[E-rundbrief] Info 181 - RB 115 - Frei Bettos Ruecktritt; PT Wahlverluste
Matthias Reichl
mareichl at ping.at
So Dez 12 09:06:13 CET 2004
E-Rundbrief - Info 181 - 115. Rundbrief - Matthias Reichl: Frei Bettos
Rücktritt, brasilianischer Befreiungstheologe zieht sich aus Lulas Umfeld
zurück; Hermann Dworczak: Lulas Arbeiterpartei PT verliert Porto Alegre,
Brasilien - Kommunalwahlen
Bad Ischl, 12.12.2004
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit
www.begegnungszentrum.at
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Frei Bettos Rücktritt
Befreiungstheologe zieht sich aus Lulas Umfeld zurück
(Zum Text "Zero Hunger Social Moblilization in Brasilien. Sozialpolitik des
brasilianischen Präsidenten Lula. Vortrag von Frei Betto" im "Rundbrief"
Nr. 114, Seite 11 - 14; Info 150.)
Der Befreiungstheologe Frei Betto tritt als Berater von Brasiliens
Staatschef Luis Inacio "Lula" da Silva zurück.. Zwar vermied der 60-jährige
am Wochenende zunächst jede öffentliche Stellungnahme. Mehrfach hatte er
jedoch den als neoliberal geltenden Regierungskurs hart kritisiert. In den
vergangenen Tagen gaben mehrere progressive Freunde "Lulas" ihre
Regierungsposten auf oder wurden entlassen. Frei Betto hatte sich für die
Regierung dem Anti-Hunger-Programm gewidmet, konnte sich aber dem Vernehmen
nach mit seinen Auffassungen nicht durchsetzen. Anselm Meyer-Arnz vom
bischöflichen Hilfswerk Misereor wertet Bettos Rücktritt... nicht als
Absage an die Regierung. "Der Rücktritt von Frei Betto kam nicht wirklich
überraschend. Es hat damit zu tun, dass die Spielräume, die die Regierung
Lula für die Realisierung einer anderen, an den breiten
Bevölkerungsschichten von Brasilien orientierten Politik angetroffen hat,
denkbar gering waren. Lula hat seine Regierung begonnen, als aufgrund
internationaler Finanzspekulationen der Real quasi ins Bodenlose abgestürzt
war... Letztlich sind aber wesentliche Schritte, die die
Grund-Ungerechtigkeiten der brasilianischen Gesellschaft verändern könnten,
bis jetzt ausgeblieben und konnten nicht stattfinden. Frei Betto hat dem
klar ins Auge geschaut." (Radio Vaticano)
http://www.vaticanradio.org/tedesco/tedarchi/2004/November04/ted23.11.04.htm
...Vor allem mit dem neuen Minister für Sozialentwicklung, Patrus Ananias,
geriet er wiederholt in Konflikt. Lulas Sozialpolitik, darunter seine
Maßnahmen zur Hungerbekämpfung, stehen seit seinem Regierungsantritt vor
knapp zwei Jahren unter Kritik. Hauptvorwürfe waren fehlende Mittel sowie
mangelnde Effizienz und Kontrolle. Frei Betto selbst verteidigte allerdings
noch im Oktober bei einem Wien-Besuch die Politik des brasilianischen
Präsidenten. Lula, so Betto damals, bringe Brasilien weiter. Zugleich
forderte der Theologe dazu auf, dem Präsidenten mehr Zeit zu geben. Die
zwei Jahre seit Amtsantritt Lulas seien "wenig Zeit, um alle Erwartungen zu
erfüllen", sagte der Ordensmann auf einer Veranstaltung der Organisation
"Südwind".
(Aus: orf-online 23.11.2004)
...Als Aufpasser und Vize-Staatschef gab man ihm (Lula) sicherheitshalber
den Milliardär und Großindustriellen Josè Alencar an die Seite - er zählt
zur rechtsgerichteten, von einer Wunderheilersekte dominierten PL (Partido
Liberal). Er ist seit November 2004 auch Verteidigungsminister. Auch die
völlig inkompetente Sozialministerin Benedita da Silva ... von
"Artikulation" (reformistisch-liberaler Flügel), gehört zu einer Sekte,
steht jetzt wegen ihrer vom Steuerzahler finanzierten Luxusreise zu einem
Sektentreffen in Argentinien erneut im Kreuzfeuer der Kritik.
Umweltministerin Marina Silva, von derselben Sekte - ist ebenfalls eine
Riesenpleite; selbst Greenpeace empfiehlt ihr den Rücktritt. Sie konnte im
Herbst 2003 nicht verhindern, dass Lula und ihre Regierungskollegen dem
Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zustimmten...
International kritisiert wurde auch, dass einige führende Aktivisten der
Landlosenbewegung MST als politische Gefangene inhaftiert sind.
(Von Matthias Reichl gekürzt u. redigiert aus: Klaus Hart: Brasilien: Frust
über Lula. Vom 14.11.2003,
http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Brasilien/hart.html)
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Brasilien - Kommunalwahlen
Lulas Arbeiterpartei PT verliert Porto Alegre
Hermann Dworczak
Die Stadt Porto Alegre , bekannt für seine "partizipative Demokratie" und
als Austragungsort mehrerer Weltsozialforen, ging an die "Rechte" verloren.
Porto Alegre ist nicht die einzige wichtige Stadt ,die die PT bei den
Kommunalwahlen eingebüßt hat: Die exponierteste Wirtschaftsmetropole des
Landes Sao Paulo gehört ebenso dazu wie Belem (dort regierte die PT acht
Jahre). Erfolge gab es u.a. in Fortaleza, Vitoria und Porto Velho.
Aber zweifelsohne schmerzt die Niederlage in Porto Alegre besonders. Mit
Porto Alegre assoziiert man/ frau unmittellbar partizipative Demokratie und
Beteiligungshaushalt (1). In der Hauptstadt des Bundesstaates Rio Grande do
Sul fanden bereits drei Weltsozialforen (WSF) statt und auch das nächste
wird - nach dem vierten in Mumbai- Ende Jänner 2OO5 dort ausgerichtet werden.
Porto Alegre gilt als einer der Bastionen der (PT-)Linken und wird seit 16
Jahren von ihr verwaltet. Und mit Raul Pont, der aus der Strömung der IV.
Internationale in der PT, "Sozialistische Demokratie" (DS), kommt, verfügte
die PT über einen dezidiert linken und anerkannten Bürgermeisterkandidaten
(Raul Pont war auch schon Bürgermeister in Porto Alegre und zwar von 1997
bis 2OOO).
Und trotzdem reichte es nicht. Raul Pont bekam nur 47 % der Stimmen, um
knapp 54 OOO Stimmen weniger als sein Gegenkandidat Jose Fogaca ( dieser
kommt aus der PPS einer früheren Abspaltung der KP, die sich nach rechts
entwickelte und bürgerliche Politiker integrierte). Natürlich wäre es
unzulässig nach einer monokausalen Erklärung für den Rückschlag zu greifen.
Mehrere Ursachen sind maßgeblich: der frühere PT-Bürgermeister Tarso Genro
brach sein Wahlversprechen von 2OOO und schied vorzeitig aus seiner
Funktion aus, um bei den Gouverneurswahlen anzutreten ( und dabei zu
scheitern); Jose Fogaca agierte z.T. populistisch und ließ sich
andererseits den Wahlkampf von großen Konzernen finanzieren...
Der Faktor der Enttäüschung über die - auf breiten Strecken IWF-
"freundliche"- Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung Lula und die
rigide Form der Konfliktaustragung der PT-Führung mit ihren linken
Kritikern scheint jedoch besonders wirksam zu sein. Etliche wurden
ausgeschlossen/ hinausgedrängt (z.B. Heloisa Helena), andere gingen sellbst
( wie Juao Machado, Gründungsmitglied der PT ), eine neue Linkspartei (die
PSol Partei Sozialismus und Freiheit) wurde gegründet. Der in Porto Alegre
lebende Übersetzer der österreichischen Delegation am 3.WSF 2OO2 bringt es
auf den Punkt: "Die PT hier und Raul Pont bekamen die Ohrfeigen für die
Politik der Zentralregierung".
Die Position der Linken, die in der PT verblieben sind, ist nach dem
Debakel in Porto Alegre noch schwieriger. Ihre Hoffnung war, gestärkt durch
einen Erfolg in Porto Alegre, den Regierungs- und PT- Rechten massiver
entgegentreten zu können. Diese Hoffnung ist nunmehr dahin. In dieses -
betrübliche - Szenario paßt die jüngste Nachricht: Frei Betto,
Befreiungstheologe und Leiter des Null-Hunger-Programms der Regierung Lula
(2) legte seine Funktion zurück, weil er den neoliberalen Kurs des
Kabinetts nicht mittragen will.
Hermann Dworczak
(1) The Porto Alegre Alternative. Direct Democracy in Action. Edited and
translated by Iain Bruce. Pluto Press. 2OO4. (siehe Buchtipps, Info 180)
(2) Anläßlich seines jüngsten Österreich-Aufenthalts gab Frei Betto
Lateinamerika Anders- Panorama ein Interview (Nr. 5 November 2OO4 S. 14
"Wir haben keine Revolution" )
(Aus: "Lateinamerika Aktuell")
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Matthias Reichl
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