wirtschaftliche Gerechtigkeit und Frieden, gegen Haushaltsprioritäten
und den Militarismus in den USA und weltweit.
Bad Ischl, 5.3.2006
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Martin Luther Kings Vermächtnis erstickt unter den freundlichen Worten
Von Norman Solomon
- ZNet 03.02.2006
Wenige Stunden nach Coretta Scott Kings Tod hielt Präsident Bush seine
State of the Union Address (Rede zum Zustand der Nation). Er begann, indem
er Coretta Scott King als eine "geliebte, elegante und mutige Frau" pries,
"die Amerika wieder an seine Gründerideale gemahnt und einen noblen Traum
weitergeführt hat". Weil es sich so gehört, erwähnte Bush zum Schluss
seiner Rede ehrerbietig den Namen ihres Ehemannes, Martin Luther King Jr.,
der den Märtyrertod starb.
Präsident Bush ist einer von vielen Politikern, die leidenschaftlich gegen
so ziemlich alles sind, wofür Dr. King gekämpft hat - während sie
gleichzeitig seinen Namen in süßlichen Worten preisen. Wäre es so falsch,
öffentlich zu den fundamentalen Diskrepanzen zu stehen? Nein. Stattdessen
aber geben Bush und seine Verbündeten Platituden zum Besten und tun so, als
habe Kings Arbeit mit seinem Kampf gegen die Rassentrennung geendet.
Mit dem Tod der King-Witwe wird dieser Prozess des
Honig-ums-Maul-Schmierens noch einfacher: Preiset Martin Luther King,
unseren geliebten Bürgerrechtsführer, aber tut so, als hätte es die letzten
Jahre seines Lebens nicht gegeben - den Kampf für wirtschaftliche
Gerechtigkeit und für Frieden. Ignoriert einfach, wie vehement King gegen
unsere heutigen Haushaltsprioritäten und den Militarismus sein würde.
In seiner Ansprache zum Zustand der Nation bemühte sich Bush, wie ein
glühender Bewunderer Martin Luther Kings dazustehen. Aber schon tags darauf
verabschiedete dieselbe Kammer, vor der Bush seine Rede gehalten hatte,
einige üble Haushaltskürzungen - die Bush-Administration hatte die
Maßnahmen durchgedrückt. Vorgesehen sind Streichungen in Höhe von $ 39
Milliarden in den nächsten fünf Jahren - meist zu Lasten von
Studentenkrediten und Medicaid für Arme.
Vor fast 38 Jahren wurde Dr. King in Memphis getötet, während er den Marsch
der Armen (Poor People's Campaign) anführte. Dieser Marsch forderte eine
Bill of Rights der ökonomischen Rechte. Dem Kongress hatte King damals
"Feindseligkeit gegenüber den Armen" vorgeworfen. Die Bundesregierung, so
King, betreibe "die Finanzierung des Militärs großzügig und mit Eifer", die
"Finanzierung der Armen" jedoch "voller Geiz".
Die heutige Generation knauseriger Politiker kaschiert mit geschmeidigen
rhetorischen Formeln, dass sie einerseits Kings Vermächtnis preist, während
sie andererseits diesem Vermächtnis den Dolchstoß versetzt.
Diese Doppelzüngigkeit wird durch die Medien vereinfacht. Der Grundzug
medialer Berichterstattung läuft auf das automatische Recyceln jener
verstümmelten Version der Geschichte von Martin Luther King hinaus, wie sie
jene Politiker promoten, die in Washington das Sagen haben. Zumindest vage
dürfte diesen Politikertypen jenes Schlüsselaxiom geläufig sein, das George
Orwell so formuliert hat: "Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert
die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit".
Ihr interessiert euch nicht für die Forderungen nach progressiver
Veränderung der ökonomischen Machtstrukturen im Land? Okay, dann zitiert
aber auch nicht Martin Luther Kings Satz: "Wahres Mitgefühl bedeutet mehr,
als einem Bettler eine Münze zuwerfen. Es bedeutet, jene Form, die Bettler
erzeugt, muss umstrukturiert werden".
Ihr wollt nicht wahrhaben, was King über den globalen Klassenkampf sagte?
Okay, dann belasst es bei seiner Rede "I have a dream" (1963) (1) und macht
einen Bogen um seine späteren Statements wie, "die westlichen Kapitalisten
investieren große Geldsummen in Asien, Afrika und Südamerika - nur um des
Profites willen, sie haben kein Interesse an der Verbesserung der sozialen
Lage dieser Länder". (2)
Ihr wollt King in eine Schublade stecken, auf der steht, 'er war ein Gegner
des Jim-Crow-(Stereotyps) aber nicht viel mehr'? In diesem Fall ignoriert
seine leidenschaftliche Opposition zum Vietnamkrieg und seine generelle
Verurteilung dessen, was King als "Wahnsinn des Militarismus" bezeichnet hat.
Es liegt nicht in Präsident Bushs taktischem Interesse, die Schlüsselfragen
der Haltung Kings in dessen letzten Lebensjahren zu kritisieren.
Unterstützt durch die Medien - die ängstlich bemüht sind, Kings politische
Entwicklung glatt zu bügeln -, können Bush und dessen rechte
Gesinnungsgenossen sich als Bewunderer von Martin Luther King gerieren,
während sie gleichzeitig bei jeder Gelegenheit das geistige Erbe Kings
entweihen.
Nach Coretta Scott Kings Tod sagte der Präsident des Rechtshilfe- und
Bildungsfonds des NAACP (3) Theodore Shaw: "Ich befürchte, die Leute
könnten ihren Tod als Chance sehen, die Anliegen, für die sie, ihr Mann und
andere gestanden haben, weiter zu antiquieren". Shaw fügt hinzu: "Jeder,
der denkt, die Arbeit sei getan, ist entweder schrecklich dumm oder
verschließt bewusst die Augen".
In welcher Form sich seine ignorante Verblendung, seine bewusste
Vermeidungsstrategie auch jeweils äußern mögen, Präsident Bush ist der
Anführer jener Kräfte, die dafür kämpfen, Kings Vermächtnis - Aktivismus,
soziale Gerechtigkeit, Frieden - rückgängig zu machen. Traurigerweise sind
die News Medien nach wie vor Teil dieses rückschreitenden politischen
Prozesses: 'Whitewashing' statt 'informing' lautet die Devise.
Norman Solomons aktuelles Buch heißt: 'War Made Easy: How Presidents and
Pundits Keep Spinning Us to Death' www.WarMadeEasy.com
Quelle: ZNet Deutschland vom 07.02.2006. Übersetzt von: Andrea Noll.
Orginalartikel: Smothering the King Legacy With Kind Words
Anmerkungen der Redaktion:
(1) Die (US-)amerikanische Bürgerrechtsbewegung hatte am 22. August 1963
ihren historischen "Marsch auf Washington" gestartet. Unter Kings Führung
erreichte dieser am 28. August 1963 Washington. Am Lincoln Memorial
versammelten sich rund 250.000 Menschen, darunter 60.000 Weiße, zu einer
großen Kundgebung. King hielt unter riesigem Beifall seine Rede "I have a
dream", in welcher er seine Vision einer Gesellschaft ohne Rassenschranken
ausbreitete.
(2) Am 4. April 1967, genau ein Jahr vor seiner Ermordung, hielt Martin
Luther King in der New Yorker Riverside Church in einer eindrucksvollen
Rede ein glühendes Plädoyer gegen den Vietnamkrieg. In dieser Rede, die
später auch unter dem Titel "Beyond Vietnam" - "Jenseits von Vietnam"
veröffentlicht wurde, klagte King seine Regierung als "die größte
Gewaltausüberin in der heutigen Welt" an.
(3) NAACP (National Association for the Advancement of Colored People)
bedeutet übersetzt: "Nationale Vereinigung für den Fortschritt der Farbigen
Bevölkerung". Diese Organisation wurde 1909 als Sammlungsbewegung
gegründet. Sie ist bis heute eine zentrale Organisation der
Bürgerrechtsbewegung in den USA.
http://www.lebenshaus-alb.de/mt/archives/003540.html
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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
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