[E-rundbrief] Info 183 - RB 115 - Wahlen in Ukraine und USA fragwuerdig.
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
So Dez 12 09:06:44 CET 2004
E-Rundbrief - Info 183 - 115. Rundbrief - Matthias Reichl: Ukraine und USA
- zwei fragwürdige Wahlen; Die Wahl nach der Qual: Konsumboykotte in den
USA und weltweit - gegen Unterstützer der Republikaner.
Bad Ischl, 12.12.2004
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Ukraine und USA - zwei fragwürdige Wahlen
Matthias Reichl
In der Ukraine...
Bürgerbewegungen in der Ukraine haben - mit Unterstützung von
EU-Verhandlern - vom autoritären Staatsapparat eine Wiederholung der
Präsidentenwahl am 26.12.2004 durchgesetzt. Zu offensichtlich waren die
Interventionen auf die Medien und den Apparat der Wahl, die den knappen
Sieg des Regierungskandidaten durchgesetzt hatten. Die gewaltfreien
Proteste vieler Bürger haben ihre Wirkung gezeigt. Trotzdem muss dem
Nachgeben der Herrschenden mit Vorsicht begegnet werden.
Andererseits muss man dem Drängen der Opposition nach einem Beitritt zur
NATO und zur EU mit großer Skepsis begegnen. Allein schon die Probleme in
der Tschernobyl-Region - und in angrenzenden Gebieten - mit ihren durch
Radioaktivität zerstörten ökologischen und sozialen Strukturen - bleiben
auf unabsehbare Zeit ungelöst. Sie sind eine irreparable Belastung und
Gefährdung für Generationen - nicht nur in der Ukraine sondern auch für die
gesamte EU. In solchen Zonen bleibt (ausgeschlossenen) Bewohnern nur ein
Zusammenschluß zu einem irregulären Überlebensbündnis mit allen
Konsequenzen. Dass die ukrainische "Ost- und Südregion" mit ihren
Bodenschätzen und Industrie eine "Eroberung" durch westliche transnationale
Konzerne (ähnlich jener im Irak) befürchtet, ist nicht unbegründet.
... und in den USA
Das starke Echo in den Medien des "Westens" verdrängte vollständig eine
sehr ähnliche politische Situation in den USA (wie wir schon im E-Rundbrief
Info 147 und 158 berichteten, siehe auch Buchtipps S. 7 und 9). Die
Bürgerinitiativen, die schon vor der Wahl und auch während dieser ein Netz
von Kontrollen aufgebaut hatten, sammelten nun zehntausende Berichte über
Behinderungen und Unregelmäßigkeiten (siehe u.a. folgende homepages:
www.blackboxvoting.org, www.commondreams.org/). Die Wahl fand an einem
Arbeitstag statt, an dem nur in wenigen Staaten ein kurzes Fernbleiben (2
Stunden) von der Arbeit gestattet war. Viele Wähler mussten in Schlangen
vor den zu wenigen Wahllokalen an die 4 Stunden warten (v.a. in Gebieten
mit einer demokratischen Mehrheit, mit Afro-Amerikanern usw.)
Obwohl Experten vor dem fehlerhaften Computersystem - das leicht zu hacken
ist - rechtzeitig warnten (siehe auch "Rundbrief" Nr. 114, S. 6), wurde es
dennoch in einigen Bundesstaaten eingesetzt und lieferte bedenkliche
Resultate. In den meisten Medien (auch im ORF) wurde schon früh der Sieg
Bushs als selbstverständlich angenommen obwohl er nur mit etwa 3% vor Kerry
liegt - ein Vorsprung, den er bei einer Wahl nach internationalen Standards
höchstwahrscheinlich verloren hätte. Der Bericht der OSCE-Wahlbeobachter
wird erst Anfang Dezember veröffentlicht!
Am 5.10. hörte ich in Wien den US-Schriftsteller Gore Vidal, der auch dort
diese bedenkliche Machtübernahme voraussagte: "Es sind die wichtigsten
(Wahlen) in unserer Geschichte. Aber wir werden das nie so genau erfahren,
denn meine Befürchtung ist: Kerry wird gewinnen, Bush wird verlieren. Aber
dann werden seine Leute Kerry um den Sieg bringen. Es wird ein umstrittener
Wahlgang sein, wegen all dieser elektronischen Wahlmaschinen. Sie werden
einfach sagen, dass eine neue Stimmauszählung auf nationaler Ebene nicht
machbar und eine neue Wahl zu teuer ist, und dann bleibt der bisherige
Präsident einfach im Amt. Der Oberste Gerichtshof wird das zu einer
wundervollen Idee erklären - und das ist der Moment, an dem ich Truppen
schicken und den Obersten Gerichtshof vor Gericht stellen würde, was ich
schon 2000 getan hätte, als die Richter Bush illegalerweise und entgegen
der Verfassung zum Präsident machten. Wir werden wieder in der gleichen
Situation sein, dass ein nicht gewählter Präsident im Amt ist und Kriege
führt, für die er von der (US-)amerikanischen Bevölkerung nie ein Mandat
erhalten hat und die nie vom Kongress erklärt worden sind." (Zitat aus
seinem Wiener Referat und aus der taz Nr. 7478 v. 4.10.2004)
Karl Rove, der Chefberater von Präsident Bush, gilt als der einflußreichste
und cleverste Stratege der Republikaner. Er verstand es, die Unterstützung
durch neoliberale Wirtschaftskreise mit ihren Think-Tanks, die mit ihnen
durch straffe Strategien verknüpften Militärs und den missionarischen Eifer
christlicher Fundamentalisten zu einer schlagkräftigen politischen
Kampftruppe zu vereinen. Diese nützten auch die Oppositionszeit unter
Clinton für weitere strategische Trainings und politische Aufbauarbeit für
ihr "Imperium", das auch unilateral die neoliberale Ethik diktiert. Rove
hat maßgeblich die Einteilung der Welt in "Gut und Böse" - inklusive der
Definitionen für die "neuen Feinde" der USA ("Terroristen,
Globalisierungsgegner, Linke"...) geprägt und wird dafür sicher von Bush
mit einem entsprechenden Amt belohnt werden. Daraus sollte auch die
demokratische Partei lernen und sich auf zuverlässige, im gewaltfreien
Widerstand geübte Basisinitiativen stützen, anstatt sich ebenfalls von den
Neoliberalen finanziell korrumpieren und indoktrinieren zu lassen. (Stand:
28.11.2004)
Ergänzung (11.12.04):
Der bisher bekanntgewordene Umbau des US-Regierungsteams zeigt deutlich,
dass er sich auf ein loyales, mittelmaßig intelligentes,
neoliberal-fundamentalistisches Team stützen will. Seine enge Freundin
Condolezza Rice als Außenministerin ist ein treffendes Beispiel dafür.
(Ihre Tätigkeit kann man treffend als "kondolieren" charakterisieren.) Der
Rücktritt von Bushs Wunschkandidaten für das "Heimatschutzministerium"
wegen dubioser Finanzaffären - und wegen angeblicher Waffengeschäfte -
zeigt weitere Schwachstellen seiner Konstruktion. Diese könnten in den sich
mit Sicherheit in den nächsten Jahren abzeichnenden gewaltigen
ökonomischen, ökologischen und sozialen Katastrophen unfähig sein, richtig
darauf zu reagieren und zu handeln.
Die Wahl nach der Qual
Konsumboykott in den USA und weltweit
Der gewaltfreie Widerstand von der Basis her geht unvermindert weiter. Als
ein wirksames Mittel wenden sie den Kaufboykott von Konsumenten gegen
Firmen an, die die Republikaner mit Wahlspenden unterstützten. Leider liegt
nur die Aufstellung für die Wahl von 2000 vor. Einige der transnationalen
Firmen sind auch in Europa sehr präsent, die ihre Wahlkampfspenden zur
Gänze bzw. großteils den Republikanern überwiesen haben. Eine Liste des
"Center for Responsive Politics" findet ihr auf der homepage:
www.markkadota.com
Supersize me - downsize us and them
Den Pflichtfilm für jung und alt "Supersize me" über die Fressschäden nach
der Überfütterung durch Fast Food in den USA (und weltweit) sollte niemand
versäumen, der etwas auf seine - körperliche und politische - Linie hält.
(Wie man hört, leiden die Schauspieler jetzt noch unter den Nachwehen der
Mastkur.) Doch warum zeigen ihn die Programmverantwortlichen vom Bad
Ischler Leharkino am 10. und 11.12. erst um 22 Uhr? Haben sie das
ORF-Schema übernommen, das zum Hauptabendprogramm meist nur leichteste Kost
serviert (die deswegen oft zum k... ist!)? Oder nehmen sie aus bestimmten
Gründen auf den örtlichen MacDo und seinen Geschäftsgang Rücksicht? Also
hoffen wir, dass "Supersize me" zu einer christlichen (Vorweihnachts)Zeit
wiederholt wird!
(Mein Leserbrief in der "Ischler Woche" v. 7.12.04)
P.S. Was Bad Ischl nicht kann, kann in der Nachbarschaft das - alternative
Team vom - "Kino Ebensee": am 13., 14. und 16.1. läuft um 20.00 Uhr - also
zu einer familienfreundlichen Zeit - "Supersize me"!
Matthias Reichl
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Matthias Reichl
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