[E-rundbrief] Info 236 - Frankreichs NON zur EU-Verfassung

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Mo Mai 30 09:12:53 CEST 2005


E-Rundbrief - Info 236 - Französisches Referendum zur EU-Verfassung - 
54,87% für "NON"! Erfolg der Basisbewegungen; In Deutschland und Österreich 
entschieden die "Volksvertreter".

Bad Ischl, 30.5.2005

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Französisches Referendum zur EU-Verfassung - 54,87% für "NON"!

Den untenstehenden Text habe ich für unseren "Rundbrief" am 27.5. 
geschrieben. Seit gestern abend ist das dominierende "NON" (mit 54,87%) 
amtlich. Die unermüdlichen und einfallsreichen Basisaktivisten haben der 
(politischen und medialen) Macht der "Oui"-Sager erfolgreich gewaltfreien 
Widerstand geleistet! Und weitere (am 1.6. in den Niederlanden, dann 
Dänemark, Irland...) werden den Erfolg fortsetzen.

Doch schon melden sich Politiker und ihre Sprachrohre, die diese "Panne" 
mit allen möglichen Gegenstrategien ausbügeln möchten. Kanzler Schröder und 
andere schlagen ein erneutes Referendum vor. EUrokraten werden versuchen, 
ihre schon längst eingeleiteten Projekte (wie die militärisch-zivile 
Aufrüstungsagentur, die Neoliberalisierung der EU mit all ihren Folgen 
usw.) durchzudrücken. Dabei rechnen sie damit, dass unser Widerstand 
irgendwann einmal erlahmen wird.

Uns reichte gestern abend in kurzer Blick auf die Männerrunde im "ORF - 
offen gesagt", auf die Mienen der Politfunktionäre, den EU-Fanatismus eines 
Johannes Voggenhuber usw. Von ihnen ließen und lassen wir uns die Freude 
nicht vermiesen - begossen mit einem Fläschchen (österreichischen) Weins!

Matthias Reichl, 30.5.2005, 8:54

Wenn ihr diesen "Rundbrief" in den Händen hält, wird das französische 
Referendum zur EU-Verfassung vom 29. Mai schon Geschichte sein. Entweder 
wird - wie in den Meinungsumfragen vorausgesagt - das "NON" ("Nein") die 
50%-Hürde überschritten haben und damit den juristischen Wortjongleuren und 
EU-Propagandisten eine empfindliche Niederlage bereitet haben. Oder die 
massive Beeinflussung durch führende Politiker und Journalisten hat im 
letzten Moment doch noch die Wähler auf den "rechten" Weg gebracht. Im 
Aufruf "Das zensierte NON in den Medien - es reicht!" 
(www.appel-info-impartiale.ras.eu.org) dokumentierten Medienleute, dass 
zumindest am Anfang in den Fernsehsendungen nur zu 29% die "NON", aber zu 
71% die "OUI" ("Ja") Meinungen zur Sprache kamen ( E-Rundbrief Info 233, 
www.begegnungszentrum.at/archiv).

Eine "Ja"-Mehrheit könnte ein fragwürdiger Sieg werden. Denn in den 
tiefgehenden Debatten unter den betroffenen Bürgern wurden die Konsequenzen 
der neoliberalen und militaristischen Politik - sowohl der EU-Führung als 
Ganzes als auch Frankreichs Regierung - in allen Details aufgedeckt und 
kritisiert. Auch die Unterstellung, dass die "Nein"-Kampagne von rechten 
und linken Extremisten dominiert würde (auch in der Vergangenheit eine oft 
benützte Verleumdungstaktik), musste spät, aber doch, richtiggestellt 
werden. Zumindest 60% der Aktivisten und Unterstützer kamen aus dem 
Mitte-Links-Spektrum. Unterstützer des "Appell von 200 Europäerinnen und 
Europäern - Solidarität mit dem linken französischen Nein" 
(www.euromarches.org/deutsch/05/non01.htm, www.appeldes200.net) aus 
Österreich: Claudia von Werlhof, Peter Kreisky, Thomas Schönfeld u.a.

Weiters dürfen wir die Entscheidung vieler Niederländer am 1. Juni nicht 
übersehen, die sich ähnlich kritisch mit der EU-Politik auseinandergesetzt 
haben.

In Deutschland und Österreich entschieden die "Volksvertreter"

Nun hat auch der deutsche Bundestag und die Länderkammer mehrheitlich der 
EU-Verfassung zugestimmt - ohne das Volk zu befragen. Doch wird sie durch 
die Regierungskrise und Neuwahlen in den Schatten gestellt. Der Protest der 
unter der sozio-ökonomischen Krise leidenden Bevölkerung nützt 
absurderweise der rechten CDU. Ob die sich neu formierende Linke unter 
Lafontaine und Gisy diese Bewegung stärken, nicht aber vereinnahmen wird, 
ist noch völlig offen.

Die fast 1.000 Demonstranten, die am 7. Mai in Wien nach einem Sternmarsch 
das Parlamentsgebäude umzingelten waren zwar  zahlenmäßig eine kleine 
Minderheit, nicht jedoch in ihren Argumenten, wie ich selbst miterlebte. 
(Aufruf dazu im "Rundbrief" Nr. 116 auf S. 13, E-Rundbrief Info 228.) Fünf 
Tage später, am Abstimmungstag waren wir nur knapp 25, die in verordneter 
Distanz den Protest wiederholten.

Die Medien transportierten aus dem Parlament mehr oder weniger 
enthusiastische Lobeshymnen auf die "gelungene" EU-Verfassung, der dann nur 
eine Frau aus der FPÖ die Zustimmung verweigerte. Zwei Beispiele für die 
aufschlussreich-mittelmäßigen Argumente des Fraktionschefs der Grünen 
Alexander van der Bellen: sein Interview in "Die Furche" (v. 12.5.2005) und 
seine Parlamentsrede (am 12.5. www.gruene.at/themen.php). Nicht nur ich als 
Mitbegründer der österreichischen Grünen wurde wieder in der Kritik 
bestärkt. In seinen Worten war nichts von der inhaltlich fundierten Kritik 
aus den Basisbewegungen zu finden. Sowohl Abgeordnete wie auch ihre 
Mitarbeiter müssen sich in ihren Argumenten gehorsam an die Sprachregelung 
anpassen, die auch vom EU-Parlaments-Abgeordneten Voggenhuber und seinem 
Fraktionschef Daniel Cohn-Bendit vorformuliert wurden. Voggenhuber, vor 
seiner Politkarriere ein Versicherungsvertreter aus Salzburg, verwechselt 
offenbar den EU-Verfassungstext mit einer Versicherungspolizze, die er 
seinen Kunden mit allen rhetorischen Tricks unterjubeln möchte. Die 
führenden Kräfte in der EU brauchen solche Karrieristen, die bereit und 
fähig sind sich ohne Skrupel instrumentalisieren zu lassen.

Drei Wochen vorher hatte uns der französische Bauer José Bové, einer der 
führenden EU-Verfassungs-Kritiker, in einigen Veranstaltungen und in vielen 
Medieninterviews neben seiner Globalisierungskritik auch überzeugend sein 
klares "Nein" zu dieser EU-Politik vermittelt. Wenn ich seine Aussagekraft 
(und die seiner Mitstreiter) mit den blutleeren Argumenten der meisten 
Politiker und Medienleute vergleiche, so überkommt mich ohnmächtige Wut 
angesichts deren deprimierender Mittelmäßigkeit. Als Gegenmittel haben wir 
zum Glück unsere internationalen Vernetzungen und Kooperationen von 
Basisinitiativen - ohne dem Diktat irgendwelcher Parteien und Institutionen.

Matthias Reichl
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