[E-rundbrief] Info 261 - Werlhof C. - Krieg als System, Frauen

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Sa Jul 30 11:46:55 CEST 2005


E-Rundbrief - Info 261 - Claudia von Werlhof: Thesen zu Frauen und 
Krieg  -  Was heißt "Krieg als System"?

Bad Ischl, 30.7.2005

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Claudia von Werlhof

Thesen zu Frauen und Krieg  -  Was heißt "Krieg als System"?

1. These:

Der Krieg ist die grundsätzliche Negation der Möglichkeit des Friedens. 
Friede wird dabei verstanden als eine Lebensweise des Liebens, Hegens, der 
Freundschaft und der Schonung ebenso wie der Freiheit (Grundbedeutung von 
fridu, fribu und fri, nach Wahrig).

2. These:

Der Krieg ist damit die radikalste Methode der Distanzierung, Trennung und 
Abstraktion von jeder Gemeinschaft, Kultur, vom Leben und von der Natur, 
insbesonders aber immer von Frauen und Kindern. Der Krieg ist Hybris, indem 
er sich außerhalb des Zivilen, der Zivilisation im ursprünglichen Sinne, 
stellt.

3. These:

Krieg ist der Versuch so zu tun, als sei eine Autonomie, also eine 
Unabhängigkeit gegenüber dem Leben, der Kultur, Frauen und Kindern, 
Pflanzen und Tieren überhaupt möglich. Der Krieg läßt den Alltag, seine 
Regeln und Gesetze hinter sich. Er ist eine Art vorweggenommene Utopie 
davon, dass es möglich sein soll, im Gegensatz zu und in Distanz von allem 
zu existieren, was man sonst als Lebensgrundlagen betrachtet.

4. These:

Da es in der Realität letztlich aber nicht möglich ist, im Gegensatz zu 
Natur und Kultur zu leben, ist der Krieg immer mit einem großen Aufwand an 
Lügen und Propaganda verbunden, die verschleiern sollen, dass der Krieg 
parasitär ist und deshalb immer räuberisch und vernichtend auch dort wirkt, 
wo er nicht unmittelbar tobt. Er usurpiert die (Lebens-) Mittel, die er 
braucht, von anderen und verschwendet sie für seine Zwecke. Der Krieg ist 
wie ein "Saugapparat" (frei nach Rosa Luxemburg), der die Lebensgrundlagen 
aus seiner Umgebung abzieht und liquidiert. Auf diese Weise hat der Krieg 
die Tendenz, alle Menschen und Gebiete zu betreffen und nicht nur die 
unmittelbar angegriffenen.

5. These:

Der Krieg führt zu einer Haltung des grundsätzlichen Zynismus und der 
Verachtung gegenüber dem Leben, Frauen, Kindern, Müttern, dem Alltag, der 
Normalität und den Regeln einer Kultur sowie allen Naturerscheinungen. Er 
verhöhnt sie, da und indem er sie seinen Zwecken unterwirft (vgl. Begriff 
des "Kollateralschadens"). Entsprechend bagatellisiert er auf der anderen 
Seite die Gewalt und glorifiziert Mörder als Helden. Dadurch kommt es zu 
einer vollkommenen Umschichtung und Verkehrung aller Werte, insbesondere 
denen, die mit dem Frieden zu tun haben. Im Krieg wird zwischen wertem und 
unwertem Leben unterschieden und der Wert der Vernichtung des Lebens 
gepriesen. Man beginnt, auch generell der Gewalt zu glauben, ein "falsches" 
Leben breitet sich aus. Die Gewalttäter werden als "Elite" verehrt.

6. These:

Der Krieg verursacht eine Traumatisierung. Er zerstört auch die 
Überlebenden, indem er ihnen die Lebensfreude nimmt. Er vernichtet die 
Selbstverständlichkeit herrschaftsfreier Existenz und das Gefühl, dass man 
lebt, um froh zu sein. Der Krieg vertreibt das Lachen, das Lächeln, das 
Vertrauen, die Liebe, die Vielfalt der Lebensformen, die Geborgenheit, die 
angeborene Unschuld und die Freundlichkeit in der Begegnung.

7. These:

Diese Negativität des Krieges ist ansteckend und verbreitet sich ist wie 
eine Epidemie. Fast alle, die den Krieg erleben, halten ihn am Ende für die 
eigentliche Wahrheit des Lebens und der Gesellschaft. Da die Zerstörung 
geschieht, wird sie für die einzige, wenn nicht einzig mögliche Realität, 
oder gar Normalität gehalten. Man richtet sich darin ein, reduziert, 
verängstigt, verkümmert, diszipliniert und gepanzert. Das Herz verkümmert 
(Untersuchungen über Opfer des Polpot-Regimes in Kambodscha haben ergeben, 
daß der lange Terror, dem sie ausgesetzt waren, in vielen Fällen 
tatsächlich zum Schrumpfen einzelner Organe, inklusive des Herzens, geführt 
hat).

8. These:

Die Reduktion von Lebensmöglichkeiten im Krieg führt aber auch zu einer 
Verschiebung der Lebenskräfte in die umgekehrte Richtung. Leben, das nicht 
gelebt werden kann, tendiert dazu, als perverse, sadistische oder 
masochistische Lust an der Gewalt, an der Tortour und am Töten 
wiederzukehren (Eros wandelt sich in Tanathos, verstanden als 
"Tötungstrieb"). Das "eigentliche" Leben erscheint nun in  Form der Gewalt 
gegen das Leben. Vitalität wandelt sich in Aggression. Leben wird "ersetzt" 
durch Kämpfen.

9. These:

Auf diese Weise hat der Krieg Verletzungen für die Physis und die Psyche 
zur Folge, die so gut wie nie wiedergutgemacht werden, und die sich von 
Generation zu Generation weiter anhäufen. Daher erscheint es so, als sei 
die Rückkehr zum Frieden eine Illusion, und als müsse man sich mit einem 
"Frieden" begnügen, der lediglich in der periodischen Abwesenheit des 
"heißen Krieges" besteht ("kalter" Krieg und "kalter" Frieden). Die 
angehäuften Kriegserfahrungen aus vielen Generationen bilden entsprechend 
eine Art "morphogenetisches Feld" (Sheldrake), an dem spätere 
Kriegshandlungen immer wieder anknüpfen können. Umso mehr sich die 
Kriegserfahrungen akkumulieren, desto größer ist die Chance für den Krieg, 
immer wiederzukehren.

10. These:

Krieg ist immer Terror, insbesondere gegen Frauen, Mütter und Kinder. Die 
Behauptung der Kriegsherren, einen Krieg für die Frauen bzw. aus 
sogenannten humanitären Gründen zu führen, ist daher in ihrer Obszönität 
nicht zu überbieten (dieses Argument gilt weit über den Kosovo, Afghanistan 
und den Irak hinaus). Auch die Behauptung, die Zulassung der Frauen zur 
bewaffneten Truppe sei ein Fortschritt des Feminismus oder der 
Gleichbehandlung und Emanzipation von Frauen, stellt die größte Verhöhnung 
von Frauen dar. Denn das würde bedeuten, dass Frau in ihrer Erniedrigung, 
Vergewaltigung und Ermordung untereinander eine Befreiung sehen sollen. 
Eine Gleichberechtigung und Emanzipation kann hier nur in derjenigen der 
Männer vom Krieg bestehen. Anstatt, dass nun auch noch die Frauen mit dem 
Töten anfangen, sollten die Männer umgekehrt endlich damit aufhören.

11. These:

Da Frauen das Leben hervorbringen, es versorgen und lieben, sind sie immer 
die Hauptgegnerinnen jedes Krieges gewesen. Denn der Krieg bringt sie um 
ihre L(i)eben, um ihre Arbeit und um ihre Kultur. Der Krieg hat inzwischen 
aber auch viele Frauen dazu veranlaßt, wie Männer an ihn zu glauben, ihn 
für die einzige Wahrheit zu halten und mit dem Leben nichts mehr zu tun 
haben zu wollen (vgl. die postmoderne Gender-Debatte). So glauben 
inzwischen immer mehr Frauen, den Krieg negieren zu können, indem sie sich 
nicht mehr als Frauen, also als "Opfer" verstehen. Andere nehmen die 
scheinbare Unabwendbarkeit des Kriegs zum Anlaß, ihn letztendlich zu 
akzeptieren und sogar, sich an ihm zu beteiligen.

12. These:

Die meisten Menschen halten, der Kriegspropaganda entsprechend, den Krieg 
für einen ewigen Bestandteil der Menschheitsgeschichte. Dies ist falsch. 
Der Krieg existiert nachweislich seit bestenfalls 7000 bzw. 5000 Jahren, 
was einen nur sehr kurzen Zeitraum in der Geschichte menschlichen Lebens 
bedeutet. Krieg ist eine Begleiterscheinung der Entstehung von 
Patriarchaten und beginnt mit dem Angriff auf matriarchale Hochkulturen.

13. These:

Ein weiteres Vorurteil zum Krieg besagt, Kriege seien unvermeidlich und 
entweder wie Naturkatastrophen, die über uns kommen, oder aber wie soziale 
Katastrophen, die auf irrationalen Entgleisungen, historischen Fehden (z.B. 
zwischen sog. "Ethnien") oder männlicher Abenteuerlust beruhen. Dem steht 
entgegen, dass nichts so eiskalt geplant und mit so großem Aufwand 
durchgeführt wird, wie ein Krieg. Das bedeutet auch: Kein Volk will Krieg, 
sondern Kriege kommen immer von oben. Wo keine Herrschaft, da kein Krieg. 
Kriege werden immer von den Herrschenden geplant und durchgeführt. In einer 
friedlichen Gesellschaft ohne Herrschaftsverhältnisse kann es keinen Krieg 
geben. Der Krieg gehört daher auch nicht zur "Natur des Mannes", sondern 
ist den Männern während der Patriachatsgeschichte immer wieder aufgezwungen 
und antrainiert worden.

14. These:

Es gibt keinen einzigen Grund, den Krieg zu befürworten. Denn er zersetzt 
das Zivile, das Leben und die Kultur. "Cultura" heißt Pflege. Eine Kultur, 
die anstelle des Lebens das Töten pflegt, mündet auf die Dauer in den 
"reinen Krieg" (Virilio), in dem das Zivile auch in sogenannten 
Friedenszeiten dem Militärischen unterworfen bleibt. So hat die 
patriarchale Gesellschaft die Tendenz, auch die Politik, die Ökonomie, die 
Technik, das Gottesbild, das Menschenbild, das Geschlechter-, das 
Generationen- und das Naturverhältnis in einen permanenten Krieg zu 
verwandeln, der sich in Herrschaft, Unterwerfung, Unterdrückung, 
Ausbeutung, Ausgrenzung, Konkurrenz , Gewalt und Zerstörung auf allen 
gesellschaftlichen Ebenen sowie im Alltag zeigt. Diesem Zustand des "Kriegs 
als System" nähern wir uns heute immer mehr an.

15. These:

Unter den heutigen Bedingungen sich global ausbreitender Kriege und des 
Kriegs als System werden wir nur dadurch in Richtung Frieden gehen können, 
indem wir uns von den Lügen, der Propaganda, den Vorurteilen und den uns 
verwirrenden und pervertierenden Wirkungen des Krieges bewusst entfernen. 
Die Männer hätten dabei insbesondere die Gewöhnung an den Krieg als ihr 
"Handwerk" zu verabschieden und die Frauen hätten den Mut aufzubringen, 
sich ihrer alten Friedenskultur wieder zu erinnern. Nur das Friedenswissen 
der Frauen kann zum Aufbau einer neuen friedlichen Zivilisation führen, der 
auch die Männer zustimmen müssten. Dann kämen wir endlich zu einem "heißen" 
Frieden!

(Im Original sind eine Reihe von Wörter fett gedruckt bzw. unterstrichen. 
Auf Wunsch senden wir den Originaltext per attached file zu.)

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    Matthias Reichl, Pressesprecher/ press speaker,
     Begegnungszentrum fuer aktive Gewaltlosigkeit
     Center for Encounter and active Non-Violence
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