[E-rundbrief] Info 317 - Stop Bolkestein/EU-Kampagne, Sozialstaat
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
So Nov 20 17:37:13 CET 2005
E-Rundbrief - Info 317: Stopp-Bolkestein-Kampagne: Der
Bolkestein-Richtlinienentwurf geht weiter seinen Weg: Gefahr für das
europäische Sozialstaatsmodell. Briefkampagne an die EU-Parlamentarier, die
Staats- und Regierungschefs der 25 Mitgliedstaaten, die britische
Ratspräsidentschaft und an die Präsidentschaftsvertreter im Rat für
Wettbewerbsfähigkeit:
Bad Ischl, 20.11.2005
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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DER BOLKESTEIN-RICHTLINIENENTWURF GEHT WEITER SEINEN WEG: GEFAHR FÜR DAS
EUROPÄISCHE SOZIALSTAATSMODELL
Liebe Freundinnen und Freunde,
seit knapp zwei Jahren debattieren das Europäische Parlament und der Rat
für Wettbewerbsfähigkeit über den Richtlinienentwurf über die
Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt, der von der Europäischen Kommission
vorgeschlagen wurde (die berüchtigte "Bolkestein"-Richtlinie). Die
Diskussionen sind zur Zeit in einer entscheidenden Phase angelangt, da die
Abstimmung im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des
Parlaments für den 22. November vorgesehen ist. Das Parlament wird
anschließend seine Stellungnahme in der ersten Lesung bei der
Plenarversammlung im Januar 2006 abgeben (für diesen Termin ist bereits
eine große Mobilisierung geplant).
Parallel dazu trifft sich der Rat für Wettbewerbsfähigkeit am 28. November,
wo eine Zusammenfassung der Positionen jedes einzelnen der 25
Mitgliedstaaten über die strittigen Artikel erfolgen wird.
In seiner gegenwärtigen Fassung ist der Richtlinienentwurf inakzeptabel: Es
handelt sich um nichts Geringeres als einen Entwurf für die
Dereglementierung des Dienstleistungsmarktes. Darüber hinaus bedroht er
aufgrund seines bereichsübergreifenden Anwendungsbereichs Aufgaben von
allgemeinem Interesse und die Lenkungsfunktion der öffentlichen Hand auf
nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Schließlich würde die Anwendung
des Prinzips des Herkunftslandes als generelle Regel in der gesamten
Europäischen Union zu Sozial-, Steuer- und Umweltdumping führen.
Kurz: Die Bolkestein-Richtlinie stellt eine tatsächliche Bedrohung für das
europäische Sozialmodell dar.
Fassen wir zusammen:
Auf der Ebene des Europäischen Parlaments wurde die ursprünglich für den 5.
Oktober vorgesehene Abstimmung im Ausschuss auf den 22. bis 23. November
verschoben.
Gegenwärtig scheint es, dass die meisten Parlamentarier in Richtung der
Richtlinie gehen, indem sie Änderungsanträge annehmen, die nicht unserer
grundsätzlichen Kritik entsprechen. Dabei sind wir an einer entscheidenden
Stelle des parlamentarischen Weges des Bolkestein-Richtlinienentwurfs
angelangt. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die Abstimmung im
Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments am 22. bis 23. November in
die richtige Richtung geht, das heißt, in Richtung eines effektiven
Schutzes der Dienstleistungen, die der Allgemeinheit dienen, vor allem
Bildung, Gesundheit oder Kultur. Folglich ist eine Massenmobilisierung
zwingend geboten.
Auf der Ebene des Ministerrats steht der Richtlinienentwurf auf der
Tagesordnung des Rates für Wettbewerbsfähigkeit vom 28. November, und der
Rat wartet ab, welches Signal vom Parlament ausgehen wird.
Die britische Präsidentschaft hat auch zu den ärgerlichen Themen umfassende
technische Arbeiten durchgeführt. Bis heute sind die Rückmeldungen zur
Position der Mitgliedstaaten betrüblich. Was den Anwendungsbereich
betrifft, so sind die einzigen Ausnahmen, die von der Mehrheit der
Mitgliedstaaten unterstützt werden, das Steuerwesen und Glücksspiele. Nur
einige wenige Mitgliedstaaten verlangen den expliziten Ausschluss von
audiovisueller Technologie, Gesundheit und Bildung. 17 Mitgliedstaaten
unterstützen das Prinzip des Herkunftslandes, 11 davon ohne jeglichen
Vorbehalt. Finnland, Spanien, Schweden und Österreich haben juristische
Fragen. In Bezug auf die Arbeitnehmerentsendung dagegen bildet sich eine
Front, die diese Problematik nicht in der Richtlinie angehen will, dabei
handelt es sich hauptsächlich um Frankreich, Italien, Österreich, Schweden,
Dänemark und Belgien.
Sie haben richtig verstanden: Es handelt sich um einen entscheidenden
Augenblick. Alle Bürgerinitiativen in Richtung des Europäischen Parlaments
und des Rates für Wettbewerbsfähigkeit sind äußerst wichtig.
Dazu erhalten Sie nachstehend ein Musteranschreiben, in dem die
Unterstützung der Änderungsanträge gefordert werden, welche die Forderungen
der Petition aufnehmen; dieses können Sie an folgende Personen senden:
An alle EU-Parlamentarier, vor allem an alle ordentlichen und
stellvertretenden Mitglieder des Ausschusses für Binnenmarkt und
Verbraucherschutz, und natürlich an Ihre nationalen Parlamentarier aller
Parteien ;
An die Staats- und Regierungschefs Ihres eigenen Landes (oder auch an
andere!), an die britische Ratspräsidentschaft und an die Mitglieder der
britischen Regierung, die den Rat für Wettbewerbsfähigkeit leiten.
Es ist wichtiger denn je, dass unsere EU-Parlamentarier und unsere
Regierungen erfahren: Wir passen auf! Wir hoffen, auf Ihre nicht
nachlassende Unterstützung zählen zu können und verbleiben
mit solidarischen Grüßen
www.stopbolkestein.org
Briefvorlage zum Versenden an die EU-Parlamentarier, an die Staats- und
Regierungschefs der 25 Mitgliedstaaten, an die britische
Ratspräsidentschaft und an die Präsidentschaftsvertreter im Rat für
Wettbewerbsfähigkeit:
Sehr geehrte(r)...,
Als Bürgerin/Bürger der EU bin ich sehr besorgt über den Entwurf der so
genannten "Bolkestein"-Richtlinie, die auf eine vollständige Öffnung der
"Dienstleistungsmärkte in Europa" abzielt. Das Prinzip "alles für den
Markt" beunruhigt mich in höchstem Maße. Personengebundene Dienstleistungen
sind keine Waren, die man kaufen oder verkaufen muss. Dienstleistungen von
allgemeinem Interesse wie Bildung, Kultur, Gesundheitswesen und
audiovisuelle Dienstleistungen dürfen nicht den Wettbewerbsregeln
unterworfen werden. Aus diesem Grund habe ich die Petition
www.stopbolkestein.org unterzeichnet, deren Forderungen ich Ihnen unbedingt
ans Herz legen möchte.
Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir heute knapp 100 000
Unterschriften elektronisch und auf Papier gesammelt haben und mehr als 100
Organisationen die Aktion unterstützen.
Ich weiß, dass Sie derzeit im Parlament über den Richtlinienentwurf
diskutieren und dass zahlreiche Änderungsanträge auf dem Tisch sind.
Überdies weiß ich, dass der Rat für Wettbewerbsfähigkeit sich mit der Frage
befassen wird. Ich bitte Sie daher, die Forderungen der Petition zu dem
Zeitpunkt zu berücksichtigen, an dem Sie, Ihre Fraktion, Ihre Partei, Ihr
Land sich vor dem Europäischen Parlament, der Regierung und dem Rat für
Wettbewerbsfähigkeit zu diesem Thema äußern werden.
Ich wiederhole die Forderungen der Petition, unterstütze die
Änderungsanträge, die auf Folgendes abzielen, und fordere Sie auf, diese
ebenfalls zu unterstützen:
Drastische Einschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie, genauer
durch Ausschluss der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und
allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, insbesondere Bildung,
Gesundheitswesen und soziale Dienste, audiovisuelle Dienstleistungen, Gas-,
Strom- und Wasserversorgung, Umweltdienstleistungen sowie
Zeitarbeitsagenturen;
Anerkennung, dass die Dienstleistungsrichtlinie im Vergleich zu den
bestehenden und künftigen sektoralen Richtlinien und zu den Bestimmungen
des Übereinkommens von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendende Recht und denen des Verordnungsentwurfs "Rom II" über das auf
außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht nur ergänzend
eingreifen darf; diese Gesetze müssen Vorrang vor der
Dienstleistungsrichtlinie haben;
Anerkennung, dass die Dienstleistungsrichtlinie die Anwendbarkeit des
Arbeitsrechts im Gastland, einschließlich Tarifverträgen, nicht mehr
beeinträchtigt als die Anwendung der Richtlinie zur Arbeitnehmerentsendung;
Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, die Anforderungen an die
Dienstleistungserbringer aus dringend erforderlichen Gründen des
allgemeinen Interesses gemäß Rechtsprechung des Gerichtshofs beizubehalten;
Alternative zum Prinzip des Herkunftslandes, das theoretisch nicht auf
einen Bereich angewendet werden darf, in dem noch kein ausreichender Grad
der Harmonisierung erreicht wurde;
Einführung eines ehrgeizigen Harmonisierungsprozesses bezüglich der Regeln
der Genehmigungsverfahren, Anforderungen an die Dienstleistungserbringer,
des Verhaltens des Leistungserbringers, der Qualität oder des Inhalts der
Dienstleistungen, der Werbung, Verträge und der Haftung des
Leistungserbringers; diese Harmonisierung dürfte nur die Dienstleistungen
betreffen, die von dieser Richtlinie abgedeckt werden, wobei davon
auszugehen ist, dass die unter Punkt 1 genannten Dienstleistungen von
allgemeinem Interesse ausgeschlossen sind.
Für mich ist es von großer Wichtigkeit, Garantien im Hinblick auf die
Zukunft Europas, seines Gesellschaftsmodells und damit auf Ihre Haltung zu
genannter Richtlinie zu bekommen. Ich erwarte von Ihnen eine entschlossene
und überzeugende Reaktion. Ich hoffe, auf Ihr persönliches Engagement in
Bezug auf dieses entscheidende Thema zählen zu können. Ihre Antwort werde
ich mit großer Aufmerksamkeit lesen und Ihr Handeln entschlossen beobachten.
In der Hoffnung, dass Sie meine Befürchtungen zerstreuen und die Auflösung
unseres europäischen Gesellschaftsmodells verhindern werden.
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
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