[E-rundbrief] Info 281 - RB 118 - Gazastreifen - Israel
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Mi Sep 7 17:26:43 CEST 2005
E-Rundbrief - Info 281: Rundbrief Nr. 118 - Noam Chomsky: Der
"Gazastreifen-Räumungsplan"; Uri Avnery: Teure Siedler. Briefe an die
Siedler, an die Yesha, die Medien, Sharon und Prof. Leibowitz (in Israel).
Bad Ischl, 7.9.2005
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Der "Gazastreifen-Räumungsplan"
von Noam Chomsky
ZNet 23.08.2005
Jede vernünftige israelische Regierung würde die israelischen Siedlungen im
Gazastreifen, wo ungefähr 8000 Siedler einen großen Teil des Landes und der
Ressourcen in Anspruch nehmen und von großen Truppenkontingenten beschützt
werden müssen, räumen wollen.
Weitaus rationaler ist es, da die Besatzung aus dem Gazastreifen einen
extrem elenden Ort gemacht hat, den Gazastreifen zu verlassen und es als
ein Gefängnis zu hinterlassen, in dem die Bevölkerung verrotten kann. Der
"Gazastreifen-Räumungsplan" ist, genau gesagt, ein
US-amerikanisch-israelischer Plan des Westjordanland-Ausbaus, ersonnen
damit sich Israel wertvolles Land und Ressourcen des Westjordanlands
einverleiben kann, und um die Palästinenser in ein paar unwirtlichen
Bantustans zu belassen, welche die USA und Israel als "Staat" bezeichnen
können so ähnlich wie Südafrika die Bantustans "unabhängige Staaten" nannte.
In Israel findet zur Zeit eine große Aufregung um die Tragödie der Siedler
statt, die großzügig subventioniert wurden, um sich illegal im Gazastreifen
anzusiedeln, wo sie die Bevölkerung gepeinigt und terrorisiert haben und
deren Land und Ressourcen gestohlen haben und die jetzt von der selben
guten Fee (den amerikanischen Steuerzahlern) subventioniert werden um
woanders anzusiedeln. Die Menschen tragen Orange etc.. Wie die besseren
israelischen Journalisten ausdrucksvoll beschrieben haben, ist dies eine
Schmach und Schande. Das selbe gilt für das "Trauma" von den Juden, die
andere Juden zur Räumung zwingen. Falls Scharon die Siedler lautlos
entfernen will, gibt es nichts leichteres. Er müsste lediglich
bekanntgeben, dass die Israelische Armee am Datum X abgezogen wird und
ein paar Wochen vorher wären die Siedler verschwunden.
Das ganze ist hauptsächlich eine zynische Show, um die
US-amerikanisch-israelischen Ausbauprogramme im Westjordanland zu
rechtfertigen.
Originalartikel: Noam Chomsky: The "Gaza Disengagement Plan". 23.07.2005
Übersetzt von: Jörn Ehrentraut
Siehe auch E-Rundbrief Infos Nr. 264, 265, 266, 268 und 269 in
www.begegnungszentrum.at/archiv/
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An den Ministerpräsidenten, Schalom
...
Wenn Sie nicht schnell mit den Palästinensern zu einem historischen
Kompromiss kommen, werden Sie selbst die Realisierung der von Binyamin
Netanyahu gemachten Prophezeiung erleben: eine 3. Intifada wird ausbrechen,
und der Gazastreifen wird zu einer Bühne für Mörsergranaten und
Kassam-Raketen werden.
Teure Siedler
Briefe an die Siedler, an die Yesha, die Medien, Sharon und Prof. Leibowitz
Uri Avnery
Teure Siedler
"teuer" im buchstäblichsten Sinn.
Endlich muss es ausgesprochen werden, ohne scheinheiliges Mitleid, ohne
"Wenn" und "Aber".
Wir haben Milliarden Schekel gezahlt, um Euch im Gazastreifen anzusiedeln.
Wir haben Milliarden bezahlt, um Euch dort zu halten und die meisten von
Euch lebten dort auf unsere Kosten. Wir haben Milliarden gezahlt, um Euch
zu verteidigen und Dutzende Soldaten und Soldatinnen verloren dabei ihr
Leben. Nun zahlen wir Milliarden (acht? zehn? zwölf?), um Euch dort
herauszuholen mit großzügigen Entschädigungen.
Aber das ist noch nicht alles. Noch immer schreit Ihr, als ob Ihr noch
einmal beraubt worden wäret. Wir würden Euch noch viel mehr schulden. Ganze
Landstriche am besten entlang der Küste sollen speziell für Euch
reserviert werden, damit Ihr Euch "als ganze Siedlungen" wieder ansiedeln
könnt. Damit Ihr für Euch abgesondert leben könnt. Damit Ihr Eure eigenen
besonderen Schulen haben könnt. Damit Ihr als Angestellte der Regierung als
örtlicher Gemeinderat vom Kultus- und Verteidigungsministerium Gehälter
beziehen könnt.
Ich weiß nicht, ob es im Guinnessbuch der Rekorde einen Abschnitt über
Wettbewerbe von Unverschämtheit, Dreistigkeit und Frechheit gibt auf
jiddisch kurz Chutzpe. Wenn ja, dann solltet Ihr den Preis konkurrenzlos
erhalten. In der Vergangenheit schuldeten wir jedem einzelnen von Euch eine
Luxusvilla für fast nichts, außerdem die Quelle des Lebensunterhalts, Land,
Wasser jetzt scheint es, wir schulden Euch alles, es sei Euer Recht, Euch
selbst am Geld der Kranken, Alten, Behinderten, Kinder, Arbeitslosen zu
bedienen, weil Ihr die Besten der Besten seid; weil Ihr den Bart des
Messias fest haltet; weil Ihr persönlich von Gott auserwählt wurdet.
Ich hätte mit Euch in Eurer Notlage etwas Sympathie gehabt, wenn Ihr nur
etwas Mitleid mit den Bewohnern der 1500 palästinensischen Häuser gehabt
hättet, die Euretwegen zerstört worden waren es ist eine größere Zahl an
Häusern als die der Siedler, die jetzt zerstört werden. Wenn Ihr Mitleid
für die Kinder ausgedrückt hättet, die innerhalb einer halben Stunde aus
ihren Häusern vertrieben wurden ohne Entschädigung, ohne Hotel und ohne
die Hilfe von Psychologen - oder für die Tausende entwurzelter Bäume, um
Euch mehr "Sicherheit" zu geben.
Der gute Rabbi Hillel sagte vor 2000 Jahren, als er einen Totenschädel im
Fluss vorbeischwimmen sah: "Der du andere ertränkt hast, so bist du
ertränkt worden ..."
Und bitte, erinnert Euch daran: die Rechnung wurde nicht "vom Staat", einer
anonymen Institution, gezahlt, sondern von mir und dem israelischen Leser
dieser Zeilen, aus unsern Geldbeuteln.
An den "Yesha-Rat" ( Vertreter der Siedler), Schalom
Das war es nun. Der Bluff ist beendet. Die Seifenblase ist geplatzt.
Seit Monaten habt Ihr uns in Schrecken versetzt, habt uns mit
Phantasiezahlen bombardiert: einhunderttausend Demonstranten,
einhundertfünfzigtausend. "Alles in allem haben wir zwei Millionen Menschen
mobilisiert". Das würde heißen: fast 40% der israelischen Juden.
Und Ihr drohtet uns: Das ist noch nichts. Im richtigen Augenblick werden
Hunderttausende nach Gush Katif marschieren. Zehntausende Soldaten und
Offiziere werden die Befehle verweigern. Alle Straßen im Lande werden
blockiert sein. Der Staat wird zum Stillstand kommen. Das ganze Volk wird
sich erheben und den bösen Plan jenes Mannes zunichte machen von jenem
einen, einzigen Mann der Euch, die "Erlöser des Landes", aus dem
Gazastreifen verjagen will.
Und was geschah dann? Der Himmel stürzte nicht in sich zusammen. Nicht eine
einzige Straße wurde blockiert. Nur eine Handvoll Soldaten verweigerte die
Befehle viel weniger als die Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen
aus dem Friedenslager. Und im Gegensatz zu ihnen war keiner bereit, für
ein Jahr oder länger ins Gefängnis zu gehen.
Und was noch wichtiger ist: Ihr seid allein geblieben. Ganz allein. Das
wurde schon vom ersten Augenblick an deutlich, bei Eurer großen
Demonstration, bei der fast niemand teilnahm, der nicht eine gehäkelte Kipa
der National-Religiösen trug oder eine größere Kipa der zur "Religion
zurückgekehrten Juden. Kein anderer Teil der Bevölkerung hat sich Euch
angeschlossen: nicht die Linken, nicht das Zentrum, nicht die Säkularen vom
rechten Flügel oder gar die Orthodoxen. All die arrogante Protzerei, die
wir morgens und abends hörten, platzte wie eine Seifenblase.
Nichts davon blieb außer der "Mutter aller Fehlschläge". Doch statt voller
Scham sich nun von der Bühne zurückzuziehen, um in sich zu gehen und das
Misslingen zu schlucken, verbleibt Ihr auf dem Gipfel der Chuzpe und macht
weiter, als wäre nichts geschehen.
An die Medien, Schalom
Entschuldigen Sie mich, da ich Sie anrede, als wären Sie eine einzige
Person. Zwar bestehen Sie aus vielen Zeitungen, Radiostationen und
Fernsehnetzwerken, aber ich wende mich an Sie im Singular, weil Sie während
der letzten Wochen wie eine einzige Person reagierten. Sie sprachen alle
wie eine Person, in ein und demselben Stil, in einer Terminologie. Und alle
von Ihnen von wenigen abgesehen haben Ihre Pflicht verraten.
Wochenlang haben Sie für die Siedlerpropaganda eine Plattform bereit
gestellt. Alle Zeitungen, alle Radiostationen. Alle Fernsehnetzwerke. 24
Stunden am Tag. Sieben Tage in der Woche. Jedes Murren, jeder Rülpser der
Siedler wurde zur Schlagzeile, ja eine Sensation. Die Stimme des
Friedenslagers wurde kaum gehört; die konsequentesten Gegner der Siedler
wurden überhaupt nicht wahrgenommen.
Sie haben uns eine Stunde nach der anderen in ein Meer von Kitsch geworfen:
Geschrei und Heulerei, angebliche Hysterie und wirkliche Hysterie. Eine
unendliche Reihe von Szenen, die sorgfältig für das Fernsehen mit der
bewussten Absicht vorbereitet wurden, "dies in unser Bewusstsein zu
brennen" und ein "Trauma zu schaffen". Vom Dach der Sanur-Festung rief das
Knessetmitglied Aryeh Eldad nach "Käfigen", um die tragische Unterwerfung
der Helden zu inszenieren, und kein einziger Reporter zitierte das
jiddische Sprichwort : "Ihr Meschiggener, herub vum Dach!" (Ihr Verrückten,
runter vom Dach!). Anstelle von Tatsachenberichten wurden wir mit
emotionell beladenen Worten überflutet, wie "herzzerreißende Anblicke",
"schrecklicher Schmerz", "wundervolle Jugend". (Nur gelegentlich schlüpfte
eine wahre Szene mit ein: das mit seiner Mutter betende Kind, dem klar
wurde, dass die Evakuierung weiter ging, rief voller Staunen aus: "Mama, es
hat nicht geholfen!")
Während all dies weiterging wo waren denn die Enthüllungsreporter? Warum
wurde uns nichts über die wirkliche Zahl der Demonstranten gesagt? Wer ist
dieser "Yesha-Rat"? Wer wählte ihn? Welchen rechtlichen Status hat er?
Woher kommen die Millionen, die von ihm bei dieser Kampagne verschwendet
werden? Warum hat keiner nachgeforscht, auf welchem Feld dieses wilde
Unkraut wächst? Was geschieht in dem autonomen "religiös-staatlichen"
Erziehungssystem, das auf unsere Kosten diese fanatischen Rowdys produziert ?
Und warum hat niemand die Farce dieser selbst deklarierten Stalingrads und
Massadas aufgedeckt, deren Helden genau wussten, dass niemand Tränengas
oder Schlagstöcke gegen sie einsetzen würde und dass alle Verhafteten am
nächsten Tag frei gelassen werden?
An den Ministerpräsidenten, Schalom
Ich entschuldige mich. Ich hatte wirklich nicht geglaubt, dass Sie die
ganze Geschichte bis zum Ende durchziehen würden. Doch Sie führten aus, was
Sie versprochen hatten. Und es ist wirklich nicht wichtig, warum. Ob Sie
letzten Endes keine Alternative hatten oder ob Sie von Ihrem eigenen
Schwung mitgerissen oder von den Amerikanern gezwungen wurden, dies zu tun. ...
Der wirkliche Test beginnt nämlich erst jetzt. Ihre Aktionen während der
nächsten Tage werden entscheiden, ob Sie einen ehrenvollen Platz in der
Geschichte gewonnen haben oder als ein Tor in Erinnerung bleiben.
Ein anderer Ministerpräsident, der britische Staatsmann David Lloyd-George,
sprach, während er die Abtrennung von Irland zu rechtfertigen versuchte,
über die Unmöglichkeit, mit zwei Sprüngen über einen Abgrund zu springen.
Sie befinden sich jetzt genau in dieser Situation. Sie haben mit ihrem
Sprung begonnen. Der Abgrund liegt unter Ihnen. Wenn Sie inne halten,
werden Sie hineinfallen.
Wenn Sie nicht schnell mit den Palästinensern zu einem historischen
Kompromiss kommen, werden Sie selbst die Realisierung der von Binyamin
Netanyahu gemachten Prophezeiung erleben: eine 3. Intifada wird ausbrechen,
und der Gazastreifen wird zu einer Bühne für Mörsergranaten und
Kassam-Raketen werden.
Jetzt ist keine Zeit, um über die nächsten Wahlen nachzudenken, sich über
die Landaus und Netanyahus, über Likud A und Likud B Sorgen zu machen.
Jetzt ist die Zeit, den Blick zu heben und die historische Gelegenheit in
Angriff zu nehmen.
Das ist Ihr Test und nur dieser wird entscheiden, ob der Rückzug aus dem
Gazastreifen nur noch eine unbedeutende Episode oder ein historischer Akt
gewesen ist.
Liebe Beschwichtigungspolitiker
Da sind Sie wieder, wie die sprichwörtlichen Pilze nach dem Regen. Sie
wollen beschwichtigen, versöhnen, die Kluft überbrücken.
Da gibt es gar keine Kluft. Im Gegenteil bei dieser Angelegenheit war sich
das Volk auf eine eindrucksvolle und sogar erstaunliche Art und Weise einig.
Es gibt keine "Kluft", sondern eine unvermeidliche Konfrontation zwischen
der großen Mehrheit der Öffentlichkeit und einer kleinen separatistischen
Sekte. Wenn ein Beweis nötig ist: die Siedler selbst kommen und verlangen
besondere Örtlichkeiten in Israel mit besonderen Schulen sogar vom normal
religiös-zionistischen Sektor abgetrennt.
Die israelische Öffentlichkeit wünscht fast einstimmig einen Staat, der
sich auf das Gesetz gründet, einen demokratischen Staat, in dem die
Mehrheit entscheidet und die Rechte der Minderheit respektiert wird; einen
normalen, freien und rationalen Staat; einen Staat mit Grenzen und einer
Verfassung; einen Staat, der zur fortschrittlichen Menschheit gehört; einen
Staat, der alle Religionen achtet, sich aber keiner Religion unterwirft.
Gegen diesen Staat hat sich eine fanatische Sekte erhoben, eine Sekte, die
einen anderen Staat errichten will: einen auf den jüdischen Glauben
gegründeten, nationalistischen und rassistischen Staat, der vom göttlichen
Gesetz regiert wird, so wie ihre Rabbiner dieses interpretieren. Sie wollen
einen Staat, dessen Ziel es ist, das ganze Land Israel zu erobern, seine
"fremden" (d.h. die arabischen) Bewohner zu vertreiben und es mit
Siedlungen zu füllen.
Zwischen diesen beiden Konzepten kann es keinen Kompromiss geben, auch
keinen falschen; denn der vorgeschlagene Kompromiss geht immer nur in eine
Richtung, die Kapitulation des Staates Israel. Das wäre der erste Schritt
zur Liquidation der israelischen Demokratie. Die ideologische Unklarheit
ist ein Nebelschleier, hinter dem Zerstörungskräfte wirken. Es wird das
genaue Gegenteil verlangt: ein helles, gnadenlos aufdeckendes Licht, damit
jeder in Israel verstehen wird, um was es bei diesem Kampf geht.
Nicht Beschwichtigung, sondern Mobilisierung für die Verteidigung unserer
Demokratie ist nötig.
Lieber Professor Yeshayahu Leibowitz, Frieden sei Ihrer Seele
Sie sagten mir einmal: als die Anhänger des muslimischen Predigers Muhammad
ibn Abd-al Wahab Mekka eroberten, war die Zerstörung des Grabes des
Propheten Muhammad das erste, was sie taten, damit die Gläubigen keine
Steine anbeten sollten . Nun wird behauptet, dass die Zerstörung der
Synagogen von Gush Kativ, die erst vor wenigen Jahren gebaut wurden, gegen
irgend ein göttliches Gesetz verstoße.
Mit Ihrer scharfen Zunge würden Sie, ein orthodoxer Jude, diese Scharlatane
vernichten,
so wie Sie einmal die Klagemauer eine "religiöse Diskothek" genannt haben.
Wir vermissen Sie.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
http://www.uri-avnery.de
erstellt am 27.08.2005
Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
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