[E-rundbrief] Info 311 - Proteste in Frankreich.
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Do Nov 10 13:12:35 CET 2005
E-Rundbrief - Info 311: Matthias Reichl: Gewaltfrei für das Recht auf ein
menschenwürdiges Wohnen und Leben in Paris. Non-violent for the right for a
human housing and living in Paris (Deutsch/ English); Gemeinsames
Communiqué "Nein zum Ausnahmezustand"/ Communiqué commun "Non a l'état
d'exception" (Deutsch/ Französisch); Bernard Schmid: Hintergründe der
Eskalation in den französischen Trabantenstädten. Die "Territorialisierung
der sozialen Frage" (Auszug); John Horvath: France in Flames. Backlash
against the politics of nuance.
Bad Ischl, 10.11.2005
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Gewaltfrei für das Recht auf ein menschenwürdiges Wohnen und Leben in Paris
Matthias Reichl
10.11.2005
Bei meinem einwöchigen Paris-Besuch bei politischen Freunden und Künstlern
konnte ich am 15.10. auch bei der bisher größten Demonstration von
Obdachlosen und Menschen mit Wohnungsproblemen (ca. 10.000 Teilnehmer)
mitgehen. Viele von ihnen waren Afrikaner jeden Alters und speziell - bunt
gekleidete - Afrikanerinnen mit ihren Kindern, die mit Sprechchören und
Samba-Musik ihre dringenden Forderungen öffentlich machten. (Auch der
katholische Bischof Gaillot war unter ihnen.) Diese friedliche
Demonstration mit seriösen Zielen und Kritik an (staatlichen) Autoritäten
machte die überlebenswichtige Arbeit von Initiativen und Netzwerken
öffentlich. Darunter waren aber auch Slogans wie "Sarkozy assassin!" (der
Innenminister ein "Mörder"), die die aktuellen Anschuldigungen
vorwegnahmen. (Siehe unten "France in Flames"!) Meine politisch aktiven
Freunde (darunter Hausbesetzer) schilderten mir die Konsequenzen der
Unterdrückung der Menschenrechte durch brutale Spezialeinheiten der
Polizei. Sarkozy ersetzte mit ihnen sozial sensible Polizisten im Kontakten
zu den Bewohnern. Engagierte Organisationen warnen davor in ihrem
"Gemeinsamen Kommuniqué" - siehe unten die deutsche Übersetzung und das
französische Original.
Aber die Massenmedien nahmen von dieser gewaltfreien Demonstration nur mit
wenigen Zeilen Notiz und provozierten damit indirekt die Gewalt jener -
meist Jugendlicher -, die diesen Marsch boykottierten und sich schon auf
die gewaltsamen Proteste vorbereiteten. Die Unfähigkeit und fehlende
Bereitschaft staatlicher Autoritäten (nicht nur in Frankreich) diesen
Gewaltakten mit Investitionen in soziale Gerechtigkeit und deeskalierende
Initiativen vorzubeugen könnte zu einer Lawine ähnlich gewaltsamer Proteste
(weit über Frankreich hinaus) führen.
English Version:
Non-violent for the right for a human housing and living in Paris
During my visit in Paris (around Oct. 15th), I had the chance to
participate at a large manifestation with about 10.000 "sans
logis"-activists (living homeless or in unacceptable homes). Many of them
Africans of all ages, especially women and their children, demonstrated -
colorfull dressed - with slogans, choirs and samba-music their demands.
Among them also the catholic bishop Gaillot - whom I know from serveral
meetings. He and many others supports their survival-initiatives and
networks. It was impressing to take part in a genuine peaceful
manifestation of serious demands and critics towards state authorities.
Some slogans like "Sarkozy assassin!" (the minister for interior, "murder")
antizipated the actual accusations. (See below "France in Flames"!) My
political active friends (among them squatters) explained me the oppressive
consequences for human rights by brutal forces of the special police. They
were ordered by Sarkozy to replace more social sensitive local police
forces. French organisations are warning in a common declaration about -
German and French version see below.
But the mass-media noticed this nonviolent manifestation only with a few
lines, indirectly provoking the violence of those - mostly young - people
who boycotted this manifestation and prepared already the actual violent
protests. The inability and unwillingness of state authorities (not only in
France) to prevent the violence through investments in social justice and
in other deescalating initiatives could lead to an avalanche of similar
violent protests.
Matthias Reichl
10.11.2005
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Gemeinsames Communiqué
Paris, den 8. November 2005
"NEIN ZUM AUSNAHMEZUSTAND"
Die Regierung hat, in ihrer Konfrontation mit einer Revolte, die aus der
Ansammlung von Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten und Diskriminierungen in
den "Banlieues" (Vororte von Paris) und in den Armenvierteln entstanden
ist, eine weitere, sehr schwerwiegende Schwelle in der
Sicherheitseskalation überschritten. Sogar im Mai 1968, als die Situation
sehr viel dramatischer war, haben die Ordnungshüter auf keinerlei
Sondergesetzgebung zurückgegriffen. Die Erklärung des Ausnahmezustands ist
die Antwort auf einen Aufstand, dessen Gründe tief reichen und sogar auf
der Ebene ihrer Unterdrückung eigentlich gut bekannt sind.
Ganz abgesehen von der entsetzlichen symbolischen Nachricht, die vom
Vergleich mit dem Algerienkrieg ausgehen wird, handelt es sich nicht nur um
einen "Ausnahmezustand", was fast schon einer Kriegslogik entspricht.
Tatsächlich hat die Regierung wissentlich gelogen was die Ausdehnung ihrer
Befugnisse angeht. Das Gesetz vom 3. April 1955 erlaubt Aufenthaltsverbote
für "jede Person, die versucht, auf welche Weise auch immer, die Aktion der
Obrigkeit zu behindern", Hausarrest "für jede Person (
), deren Aktivität
sich als gefährlich für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung
erweist", das Schließen "jeder Art von Orten, die als Treffpunkte dienen"
und das Verbot von "Zusammenkünften, die zur Provokation und zum Anheizen
von Unruhen beitragen" könnten. Die Regierung hat selbst Haussuchungen bei
Nacht vorgesehen. Sie kann, darüber hinaus, "jede Art Maßnahme ergreifen,
um die Kontrolle der Presse und Veröffentlichungen jeder Art
sicherzustellen" und den mit zivilen Richtern konkurrierenden
Militärgerichtshöfen Kompetenzen übertragen.
Die Beendigung der Gewalttaten und die Wiederherstellung der Solidarität in
den Banlieues ist eine Notwendigkeit. Bedeutet das, dass man sie einer aus
der Kolonialzeit geerbten Sondergesetzgebung unterwerfen muss? Man weiß,
wohin der bekannte Zyklus führt, der Provokation mit Gegengewalt verbindet
und was für Resultate man damit erreichen kann
und welche nicht. Die
Pariser Vororte brauchen nicht einen Ausnahmezustand: sie brauchen, und
zwar aufs Dringendste, Gerechtigkeit, Respekt und Gleichheit.
Unterzeichner:
Alternative citoyenne (Bürgeralternative), ATMF, CEDETIM, Comité des
sans-logis (Komitee der Obdachlosen), CRLDHT, Fédération syndicale unitaire
(FSU), Ligue communiste révolutionnaire (LCR), Ligue des Droits de l'Homme
(Internationale Liga der Menschenrechte), MRAP, Parti communiste français
(PCF), Syndicats des avocats de France (Gewerkschaft der französischen
Anwälte), Syndicat de la magistrature (Gewerkschaft der Richter),
Gewerkschaft « Solidaires », Les Verts (die Grünen)
Traduit par Carla Krüger, le 8 novembre 2005
Original:
*COMMUNIQUE COMMUN*
Paris, le 8 novembre 2005
*NON A L'ÉTAT D'EXCEPTION*
Confronté à une révolte née de l'accumulation des inégalités et des
discriminations dans les banlieues et les quartiers pauvres, le
gouvernement vient de franchir une nouvelle étape, d'une extrême gravité,
dans l'escalade sécuritaire. Même en mai 1968, alors que la situation était
bien plus dramatique, aucune loi d'exception n'avait été utilisée par les
pouvoirs publics. La proclamation de l'état d'urgence répond à une révolte
dont les causes sont profondes et bien connues sur le seul terrain de la
répression.
Au-delà du message symbolique désastreux que nourrira la référence à la
guerre d'Algérie, il ne s'agit pas seulement de « couvre-feu », ce qui est
déjà de l'ordre d'une logique de guerre. En fait le gouvernement a
sciemment menti. La loi du 3 avril 1955 autorise des interdictions de
séjour pour « toute personne cherchant à entraver, de quelque manière que
ce soit, l'action des pouvoirs publics », des assignations à résidence pour
« toute personne [
] dont l'activité s'avère dangereuse pour la sécurité et
l'ordre publics », la fermeture des « lieux de réunion de toute nature » et
l'interdiction des « réunions de nature à provoquer ou à entretenir le
désordre ». Le gouvernement a même prévu des perquisitions de nuit. Il
peut, en outre, faire « prendre toutes mesures pour assurer le contrôle de
la presse et des publications de toute nature », et donner compétence aux
juridictions militaires en concurrence avec les juges ordinaires.
Stopper les violences et rétablir les solidarités dans les banlieues est
une nécessité. Cela implique-t-il de les soumettre à une législation
d'exception héritée de la période coloniale ? On sait où mène le cycle bien
connu qui enchaîne provocations et répression, et quels résultats il permet
d'obtenir. Les banlieues n'ont pas besoin d'état d'exception : elles ont
besoin, désespérément, de justice, de respect et d'égalité.
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Hintergründe der Eskalation in den französischen Trabantenstädten
Bernard Schmid
05.11.2005
telepolis
(Auszug)
Die "Territorialisierung der sozialen Frage"
Die französische Politik und Sozialwissenschaft haben für
"trabantenstadtspezifische" Gewaltphänomene in den letzten Jahren einen
eigenen Begriff erfunden, den der "violences urbaines" (wörtlich
"städtische Gewalt" im Plural, aber der Begriff wird eindeutig auf die
Banlieue bezogen). Die trabantenstädtische Bevölkerung und ihre
Konfliktaustragungs- und Ausdrucksformen werden als ein spezifisches
gesellschaftliches Subjekt wahrgenommen.
Bemerkenswert ist im übrigen, dass es auch in den Hochhaussiedlungen an den
Stadträndern von Paris (im 19. und 20. Arrondissement), deren Einwohner oft
eine ähnliche soziologische Zusammensetzung und ähnliche Alltagsprobleme
wie jene der Banlieue sieht man von der räumlichen Isolation und der
schlechten Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel in vielen
Trabantenstädten ab aufweisen, in den letzten 8 Tagen nicht zu
vergleichbaren Geschehnissen kam. Jugendliche aus einer Plattenbausiedlung
an der Place des Fêtes, im Nordosten von Paris innerhalb der Stadtgrenzen,
erklären etwa in der Lokalausgabe der Tageszeitung "Le Parisien" vom Freitag:
Hier kommt es vielleicht zu Bandenkriegen untereinander und zu Klauereien,
aber (die Jugendlichen) gehen nicht wütend auf die Polizei los.
Den Hintergrund für die Konstitution oder Konstruktion des spezifischen
sozialen Objekts (oder Subjekts) "Banlieue-Bevölkerung" bildet eine
Situation, die man historisch als eine Form von "Territorialisierung der
sozialen Frage" begreifen kann. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war die
von besonderer Revolutionsangst gepeinigte französische Großbourgeoisie der
Auffassung, es sei vorzuziehen, den größten Teil der "gefährlichen
Klassen" darunter auch die Industriearbeiterschaft in nur wenigen
Verdichtungsräumen rund um Lille, Paris, Lyon und Marseille anzusiedeln.
Dadurch glaubte man, den "revolutionären Bazillus" besser unter Kontrolle
halten und das übrige Frankreich, das agrarisch und konservativ bleiben
sollte, als "ruhiges Hinterland" nutzen zu können. In diesem Zusammenhang
entstanden, am Ausgang des 19. Jahrhunderts und zunächst rund um Paris, die
Banlieues im modernen Sinne. Der ursprüngliche Begriff, der aus dem 17.
Jahrhundert stammt, bezeichnete die "Bannmeile" (das ist die wörtliche
Bedeutung von ban-lieue) rund um die größeren Städte, also jene Zone, die
ein zur Verbannung verurteilter Bürger oder Untertan unter Androhung
strenger Bestrafung nicht betreten durfte. Später kehrte sich die Funktion
dieser Zonen in gewisser Weise um, sie wurden gewissermaßen zum sozialen
"Verbannungsort" oder jedenfalls zum Sammelbecken aller
Bevölkerungsgruppen, die in den Kernstädten nicht erwünscht waren oder dort
keine Wohnung erwerben konnten
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es erstmals zu einer flächendeckenden
Industrialisierung größerer Teile Frankreichs. Aber es kam zu einem
weiteren Anwachsen der Banlieues, da in den Innenstädten ein weiterer
Austauschprozess der Bewohner stattfand: Viele kleine Handwerker die unter
die Räder des ökonomischen Modernisierungsprozesses gerieten -, die
innerstädtische Arbeiterschaft und auch die "einfachen" Angestellten wurden
durch Mietpreis-, Stadtentwicklungs- und Städtebaupolitik zunehmend an die
Ränder gedrängt. Diese Verdrängungspolitik hat sich in Paris besonders
unter dem Oberbürgermeister Jacques Chirac (1977 bis 1995) verschärft und
radikalisiert, unter anderem aufgrund eines breit angelegten
Korruptionsnetzes im Bereich der Grundstücks- und Bauspekulation. Aber auch
unter seinen Nachfolgern ging diese Politik in ihren Grundzügen, wenngleich
abgemildert, fort.
Aber noch eine andere politische Verantwortlichkeit muss festgestellt
werden: Die französische KP, die ehemals in größeren Teilen des früheren
"roten Gürtels" rund um Paris die Rathäuser regierte, war über diesen
Prozess ebenfalls nicht traurig. Sie glaubte dadurch, die Arbeiter und
"einfachen" Angestellten besser unter ihrer politischen Kontrolle zu haben,
indem diese sich in ihren Einflusszonen konzentrierten. Noch bis vor
wenigen Jahren zogen an jedem Wahlsonntag die Anwerber der KP durch alle
Treppenhäuser in den Hochhaussiedlungen der Trabantenstädten, damit die
Mitglieder der Arbeiterhaushalte auch nicht vergaßen, "richtig" zu wählen.
Von ihrem Einfluss sind heute aber nur noch Restbestände übrig.
Denn die nachwachsenden jüngeren Generationen wurden nicht mehr überwiegend
über die Erwerbsarbeit sozialisiert und die Fabrikdisziplin, die es
erlaubte, die Parteidisziplin der KP als notwendiges Gegengewicht einer
gegen die Patrons geschlossen auftretenden Klassenkampforganisation
hinzunehmen -, sondern über die Arbeitslosigkeit. Und durch soziale
Perspektivlosigkeit, Langeweile, oft auch Schulversagen. Dadurch lösten
sich die früheren kollektiven Bindungen teilweise auf. Stattdessen wurde
der Alltag in vielen Banlieues durch eine Art schleichenden Krieg "Aller
gegen Alle" geprägt: Einer verbreiteten Mentalität zufolge hat "der
Stärkere oder jedenfalls der Rücksichtslosere" zu überleben, die Gewalt
gegen Frauen erreicht hohe Werte, und Markenartikel jedenfalls bei
Sportklamotten sorgen für Faszination, da sie es scheinbar ermöglichen,
auch "jemand zu sein" und "respektiert zu werden".
Die Gesellschaft in den Trabantenstädten und ihren anonymen
Hochhaussiedlungen ist häufig atomisiert. Durchbrochen wird dieser
Vereinzelungsprozess dann, wenn die Gesellschaft von außerhalb in das
"Laboratorium für soziale Krisenprozesse", das die Trabantenstädte
darstellen, namentlich in Gestalt der Staatsgewalt, einbricht. Vor allem
dann, wenn dies in Form eines dramatischen oder markanten Ereignisses
passiert, gegen das sich dann viele vor allem jüngere
Akteure vorübergehend - zusammenschließen können. In diesen Fällen
antwortet auf die durch die Staatsmacht und durch eine verbreitete
gesellschaftliche Wahrnehmung betriebene "Territorialisierung" (und oftmals
auch "Ethnisierung") der sozialen Probleme der Gesellschaft in ihren
Banlieues eine Art spiegelbildlich entgegen gesetzter Territorialisierung
in rebellischer Absicht.
Obgleich meist ein bewusster, im engeren oder weiteren Sinne politisch
strukturierter Veränderungswillen fehlt, nehmen viele Einwohner der
Banlieues dennoch häufig die krassen Unterschiede in den Lebensbedingungen
zwischen den Trabantenstädten und "draußen" wahr. Gleichzeitig erscheint
auch die Staatsgewalt, als Hüter der vorhandenen sozialen Ordnung, die in
den Trabantenstädten in vorwiegend repressiver Form auftritt, in der
subjektiven Wahrnehmung vieler "Banlieusards" als eine Art äußerer
Aggressor und Repräsentant der Ungerechtigkeit.
Dabei ist natürlich der Staat, in seinen repressiven wie seinen sozialen
Funktionen, in Wirklichkeit keineswegs ein totaler "Fremdkörper" in den
Trabantenstädten, wie es mancher ihrer zornigen jungen Bewohner erscheinen
mag, die in ihm vor allem eine "mächtigere Bande, die auf unser Territorium
eindringt und die Interessen der Ungerechten vertritt", wahrnehmen mögen.
Die öffentliche Infrastruktur wird auch vom Großteil der Banlieue-Bewohner
benutzt und benötigt, so dürften sehr viele von ihnen ein Konto bei der
französischen Post unterhalten, die nach wie vor als eine "Bank der Armen"
gilt. Wer in Frankreich aufgrund seiner finanziellen Situation oder einer
Sperre bei einer anderen Bank kein Konto eröffnen kann, hat bei der Post
einen Rechtsanspruch auf ein zinsfreies Konto. Aber bei den periodisch sich
wiederholenden Zornesausbrüchen junger oder marginalisierter Einwohner der
Trabantenstädte werden die Symbole der Staatsgewalt oft als Repräsentanten
des Übels wahrgenommen. Deshalb auch kommt es dazu, dass - wie in
Clichy-sous-Bois jüngst geschehen - ein Postamt oder ein Kindergarten
attackiert werden kann, denn auf diesen öffentlichen Gebäuden wie auch auf
den meisten Schulen flattert in Frankreich gewöhnlich eine Trikolorefahne.
Auch Feuerwehrleute werden oft aufgrund ihrer Uniform, als vermeintliche
Repräsentanten der Staatsautorität, angegriffen.
Diese Form von Ausbrüchen oder des "Abreagierens" hat sicherlich auch eine
erkennbar selbstzerstörerische Komponente, wenn etwa eine allen Bewohnern
zur Verfügung stehende Infrastruktur attackiert wird. In den jüngsten
Ereignissen zeichnet sich freilich anders als bei vielen sonstigen, häufig
weitgehend "bewusstlosen" und einem ritualisierten Ablaufschema folgenden
Unruhen in den Banlieues ein rationales, wenngleich begrenztes Ziel vieler
der Teilnehmer an den Unruhen ab: Auch wenn sie von der politischen
Landschaft bisher aufgrund mangelnden Interesses und mangelnder Nähe zu
ihren Lebensverhältnissen nur geringe Kenntnisse haben, so haben sie doch
in Innenminister Nicolas Sarkozy jetzt einen gemeinsamen Feind entdeckt.
Denn dieser erscheint derzeit in breiten Kreisen durch seine Äußerungen, in
denen er vom "racaille" (Gesocks, Abschaum) sprach, in den Banlieues als
Provokateur, der Öl ins Feuer goss und die Eskalation mit verschuldet hat.
Auch seine konservativen Parteifreunde ließen ihn in den letzten Tagen
zeitweise ganz gern allein im Regen stehen, da viele Regierungs- und
Parteikollegen den Präsidentschaftsambitionen des hyperehrgeizigen
Ministers und Medienlieblings gerne einen Dämpfer versetzten würden. "Wir
machen so lange weiter, bis Sarkozy zurücktritt", sagen viele jugendliche
Banlieue-Bewohner den in diesen Tagen in großer Zahl heranrückenden
neugierigen Journalisten in die Mikrophone.
Links:
http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21258/1.html
http://www.afrik.com
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France in Flames
Backlash against the politics of nuance
John Horvath
08.11.2005
telepolis
For over a week, France has been burning, with the flames of discontent
spreading far beyond from where they were originally lit. To the casual
observer, the events to have hit France may seem sudden and
incomprehensible. Yet what is surprising, however, is that it has taken
this long for the ferment and rebellion, which for years had been brewing
under the surface, to finally spew forth.
The unrest now unleashed has laid bare for all to see the discontent felt
in France by minorities and immigrants. It is also forcing France to
confront long-simmering anger in its poor suburbs, which ring big cities
and where many live on society's margins, struggling with unemployment,
poor housing, racial discrimination, crime, and a lack of opportunity.
In many ways, what has been happening in France is not all that different
to the race riots that Britain had experienced years ago. In fact, it's
interesting to note that the mass media has been reluctant to call the
disturbances in France by what they really are: race riots. Meanwhile, the
spreading of the riots is being downplayed by referring to the violence
elsewhere in the country as "copycat" events.
The violence which has engulfed France is not something which simply began
with the deaths of two teenagers. During the summer, there were a number of
fires in Paris in buildings which housed asylum seekers and refugees. All
these cases were considered a mere coincidence. No attempt has been made to
consider the possibility of whether there is any form of linkage between
these events and the race riots now going on throughout France. In other
words, to what extent are the race riots a reaction to a wave of
anti-immigrant sentiment (and violence) which has recently swept across the
country?
Economy and the problems of race and racism
The main reason for this conspiracy of silence is the politics of nuance
common to western European democracies, notably the UK, France, and
Germany. In the case of France, Paris had no hesitation in lecturing
accession members to the EU of race and racism, holding up its own society
as a primary example of multi-culturalism and peaceful coexistence. For
example, when Hungary was in the spotlight during the Zamony Roma affair,
France put on a publicity stunt in where it welcomed a number of the
refugees and offered them political asylum. The message that was being sent
to Hungary and other countries of Central and Eastern Europe was clear:
racism is still a problem in the east, while the west has learned to "get
over it" and deal with minority and immigrant issues.
The ability of western democracies to "get over it" and deal with minority
and immigrant issues is, of course, nothing more than skilful propaganda
which seeks to drive the problems of race and racism underground. One of
the main aspects to the political nuance behind immigration is the
inability of western democracies to deal with growing economic problems.
Western democracies are aging rapidly, and social security systems are
unable to take the strain. So-called "reforms" have been difficult to
implement in places like France and Germany, so workers are needed to help
bridge the shortfall.
Yet these workers, mainly that of migrant labour, are exploited by a
business culture that seeks to "liberalise" the labour market by driving
down wages and working conditions. Since western European workers are more
unlikely to accept such conditions, migrant workers have become essential.
To make matters worse, many of these workers are forced by necessity to
live in areas which are nothing more than modern-day ghettos.
It seems that this is the only way in which Europe can compete with China
on the global market: by coming down to their level, where workers are paid
a pittance, and a social security net is basically non-existent. Meanwhile,
the contempt of mainstream society toward immigrants -- and migrant labour
in particular -- although not always pronounced, is nevertheless plain to
see. This was made quite apparent when the French Interior Minister,
Nicolas Sarkozy, referred to the rioters as "scum".
The conditions in France which bred such violence is very much the same as
elsewhere in the world; the grievances of an underclass are held in check
until an event unleashes the anger and frustration which has been bottled
up for many years, even decades. Along these lines, the situation in France
is not that much different to what happened in New Orleans in the aftermath
of hurricane Katrina. In both cases, even the media reaction was the same:
shock and surprise. Yet, when looking behind the scenes, what happened in
both cases should not have come as much of a shock nor a surprise.
Unfortunately, the lessons of the past, as with the race riots years ago in
the UK, have not been learned. Moreover, the politics of nuance extends far
beyond simply immigrant issues and race relations. Indeed, just before the
race riots in France, the world media was up in arms at the comments made
by the President of Iran that Israel should be wiped off the map. The
indignation was such that the UN even reacted, with Kofi Annan stating that
no member country had a right to threaten another member country. However,
when the White House a few years ago talked of a "silver bullet" to get rid
of Saddam Hussein and openly threatened Iraq with attack (which it
subsequently did), there was no such uproar and indignation from heads of
state or Kofi Annan at the UN. Likewise, there was no global shock when an
American evangelist a few months ago commented that Hugo Chavez of
Venezuela should be "taken out".
The difference between "taken out" and "wiped off" is of the same kind of
political nuance and hypocrisy which has led major western democracies to
lecture other countries on human rights and minority issues, while
themselves ignoring these very same problems at home to the point of
denial. The race riots in France is a reminder, therefore, that such double
standards will indubitably fail, and that the more such problems are hidden
from view and denied, the bigger will be the explosion when it eventually
does come.
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21296/1.html
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
Center for Encounter and active Non-Violence
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