[E-rundbrief] Info 347 - Avnery: Mit Freunden wie diesen...

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Di Jan 24 12:50:24 CET 2006


E-Rundbrief - Info 347: Uri Avnery: Mit Freunden wie diesen...

Bad Ischl, 24.1.2006

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Mit Freunden wie diesen...

Uri Avnery

uri-avnery.de

ZNet Deutschland 14.01.2006

Die Ansichten über Judas Ishariot steuern auf eine Überholung zu. Nach 
neueren Berichten empfehlen dem jetzigen Papst nahestehende Kardinäle, die 
Haltung der katholischen Kirche ihm gegenüber zu verändern: Abgang des 
verräterischen Juden, der den Kohorten des bösen Hohenpriesters den Messias 
übergeben habe und Auftritt eines Apostel, der nach göttlicher Vorsehung 
einfach seine Rolle spielte. Es war doch Gott selbst, der entschieden 
hatte, sein Sohn solle am Kreuz sterben.

Es ist eine wohlgemeinte, aber pathetische Bemühung. Keine 
Vatikan-Entscheidung kann das Image von Judas im Neuen Testament verändern: 
ein verachtenswerter Informant, der für seinen Verrat an Gottes Sohn 30 
Silberlinge erhalten hat. Es gibt keinen Christen, der diese Geschichte 
nicht in seiner Kindheit aufgenommen hat und der das Bild des 
nichtswürdigen Verräters je vergessen wird: er küsste Jesus im Augenblick 
des Verrats an seine Henker. Nichts wird helfen ­ es sei denn, man 
verändert den biblischen Text selbst. Und das ist natürlich nicht so einfach.

Wenn einer der anderen elf Apostel Jesus verraten hätte, wären die Folgen 
vielleicht nicht so entsetzlich gewesen. Aber da der Name Judas in vielen 
Sprachen wie "Jude" klingt, wurde der Verrat im christlichen Bewusstsein 
allgemein mit Juden assoziiert. Eine große Anzahl von Juden wurde im Laufe 
der Geschichte deswegen umgebracht. Der Nazi-Schlachtruf "Juda verrecke!" 
ebnete den Weg zu den Gaskammern.

Vielleicht hatte dies auch Einfluss auf den jungen Neo-Nazi Aleksander 
Koptsev, der in der vergangenen Woche in der Moskower Synagoge mit einem 
Messer Amok lief und 10 Menschen verletzte. Dieser Akt ließ wieder alle 
Warnlampen rot aufleuchten. Noch einmal wurde der "wachsende Antisemitismus 
in der Welt" ein Hauptthema, noch einmal läuteten die Alarmglocken.

Da gibt es tatsächlich eine wachsende Anti-Semitismus- und 
Anti-Israelismus-Gefahr ­ zwei verschiedene Phänomene, die getrennt oder 
auch zusammen erscheinen können. Aber er ist nicht mit primitiven Skinheads 
wie dem Moskauer Messerstecher verknüpft. Sie ist viel gefährlicher und 
das, was sie nährt, existiert an anderen Plätzen und auf anderen Ebenen.

In einer seiner vielen Reden, in denen George W. Bush nun versucht, seine 
verhängnisvolle Invasion in den Irak zu verteidigen, gab er in dieser Woche 
einen Satz von sich, der auch alle Warnlichter aufleuchten lassen sollte. 
In diesem Satz übte er scharfe Kritik an seinen Gegnern, die behaupten, er 
habe den Irak "wegen des Öls und wegen Israel" angegriffen.

So brachte er eine Behauptung an die Oberfläche, die bis jetzt nur von 
antisemitischen Randgruppen offen ausgesprochen wurde. Sie setzten drei 
Fakten neben einander: a) dass die Leute, die am aggressivsten zum Krieg 
drängten die Neo-Cons waren, die eine größere Rolle in der Bush-Regierung 
spielen, b) dass fast alle wichtigen Mitglieder dieser Gruppe Juden seien 
c) und dass die Besatzung des Irak Israel von einer ernsten Bedrohung befreite.

Bis jetzt haben die amerikanischen Medien diese Behauptung mit Verachtung 
und als lächerliche "Konspirations -Theorie" abgetan. Doch jetzt, wo der 
Präsident sie selbst ausspricht, wird sie zum Teil eines legitimen 
öffentlichen Diskurses in den Vereinigten Staaten und in der ganzen Welt.

Hier liegt für Israel eine große Gefahr. Das ganze israelische 
Establishment hat die amerikanische Invasion unterstützt. (Als wir, die 
Gegner dieses Krieges, in Tel Aviv zu einer Demonstration gegen ihn 
aufriefen an dem Tag, als Millionen rund um die Welt auf die Straße gingen, 
war es bei uns ein kleines Ereignis, das die Medien ignorierten.) Nun kann 
es geschehen ­ wie es schon häufig in der Geschichte geschah ­ dass die für 
die Katastrophe Verantwortlichen sich der Verantwortung entziehen. George 
Bush wird in wenigen Jahren aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden 
sein. Letzten Endes aber bleibt der Eindruck, dass Israel und die Juden die 
"armen" Vereinigten Staaten in ein verachtenswertes Abenteuer gedrängt haben.

Es ist reiner Zufall, dass in dieser Woche ein Buch über den Irakkrieg 
erschienen ist, das dasselbe Thema anschneidet. Sein Titel: "State of War" 
von James Risen.

Unter anderem besagt das Buch, dass der Verteidigungsminister und die 
Neo-Cons, die Washington beherrschen, nicht auf die Analyse des 
amerikanischen Geheimdienstes gehört hätten, die zur Vorsicht rieten, was 
den Irak betraf, sondern auf die israelischen Geheimdienstleute, die es in 
Washington in Mengen gab, und die hochrangige Beamte instruierten.

Nach Risen waren es die kompromisslosen Israelis, denen Rumsfeld und sein 
Vertreter, Paul Wolfowitz, zuhörten ­ nicht dem vorsichtigen CIA. 
"CIA-Analytiker waren gegenüber Berichten von israelischen 
Geheimdienstleuten oft skeptisch, da sie wussten, dass der Mossad ein 
starkes ­ sogar offensichtliches ­ Vorurteil gegenüber der arabischen Welt 
hat". Nach ihren Besuchen haben CIA-Beamte gewöhnlich viel von dem, was die 
israelischen Geheimdienstleute lieferten, kritisiert. "Wolfowitz und andere 
Konservative im Pentagon waren über diese Praxis wütend", schreibt Risen. 
Wolfowitz ist natürlich ein sehr jüdischer Name.

Die klare Schlussfolgerung: es waren die Israelis und ihre Verbündeten, die 
Washingtoner Juden, die die US in den Krieg drängten.

Als ob dies nicht schon genug wäre: im Augenblick wird Washington von einem 
großen Skandal geschüttelt, der enge Beziehungen zu Israel hat. Im 
Mittelpunkt steht eine Person, Jack Abramoff ­ wieder ein Name, der die 
jüdische Identität seines Besitzers enthüllt.

Dieser Jack ist ein Super-Lobbyist, ein Symbol des Phänomens, das 
amerikanische Politik in einen schmutzigen Korruptionsstall verwandelt hat, 
den zu reinigen, sogar der mächtige Herkules Mühe gehabt hätte. Er schöpfte 
das Geld bei seinen Kunden ab, meist Indianer, steckte davon einiges in die 
eigene Tasche und verwendete den Rest, um Personen des Establishments, 
Senatoren und Kongressleute mit sog. Dienstreisen rund um die Welt, 
Appartements in Luxushotels und anderen Vergünstigungen zu bestechen. Die 
meisten Begünstigten waren Republikaner - ein paar Brotsamen gingen auch an 
die Demokraten.

Bis zu diesem Punkt ist es nichts Ungewöhnliches, nur ein bisschen 
umfangreicher als üblich. Die Lobbying-Industrie ist in Washington sehr 
weit entwickelt. Sie wird von Lobbyisten heimgesucht wie ein Landstreicher 
von Läusen. Die Pro-Israel-Lobby unterscheidet sich nicht von anderen. Die 
Lobbyisten korrumpieren alles. Sie bestechen die Politiker, um Gesetze zu 
machen, die Milliarden öffentlicher Gelder in die Taschen ihrer Kunden 
fließen lassen. Sie spielen eine größere Rolle beim Finanzieren der 
Wahlkampagnen von Politikern vom Präsidenten bis zum kleinsten 
Bürgermeister. Selten wird einer von ihnen erwischt und ins Gefängnis 
gesteckt, wie es jetzt jenem Abramoff geschehen mag.

Was an diesem Abramoff besonders ist ­ er ist ein fanatischer Zionist. Nach 
Geschichten, die in den Staaten veröffentlich wurden, zweigte er einiges 
von dem gestohlenen Geld an extreme Siedler in der Westbank ab. Abramoff 
sandte ihnen militärische Ausrüstung, um diese gegen Palästinenser 
anzuwenden und vielleicht auch gegen die israelische Regierung. Unter 
anderem kaufte er für sie Tarnanzüge, Teleskope für Scharfschützen und 
Nachtsichtgeräte.

Amerikanische Veröffentlichungen erwähnen einen Siedler mit Namen Shmuel 
Ben-Zvi aus der Betar Illit-Siedlung, ein Hochschulkumpel von Abramoff. Er 
erhielt diese Ausrüstung. Ben Zwi leugnet es, aber das Senat-Komitee hat 
E-mail-Nachrichten von ihm erhalten, die Abramoff lobten, ihm "Nachschub" 
gesandt zu haben. Und Abramoff schrieb zurück, wenn es doch nur "noch ein 
paar Dutzend wie dich gäbe, dann wäre man mit den schmutzigen Ratten bald 
fertig."

Abramoff selbst behauptet, er sei ein Idealist, der das Geld, das ihm "Gott 
in die Hände legt" nur verwendet, um Israel zu helfen. Er finanzierte auch 
eine ­ wahrscheinlich fiktive - Ausstattung syrischer Exilanten, die von 
Israel unterstützt wurden. Eine der amerikanischen Veröffentlichungen 
erwähnt auch in diesem Kontext das biblische Motto des Mossad: "Durch 
Täuschung sollst du Krieg führen" (Sprüche 24,6 ; so klingt es im modernen 
Hebräisch. Aber die tatsächliche Bedeutung des Wortes ist zweifelhaft. In 
der deutschen Bibel heißt es: "Mit Überlegung soll man Krieg führen".)

So also sieht es für Amerikaner aus: der Mann, der ein Symbol für 
Korruption geworden ist, ist ein Jude, der Israel unterstützt.

Und als ob auch dies noch nicht genügen würde, hat ein anderer Freund 
Israels in den amerikanischen Medien Wellen geschlagen. Es ist unser alter 
Bekannter Jerry Falwell. Der Führer von Millionen amerikanischer 
christlicher Fundamentalisten, ein Freund des verstorbenen Menachem Begin.

Man sollte sich daran erinnern, dass Binyamin Netanyahu, damals 
Ministerpräsident, 1998 nach Amerika flog, um Präsident Bill Clinton zu 
treffen. In jenen Tagen versuchte Clinton auf Israel Druck auszuüben, um 
Frieden zu erlangen. Zu diesem Zweck war Netanyahu eingeladen. Am Vorabend 
dieses Treffens mit Clinton traf er sich öffentlich ausgerechnet mit 
Falwell vor Hunderten von Menschen. Falwell, ein geschworener Feind von 
Clinton, enthüllt jetzt, dass dieses Treffen absichtlich so geplant war, um 
den Präsidenten herauszufordern.

Einige Tage zuvor hatte ein anderer Freund von Netanyahu, William Kristol, 
einer der jüdischen Neo-Con- Macht-Vermittler, öffentlich darauf 
hingewiesen , dass ein großer Sex-Skandal im Weißen Haus ausbrechen würde. 
Kurz danach wurde der Monika Lewinsky-Skandal ausgelöst und die 
Öffentlichkeit davon informiert, dass der Präsident im Weißen Haus Sex mit 
einer jungen Assistentin mit sehr jüdisch klingendem Namen hatte.

Zwei Wochen vor dem Besuch Netanyahus veröffentlichte eine 
amerikanisch-jüdische Zeitung ein Inserat, in dem der Präsident 
aufgefordert wird, keinen Druck auf Israel auszuüben. Das Inserat schloss 
auch ein Foto ein, das Clintons Rücken zeigt: derselbe Schnappschuss - der 
Clinton zeigt, wie er Monika umarmt - und der später in aller Welt gezeigt 
wurde.

Falwell prahlte praktisch damit, dass er Netanyahu half, Clinton zu 
erpressen. Wenn dem so ist, dann war er erfolgreich. Auf Israel wurde bei 
diesem Treffen kein Druck ausgeübt.

Übrigens das Magazin, in dem Falwell seine Behauptung veröffentlichte, 
Vanity Fair, ist im Besitz des Verlagsimperiums von Si und Donald Newhouse, 
großzügige Unterstützer der Pro-Israel-Lobby.

(Ein anderer hoch-profilierter Führer der christlichen Fundamentalisten, 
Pat Robertson , erklärte letzte Woche, der Schlaganfall Sharons sei eine 
Strafe Gottes, weil er ein Stück Heiliges Land an Araber weggegeben habe . 
Er entschuldigte sich später dafür, in der Hoffnung ein Abkommen mit der 
israelischen Regierung zu retten, um einen großen Touristen-Komplex nahe am 
See Genezareth bauen zu können.)

Für die amerikanische Öffentlichkeit entsteht nun der Eindruck, dass Israel 
und die Juden Washington beherrschen und dass die US-Regierung nach ihrer 
Flöte tanzt. Das ist natürlich weit übertrieben, aber viele mögen dies 
glauben. Das hat keinen unmittelbaren Einfluss, aber auf Dauer stellt es 
eine ernste Gefahr dar. Wenn solche Dinge sich immer wieder wiederholen, 
dann verstärkt sich auch die Auswirkung.

Solche Ereignisse sollten als Warnung dienen. Die israelische Regierung und 
die Führer der US-jüdischen Gemeinschaft sollten über diese Gefahr 
nachdenken. Missbilligende Worte über "wachsenden Anti-Semitismus" genügen 
nicht. Was dringend nötig ist, ist eine tiefgreifende Veränderung des 
Verhaltens. Wir müssen allen Kontakt mit Betrügern meiden, besonders, wenn 
es Juden sind oder Fundamentalisten, egal welcher Couleur. Jeder, dem 
Israel am Herzen liegt, muss dies verlangen. Es betrifft die nationale 
Sicherheit Israels, besonders seitdem unsere Regierungspolitik sich 
vollkommen auf die unbegrenzte amerikanische Unterstützung gründet.

Ariel Sharon war zu arrogant, diese Gefahr in Betracht zu ziehen. Hoffen 
wir, dass seine Nachfolger nüchterner sein werden.

[ Übersetzt von: Ellen Rohlfs | Orginalartikel: "Dieser Artikel ist NICHT 
bei www.zmag.org erschienen!" ]

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Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
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     fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
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