[E-rundbrief] Info 226 - Uri Avnery: Vanunus Menschenrechte verletzt

Matthias Reichl mareichl at ping.at
So Apr 24 18:54:40 CEST 2005


E-Rundbrief - Info 226 -  Uri Avnery: Für wen läuten die Glocken? Vanunus 
Freiheit und Menschenrechte - ein Jahr nach seiner Freilassung aus dem 
Gefängnis - durch israelische Behörden weiter verletzt.

Bad Ischl, 24.4.2005

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Für wen läuten die Glocken?

Uri Avnery, 23.4.05

Einem iranischen Techniker mit Namen Jalal-a-Din Taheri, der im Atomreaktor 
in Bushehr gearbeitet hatte, ist es gelungen, nach Europa zu fliehen, wo er 
die Pläne der Ayatollahs, Atombomben zu produzieren, preisgibt.

Taheri wurde daraufhin von aller Welt zum Helden erklärt. 
Friedensorganisationen nominierten ihn für den Nobelpreis. Präsident Bush 
lobte seinen Mut. Ariel Sharon lud ihn ein, nach Israel zu kommen und hier 
zu leben, ja, nannte ihn einen Gerechten  der Nationen. Die Ayatollahs 
denunzierten ihn als Verräter, Ungläubigen, Kreuzfahrer und Zionisten.

Dies ist natürlich eine völlig fiktive Geschichte. Aber sie entspricht 
genau der Geschichte von Mordechai Vanunu, der von fast allen Israelis als 
verachtenswerter Verräter betrachtet wird  was beweist, dass Verrat genau 
wie Pornographie ein geographisches Problem ist.

In dieser Woche nützte ich mein Privileg als früheres Mitglied der Knesset, 
um an einer Sitzung des Knessetkomitees für "Verfassung, Gesetz und Justiz" 
teilzunehmen, in dem die Vanunu-Affäre diskutiert wurde. Im Laufe der 
Sitzung beschimpften Knesset-Mitglieder einander in der Sprache von 
Fischhändlern (wobei ich die Fischhändler nicht beleidigen will). Zwei 
Likudmitglieder, Ronie Bar-On ( der einmal  für ein paar Stunden als 
Staatsanwalt fungierte, bevor er schmachvoll abgesetzt wurde) und Yechiel 
Hazan, schrieen, dass Vanunu keine Menschenrechte habe, da er kein Mensch 
sei. Es muss  gerechterweise erwähnt werden, dass der Vorsitzende des 
Komitees, Michael Eytan, auch ein Likudmitglied, diese Äußerungen heftig 
verurteilte.

Vanunu, der 1986 in einer britischen Zeitung einige Nukleargeheimnisse 
Israels enthüllt hatte, wurde bald danach vom Mossad entführt, nach Israel 
geschmuggelt und  vor Gericht gebracht. Er hat seine Strafe von 18 Jahren 
Gefängnis abgesessen. Die meiste Zeit wurde er in totaler Isolation 
gehalten. (Er sagte mir, um psychisch gesund zu bleiben, las er immer 
wieder laut das Neue Testament  auf Englisch und verbesserte so seine 
Kenntnisse dieser Sprache, auf der er jetzt anstelle von Hebräisch zu 
sprechen besteht.

Bei seiner Entlassung wurden ihm strenge Einschränkungen auferlegt: es 
wurde ihm verboten, ins Ausland zu reisen, ohne vorherige Mitteilung an die 
Behörden sich innerhalb des Landes zu bewegen, mit Ausländern zu sprechen, 
Interviews zu geben. Der Oberste Gerichtshof hat diese Beschränkungen 
bestätigt. Vanunu hat die meisten übertreten  und vor einigen Wochen wurde 
er dafür angeklagt.

Die Einschränkungen waren ihm zunächst für ein Jahr auferlegt worden, das 
in dieser Woche zu Ende ging.

Das Knessetkomitee war dabei, die Möglichkeit zu diskutieren, sie zu 
verlängern. Aber ein paar Stunden vor der Sitzung unterzeichnete der 
Innenminister Ophir Pines (Labor-Partei) eine Order, die das Verbot, das 
Land zu verlassen, auf ein weiteres Jahr verlängerte. Und der 
Armee-Kommandeur der Heimatfront unterzeichnete eine Order, die die anderen 
Beschränkungen verlängerte ( nach den Notstandgesetzen).

Bei der Komitee-Sitzung legte der Vertreter des Staatsanwalts die 
Regierungsargumente für die Verlängerung dar: a) Vanunu hat noch immer 
gefährliche Geheimnisse "in seinem Kopf", b) Er hat ein "phänomenales" 
Gedächtnis; c) wenn ihm die Gelegenheit gegeben wird, wird er diese 
Geheimnisse im Ausland preisgeben.

Welche Beweise gibt es dafür?

a)      in einem der Briefe an seinen Briefpartner im Ausland schrieb 
Vanunu aus dem Gefängnis, dass er noch im Besitz vieler Geheimnisse sei, 
die er noch nicht enthüllt habe. Er kündigte an, dass er beabsichtige, 
diese Geheimnisse bei der nächst besten Gelegenheit zu enthüllen.

b)      Zwei Jahre vor seiner Entlassung  d.h. 16 Jahre nach seiner Arbeit 
in der Nuklear-Anlage  zeichnete er in seiner Zelle nur nach seinem 
Gedächtnis  detailliert und bewundernswert genau Skizzen des 
Produktionsprozesses auf. Diese Zeichnungen wurden unter mehr als tausend 
Dokumenten in seiner Zelle gefunden und beschlagnahmt.

Diese Fakten sind mehr als seltsam. Ein Gefängnisinsasse, der vom Gefängnis 
aus Briefe verschickt, weiß natürlich, dass sie zensiert werden. Vanunu 
musste wissen, dass nicht nur die Gefängnisbehörde, sondern auch der 
Geheimdienst sie lesen werde. Als er diese Zeichnungen anfertigte, wusste 
er sicher, dass man sie  beschlagnahmen werde.

All dies macht deutlich, dass er von Anfang an seine Peiniger provozieren 
und ihnen zeigen wollte, dass er nicht gebrochen wurde. Es ist schwierig, 
diese Dokumente ernst zu nehmen, wie es der Oberste Gerichtshof vor  acht 
Monaten tat, als er die Einschränkungen bestätigte. Eine Person, die 
schreckliche Geheimnisse enthüllen will, verkündet dies den Behörden nicht 
im voraus und fertigt seinen Verfolgern keine Zeichnungen an

Und nun zur Sache selbst:

Hat er in seinem Kopf noch Geheimnisse, die er in der Vergangenheit noch 
nicht enthüllt hat? Das ist unwahrscheinlich.

Zunächst beziehen sich Vanunus Kenntnisse auf  Prozesse, die 19 Jahre 
zurückliegen. Können solche Kenntnisse heute noch von Nutzen sein? Das ist 
kaum zu glauben. Wie das Knessetmitglied Zehava Galon (Yahad-Partei) bei 
der Sitzung bemerkte: " Allein der Gedanke, dass sich seit 19 Jahren nichts 
an der Technik von Israels Nuklearanlage verändert hat, jagt mir großen 
Schrecken ein!"

Zweitens: bevor die britische Zeitung Vanunus Enthüllungen veröffentlichte, 
war er zwei volle  Tage von einem der  führenden Atomwissenschaftler ins 
Kreuzverhör  genommen worden. Man kann sich kaum vorstellen, dass er danach 
noch Geheimnisse hat.

Drittens grenzt es an Paranoia, daran zu denken, dass er so raffiniert war, 
vor 18 Jahren zu entscheiden, Geheimnisse zurückzuhalten, um sie 20 Jahre 
später zu veröffentlichen.

Viertens: Vanunu ist kein Wissenschaftler. Er arbeitete als Techniker im 
Reaktor. Selbst wenn er ein "phänomenales" Gedächtnis hat und seine 
Zeichnungen unheimlich genau sind, ist  kaum anzunehmen, dass sie heute 
noch von Relevanz sind.

Wenn dem so ist, wie soll man die noch einmal auferlegten Beschränkungen 
erklären ?

Der Vertreter des Staatsanwalts bestand darauf, dass es nicht die Absicht 
sei, ihn für Dinge zu bestrafen, die er in der Vergangenheit getan habe, 
das wäre illegal ( da er schon verurteilt worden war und seine ganze 
Gefängnisstrafe abgebüßt hatte) sondern, um ihn daran zu hindern, neue 
Verbrechen zu begehen ( weitere Geheimnisse zu enthüllen).

Das bezweifle ich. Man kann Vanunu nicht zum Schweigen bringen. Die ganze 
Welt ist an ihm interessiert. Und je mehr er verfolgt wird, um so größer 
wird das Interesse. Vanunu kann nicht abgeschreckt werden  er ist einfach 
nicht abschreckbar ( um ein neues Wort zu prägen). Ganz im Gegenteil  Es 
ist auch unmöglich, ihn daran zu hindern, Kontakt mit Ausländern aufzunehmen.

(Vor ein paar Monaten saß ich am Abend im Garten des  Amerikanischen 
Koloniehotels in Ostjerusalem und unterhielt mich mit der englischen 
Schauspielerin Vanessa Redgrave, einer unermüdlichen Mitstreiterin für 
israelisch-palästinensischen Frieden. Auf einmal sah ich, Vanunu 
vorbeigehen. Ich lud ihn ein, sich zu uns zu setzen. Vanessa Redgrave war 
sehr daran interessiert, von seinen Gefängniserlebnissen zu erfahren. Wie 
kann man so etwas  verhindern?)

Da gibt es eigentlich nur eine Absicht: Rache. Yechiel Horev, der Chef der 
Inneren Sicherheitsabteilung des Verteidigungsministeriums kann 
Vanunu  nicht vergeben, dass er seine Sicherheitsvorkehrungen lächerlich 
gemacht hat, indem er durch Teile der Anlage strolchte, in denen er nichts 
zu suchen hatte, und  in Israels geheimster Anlage ungestört Fotos  machte 
und sie ins Ausland schmuggelte. Das ist tatsächlich ärgerlich. Aber auch 
Rache muss ihre Grenzen haben.

Um so mehr als der Staatsanwalt auf eine Frage von Knessetmitglied Etti 
Livni hin zugeben musste, dass dieselben Argumente, die jetzt gemacht 
wurden, auch nach einem weiteren Jahr, und ebenso auch nach fünf oder zehn 
Jahren Gültigkeit haben. Mit andern Worten heißt dies, die Beschränkungen 
gelten lebenslang.

Meine persönliche Meinung zum Wesentlichen dieser Sache:

Atomwaffen sind eine Bedrohung für uns alle. Es ist auf Dauer unmöglich, 
die nukleare Aufrüstung in mehr Ländern des Nahen Ostens zu 
verhindern   Iran zuerst. Andere Arten von Massenvernichtungswaffen ( 
chemische und biologische) gibt es schon in den Nachbarländern.

Seit Jahren hatte Israel das nukleare Monopol in der Region. Meine Freunde 
und ich warnten davor, dass dieses Monopol zeitbegrenzt sein werde und dass 
wir die Zeit nützen müssten, um  Frieden zu erreichen. Die Hybris unserer 
Führer hat dies verhindert.

Jetzt müsste es das Ziel sein, die ganze Region unter strenger 
internationaler und  wechselseitiger Inspektion  - als Teil eines 
umfassenden Friedensabkommens - von Massenvernichtungswaffen zu befreien. 
Das wäre möglich und ausführbar. Wenn Vanunu die Glocken läutet, dann hilft 
er mit, die Öffentlichkeit aufzuwecken.

Seine Aktion ist auch aus anderen Gründen wichtig: er hat das erste Mal die 
Aufmerksamkeit der israelischen Öffentlichkeit  auf die reale Gefahr 
gelenkt, die in dem 40 Jahre alten Reaktor steckt. Mehrere Angestellten 
dieser Anlage haben die Regierung jetzt gerichtlich verklagt. Sie 
behaupten, dass sie Krebs bekommen haben  und einige sind schon 
gestorben  weil es an Sicherheit mangelt. Was würde im Falle eines 
tschernobylartigen Unfalls passieren? Oder  bei einem Erdbeben oder einem 
Raketenangriff? Wer denkt darüber nach? In wessen Verantwortung liegt 
dies?  Wer überwacht diese Verantwortlichen?

Vanunu läutet die Glocken, um auf die wirkliche Gefahr aufmerksam zu 
machen. Es geht nicht darum, ob er eine freundliche Person ist, ob seine 
Ansichten populär sind oder was er nach 12 Jahren Einzelhaft  über den 
Staat Israel denkt. Die Frage ist, ob er einen guten Job tut.

Für dieses Mal  meine ich, ja.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)

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