[E-rundbrief] Info 360 - Kritik am �Global Marshall Plan�

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Mo Feb 27 23:36:09 CET 2006


E-Rundbrief - Info 360:  Matthias Reichl: Kritik am "Global Marshall Plan" 
sowie an den Diskussionen mit Franz Josef Radermacher und Franz Fischler, 
Vaclav Havel über ausländische Investoren, Position von Attac Österreich 
zum Global Marshall Plan (GMP)

Bad Ischl, 27.2.2006

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

===========================================================

Kritik am "Global Marshall Plan"

Die Propagandamaschinerie für den "Global Marshall Plan" - initiiert von 
der "Stiftung Weltvertrag" - ist in letzter Zeit voll angelaufen. Er wird 
von Prominenten aus Politik und Wirtschaft bis zu den Bundesländern 
Salzburg und Oberösterreich, der Diözese Linz und auch "einfachen", sozial 
engagierten Leuten beworben und unterstützt. Präsentiert er sich doch als 
"die ökosoziale Alternative" zu "ökonomischer Ungerechtigkeit und 
ökologischem Kollaps", wie es Franz Josef Radermacher, 
Wirtschaftswissenschafter aus Ulm, als einer der "Väter" rhetorisch 
brillant begründet. (Details zu den Konzepten stehen u.a. in den 
Sammelbänden "Hoffnung für Europa" und "Impulse für eine Welt in Balance", 
beide publiziert von der Stiftung Weltvertrag.)

Wie dies funktioniert konnte ich am 7.2. in Bad Ischl mit 400 
Interessierten mitverfolgen. Radermacher stellte dabei u.a. die 
österreichische und EU-Politik als positives Beispiel gegenüber den USA und 
den transnationalen Konzernen dar. In vielen Forderungen, u.a. nach 
Devisentransaktionssteuern und ähnlichen Steuerungsinstrumenten kommt er 
scheinbar den Forderungen von uns Globalisierungskritikern nahe. Es ist 
hier nicht der Platz um detailliert die sehr grundsätzlichen Differenzen zu 
erklären. Wir können uns im Wesentlichen dem 3-seitigen Papier des 
Vorstandes von Attac Österreich anschließen (siehe unten).

In einer Podiumsdiskussion am 24.2.06 in Salzburg verteidigte der 
ex-EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler auf meine Anfrage die 
Weiterentwicklung der Gentechnik und die Möglichkeit einer Koexistenz mit 
der Biolandwirtschaft. Er warf uns Gentechgegnern Angstmacherei vor. Sein 
Kollege im Führungsteam des "Global Marshall Plan", der 
Wirtschaftswissenschafter Franz Josef Radermacher, hatte mir am 7.2. in 
einem Interview versichert, dass auch die Gentechgegner mit entsprechenden 
Expertisen die WTO-Entscheidungen zu ihren Gunsten beeinflussen könnten. 
Entsprechend seiner Überzeugung, dass die WTO reformierbar sei, behauptete 
er, dass diese Schiedsgerichtsprozesse faire Chancen bieten würden und 
ignorierte dabei die einflußreichen Lobbies transnationaler Konzerne und 
auch von Regierungen.

In Diskussion mit Radermacher kamen zusätzliche wunde Punkte zum Vorschein. 
Z. B. die euphorische Einschätzung der EU-Politik gegenüber den armen 
Beitrittsländern. Dabei wurden die sozialen Folgen - wie sie auch Vaclav 
Havel kritisiert (siehe unten) - verharmlost.

Noch gravierender ist das Eingeständnis, dass dieses System erst in 50 bis 
70 Jahren weltweit funktionieren kann. Auf meine Frage nach einer 
unaufschiebbaren, tiefgehenden Änderung der Verhältnisse in den nächsten 
Jahren kam nur der Hinweis auf ihre Zusammenarbeit mit NGOs und Netzwerken. 
Wie sollen diese mit ihren eher schwindenden Ressourcen die aktuellen 
Gefahren und Katastrophen - u.a. in der Atom-, Gen- und Nanotechnologie, 
des Klimawandels - mit ihren nicht reparierbaren Folgen bewältigen?

Naiv sind auch ihre Erwartungen, dass globalisierte Institutionen wie die 
WTO, der Internationale Währungsfond usw. rechtzeitig "demokratisiert" und 
in ihrer politisch-ökonomischen Ideologie "ökosozialisiert" werden können. 
Illusorisch ist auch die Erwartung, dass WTO-Schiedsgerichte allen 
Beteiligten zu ihrem Recht verhelfen (siehe unten). Dabei wird allen 
Beteiligten ein "Win-Win"-Resultat versprochen. Das alles riecht nach einer 
Vereinnahmungsstrategie gegenüber Einzelnen, die sich gegenüber den 
Globalisierung ohnmächtig fühlen und gegenüber den sich nach einem 
mächtigen Partner und Schirmherr sehnenden Gruppen und Organisationen.

Aus dieser Erkenntnis heraus werden auch wir dieser "Versuchung" nicht 
folgen und wie bisher auf jene Basisbewegungen setzen, die einem 
"Reformismus von oben" Alternativen von unten entgegensetzen (siehe auch 
Leo Gabriels Bericht aus Lateinamerika, Info 357).

Matthias Reichl

--------------------------------------------------------------------------------------

Vaclav Havel über ausländische Investoren

Der frühere tschechische Präsident Vaclav Havel hat auf dem "Forum für 
junge Eliten" in Prag die "fieberhafte Jagd" der mitteleuropäischen Länder 
auf Investoren kritisiert. "Unsere Städte sind umzingelt von 
Gewerbegebieten, die wir den Ausländern wie eine Prostituierte anbieten. 
Wenn der Investor dann nach fünf Jahren wegen niedrigerer Löhne nach 
Pakistan zieht, ist kein Feld mehr übrig, keine Wiese, kein Wald, kein 
Dorf, keine Stadt. Als Erbe unserer Kurzsichtigkeit bleibt dort nur ein 
postmodernes Nichts."
Zeitung "Pravo", Prag, www.pravo.cz

----------------------------------------------------------------------------------

Position von Attac Österreich zum Global Marshall Plan (GMP)

Attac wird häufig um Positionierung zum Global Marshall Plan gebeten. Die 
GMP Initiative (www.globalmarshallplan.org) erhebt den Anspruch, die durch 
die neoliberale Globalisierung unterstützten Probleme, wie die Zunahme von 
Armut, Nord-Süd-Verteilungsfragen, Migration, Terror, Kriege, kulturelle 
Konflikte und Umweltkatastrophen durch ein "verbindliches globales 
Rahmenwerk für die Weltwirtschaft, das die Wirtschaft mit Umwelt, 
Gesellschaft und Kultur in Einklang bringt" lösen zu können.

Attac hält zunächst positiv fest, dass die Initiative dazu beiträgt, 
öffentliche Aufmerksamkeit für die grundlegenden Ziele Armutsbekämpfung und 
Umweltschutz zu schaffen. Es bestehen auch eine ganze Reihe von 
inhaltlichen Übereinstimmungen mit Attac Positionen und ein Großteil der 
Attac Forderungen wurden übernommen. Wie wir in der Folge zeigen, sind wir 
jedoch in sehr zentralen Punkten weder mit der Analyse, noch der Strategie 
und den Empfehlungen einverstanden. Attac distanziert sich daher vom Global 
Marshall Plan.

Attac kann den GMP aus folgenden Gründen nicht unterstützen:

1. Das Vertrauen in Liberalisierungen als Entwicklungsstrategie

Der GMP hält an Marktöffnung, Wettbewerb und Wirtschaftswachstum als 
primären wirtschaftspolitischen Strategien fest. Attac sieht darin nur dann 
ein legitimes Mittel, wenn diese tatsächlich dazu beitragen, eine gerechte 
Verteilung von Ressourcen, Gütern und Dienstleistungen, soziale Sicherheit 
für alle Menschen, den Erhalt einer lebenswerten Umwelt für künftige 
Generationen sowie die Eliminierung der global bestehenden Armut voran zu 
treiben. Nach den Erfahrungen der letzten 20 Jahre hat sich das Vertrauen 
auf Marktöffnung, Wettbewerb und Wirtschaftswachstum für die Erreichung 
dieser Ziele vielfach als ungeeignet und zum Teil als kontraproduktiv 
erwiesen. Diese Lehren zieht der GMP nicht.

2. Eurozentrismus statt selbstbestimmten Entwicklungswegsstrategien

Attac vermisst am GMP einen pluralistischen Ansatz, der unterschiedliche 
Wirtschaftsmodelle zulässt. Der "Global Marshall Plan für eine weltweite 
Ökosoziale Marktwirtschaft" ist vielmehr bestrebt unser westliches 
Wirtschafts- und Gesellschaftssystem auf die ganze Welt zu übertragen. Der 
Ruf nach "Stärkung der eigenverantwortlichen und unternehmerischen 
Fähigkeiten jedes Einzelnen" entspricht einem neoliberalen Menschenbild. 
Alternative Formen von Ökonomie wie die Option solidarischen, kooperativen 
Wirtschaftens werden ausgeblendet, was im Widerspruch zu solidarischen und 
kooperativen Bekenntnissen des GMP steht. Die Frage, was Europa von anderen 
Erdteilen lernen kann, wird nicht gestellt. Die Forderung zur globalen 
Durchsetzung einer Marktwirtschaft nach europäischem Vorbild ignoriert 
dabei, dass ungefähr ein Drittel der Weltbevölkerung noch immer in 
nichtkapitalistischen, nichtmarktwirtschaftlichen Gesellschaftsmodellen 
lebt. Ob Integration in den Weltmarkt für alle diese Menschen die beste 
Strategie darstellt ist fraglich und sollte jedenfalls von ihnen selber 
entschieden werden.

3. Ausblendung von Zielkonflikten

Um niemanden vor den Kopf zu stoßen, werden alle Vorschläge im GMP generell 
als WinWin Lösung präsentiert. Auch wo dies völlig unhaltbar ist. So ist es 
wissenschaftlich nicht haltbar zu behaupten, dass sich eine Vervielfachung 
des Weltsozialproduktes durch ein "globales Wirtschaftswunder" mit der 
Beschränktheit der Ressourcen der Erde verträgt. Wir leben in einer Welt, 
in der ein Fünftel der Menschen 4/5 der Ressourcen verbrauchen... 
Privatpersonen ein Vermögen besitzen, welches das zusammengerechnete BSP 
von 48 Staaten übersteigt. Ein Wandel zu einer Nachhaltigen Entwicklung 
kann nicht über ein "globales Weltwirtschaftswunder" geschehen und es ist 
falsch, dass alle materiell gewinnen würden.

4. Ausblendung der Machtungleichgewichte

Der GMP erkennt zwar Interessensgegensätze zwischen Industrie- und 
Entwicklungsnationen ­ die vorgeschlagene Lösung beschreibt jedoch nur, was 
ohnedies gefordert wird: der Süden  soll als Gegenleistung für 
Strukturhilfen und erleichtertem Marktzugang den Forderungen des Nordens 
nach Handelsliberalisierungen sowie Umwelt- und Sozialstandards zustimmen. 
Diese Forderungen sind jedoch nicht neu und werden seit jeher bei allen 
internationalen Verhandlungen gestellt. Der Punkt ist viel mehr, dass es 
Industrienationen gelang, einseitig ihre Interessen an Marktöffnung für 
ihre Konzerne weltweit durchzusetzen. Er verurteilt nicht den Einfluss 
internationaler Konzerne bei solchen Verhandlungen über internationale 
Abkommen (z.B: GATT, MAI, GATS, TRIPS).

Obwohl zwar rhetorisch der Marktfundamentalismus erfreulich verurteilt 
wird, vertraut der GMP letztlich wieder auf die gleichen Institutionen wie 
die Weltbank, den IWF und die WTO und möchte Ihre Rolle sogar  noch 
stärken. Aus der Sicht von Attac ist es notwendig, Zielkonflikte (wie eben 
Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch) unverschönt offen zu legen. 
Weiters ist eine unbeschönte Analyse der realen Machtverhältnisse und 
Interessensgegensätze zwischen Industrie- und  Entwicklungsländern aber 
auch zwischen den sozialen Schichten innerhalb der Staaten eine 
Mindestvoraussetzung für eine Reformdiskussion, die nicht an der Realität 
vorbei geht.

5. Fehlende Zusammenarbeit mit Süden und sozialen Bewegungen

Die Zusammenarbeit mit den Menschen, denen der GMP eigentlich nützen will, 
ist nicht erkennbar. Der GMP ist eine Top-Down Initiative des Nordens, 
welche nicht von Millionen Betroffenen und sozialen Bewegungen des Südens 
ausgeht, sondern von politischen Eliten des Nordens. Obwohl er viele 
Forderungen übernimmt, erklärt er sich auch nicht solidarisch mit der 
weltweiten globalisierungskritischen Bewegung (Frauen-, Ökologie-, 
Landlosenbewegung usw.), die sich bei den Weltsozialforen versammelt.

6. Keine Genderperspektive

Der GMP setzt es sich zum Ziel, die Armut auf der Welt zu bekämpfen. Diese 
Armut ist weiblich. Dies wird vom GMP weder in der Analyse benannt noch in 
den Forderungen entsprechend berücksichtigt. (Vgl. u.a. 
http://www.einefueralle.at)

7. Fehlendes Eintreten für öffentliche Dienstleistungen und gegen 
Privatisierungen

Attac vermisst jegliche Forderung nach einem Privatisierungsstopp wie auch 
ein Eintreten für den Erhalt öffentlicher Dienstleistungen. Im Gegenteil 
werden Kernsätze der Privatisierungsbetreiber im GMP übernommen. Die 
"Stärkung der eigenverantwortlichen und unternehmerischen Fähigkeiten jedes 
Einzelnen" - welche stets als Begründung für die Auflösung von 
solidarischen Sicherungssystemen dient ­ ist eine zentrale Forderung der 
GMP Initiative.

8. Allheilbringende Direktinvestitionen:

Ausländische Direktinvestitionen werden undifferenziert als Allheilmittel 
dargestellt, die oftmals problematischen Auswirkungen auf 
Entwicklungsländer werden verschwiegen. Investitionen können sowohl 
Wohlstand wie auch Verarmung bringen, wie seit Jahren im World Investment 
Report der UNCTAD nachgelesen werden kann. So geht es etwa bei den meisten 
Investitionen in den ärmsten Entwicklungsländern um Rohstoffabbau, wo 
Umweltzerstörung, fehlende Wertschöpfung, fehlende Budgetmittel durch 
Steuerbefreiungen für ausländische Unternehmen und soziale Konflikte um 
Land und Ressourcen oft Hand in Hand gehen.

9. Vertrauen in CSR

Grundsätzlich vertraut der GMP u.a. auch in die freiwillige 
Selbstverpflichtung aller Akteure  (CSR, Global Compact). Attac sieht in 
unverbindlichen Selbstverpflichtungen größtenteils bessere PR Initiativen 
und tritt für demokratisch festgelegte und verbindliche gesetzliche 
Regelungen ein.

10. Systemstützung

Das Europäische Wirtschaftsmodell soll weltweit ausgedehnt und so eine 
globale Marktwirtschaft durchgesetzt werden, wenn auch sozial und 
ökologisch entschärft. Grundlegende kapitalistische Glaubenssätze wie 
Wettbewerb, Marktliberalisierung und Privatisierung werden hingegen nicht 
aufgegeben. Letztlich versäumt der GMP damit strukturelle Ursachen für 
Umverteilung, Naturausbeutung und die Erpressung schwacher 
Interessensgruppen zu benennen und ihnen zu entgegnen. Die Aufhebung der 
globalen Machtungleichgewichte wird nicht angestrebt. Die herrschende 
Weltwirtschaftsordnung sowie die Ideologie des Neoliberalismus werden damit 
zwar rhetorisch kritisiert ­ in den konkreten Forderungen jedoch gestützt 
und in einigen Bereichen sogar gefördert.

Konklusio

Eine grundsätzliche Systemkritik wie sie Attac und viele 
globalisierungskritische Gruppen weltweit erheben, führt zu keinen 
schnellen Win-Win-Versprechungen. Es führt aus der Sicht von Attac aber 
auch keine Abkürzung an einer unverschönten Systemkritik und -reform 
vorbei. Daher kann Attac den GMP nicht unterstützen.

Der Vorstand im Auftrag der bundesweiten AktivistInnenversammlung

www.attac.at/uploads/media/GMP_Position_von_Attac_04.pdf

Links: http://www.attac.at

http://www.globalmarshallplan.org

http://www.oneworld.at/AGEZ/Positionspapier%20GMP%20November%202004.pdf

===========================================================

Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
     Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
     fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
     Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) Sparkasse Bad Ischl, 
Geschäftsstelle Pfandl
IBAN: AT922031400600970305    BIC: SKBIAT21XXX


-- 
     Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
     Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
     fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
     Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at




Mehr Informationen über die Mailingliste E-rundbrief