[E-rundbrief] Info 275 - RB 118 - A. Kirchmayr: Humor

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Di Sep 6 11:42:02 CEST 2005


E-Rundbrief - Info 275: Rundbrief  Nr. 118 - Alfred Kirchmayr: Humor - ein 
Kind der Lebensfreude. Adieu Spaßgesellschaft! Adieu tierischer Ernst! 
Humor ist "Ernstheiterkeit".

Bad Ischl, 6.9.2005

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Humor - ein Kind der Lebensfreude

Alfred Kirchmayr

  "Es ist leicht, das Leben schwer zu nehmen. Und es ist schwer, das Leben 
leicht zu nehmen"(Erich Kästner).

  "Als ich jung war, habe ich vergessen zu lachen. Erst später, als  ich 
meine Augen öffnete und die Wirklichkeit erblickte,  begann ich zu lachen 
und habe seither nicht mehr aufgehört"  (Sören Kierkegaard)

*Adieu Spaßgesellschaft!

Heiner Boberski hat die Spaßgesellschaft analysiert, ihre Oberflächlichkeit 
und vielfältige Verdrängungsfunktion aufgedeckt: "Vom stets oberflächlichen 
Spaß führt selten ein Weg zur wirklichen Freude, die das Gemüt zu erhellen 
imstande ist, eben zur Lebensfreude. Lebensspaß, was wär´ denn das?...Die 
Party ist vorbei. Wer sich noch länger nur der Unterhaltung und dem 
Vergnügen hingibt, tut das auf Kosten künftiger Generationen und des 
sozialen Friedens auf unserem Planeten. Wir brauchen keine die Gefahren 
ignorierende "Spaßgesellschaft", auch keine todernste 
"Antispaßgesellschaft" oder eine die Lage noch verschärfende, auf Gewalt 
setzende "Ellbogengesellschaft", sondern eine ernsthaft solidarische 
´Zivilgesellschaft´" (2004, 9, 210).

Im Wiener Diplomatenmilieu ist unlängst etwas passiert, das die 
Spaßgesellschaft in ihrem Wesen entlarvt. Alle zwei Wochen gab es tolle 
Partys für etwa 30 Personen. Eines Tages hat sich eine 27jährige 
Teilnehmerin dieser Gruppe das Leben genommen. Als dies bei der nächsten 
Party bekannt wurde, gab es folgende Kommentare: "Die Manuela hatte doch 
immer so schöne Kleider an!"  "Sie war doch immer so lustig!"  "Sie machte 
hervorragend gute Brötchen, Aufstriche und Salate!"  Das war´ s und der 
Spaß ging mehr oder weniger ungetrübt weiter. Unter der Oberflächlichkeit 
und unheimlichen Gleichgültigkeit eines solchen Gesellschaftsspiels 
herrschen vielfältige Probleme. Einsamkeit, Isolation und Sinnlosigkeit 
werden übertüncht vom Spaß.

Peter Turrini hat die verborgene Tragik auf den Punkt gebracht: "Die 
aktuellste Ausgabe des Menschen ist das autonome Monster, Selbstdarsteller 
in einem Einpersonenstück voller Sehnsucht nach dem Anderen und voller 
Angst vor dem Anderen
"

*Adieu tierischer Ernst!

Erich Kästner hat in den 5oer-Jahren die Einführung eines neuen 
Unterrichtsfaches verlangt, nämlich "Lachkunde". Wir sollten mehr zu 
innerer Heiterkeit erzogen werden, statt ein Leben lang mit den 
"Dackelfalten der Probleme auf der Stirn herumzurennen". Und er meinte in 
einem Artikel mit dem bezeichnenden Titel "Humor  das ernsteste Thema der 
Welt" (1953): "Die deutsche Literatur ist einäugig. Das lachende Auge 
fehlt". Zwar gibt es bei allen Völkern Humor, aber nur bei wenigen 
Menschen  und in der deutschen Literatur ist er selten zu finden. Die 
deutschen Denker nehmen meist nur das Ernste ernst, nicht die heitere Muse, 
den Humor, der das "höchste Kleinod der leidenden Erdkrustenbewohner" 
darstellt.

Auch Egon Friedell klagt diese einseitige Ernsthaftigkeit an: "Das 
schlimmste Vorurteil, das wir aus unserer Jugendzeit mitnehmen, ist die 
Idee vom Ernst des Lebens. Daran ist die Schule schuld. Die Kinder haben 
nämlich den ganz richtigen Instinkt: sie wissen, dass das Leben nicht ernst 
ist, und behandeln es als ein Spiel und einen lustigen Zeitvertreib. Aber 
dann kommt der Lehrer und sagt: `Ihr müsst ernst sein. Das Leben ist es 
auch`". Es ist schon so. Wir neigen dazu, uns selbst und das Leben tierisch 
ernst zu nehmen  nach dem Motto: "Ich gehe vor die Hunde  gehst du mit?"

Aber was macht denn das Wesen des Humors aus? Im landläufigen Sinn versteht 
man darunter alles, was mit Witz, Spaß, Ironie, Lachen und Clownerie zu tun 
hat. Diese höchst verschiedenen Verwandten müsste man als die Familie des 
Komischen bezeichnen. Denn der eigentliche, der große Humor ist etwas 
anderes. Humor ist eine Frucht menschlicher Reife und Versöhntheit mit sich 
selbst und mit dem Leben, trotz allen Elends, trotz aller Enttäuschungen 
und Beschränktheiten. Man kann alles humorvoll oder humorlos sehen, 
auffassen, machen und erleben.

Kurz möchte ich die große Familie des Komischen und die kleinen Geschwister 
des Humors vorstellen  es gibt wie in jeder Familie darunter auch schwarze 
Schafe. Gemeinsam ist den Inkarnationen des Komischen, dass sie in 
unterschiedlichster Weise zum Lachen reizen und ein Naheverhältnis zu 
bestimmten psychischen Kräften haben. Der Witz steht dem Intellekt nahe und 
äußert sich vor allem durch Wortspiel, Gedankenspiel und Mehrdeutigkeit. 
Der Spaß dagegen hat einen starken Bezug zur Vitalsphäre und kann sehr derb 
werden. Der Spott steht den Kräften der Aggression, der moralischen Kritik 
und dem Hass nahe und äußert sich besonders beißend  in Sarkasmus und 
Zynismus. Dagegen nährt sich der Humor aus den Kräften der Liebesfähigkeit, 
des Gemüts, des Wohlwollens und der Sympathie.

Natürlich gibt es immer auch Mischformen, zum Beispiel humorvolle, aber 
auch ironische, sarkastische und zynische Witze. Während Humor versöhnlich 
und wohlwollend ist, wächst die Tendenz zur Verletzung und Entwertung bei 
seinen Verwandten Witz, Ironie, Satire, Sarkasmus und gipfelt im Zynismus. 
Entsprechend unterschiedlich ist auch die Art des Lachens, die durch diese 
Formen des Komischen ausgelöst wird: mildes, wohlwollendes, 
versöhnliches  Lachen, herabsetzendes, verletzendes, entwertendes, 
vernichtendes, ja tödliches Lachen.

* Humor ist "Ernstheiterkeit"

Der Theologe Hugo Rahner charakterisiert Humor als "Ernstheiterkeit" - eine 
geniale Wortprägung. Nur ein Mensch, der sich selbst und andere Menschen 
ernst nimmt, kann eine humorvolle Lebenseinstellung entfalten. "Humor ist, 
wenn man trotzdem lacht" - so sagte es bekanntlich Otto W. Bierbaum. Und 
Peter Altenberg nannte ihn den "Schwimmgürtel des Lebens". Denn in der 
humorvollen Einstellung betrachten wir alle schmerzlichen Dinge des Lebens 
wie durch ein umgedrehtes Fernrohr und gewinnen so heilsame Distanz. Der 
Clown als zentrale Figur des Humors bringt diese beiden Seiten durch ein 
lachendes und ein weinendes Auge zur Darstellung. Man kann lächeln, obwohl 
es zum Weinen wäre.

Humor können wir nur im Abstand zu den Dingen unseres Interesses 
entwickeln. Jede Umklammerung durch diese Dinge macht uns humorlos. Humor 
bezeichnet also eine seelische Grundhaltung heiterer Gelassenheit, in der 
der Humorvolle die auch leidvollen Gegebenheiten des Lebens gleichsam von 
einer höheren Warte aus betrachten kann. Humor entsteht aus einer Mischung 
von warmer Anteilnahme und heiterer Distanz und wird von Wohlwollen und 
Sympathie genährt.

Deshalb hat Humor viel mit Weisheit zu tun. Ein tiefsinniges Gebet von 
Friedrich. Ch. Oetinger aus dem 18. Jh. bringt dies zum Ausdruck: "Gott, 
gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. 
Den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Und die Weisheit, das 
eine vom anderen zu unterscheiden".

Der 70jährige Sigmund Freud hat eine eindrucksvolle Studie über den Humor 
verfasst: "Der Humor hat nicht nur etwas Befreiendes wie der Witz und die 
Komik, sondern auch etwas Großartiges und Erhebendes
.Der Humor ist nicht 
resigniert, er ist trotzig, er bedeutet nicht nur den Triumph des Ichs 
sondern auch des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen 
Verhältnisse zu behaupten vermag".

Humor erwächst aus der Synthese von kindlicher Torheit und erwachsener 
Weisheit. Er bewirkt Bewusstseinserweiterung und Bewusstseinserheiterung. 
Sein Wesen ergibt sich aus der Integration von Widersprüchen, die unser 
Leben bestimmen: Ernst und Heiterkeit, Trauer und Freude, Unglück und 
Glück, Optimismus und Pessimismus, Spiel und harte Arbeit, Protest und 
Versöhnung, Widerstand und Ergebung.

Schließen möchte ich mit dem weisen Rat von Friedrich Nietzsche: "Seit es 
Menschen gibt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das allein, meine 
Brüder, ist unsere Erbsünde! Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen 
wir am besten, anderen wehe zu tun und Wehes auszudenken".

Alfred Kirchmayr. Dr. theol., Dr. phil.( Psychologie/ Soziologie): 
Psychoanalytiker, Fachhochschullehrer, Wissenschaftspublizist 
und  Witzlandschaftspfleger Korrespondenz: alfred.kirchmayr at aon.at

Buchempfehlung

Bremmer Jan u. a. (Hg.): Kulturgeschichte des Humors. Darmstadt 1999

Boberski Heiner: Adieu, Spaßgesellschaft. Wollen wir uns zu Tode amüsieren? 
Wien 2004

Freud Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Der Humor. 
Frankfurt 1992

Hirsch Eike Christian: Der Witzableiter. München 2001

Alfred Kirchmayr hat mit Erwin Ringel gemeinsam veröffentlicht: 
Religionsverlust durch religiöse Erziehung. (Wien 1985, Neuauflage 2004, 
Verlag Der Apfel, Wien, € 21,-)


Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
     Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Austria,
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