[E-rundbrief] Info 311 - Proteste in Frankreich.

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Do Nov 10 13:12:35 CET 2005


E-Rundbrief - Info 311: Matthias Reichl: Gewaltfrei für das Recht auf  ein 
menschenwürdiges Wohnen und Leben in Paris. Non-violent for the right for a 
human housing and living  in Paris (Deutsch/ English); Gemeinsames 
Communiqué "Nein zum Ausnahmezustand"/  Communiqué commun "Non a l'état 
d'exception" (Deutsch/ Französisch); Bernard Schmid: Hintergründe der 
Eskalation in den französischen Trabantenstädten. Die "Territorialisierung 
der sozialen Frage" (Auszug);  John Horvath: France in Flames. Backlash 
against the politics of nuance.

Bad Ischl, 10.11.2005

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Gewaltfrei für das Recht auf  ein menschenwürdiges Wohnen und Leben in Paris

Matthias Reichl

10.11.2005

Bei meinem einwöchigen Paris-Besuch bei politischen Freunden und Künstlern 
konnte ich am 15.10. auch bei der bisher größten Demonstration von 
Obdachlosen und Menschen mit Wohnungsproblemen (ca. 10.000 Teilnehmer) 
mitgehen. Viele von ihnen waren Afrikaner jeden Alters und speziell - bunt 
gekleidete - Afrikanerinnen mit ihren Kindern, die mit Sprechchören und 
Samba-Musik ihre dringenden Forderungen öffentlich machten. (Auch der 
katholische Bischof Gaillot war unter ihnen.) Diese friedliche 
Demonstration mit seriösen Zielen und Kritik an (staatlichen) Autoritäten 
machte die überlebenswichtige Arbeit von Initiativen und Netzwerken 
öffentlich. Darunter waren aber auch Slogans wie "Sarkozy assassin!" (der 
Innenminister ein "Mörder"), die die aktuellen Anschuldigungen 
vorwegnahmen. (Siehe unten "France in Flames"!) Meine politisch aktiven 
Freunde (darunter Hausbesetzer) schilderten mir die Konsequenzen der 
Unterdrückung der Menschenrechte durch brutale Spezialeinheiten der 
Polizei. Sarkozy ersetzte mit ihnen sozial sensible Polizisten im Kontakten 
zu den Bewohnern. Engagierte Organisationen warnen davor in ihrem 
"Gemeinsamen Kommuniqué" - siehe unten die deutsche Übersetzung und das 
französische Original.

Aber die Massenmedien nahmen von dieser gewaltfreien Demonstration nur mit 
wenigen Zeilen Notiz und provozierten damit indirekt die Gewalt jener - 
meist Jugendlicher -, die diesen Marsch boykottierten und sich schon auf 
die gewaltsamen Proteste vorbereiteten. Die Unfähigkeit und fehlende 
Bereitschaft staatlicher Autoritäten (nicht nur in Frankreich) diesen 
Gewaltakten mit Investitionen in soziale Gerechtigkeit und deeskalierende 
Initiativen vorzubeugen könnte zu einer Lawine ähnlich gewaltsamer Proteste 
(weit über Frankreich hinaus) führen.

English Version:

Non-violent for the right for a human housing and living  in Paris

During my visit in Paris (around Oct. 15th), I had the chance to 
participate at a large manifestation with about 10.000 "sans 
logis"-activists (living homeless or in unacceptable homes). Many of them 
Africans of all ages, especially women and their children, demonstrated - 
colorfull dressed - with slogans, choirs and samba-music their demands. 
Among them also the catholic bishop Gaillot - whom I know from serveral 
meetings. He and many others supports their survival-initiatives and 
networks. It was impressing to take part in a genuine peaceful 
manifestation of serious demands and critics towards state authorities. 
Some slogans like "Sarkozy assassin!" (the minister for interior, "murder") 
antizipated the actual accusations. (See below "France in Flames"!) My 
political active friends (among them squatters) explained me the oppressive 
consequences for human rights by brutal forces of the special police. They 
were ordered by Sarkozy to replace more social sensitive local police 
forces. French organisations are warning in a common declaration about - 
German and French version see below.

But the mass-media noticed this nonviolent manifestation only with a few 
lines, indirectly provoking the violence of those - mostly young - people 
who boycotted this manifestation and prepared already the actual violent 
protests. The inability and unwillingness of state authorities (not only in 
France) to prevent the violence through investments in social justice and 
in other deescalating initiatives could lead to an avalanche of similar 
violent protests.

Matthias Reichl

10.11.2005

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Gemeinsames Communiqué

Paris, den 8. November 2005

"NEIN ZUM AUSNAHMEZUSTAND"

Die Regierung hat, in ihrer Konfrontation mit einer Revolte, die aus der 
Ansammlung von Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten und Diskriminierungen in 
den "Banlieues" (Vororte von Paris) und in den Armenvierteln entstanden 
ist, eine weitere, sehr schwerwiegende Schwelle in der 
Sicherheitseskalation überschritten. Sogar im Mai 1968, als die Situation 
sehr viel dramatischer war, haben die Ordnungshüter auf keinerlei 
Sondergesetzgebung zurückgegriffen. Die Erklärung des Ausnahmezustands ist 
die Antwort auf einen Aufstand, dessen Gründe tief reichen und sogar auf 
der Ebene ihrer Unterdrückung eigentlich gut bekannt sind.

Ganz abgesehen von der entsetzlichen symbolischen Nachricht, die vom 
Vergleich mit dem Algerienkrieg ausgehen wird, handelt es sich nicht nur um 
einen "Ausnahmezustand", was fast schon einer Kriegslogik entspricht. 
Tatsächlich hat die Regierung wissentlich gelogen was die Ausdehnung ihrer 
Befugnisse angeht. Das Gesetz vom 3. April 1955 erlaubt Aufenthaltsverbote 
für "jede Person, die versucht, auf welche Weise auch immer, die Aktion der 
Obrigkeit zu behindern", Hausarrest "für jede Person (
), deren Aktivität 
sich als gefährlich für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung 
erweist", das Schließen "jeder Art von Orten, die als Treffpunkte dienen" 
und das Verbot von "Zusammenkünften, die zur Provokation und zum Anheizen 
von Unruhen beitragen" könnten. Die Regierung hat selbst Haussuchungen bei 
Nacht vorgesehen. Sie kann, darüber hinaus, "jede Art Maßnahme ergreifen, 
um die Kontrolle der Presse und Veröffentlichungen jeder Art 
sicherzustellen" und den mit zivilen Richtern konkurrierenden 
Militärgerichtshöfen Kompetenzen übertragen.

Die Beendigung der Gewalttaten und die Wiederherstellung der Solidarität in 
den Banlieues ist eine Notwendigkeit. Bedeutet das, dass man sie einer aus 
der Kolonialzeit geerbten Sondergesetzgebung unterwerfen muss? Man weiß, 
wohin der bekannte Zyklus führt, der Provokation mit Gegengewalt verbindet 
und was für Resultate man damit erreichen kann
 und welche nicht. Die 
Pariser Vororte brauchen nicht einen Ausnahmezustand: sie brauchen, und 
zwar aufs Dringendste, Gerechtigkeit, Respekt und Gleichheit.

Unterzeichner:
Alternative citoyenne (Bürgeralternative), ATMF, CEDETIM, Comité des 
sans-logis (Komitee der Obdachlosen), CRLDHT, Fédération syndicale unitaire 
(FSU), Ligue communiste révolutionnaire (LCR), Ligue des Droits de l'Homme 
(Internationale Liga der Menschenrechte), MRAP, Parti communiste français 
(PCF), Syndicats des avocats de France (Gewerkschaft der französischen 
Anwälte), Syndicat de la magistrature (Gewerkschaft der Richter), 
Gewerkschaft « Solidaires », Les Verts (die Grünen)

Traduit par Carla Krüger, le 8 novembre 2005

Original:

*COMMUNIQUE COMMUN*

Paris, le 8 novembre 2005

*NON A L'ÉTAT D'EXCEPTION*

Confronté à une révolte née de l'accumulation des inégalités et des 
discriminations dans les banlieues et les quartiers pauvres, le 
gouvernement vient de franchir une nouvelle étape, d'une extrême gravité, 
dans l'escalade sécuritaire. Même en mai 1968, alors que la situation était 
bien plus dramatique, aucune loi d'exception n'avait été utilisée par les 
pouvoirs publics. La proclamation de l'état d'urgence répond à une révolte 
dont les causes sont profondes et bien connues sur le seul terrain de la 
répression.

Au-delà du message symbolique désastreux que nourrira la référence à la 
guerre d'Algérie, il ne s'agit pas seulement de « couvre-feu », ce qui est 
déjà de l'ordre d'une logique de guerre. En fait le gouvernement a 
sciemment menti. La loi du 3 avril 1955 autorise des interdictions de 
séjour pour « toute personne cherchant à entraver, de quelque manière que 
ce soit, l'action des pouvoirs publics », des assignations à résidence pour 
« toute personne [
] dont l'activité s'avère dangereuse pour la sécurité et 
l'ordre publics », la fermeture des « lieux de réunion de toute nature » et 
l'interdiction des « réunions de nature à provoquer ou à entretenir le 
désordre ». Le gouvernement a même prévu des perquisitions de nuit. Il 
peut, en outre, faire « prendre toutes mesures pour assurer le contrôle de 
la presse et des publications de toute nature », et donner compétence aux 
juridictions militaires en concurrence avec les juges ordinaires.

Stopper les violences et rétablir les solidarités dans les banlieues est 
une nécessité. Cela implique-t-il de les soumettre à une législation 
d'exception héritée de la période coloniale ? On sait où mène le cycle bien 
connu qui enchaîne provocations et répression, et quels résultats il permet 
d'obtenir. Les banlieues n'ont pas besoin d'état d'exception : elles ont 
besoin, désespérément, de justice, de respect et d'égalité.

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Hintergründe der Eskalation in den französischen Trabantenstädten

Bernard Schmid

05.11.2005

telepolis

(Auszug)

Die "Territorialisierung der sozialen Frage"

Die französische Politik und Sozialwissenschaft haben für 
"trabantenstadtspezifische" Gewaltphänomene in den letzten Jahren einen 
eigenen Begriff erfunden, den der "violences urbaines" (wörtlich 
"städtische Gewalt" im Plural, aber der Begriff wird eindeutig auf die 
Banlieue bezogen). Die trabantenstädtische Bevölkerung und ihre 
Konfliktaustragungs- und Ausdrucksformen werden als ein spezifisches 
gesellschaftliches Subjekt wahrgenommen.

Bemerkenswert ist im übrigen, dass es auch in den Hochhaussiedlungen an den 
Stadträndern von Paris (im 19. und 20. Arrondissement), deren Einwohner oft 
eine ähnliche soziologische Zusammensetzung und ähnliche Alltagsprobleme 
wie jene der Banlieue  sieht man von der räumlichen Isolation und der 
schlechten Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel in vielen 
Trabantenstädten ab  aufweisen, in den letzten 8 Tagen nicht zu 
vergleichbaren Geschehnissen kam. Jugendliche aus einer Plattenbausiedlung 
an der Place des Fêtes, im Nordosten von Paris innerhalb der Stadtgrenzen, 
erklären etwa in der Lokalausgabe der Tageszeitung "Le Parisien" vom Freitag:

Hier kommt es vielleicht zu Bandenkriegen untereinander und zu Klauereien, 
aber (die Jugendlichen) gehen nicht wütend auf die Polizei los.

Den Hintergrund für die Konstitution oder Konstruktion des spezifischen 
sozialen Objekts (oder Subjekts) "Banlieue-Bevölkerung" bildet eine 
Situation, die man historisch als eine Form von "Territorialisierung der 
sozialen Frage" begreifen kann. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war die 
von besonderer Revolutionsangst gepeinigte französische Großbourgeoisie der 
Auffassung, es sei vorzuziehen, den größten Teil der "gefährlichen 
Klassen"  darunter auch die Industriearbeiterschaft  in nur wenigen 
Verdichtungsräumen rund um Lille, Paris, Lyon und Marseille anzusiedeln. 
Dadurch glaubte man, den "revolutionären Bazillus" besser unter Kontrolle 
halten und das übrige Frankreich, das agrarisch und konservativ bleiben 
sollte, als "ruhiges Hinterland" nutzen zu können. In diesem Zusammenhang 
entstanden, am Ausgang des 19. Jahrhunderts und zunächst rund um Paris, die 
Banlieues im modernen Sinne. Der ursprüngliche Begriff, der aus dem 17. 
Jahrhundert stammt, bezeichnete die "Bannmeile" (das ist die wörtliche 
Bedeutung von ban-lieue) rund um die größeren Städte, also jene Zone, die 
ein zur Verbannung verurteilter Bürger oder Untertan  unter Androhung 
strenger Bestrafung  nicht betreten durfte. Später kehrte sich die Funktion 
dieser Zonen in gewisser Weise um, sie wurden gewissermaßen zum sozialen 
"Verbannungsort" oder jedenfalls zum Sammelbecken aller 
Bevölkerungsgruppen, die in den Kernstädten nicht erwünscht waren oder dort 
keine Wohnung erwerben konnten

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es erstmals zu einer flächendeckenden 
Industrialisierung größerer Teile Frankreichs. Aber es kam zu einem 
weiteren Anwachsen der Banlieues, da in den Innenstädten ein weiterer 
Austauschprozess der Bewohner stattfand: Viele kleine Handwerker  die unter 
die Räder des ökonomischen Modernisierungsprozesses gerieten -, die 
innerstädtische Arbeiterschaft und auch die "einfachen" Angestellten wurden 
durch Mietpreis-, Stadtentwicklungs- und Städtebaupolitik zunehmend an die 
Ränder gedrängt. Diese Verdrängungspolitik hat sich in Paris besonders 
unter dem Oberbürgermeister Jacques Chirac (1977 bis 1995) verschärft und 
radikalisiert, unter anderem aufgrund eines breit angelegten 
Korruptionsnetzes im Bereich der Grundstücks- und Bauspekulation. Aber auch 
unter seinen Nachfolgern ging diese Politik in ihren Grundzügen, wenngleich 
abgemildert, fort.

Aber noch eine andere politische Verantwortlichkeit muss festgestellt 
werden: Die französische KP, die ehemals in größeren Teilen des früheren 
"roten Gürtels" rund um Paris die Rathäuser regierte, war über diesen 
Prozess ebenfalls nicht traurig. Sie glaubte dadurch, die Arbeiter und 
"einfachen" Angestellten besser unter ihrer politischen Kontrolle zu haben, 
indem diese sich in ihren Einflusszonen konzentrierten. Noch bis vor 
wenigen Jahren zogen an jedem Wahlsonntag die Anwerber der KP durch alle 
Treppenhäuser in den Hochhaussiedlungen der Trabantenstädten, damit die 
Mitglieder der Arbeiterhaushalte auch nicht vergaßen, "richtig" zu wählen. 
Von ihrem Einfluss sind heute aber nur noch Restbestände übrig.

Denn die nachwachsenden jüngeren Generationen wurden nicht mehr überwiegend 
über die Erwerbsarbeit sozialisiert  und die Fabrikdisziplin, die es 
erlaubte, die Parteidisziplin der KP als notwendiges Gegengewicht einer 
gegen die Patrons geschlossen auftretenden Klassenkampforganisation 
hinzunehmen -, sondern über die Arbeitslosigkeit. Und durch soziale 
Perspektivlosigkeit, Langeweile, oft auch Schulversagen. Dadurch lösten 
sich die früheren kollektiven Bindungen teilweise auf. Stattdessen wurde 
der Alltag in vielen Banlieues durch eine Art schleichenden Krieg "Aller 
gegen Alle" geprägt: Einer verbreiteten Mentalität zufolge hat "der 
Stärkere oder jedenfalls der Rücksichtslosere" zu überleben, die Gewalt 
gegen Frauen erreicht hohe Werte, und Markenartikel  jedenfalls bei 
Sportklamotten  sorgen für Faszination, da sie es scheinbar ermöglichen, 
auch "jemand zu sein" und "respektiert zu werden".

Die Gesellschaft in den Trabantenstädten und ihren anonymen 
Hochhaussiedlungen ist häufig atomisiert. Durchbrochen wird dieser 
Vereinzelungsprozess dann, wenn die Gesellschaft von außerhalb in das 
"Laboratorium für soziale Krisenprozesse", das die Trabantenstädte 
darstellen, namentlich in Gestalt der Staatsgewalt, einbricht. Vor allem 
dann, wenn dies in Form eines dramatischen oder markanten Ereignisses 
passiert, gegen das sich dann viele vor allem jüngere 
Akteure  vorübergehend - zusammenschließen können. In diesen Fällen 
antwortet auf die durch die Staatsmacht und durch eine verbreitete 
gesellschaftliche Wahrnehmung betriebene "Territorialisierung" (und oftmals 
auch "Ethnisierung") der sozialen Probleme der Gesellschaft in ihren 
Banlieues eine Art spiegelbildlich entgegen gesetzter Territorialisierung 
in rebellischer Absicht.

Obgleich meist ein bewusster, im engeren oder weiteren Sinne politisch 
strukturierter Veränderungswillen fehlt, nehmen viele Einwohner der 
Banlieues dennoch häufig die krassen Unterschiede in den Lebensbedingungen 
zwischen den Trabantenstädten und "draußen" wahr. Gleichzeitig erscheint 
auch die Staatsgewalt, als Hüter der vorhandenen sozialen Ordnung, die in 
den Trabantenstädten in vorwiegend repressiver Form auftritt, in der 
subjektiven Wahrnehmung vieler "Banlieusards" als eine Art äußerer 
Aggressor und Repräsentant der Ungerechtigkeit.

Dabei ist natürlich der Staat, in seinen repressiven wie seinen sozialen 
Funktionen, in Wirklichkeit keineswegs ein totaler "Fremdkörper" in den 
Trabantenstädten, wie es mancher ihrer zornigen jungen Bewohner erscheinen 
mag, die in ihm vor allem eine "mächtigere Bande, die auf unser Territorium 
eindringt und die Interessen der Ungerechten vertritt", wahrnehmen mögen. 
Die öffentliche Infrastruktur wird auch vom Großteil der Banlieue-Bewohner 
benutzt und benötigt, so dürften sehr viele von ihnen ein Konto bei der 
französischen Post unterhalten, die nach wie vor als eine "Bank der Armen" 
gilt. Wer in Frankreich aufgrund seiner finanziellen Situation oder einer 
Sperre bei einer anderen Bank kein Konto eröffnen kann, hat bei der Post 
einen Rechtsanspruch auf ein zinsfreies Konto. Aber bei den periodisch sich 
wiederholenden Zornesausbrüchen junger oder marginalisierter Einwohner der 
Trabantenstädte werden die Symbole der Staatsgewalt oft als Repräsentanten 
des Übels wahrgenommen. Deshalb auch kommt es dazu, dass - wie in 
Clichy-sous-Bois jüngst geschehen - ein Postamt oder ein Kindergarten 
attackiert werden kann, denn auf diesen öffentlichen Gebäuden wie auch auf 
den meisten Schulen flattert in Frankreich gewöhnlich eine Trikolorefahne. 
Auch Feuerwehrleute werden oft aufgrund ihrer Uniform, als vermeintliche 
Repräsentanten der Staatsautorität, angegriffen.

Diese Form von Ausbrüchen oder des "Abreagierens" hat sicherlich auch eine 
erkennbar selbstzerstörerische Komponente, wenn etwa eine allen Bewohnern 
zur Verfügung stehende Infrastruktur attackiert wird. In den jüngsten 
Ereignissen zeichnet sich freilich  anders als bei vielen sonstigen, häufig 
weitgehend "bewusstlosen" und einem ritualisierten Ablaufschema folgenden 
Unruhen in den Banlieues  ein rationales, wenngleich begrenztes Ziel vieler 
der Teilnehmer an den Unruhen ab: Auch wenn sie von der politischen 
Landschaft bisher  aufgrund mangelnden Interesses und mangelnder Nähe zu 
ihren Lebensverhältnissen  nur geringe Kenntnisse haben, so haben sie doch 
in Innenminister Nicolas Sarkozy jetzt einen gemeinsamen Feind entdeckt. 
Denn dieser erscheint derzeit in breiten Kreisen durch seine Äußerungen, in 
denen er vom "racaille" (Gesocks, Abschaum) sprach, in den Banlieues als 
Provokateur, der Öl ins Feuer goss und die Eskalation mit verschuldet hat. 
Auch seine konservativen Parteifreunde ließen ihn in den letzten Tagen 
zeitweise ganz gern allein im Regen stehen, da viele Regierungs- und 
Parteikollegen den Präsidentschaftsambitionen des hyperehrgeizigen 
Ministers und Medienlieblings gerne einen Dämpfer versetzten würden. "Wir 
machen so lange weiter, bis Sarkozy zurücktritt", sagen viele jugendliche 
Banlieue-Bewohner den in diesen Tagen in großer Zahl heranrückenden 
neugierigen Journalisten in die Mikrophone.

Links:
http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21258/1.html
http://www.afrik.com

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France in Flames

Backlash against the politics of nuance

John Horvath

08.11.2005

telepolis

For over a week, France has been burning, with the flames of discontent 
spreading far beyond from where they were originally lit. To the casual 
observer, the events to have hit France may seem sudden and 
incomprehensible. Yet what is surprising, however, is that it has taken 
this long for the ferment and rebellion, which for years had been brewing 
under the surface, to finally spew forth.

The unrest now unleashed has laid bare for all to see the discontent felt 
in France by minorities and immigrants. It is also forcing France to 
confront long-simmering anger in its poor suburbs, which ring big cities 
and where many live on society's margins, struggling with unemployment, 
poor housing, racial discrimination, crime, and a lack of opportunity.

In many ways, what has been happening in France is not all that different 
to the race riots that Britain had experienced years ago. In fact, it's 
interesting to note that the mass media has been reluctant to call the 
disturbances in France by what they really are: race riots. Meanwhile, the 
spreading of the riots is being downplayed by referring to the violence 
elsewhere in the country as "copycat" events.

The violence which has engulfed France is not something which simply began 
with the deaths of two teenagers. During the summer, there were a number of 
fires in Paris in buildings which housed asylum seekers and refugees. All 
these cases were considered a mere coincidence. No attempt has been made to 
consider the possibility of whether there is any form of linkage between 
these events and the race riots now going on throughout France. In other 
words, to what extent are the race riots a reaction to a wave of 
anti-immigrant sentiment (and violence) which has recently swept across the 
country?

Economy and the problems of race and racism

The main reason for this conspiracy of silence is the politics of nuance 
common to western European democracies, notably the UK, France, and 
Germany. In the case of France, Paris had no hesitation in lecturing 
accession members to the EU of race and racism, holding up its own society 
as a primary example of multi-culturalism and peaceful coexistence. For 
example, when Hungary was in the spotlight during the Zamony Roma affair, 
France put on a publicity stunt in where it welcomed a number of the 
refugees and offered them political asylum. The message that was being sent 
to Hungary and other countries of Central and Eastern Europe was clear: 
racism is still a problem in the east, while the west has learned to "get 
over it" and deal with minority and immigrant issues.

The ability of western democracies to "get over it" and deal with minority 
and immigrant issues is, of course, nothing more than skilful propaganda 
which seeks to drive the problems of race and racism underground. One of 
the main aspects to the political nuance behind immigration is the 
inability of western democracies to deal with growing economic problems. 
Western democracies are aging rapidly, and social security systems are 
unable to take the strain. So-called "reforms" have been difficult to 
implement in places like France and Germany, so workers are needed to help 
bridge the shortfall.

Yet these workers, mainly that of migrant labour, are exploited by a 
business culture that seeks to "liberalise" the labour market by driving 
down wages and working conditions. Since western European workers are more 
unlikely to accept such conditions, migrant workers have become essential. 
To make matters worse, many of these workers are forced by necessity to 
live in areas which are nothing more than modern-day ghettos.

It seems that this is the only way in which Europe can compete with China 
on the global market: by coming down to their level, where workers are paid 
a pittance, and a social security net is basically non-existent. Meanwhile, 
the contempt of mainstream society toward immigrants -- and migrant labour 
in particular -- although not always pronounced, is nevertheless plain to 
see. This was made quite apparent when the French Interior Minister, 
Nicolas Sarkozy, referred to the rioters as "scum".

The conditions in France which bred such violence is very much the same as 
elsewhere in the world; the grievances of an underclass are held in check 
until an event unleashes the anger and frustration which has been bottled 
up for many years, even decades. Along these lines, the situation in France 
is not that much different to what happened in New Orleans in the aftermath 
of hurricane Katrina. In both cases, even the media reaction was the same: 
shock and surprise. Yet, when looking behind the scenes, what happened in 
both cases should not have come as much of a shock nor a surprise.

Unfortunately, the lessons of the past, as with the race riots years ago in 
the UK, have not been learned. Moreover, the politics of nuance extends far 
beyond simply immigrant issues and race relations. Indeed, just before the 
race riots in France, the world media was up in arms at the comments made 
by the President of Iran that Israel should be wiped off the map. The 
indignation was such that the UN even reacted, with Kofi Annan stating that 
no member country had a right to threaten another member country. However, 
when the White House a few years ago talked of a "silver bullet" to get rid 
of Saddam Hussein and openly threatened Iraq with attack (which it 
subsequently did), there was no such uproar and indignation from heads of 
state or Kofi Annan at the UN. Likewise, there was no global shock when an 
American evangelist a few months ago commented that Hugo Chavez of 
Venezuela should be "taken out".

The difference between "taken out" and "wiped off" is of the same kind of 
political nuance and hypocrisy which has led major western democracies to 
lecture other countries on human rights and minority issues, while 
themselves ignoring these very same problems at home  to the point of 
denial. The race riots in France is a reminder, therefore, that such double 
standards will indubitably fail, and that the more such problems are hidden 
from view and denied, the bigger will be the explosion when it eventually 
does come.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21296/1.html


Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
     Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
     fon: +43 6132 24590, Informationen/ informations,
     Impressum in: http://www.begegnungszentrum.at
Spenden-Konto Nr. 0600-970305 (Blz. 20314) Sparkasse Bad Ischl, 
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