[E-rundbrief] Info 198 - Nano-Kriegstechnologien
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
Do Feb 3 23:16:34 CET 2005
E-Rundbrief - Info 198 - Dr. Sean Howard und Dr. Lee-Ann Broadhead: Geht
das zu weit? Warum sich die Friedensbewegung um die Nanotechnologie sorgen
sollte. Verbindungen zwischen Nano- und Atomkriegstechnologien.
Bad Ischl, 3.2.2005
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Geht das zu weit?
Warum sich die Friedensbewegung um die Nanotechnologie sorgen sollte
von Dr. Sean Howard und Dr. Lee-Ann Broadhead
In den letzten Jahren haben wir ein Anwachsen von Interesse und
Investitionen bei der "Nanotechnologie" erlebt - ein Sammelbegriff, der ein
unterschiedliches Spektrum von Techniken der Herstellung und des Betriebs
abdeckt, die mit der unvorstellbar kleinen atomaren "Nanoskala" in
Verbindung stehen. Ein "Nanometer" ist das Milliardenstel eines Meters,
etwa ein Tausendstel des Durchmessers eines normalen Haars; nach dem
"Oxford Canadian Dictionary" befasst sich Nanotechnologie mit "Dimensionen
und Toleranzen von weniger als einhundert Nanometern, insbesondere mit der
Manipulation individueller Atome und Moleküle".
Überqueren wir dieses winzige Drahtseil, so argumentieren viele, gelangen
wir in eine schöne neue Welt mit nützlichen, befreienden Technologien:
superstarke Materialien, superwirksame Medizin, unbegrenzte Computermacht
usw. Andere warnen jedoch vor einem gähnenden Abgrund unter dem Drahtseil:
neue Mittel und Methoden der Massenvernichtung; faschistisch selektierende
biologische und "genetische" Waffen; weitere dramatische "Miniaturisierung"
von Nuklearwaffen, was neue Optionen für ihren Einsatz und ihre Verbreitung
schafft; eine neue "Technozucht" von halbmenschlichen, halbkünstlichen
"Supersoldaten"; gespenstische neue Folter-, Verhör- und Überwachungsmethoden.
Weder die Nutzen noch die Gefahren der Nanotechnologie können bisher
verlässlich bewiesen oder vorhergesagt werden. Die höchsten Erwartungen -
bei denen es um Visionen von extremer menschlicher Langlebigkeit und der
Abschaffung von Krankheit, Armut und Umweltverschmutzung geht - mögen sich
bei genauem Hinsehen als pure Jenseitsvertröstung erweisen. Ebenso können
sich grimmige Vorhersagen vom Ende der Welt - das Schreckgespenst einer
schnellen, irreparablen Schädigung der atomaren Struktur des Planeten - als
übertrieben pessimistisch herausstellen. Aber selbst wenn keines dieser
Extreme Wirklichkeit wird, würden sowohl Befürworter als auch Gegner darin
übereinstimmen, daß Nanotechnologie das Potential besitzt, Ökonomien,
Gesellschaften, Lebensräume und Militärsysteme in weitreichender und
machtvoller Weise umzugestalten.
Den größten Zankapfel technologischer Diskussion in diesem Bereich stellt
die Aussicht auf "selbstreplizierende" molekulare Maschinerie dar:
"Nanoboter", die darauf programmiert werden, ihre eigene Gestalt zu
montieren, zu reproduzieren und sogar zu verbessern. So ein
"technorganischer" Prozess, bekannt als Technologie "von unten" oder
"nasse" Technologie, würde theoretisch die exponentielle Verbreitung
künstlicher Systeme, die in der Lage wären, die natürliche atomare Umwelt
radikal zu verändern, erlauben.
Wie bei Nuklearwaffen und der Atomenergie wäre ein solches "Nanoschwert des
Damokles" unvermeidbar zweischneidig. So schrieb der Nanotechnik-Visionär
Ray Kurzweil, der die nationale Medaille für Technologie von Präsident
Clinton erhalten hat, 1999: "Was passiert, wenn ein kleines
Software-Problem ... dabei versagt, den Selbstreplizierungsprozess
anzuhalten? Wir haben dann vielleicht mehr Nanoboter als wir wollen. Sie
könnten alles essen, was ihnen vor Augen kommt. ... Ich glaube daran, daß
es möglich sein wird, selbstreplizierende Nanoboter auf eine Art und Weise
zu konstruieren, daß eine unbeabsichtigte und unerwünschte
Bevölkerungsexplosion unwahrscheinlich wird. ... Die größere Gefahr besteht
jedoch im beabsichtigten feindseligen Einsatz der Nanotechnologie. Wenn die
Basistechnologie erst einmal erhältlich ist, wird es nicht schwer sein, sie
als Instrument für Krieg oder Terrorismus anzuwenden."
In der Ausgabe von April 2000 des Magazins "Wired" warnte der Mitbegründer
von Sun Microsystems, Bill Joy, die Schaffung solcher selbstreplizierender
Nanotechnologie würde unvermeidlich zur "weiteren Perfektion des extremen
Bösen führen ... weit über das hinaus, was die Massenvernichtungswaffen den
Nationalstaaten hinterlassen haben."
Viele Wissenschaftler glauben jedoch, daß Selbstreplizierung physikalisch
unmöglich ist: daß individuelle Atome oder Moleküle einfach zu flüchtig und
sperrig, zu "fett" und "klebrig" seien, um sich wie großformatige,
fließbandartige Maschinen zu verhalten. Im Gegenteil, so argumentieren sie,
sei Technologie "von oben" oder "trockene" Technologie - die
vergleichsweise gewissenhafte Manipulation von Molekülen durch Menschen im
Labor - in der Lage, ein breites Spektrum von neuen Produkten und Geräten
zu erschaffen.
Nanotechnologie von oben entfernt jedoch das "Schwert" nicht und ändert
auch nicht seine zweischneidige Natur. Die biotechnologische Revolution der
letzten Jahrzehnte hat die Fähigkeit der Wissenschaft, die genetische Basis
des Lebens "von Menschenhand" zu manipulieren, dramatisch erweitert. Damit
hat sie auch die Möglichkeiten für Waffenentwickler und Terroristen
geschaffen, leicht erhaltbares genetisches Material in neue Bakterienstämme
und Arten von "lieferbaren" Krankheiten zu verwandeln.
Gegenwärtig verbindet sich die Biotechnologie rasant mit der
Nanotechnologie, um noch tiefer ins Kernland des Lebens vorzustoßen, um
noch mehr "Territorium" menschlicher Kontrolle und Ausbeutung zu eröffnen.
Natürlich gibt es genauso Gewinne wie Verluste, "Wunder" wie "Monster",
aber hat uns das Nuklearzeitalter nicht gelehrt, daß das alte Schema der
Kosten-Nutzen-Analyse nicht mehr ausreicht, um unsere Entscheidung zu bewerten?
Aber über wessen Entscheidungen reden wir tatsächlich? Eine kürzliche
Umfrage in Großbritannien hat gezeigt, daß weniger als drei von zehn
Befragten auch nur von Nanotechnologie gehört hatten - ein beängstigender
Grad öffentlicher Ignoranz in offenbar allen Staaten, einschließlich
Kanadas, die gegenwärtig geschäftig Geld und Ressourcen in diesen Bereich
pumpen.
Die Bush-Administration beispielsweise fordert 982 Millionen US-Dollar im
Jahr 2005 für ihre nationale Nanotechnologie-Initiative, von denen 276
Millionen für das Verteidigungsministerium gedacht sind (verglichen mit 89
Millionen für die nationalen Gesundheitsinstitute, fünf Millionen für die
Landwirtschaft und eine Million für innere Sicherheit).
Und das ist nur der Anfang: von neuen Waffen bis zu neuen
Abwehrmaterialien, von Schlachtfeldintegration bis zur Gefangenenbefragung
wird Nanotechnologie vom Pentagon als Königsweg zu militärischer
Überlegenheit, als Eckstein für zukünftige Kriege - und Invasionen - verkauft.
Die Haltung der meisten politischen und militärisch-industriellen
Einrichtungen (einschließlich der Universitäten) ist damit klar: aber wie
sollte die Friedensbewegung auf die Herausforderung der Nanotechnologie
antworten? Zunächst schlagen wir die Unterstützung des Aufrufs der
ETC-Gruppe aus Winnipeg (Action Group on Erosion, Technology and
Concentration, www.etcgroup.org) und anderer für ein nanotechnologisches
Moratorium, das eine angemessene öffentliche und politische Debatte
ermöglichen soll, vor. Dies ist nicht allein eine angemessene,
demokratische Forderung; angesichts des gegenwärtigen Tempos
wissenschaftlicher Entwicklung ist dies dringend und eilig.
1999 schrieb Dr. Robin Coupland, langjähriger medizinischer Berater des
Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, angesichts der schrecklichen
militärischen Implikationen des jüngsten "Fortschritts" der Biotechnologie:
"Wer wird sagen: ,Jetzt sind wir Menschen zu weit gegangen; wir besitzen
die kollektive Weisheit nicht, um hiermit umzugehen.'?" 2005 ist es höchste
Zeit, dieselbe Frage in Hinsicht auf die Nanotechnologie zu stellen. Die
Katastrophe ist nämlich vielleicht weniger als eine Haaresbreite von uns
entfernt...
Dr. Sean Howard forscht über Waffenkontrolle und Abrüstungsfragen und ist
Assistenzprofessor für politische Wissenschaften am Universitätscollege von
Cap Breton [UCCB], Nova Scotia, Kanada; Dr. Lee-Anne Broadhead ist
Professorin für politische Wissenschaften am UCCB)
Quelle: Space Alert, Newsletter No 16 of Global Network Against Weapons and
Nuclear Power in Space, Winter 2005, Übersetzung: Bernd Büscher
aus: Der Pazifist Nr. 199, Jänner 2005, www.dialog-international.org
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