[E-rundbrief] Info 219 - RB 116 - K. Wecker: Folgen der Tsunami-Flut.
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Do Mär 24 22:00:43 CET 2005
E-Rundbrief - Info 219 - Rundbrief Nr. 116 - Konstantin Wecker: Folgen der
Tsunami-Flut.
Bad Ischl, 24.3.2005
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
===========================================================
Folgen der Tsunami-Flut
Konstantin Wecker
Mittwoch, der 12. Januar 2005
Liebe Freunde!
Ich möchte Euch den Text, den ich vor dem gestrigen Benefizkonzert für die
Flutopfer geschrieben und im "Zenith" teilweise auch gelesen habe, nicht
vorenthalten:
Der Anlass des heutigen Konzertes ist eine Katastrophe geradezu
apokalyptischen Ausmaßes. Was da innerhalb weniger Stunden geschehen ist,
ist erschreckend, traurig und, gerade für uns, die wir in der Mitte eines
festen, soliden Kontinents sitzen, schwer zu begreifen.
Während wir ein paar überflutete Keller oder durch Hagel verbeulte
Autodächer bereits für nationale Katastrophen halten, wird uns angesichts
der Verwüstungen in Südostasien vielleicht einmal bewusst, was es wert ist,
nicht ständig von Vulkanausbrüchen und Erdbeben bedroht zu sein.
Jede Katastrophe birgt eben auch eine Chance - zumindest für die, die noch
am Leben sind. Für sie ergibt sich die Chance, aber auch die Notwendigkeit,
festgefrorene Meinungen über Bord zu werfen, neue Gedanken zu wagen, das
eigene Leben und die eigene Position in der Welt zu überdenken.
Diese Naturkatastrophe hat sich in einer Zeit ereignet, in der wir, in den
westlichen Industrienationen, uns einbilden, technisch alles im Griff zu
haben - ein Irrglaube, der übrigens in den betroffenen Ländern, die der
Natur durch ihre geographische Lage seit jeher stärker ausgesetzt, dadurch
aber auch mehr mit ihr verbunden sind, zu keiner Zeit geteilt wurde. (Es
ist bezeichnend, dass die meisten in der Katastrophenregion lebenden Stämme
von Ureinwohnern sich spontan richtig verhalten und gemeinsam in Sicherheit
gebracht haben.)
Wir aber, reich und gebildet, verschont von Tsunamis und Erdbeben, leisten
uns als Dank für diese Segnungen Militärausgaben, die die Zahlungen für
Entwicklungshilfe um mehr als das Zehnfache übersteigen. Dabei würde ein
Zwanzigstel der Rüstungsausgaben reichen, um die schlimmste Armut zu
beseitigen, weltweit. Und einige, die sich angesichts der Toten in Asien,
vor laufenden Kameras, versteht sich, als großzügige Helfer gerieren, haben
im Irak eine vergleichbare Anzahl von zivilen Toten verursacht, ganz ohne
Tsunami: Menschenwerk!
Nur zur Information: Wir müssen uns vor Augen führen, dass "die
US-Regierung bislang 350 Millionen Dollar den Opfern des Tsunamis
zugesichert hat, die britische Regierung 50 Millionen Pfund (96 Millionen
Dollar). Die USA haben für den Irak Krieg 148 Milliarden Dollar ausgegeben,
die Briten 6 Milliarden Pfund (11,5 Milliarden Dollar). Bislang läuft
dieser Krieg über 656 Tage. Das bedeutet, dass die den Tsunami-Opfern
zugesicherten Gelder der Vereinigten Staaten den Ausgaben von 1,5
Kriegstagen im Irak entsprechen. Die von den Briten versprochene Summe
entspricht der von 5,5 Tagen unseres Kriegseinsatzes." Zitiert nach George
Monbiot, Die Opfer des Tsunamis bezahlen den Preis des Irak-Kriegs (The
Victims Of The Tsunami Pay The Price Of War On Iraq). Und George Monbiot
fährt fort: "Wenn unsere führenden Politiker im Helfen der Menschen genauso
freizügig wären wie in deren Morden, dann müsste niemals jemand Hunger leiden."
Im Gegensatz zu westlichen Wahrnehmung gehört übrigens nicht ganz Asien zur
Dritten Welt. Thailand und Indonesien sind keine reinen Agrarländer mehr.
Das Meer hat einige jener Traumstrände verwüstet, die wir kennen und
lieben. Die Tigerstaaten aber boomen seit Jahren, und werden sicher auch
weiterhin boomen, nur: was wissen wir von den Zuständen im Landesinneren,
wo eine milliardenstarke Bevölkerung unter manchesterkapitalistischen
Bedingungen durch Arbeit zugrunde gerichtet wird, in den Fabriken des
globalisierten Profitwahnsinns?
Die Globalisierung ist eine Tatsache, wir leben in einer gemeinsamen Welt.
Das heißt aber auch, dass uns das Elend der ganzen Welt angeht, jeden
einzelnen von uns. Das Elend nach der Flut, aber eben auch das alltägliche
Elend von Ausbeutung und menschenunwürdigen Lebensbedingungen, nicht selten
für westliche Multis.
Wird in Hinblick darauf die ständige Hetze gegen ein paar Tausend
sogenannte oder von mir aus auch tatsächliche Wirtschaftsflüchtlinge nicht
zu einer beschämenden Farce? Wer bei den Armen dieser Welt Urlaub machen
will, darf nicht nationale Mauern gegen die Armen dieser Welt aufzubauen.
Wer wirklich dauerhaft helfen will, muss der brutalen Politik der Multis
einen Riegel vorschieben!
Und ein weiteres: Moslems, Buddhisten, Hindus, Christen und Juden haben
sich nach der Flut auf selbstlose, aufopfernde Weise, obwohl sie selbst
betroffen waren, füreinander eingesetzt. Wir leben in einer Welt! Hat uns
diese Katastrophe nicht noch einmal überdeutlich gemacht, wie sinnlos,
borniert und dumm es ist, die vermeintliche Reinheit einer nationalen
Leitkultur hochzuhalten und Integration und Deutschunterricht zum
ideologischen Knüppel zu machen?
Multikulti ist nicht gescheitert, wie uns das einige Demagogen gerne
einreden würden. Multikulti ist eine Tatsache. Gescheitert ist die Politik
der Ausgrenzung von andersgläubigen Mitmenschen.
Meine Damen und Herren Politiker, spenden Sie Ihr Geld. Wir alle haben
genug davon, immer noch. Spenden sie deshalb und darüber hinaus auch ihren
Einsatz - für eine andere, eine neue und menschenfreundliche, gerechte
Politik, bei der nicht die Maximierung von Profiten das Maß aller Dinge
ist, sondern der einzelne Mensch.
http://www.wecker.de/tagebuch.html
(download: 5.3.2005, 22:16)
(Siehe auch Infos 188 u. 195)
========================================
Matthias Reichl
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
Wolfgangerstr.26
A-4820 Bad Ischl
Tel. +43-6132-24590
e-mail: mareichl at ping.at
http://www.begegnungszentrum.at
Mehr Informationen über die Mailingliste E-rundbrief