[E-rundbrief] Info 153 - RB 114 - Elfriede Jelinek: Beitraege Hiroshima-Gedenkfeiern in Wien

Matthias Reichl mareichl at ping.at
Sa Okt 30 12:54:03 CEST 2004


E-Rundbrief - Info 153 - RB Nr. 114 - Elfriede Jelinek: Beiträge zu den 
Hiroshima-Gedenkfeiern 2004 und 1998 in Wien.

Bad Ischl, 30.10.2004

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

www.begegnungszentrum.at

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Beitrag zur Hiroshima-Gedenkfeier 2004 in Wien

Elfriede Jelinek

Wir starren seit vielen Jahren auf die schrecklichen Konflikte und Kriege 
in der Welt. Sie allein sind schon kaum noch zu kontrollieren, wie wir 
sehen. Jeder Tote ist einer zuviel. Aber diese Schrecknisse sind nur eine 
dünne Tünche über dem wahren Schrecken, der ständig in den alten wie den 
neuen Atommächten lauert, wie ein schlafendes Ungeheuer, das jederzeit 
aufwachen könnte. Aus Gründen der Staatsräson verschleiern viele Länder ihr 
atomares Potential oder reden es klein, andre wieder drohen ganz 
unverhohlen damit, um stärker zu erscheinen oder etwas anderes damit zu 
erreichen, durch Erpressung. Sie brüsten sich ihrer Fähigkeit, ganze 
Landstriche ausradieren zu können. Jedes dieser Länder hat die Möglichkeit, 
zugrunde zu gehen und viele andre Länder, die ganze Welt in ein Brandopfer 
ihrer selbst hineinzureißen. Es scheint, als ob alles Entscheidende ohne 
unser Zutun geschähe. Immer kleinere, mobilere atomare Waffen werden 
entwickelt, und gleichzeitig sinkt die Schwelle immer weiter, sie auch 
einzusetzen. Krieg scheint zu einem legitimen Mittel der Konfliktlösung 
geworden zu sein. Einzelsubjekte werden auf dem Schlachtfeld geopfert, 
damit das große Opfer, das Opfer des Kollektivs in einem atomaren Krieg, 
ein gewohntes wird. Aber niemand kann sich vorstellen, wie alles danach 
aussehen wird. Nur Hiroshima und Nagasaki, die beiden Städte, können es 
sich vorstellen, und damit haben sie eine Verpflichtung übernommen. Es 
sieht so aus, als müssten immer die Opfer und ihre Nachkommen vor dem 
Schrecken warnen, die Täter übernehmen diese Aufgabe so gut wie nie. Wir 
müssten unserer Opfererfahrung aber zuvorkommen, wir müssten schon warnen, 
ohne erst Opfer geworden zu sein (und die Opfer der beiden Weltkriege sind 
ja sehr wohl noch in unserem kollektiven Gedächtnis vorhanden). Das heißt, 
wir müssten diesen Schleier über den bestgehüteten Geheimnissen der 
atomaren Waffen immer wieder heben, ein einziger Blick unter diesen 
Schleier müsste uns zeigen, dass wir das Fragwürdigste überhaupt verehrt 
haben: die Macht. Die Macht, die es einer Nation verleiht, alle andren 
auslöschen zu können. Schon bevor die atomare Katastrophe eintritt, löst 
sich das Subjekt von seiner Bestimmung als Einzelner, der für seine Taten 
verantwortlich zu machen ist, und überantwortet sich dieser anonymen Macht. 
Wird schon nichts passieren. Wird schon alles nicht so schlimm werden. Es 
kann jederzeit noch viel schlimmer werden. Es kann jederzeit alles aus 
sein. Das sollte man unbedingt jeden Tag aus dem Gedächtnis herausholen und 
anschauen, bis man es nicht mehr aushält. Damit man nicht das eigene Ende 
aushalten wird müssen.

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Beitrag zur Hiroshima-Gedenkfeier 1998 in Wien

Elfriede Jelinek

Es ist uns zu unserer Lebenszeit bereits die Erkenntnis gekommen (sie wurde 
uns schmerzhaft aufgezwungen, und andere haben dafür bezahlt), daß es uns 
möglich ist, mit Massenvernichtungswaffen uns selbst auszurotten. Diese 
Erkenntnis ist eine absolute, und nichts war danach wie es vorher war. Man 
sollte nun meinen, der erste Schritt nach diesem Absoluten wäre, es 
aufzunehmen, zu erkennen und als Wahrheit anzunehmen. Daß von Menschen nur 
mehr Schatten übrigbleiben können und sogar die Schatten noch schmelzen 
können. Aber es gibt schon wieder Staaten, für die das Erkennen dieser 
schrecklichen Wahrheit und Möglichkeit kein Mittel ist, zu erkennen, daß 
atomare Waffen auf keinen Fall und unter keinen Umständen und auch nicht 
einmal zu Versuchszwecken eingesetzt werden dürfen. Und Erkennen allein 
genügt nicht. Diese Wahrheit, die eine absolute ist, muß immer wieder 
vermittelt und weitergegeben werden. Müssen wir daher die Vorstellung 
aufgeben, daß Menschen erkennen können, was wahr ist? Ich glaube das nicht. 
Ich weiß aber mit Sicherheit, daß immer wieder gesagt werden muß, daß, da 
wir imstande sind zu erkennen, was wahr ist, wir auch danach zu handeln 
haben: Atomare Waffen sind von der Erdoberfläche zu verbannen, ein für 
allemal. Das sollte uns in unsere Schranken verweisen, angesichts des 
Entsetzens, das diese absolute Wahrheit bei uns auslösen müßte, jederzeit.

Quelle: www.hiroshima.at bzw. www.friedensnews.at

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Matthias Reichl

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit

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